Der Glaube macht leidensfähig

Tag des Apostels Bartholomäus

Predigt über 2. Korinther 4, 7- 10: Leidensgemeinschaft mit Christus
24.8.2014, 11.00 Uhr, Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.
Bei seinem Nahen stürzten Götzenbilder, er heilte Kranke und Besessene und drang durch verschlossene Türen. So bekehrte sich auch der König Polimius von Armenien mit seiner ganzen Familie und seinem Volk, nachdem Batholomäus dessen besessene Tochter geheilt hatte. Der König ließ ein Götzenbild niederbrechen, aus dem ein böser Geist sprach. Bartholomäus beschwor den Teufel, der daraufhin ausfuhr und allen sichtbar gemacht wurde: Er war „schwärzer als Ruß, mit scharfem Angesicht, langem schwarzem Bart und schwarzen Haaren, die bis auf seine Füße gingen, die Hände aber mit feurigen Ketten auf dem Rücken gebunden.“ So lautet die Überlieferung.
Doch nicht alle freuten sich über dieses Wunder und die Unterwerfung des Teufels: Die überwundenen Priester des Tempels zogen zu Astyages, dem feindlichen Bruder des Polimius. Der schickte 1000 Gewappnete aus, die Bartholomäus fingen und vor ihn brachten. Er erfuhr, dass durch den Apostel auch sein Gott Baldach zerstört worden war und ließ ihn daraufhin mit Knütteln schlagen und ihm dann die Haut abziehen. Das ist die Legende über den Apostel Bartholomäus. (Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten, 1991, S.74ff)
In der Bibel erfahren wir so gut wie gar nichts über ihn. Er gehörte zu dem Kreis der zwölf Jünger, das ist alles. (Mt.10,3 par) Er soll dann später in Kleinasien, Armenien, Mesopotamien und Indien gewirkt haben.
Er war also einer der frühchristlichen Missionare und Märtyrer und erlitt das Schicksal, das Jesus seinen Jüngern vorausgesagt hatte.(Mt.10,16ff)
Vom Beginn des 13. Jahrhunderts an trägt Bartholomäus deshalb in den zahlreichen Darstellungen der Buch-, Wand- und Tafelmalerei sowie der Plastik das Messer und die abgezogene Haut als feststehende Attribute. In Michelangelos Jüngstem Gericht, dem berühmten Gemälde in der Sixtinischen Kapelle in Rom, gilt das Antlitz auf der von Bartholomäus getragenen Haut als Selbstbildnis Michelangelos.
Es gibt dann auch noch weitere Geschichten, die von Erscheinungen und Wundern des Apostels nach seinem Tod handeln. Man kann sie in den Heiligenlexika nachlesen.
Für unsere Ohren klingt das alles sehr fremd. Wir glauben das so natürlich nicht. Und selbst mit dem, was an den Legenden eventuell wahr ist, wollen wir uns nicht so gerne befassen: Mit dem gewaltsamen Tod eines Unschuldigen, dem Märtyrertum und der Brutalität, die damit einhergeht. Das alles gehört nicht in unsere Welt und Denkweise.
Wozu beschäftigen wir uns damit also noch? Das müssen wir uns fragen, und dabei hilft uns ein Abschnitt aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Es ist heute unser Predigttext, und er lautet folgendermaßen:

2. Korinther 4, 7- 10
7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

Hier wird zwar auch die düstere Seite des Lebens erwähnt, Leid und Tod, trotzdem klingen die Aussagen erträglich. Sie gehören zu der großen Rechtfertigung und Verteidigung des apostolischen Amtes, die Paulus in diesem Brief aufgeschrieben hat. Er war wahrscheinlich angegriffen worden, von wem, wissen wir nicht. Und auch die Vorwürfe können wir im Einzelnen nicht mehr rekonstruieren. Klar ist nur, dass es in Korinth Gegner des Apostels gegeben haben muss, die ihm mit bösen Verdächtigungen zu Leibe gingen. So wurde sein Antwortbrief zu einem gewaltigen Selbstzeugnis.
Das merken wir auch in unserem Abschnitt, in dem Paulus die Leidensgemeinschaft des Apostels mit Christus beschreibt.
Er hatte kurz vorher geschildert, wie hell das Licht des Evangeliums in seinem Herzen scheint. Auch andere können die Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus durch seinen Dienst erkennen.
Nun erwähnt er, was dazu in schärfstem Widerspruch zu stehen scheint, nämlich die Wirklichkeit des Apostellebens: Drangsal, Verfolgung, Leiden und Erniedrigung kennzeichnen es. Das sahen wahrscheinlich auch seine Gegner und sie kamen deshalb zu dem Schluss, dass die Botschaft von der Herrlichkeit Gottes nichts als eine Lüge war. Sie erwarteten etwas anderes von dem Verkünder und Diener Gottes, nämlich die direkte Offenbarung der göttlichen Kraft in Zeichen, Wundern und überzeugender Rede.
Darauf antwortet Paulus hier und er macht eine interessante Aussage: Für ihn waren die Wirklichkeit seines Leidens und die Herrlichkeit Christi kein Widerspruch, sondern etwas, was untrennbar zusammen gehört. Es gibt keine direkte Verklärung, sondern Christus offenbart sich gerade in seiner Passion, in seinem Sterben. Gott nimmt seinen Weg zu den Menschen über das Kreuz Jesu. Das glaubt Paulus.
Der Schatz, von dem er hier spricht, ist das Evangelium oder die Erkenntnis Christi, die Gefäße sind die Apostel. Und sie sind in der Tat schwache Menschen. Aber Gott macht gerade sie zu Trägern seiner Gnade, denn dann ist für alle klar: Hier wirkt Gottes Kraft, die nicht mit menschlicher Kraft verwechselt werden darf. Der Gegensatz entspricht dem göttlichen Plan.
Paulus beschreibt ihn mit vier knappen und wuchtigen Beispielen: Bedrängnis, Angst, Verfolgung und Unterdrückung stehen auf der einen Seite, Freiheit, Unverzagtheit, Beistand und Leben auf der anderen. Das eine ist nur die äußere Wirklichkeit, das andere sein innerer Zustand. So ist in der Schwachheit und Not des Apostels immer Gottes Kraft mächtig. Paulus verzweifelt nicht und er wird auch nicht zerstört, selbst wenn er an den äußersten Rand der menschlichen Existenz gedrängt wird, denn er wird immer wunderbar gehalten. Seine Schwachheit und sein Leiden dienen sogar dazu, dass Gott verherrlicht wird. Sie zeigen und bezeugen, dass Amt und Predigt des Apostels göttlicher Kraft entspringen und nicht Menschenwerk sind.
Zum Schluss steigert Paulus seine Darstellung noch einmal mit der Aussage, dass seine Todesnot eine Fortsetzung des Todesleidens Jesu ist. Er steht in einer Leidensgemeinschaft mit Christus. Das Schicksal Jesu wird im Leben und Beruf des Apostels noch einmal nachgebildet. Das Leiden ist also kein Selbstzweck, sondern es steht unter einem Ziel, das Überwindung und Sieg verheißt: Auch die Auferstehung und das göttliche Leben Jesu werden im Dasein des Apostels offenbar.
Das macht Paulus hier deutlich, und es ist wie gesagt nicht nur düster. Der Apostel spricht zwar vom Leiden und Sterben, aber er thematisiert noch viel stärker seine Hoffnung und seine Überwindung, die Kraft Gottes und den Sieg über alle Angst und Not.
Und das ist auch für uns eine befreiende Botschaft. Wir denken nämlich ganz oft so ähnlich wie die Gegner des Paulus: Wenn Gott da ist, dann muss es uns gut gehen, dann verschwindet das Leid, wir werden gesegnet und reich, gesund und fröhlich. Das wünschen wir uns auch und danach streben wir alle. Das Leid wollen wir am liebsten vermeiden. Es soll verschwinden, und dafür haben auch noch andere Strategien, als den Glauben entwickelt.
Wir suchen uns z.B. einen Beruf, mit dem wir genug Geld verdienen, zu dem wir Lust haben und der uns liegt. Wir treffen uns mit netten Menschen, unterhalten uns gut, vergnügen uns und feiern Feste. Hobbys dienen auch dazu, das Leben angenehm zu gestalten, uns Erfüllung und Spaß zu bescheren. Es kann der Garten sein, Sport oder eine Kunstfertigkeit, die wir pflegen. Dazu kommen der Urlaub, den wir machen, Reisen und Ausflüge.
Und wenn es uns dann doch mal schlecht geht, hilft uns die Medizin oder die Psychologie, um wieder auf die Beine und zu uns selber zu kommen. Sie dienen dem einen großen Ziel, über das wir uns alle einig sind: Das Leid soll so gering wie möglich sein. Am besten wäre es, wenn es ganz verschwindet. So ist unser Leben angelegt, so ist unsere Gesellschaft geprägt.
Der Tod hat deshalb auch keinen Platz. Dagegen gibt es zwar kein Mittel mehr, aber er lässt sich ganz gut verdrängen. Man muss ja nicht ständig daran denken. Er gehört zum Glück nicht zu unserem Alltag, und das Leben bietet genügend Möglichkeiten, sich davon abzulenken. Das sind so unsere Strategien, ein möglichst leidfreies Leben zu führen.
Aber gelingt uns das auch? Bescheren uns diese Methoden wirklich die Freiheit und das Glück, das wir suchen? Lässt sich das Leid einfach so verbannen?
Es gibt doch ganz viele Probleme und Nöte, die wir so nicht lösen können. Es bleibt eine Angst da, dass wir scheitern könnten, vielleicht auch das Gefühl der Sinnlosigkeit. Wir erleben immer wieder Alleinsein und Trauer, Enttäuschung und Niederlagen. Genauso wenig lassen sich Zorn und Streit immer vermeiden. Und ebenso viele Krankheiten können nicht geheilt werden. Auch der Tod trifft am Ende jeden und jede von uns.
Deshalb haben Paulus und die anderen Apostel gar nicht erst versucht, vor all dem zu fliehen. Sie wussten: So ist die irdische Existenz. Und zu dieser Nüchternheit waren sie in der Lage, weil sie darauf vertrauten, dass es noch eine ganz andere Wirklichkeit gibt. Sie waren durchdrungen von der Gegenwart und der Kraft Christi, die von Gott kam.
In ihrer Lebensführung machten sie deshalb einen Unterschied zwischen innen und außen, und sie gaben der inneren Welt eine größere Bedeutung als der äußeren. Denn in ihnen ereignete sich das, woran sie glaubten, da wohnte Christus mit seiner Herrlichkeit und machte sie frei und mutig.
Sie vermieden deshalb nicht das Leid, sondern nahmen es an. Sie schauten ihm ins Auge und ließen sich davon nicht irritieren. Es konnte sie nicht mehr beeindrucken, weil sie erfüllt waren von etwas Größerem. Sie waren zwar nicht leidfrei, aber dafür umso leidensfähiger.
Und dieser Weg führt in der Tat weiter, als wenn wir nur versuchen, das Leid abzustellen oder zu vermeiden. Wir dringen in tiefere Schichten der Wirklichkeit und des Bewusstseins vor. Wir machen Erfahrungen, die eine ganz andere Qualität haben: Wir werden ruhig und getrost, „mutig und stark“ (1.Kor.16,13), ganz gleich, was kommt.
So war es auch bei Bartholomäus. Aus dem Wust der bizarren Geschichten, die über ihn erzählt werden, lassen sich drei Dinge herausfiltern, die auch unser Bewusstsein verändern und die wir mitnehmen können.
Die erste Botschaft lautet: Das Böse wich vor ihm zurück. Er hatte eine starke Ausstrahlung. In seiner Nähe konnten sich die finsteren Mächte nicht halten, etwas anderes setzte sich durch: Es war eine Kraft, die stärker war als die Natur. Sie hatte eine geistliche Qualität. Damals machten die Menschen den Teufel für die zerstörerischen Mächte verantwortlich. Das sehen wir heutzutage zwar nicht mehr so, weil wir nicht an den Teufel glauben, aber seine Werke kennen wir sehr wohl: Es ist das, was ich vorhin schon genannt habe: Angst und Leere, Depression und Einsamkeit. Auch Krieg und Hass gehören dazu. All das kann uns ergreifen, und oft kommen wir dagegen mit rein menschlichen Mitteln nicht an. Eine Kraft, die stärker ist als die Natur, muss die finsteren Mächte besiegen. Und die wohnte in Bartholomäus. Im Glauben an Jesus Christus können wir sie ebenfalls empfangen. Wo er gegenwärtig und lebendig ist, verblasst das Böse, die teuflischen Mächte ergreifen die Flucht. Das ist das erste, was der Apostel uns zeigen kann.
Der zweite Punkt ist sein Mut, den Glauben auch zu bekennen und andere damit anzustecken. Er führte Menschen zu Christus. Sie wurden überzeugt und änderten ihr Leben. Der Geist des Apostels ging auf andere über, und das Reich Christi wuchs. Und so ist es immer noch: Wo wir mutig bekennen, was wir glauben und was uns erfüllt, brennt unser Licht vor den Menschen. Der Glanz Christi erhellt die Finsternis, und andere werden neu belebt. Das Böse weicht nicht nur, es öffnet sich auch ein neuer Weg, den die Menschen mitgehen können. Sie können ebenfalls eintreten in das Kraftfeld der Liebe Christi und dadurch frei und froh werden. Das ist das Zweite.
Und der dritte Punkt, der durchaus etwas Wahres enthält, ist das Wirken des Apostels nach seinem Tod. Die Legende erzählt, dass seine Leiche von den Heiden in einem Bleisarg im Meer versenkt wurde. Sie wollten Bartholomäus also für immer vernichten und alle Spuren auslöschen. Doch das ist ihnen nicht gelungen. Auf wunderbare Weise wurde der Sarg an einer Insel an Land gespült, sodass die Gebeine des Apostels später christlich beigesetzt werden konnten. Das müssen wir so natürlich nicht glauben, aber eins ist auf jeden Fall sicher: Bartholomäus wurde nicht vergessen. Sein Leben blieb wie das vieler anderer ein lebendiges Beispiel. Er ging uns auf dem Glaubensweg voran und er kann uns nach wie vor inspirieren. Sein sieghafter Glaube kann immer noch wirken und auch uns Mut machen, uns ganz Jesus Christus hinzugeben und ihm im Leben und im Sterben zu vertrauen.
Amen.

Dient einander

Predigt über 1. Petrus 4, 7- 11:
Vom Leben des Christen

9. Sonntag nach Trinitatis, 17.8.2014, 9.30 Uhr,
Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.
Zählen Sie nach, wie viele Menschen Ihnen zum Geburtstag gratulieren? Ich glaube, die meisten tun das und freuen sich, wenn am Ende die Zahl schön hoch ist. Sie setzt sich aus Anrufen, Emails, schriftlichen Grüßen und Besuchen zusammen. Mir ist das jedenfalls nicht egal, wie viele Personen an mich denken. Wir brauchen Freunde und Bekannte, Menschen, die uns Aufmerksamkeit schenken, uns mögen und wertschätzen.
Dieses Bedürfnis machen sich auch die sozialen Plattformen im Internet zu nutze. Da kann man sich anmelden, etwas über sich selber erzählen oder Bilder veröffentlichen. Man sorgt dann dafür oder wartet darauf, dass andere einen entdecken, und möglichst viele Menschen sich als „Freunde“ einfinden, d.h. lesen und beachten, was man da von sich gibt. Es fühlt sich gut an, wenn es etliche sind. Die Betreiber suggerieren einem auch, dass man beliebt und erfolgreich ist, wenn die Anzahl der Leser und Leserinnen steigt. Man bekommt das Empfinden, berühmt zu sein, und es gibt nicht wenige, die sich das wünschen. Sie wollen gesehen, gehört und möglichst bewundert werden. Das sind allgemein anerkannte Ziele, die im Trend liegen.
Im Vergleich dazu scheint die Bibel irgendwie veraltet zu sein, denn wir finden dort ganz andere Wertvorstellungen. Da wird einem nirgends ans Herz gelegt, sich beliebt zu machen und Anerkennung zu suchen. Im Gegenteil, wir finden viele Stellen, in denen die selbstlose Liebe beworben wird, der Dienst am Nächsten und die Vergebungsbereitschaft.
So steht es z.B. im ersten Brief des Petrus, im vierten Kapitel. Die Verse vier bis elf sind heute unser Predigttext. Sie lauten folgendermaßen:

1. Petrus 4, 7- 11
7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet.
8 Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn »die Liebe deckt auch der Sünden Menge« (Sprüche 10,12).
9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren.
10 Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes:
11 Wenn jemand predigt, dass er’s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er’s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Wenn wir das hören, merken wir schon, hier geht es um ganz andere Werte, als wir sie aus unserer heutigen Zeit kennen. Es steht auch ein anderes Lebensgefühl dahinter, das sich gehörig von unserem unterscheidet. Mit den ersten Worten, die ich eben vorgelesen habe, kommt es zum Ausdruck. Sie lauten: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Damit bezeugt Petrus die sogenannte „Naherwartung“, die alle Christen in der Urzeit teilten. Sie glaubten daran, dass das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi ganz „nah“ waren, so dass sie sie noch erleben würden. Und daraus ergaben sich natürlich viele Konsequenzen. Das hatte Folgen für das Denken und Fühlen, genauso wie für das Handeln und die Lebensführung. In unserem Abschnitt geht Petrus auf das Letztere ein, auf die ethischen Auswirkungen. Ihn motiviert die „Naherwartung“ zu einem bestimmten Verhalten, und dazu will er einladen.
Als erstes leitet er aus dem Wissen um die endzeitliche Stunde die Mahnung zur Nüchternheit ab. Alles Innerweltliche ist vorläufig und bald zu Ende, deshalb soll der Christ besonnen und verständig sein und Vorletztes nicht für Letztes halten. Er soll sich nichts vormachen und im Gebet, bei Gott seine Sicherheit und seinen Halt suchen.
Außerdem soll er die verbleibende Zeit dazu nutzen, den anderen zu dienen. Es lohnt sich nicht, auf seinen eigenen Vorteil aus zu sein. Der Wirklichkeit ist es vielmehr angemessen, sich selber loszulassen und hinzugeben, Liebe zu üben und das Wohl der anderen zu fördern.
Ebenso wäre es Zeitverschwendung, die Sünden und Fehler der Mitmenschen aufzurechnen oder zu verfolgen. Es ist viel sinnvoller, sie „zuzudecken“, d.h. sie vergebend zu übersehen. Auch die Mahnung zur Gastfreundschaft gehört dazu, denn wer sich in dieser Welt fremd weiß, der öffnet dem anderen, dem es ja genauso geht,  gern die Tür.
Es geht Petrus also um eine dienende Grundhaltung. Und er erinnert daran, dass alles, was wir sind und haben, sowieso nicht uns selber gehört oder unser Verdienst ist. Gott hat es geschenkt, ihm verdanken wir unser Leben und unser ganzes Sein. Es ist deshalb angemessen, sich nicht als Besitzer oder Eigentümer des Lebens zu verstehen, sondern als „Haushalter“, als Leute, denen etwas anvertraut wurde. Dabei soll der wahre Eigentümer in allem vorkommen, was wir tun. Gottes Gnade und Kraft soll lebendig werden. Und dafür kann jeder und jede sorgen, ganz gleich, mit welcher Gabe er oder sie betraut wurde.
Davon gibt es viele, Paulus hat darüber auch geschrieben und gelehrt, über die sogenannten Charismen, die Gnadengaben. Petrus erwähnt hier zwei, das Predigen und das Dienen. Er denkt also an Propheten, Evangelisten, Katecheten usw. Ihr Wort soll Gott und nicht sie selber zur Sprache bringen. Im Wort will Gott der Gemeinde begegnen. Und auch das helfende Tun, das Petrus als zweites erwähnt, beruht nicht auf eigener Kraft, sondern auf derjenigen, die Gott schenkt. In allem Reden und Tun der Seinen soll Gott wirken und verherrlicht werden. Es gebührt sich nicht, dabei den eigenen Ruhm oder die eigene Ehre zu suchen und heimlich auf Anerkennung aus zu sein. Das Ziel ist vielmehr, dass „in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Mit diesem Lobpreis endet der Abschnitt, und damit wird noch einmal unmissverständlich deutlich, dass der tiefste Sinn aller Worte und Taten darin liegt, dass Gott in allem geachtet wird.
Aber ist diese Aufforderung eigentlich gesund, und wollen wir sie befolgen? Dient es dem Leben, wenn wir nur noch an Gott denken? Damit wird doch ganz viel Schönes, was uns begegnen kann, was wir erleben und schaffen können, von vorne herein abgelehnt. Und das ist uns zu negativ. Schon der Eingangsgedanke klingt doch lebensfeindlich: Wenn alles angeblich bald zu Ende ist, dann muss man sich ja um nichts mehr kümmern. Man kann gleich aufhören, sich zu engagieren oder irgendwelche Ziele zu verfolgen. Eine solche Grundeinstellung bewirkt Interesselosigkeit und Untätigkeit. Das meinen viele, wenn sie von dem Ende der Welt etwas hören.
Doch so ist es hier ganz und gar nicht gemeint. Im Gegenteil, Petrus will uns gerade aufwecken, uns wachrütteln und zum Aufbruch motivieren. Er will, dass das Leben reich wird, dass wir Kraft empfangen und Gemeinschaft erfahren. All das liegt in seinen Mahnungen beschlossen, wir müssen sie nur richtig hören und einmal auf unser Leben anwenden.
Ich sagte am Anfang ja, dass wir alle heimlich von einer gewissen Eigenliebe befallen sind. Es geht uns ganz oft um uns selber. Um das auszuleben, muss man auch nicht bei Facebook registriert sein. Den Wunsch nach Anerkennung gab es schon immer. In England ist es z.B. üblich, alle Weihnachtskarten, die man bekommt, in der Wohnung aufzuhängen, so dass jeder sehen kann, wie viele es sind. Und es lässt sich gar nicht ermitteln, wer alles Bücher schreibt, die nie veröffentlicht werden, Bilder malt, die kaum jemand sieht, Musik aufführt oder Vorträge hält, zu denen nur eine Handvoll Menschen kommen usw. All diese Poeten, Künstler, Musiker und Philosophen wünschen sich in Wirklichkeit mehr Beachtung und freuen sich über jeden Erfolg. Auch uns Pastoren und Pastorinnen geht es natürlich nicht anders. Je voller die Kirchen sind, umso besser fühlen wir uns.
Es wird uns von der Psychologie ja auch ans Herz gelegt, uns selber zu verwirklichen. Wir sollen unser Ich stärken und unsere Gaben und Fähigkeiten ausbauen. Wer nicht wahrgenommen und geliebt wird, dessen Seele verkümmert. Zu einem gesunden Leben gehören der Erfolg und der Zuspruch. Ohne das sind wir arm dran. Dieses Denken ist inzwischen Allgemeingut geworden, jeder kennt es und richtet sich danach.
Es sind auch wertvolle Einsichten, die wir berücksichtigen müssen, aber sie allein reichen nicht, damit das Leben wirklich gelingt. Denn das Streben danach hat auch Schattenseiten, und die sollten wir uns ebenfalls klar machen.
Zunächst einmal ist es anstrengend, sich immer um ausreichend Anerkennung kümmern zu müssen. Wir verbrauchen viel Kraft und Zeit, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist nicht einfach.
Und oft machen wir uns dann auch etwas vor. Gerade viele von den sogenannten „Freunden“ im Internet sind ja nicht wirklich da. Wir stellen sie uns nur vor. Das meiste spielt sich in unserer Phantasie ab. Wir denken, dass wir geliebt werden, aber ob das wirklich so ist, wissen wir nicht. Es bleibt irreal und reicht auch nie ganz aus.
Das ist das nächste Problem: Selbst wenn einigermaßen viele Menschen uns mögen, so ganz befriedigt ist unsere Seele nie. Sie braucht immer noch mehr Zuspruch, denn in die tiefsten Schichten dringt kaum ein Mensch mit seiner Anerkennung vor.
Und schließlich kann es ganz leicht sein, dass wir scheitern. Der Misserfolg lauert immer um die Ecke, wir sind ständig bedroht. Wenn wir älter werden, sind es z.B. automatisch weniger Leute, die uns kennen, und es werden auch immer weniger. Viele Menschen leiden darunter. Sie fühlen sich allein oder isoliert, und wenn es noch schlimmer kommt, werden sie von anderen sogar misshandelt oder gemobbt. Auch dafür öffnet das Internet Tor und Tür. Was man dort über sich selbst erzählt oder zeigt, kann ganz schnell von anderen in den Dreck gezogen werden. Verunglimpfung und Verleumdung ist genauso weit verbreitet wie Freundschaft und Zuneigung.
Die Eigenliebe hat also ihre ganz erheblichen Schattenseiten, und das wusste auch der Schreiber des Petrusbriefes. Für ein gelingendes Leben und Miteinander reicht es nicht, wenn jeder und jede nur versucht, sich selber zu verwirklichen. Wir brauchen zum Glücklichsein noch viel mehr.
Und darum geht es hier letzten Endes. Petrus will uns das Leben nicht vermiesen, er will vielmehr zeigen, wie es schön und reich werden kann. Wenn er an das Ende alles Irdischen erinnert, dann tut er das nicht, weil er depressiv ist. Er will vielmehr die Aufmerksamkeit auf die tiefere Wahrheit lenken, auf den, der immer schon da war, der bleibt und uns so tief liebt, wie kein Mensch das jemals kann: auf Jesus Christus, der von Gott zu uns kam, um uns alles zu schenken, was wir zum Leben brauchen.
Wir sind eingeladen, uns ihm hinzugeben und uns von ihm lieben zu lassen. Bei ihm finden wir, wonach wir uns sehnen. Wir brauchen gar nicht so viele „Freunde“, denn der beste Freund ist längst da. Und seine Aufmerksamkeit kann niemand übertreffen.
Es ist deshalb gut, wenn wir uns zu allererst an ihn hängen, uns ihm anvertrauen und uns von seiner Liebe anrühren lassen. Dann verändert sich etwas, es entsteht ein ganz neues Lebensgefühl. Denn wir können uns mit einem Mal selber loslassen. Wir stehen nicht mehr im Mittelpunkt, und das ist nicht schlimm, sondern wohltuend. Es geht nicht mehr um uns, und das ist sehr entspannend. Alle Anstrengung und Mühe fällt von uns ab, denn unsere tiefsten Wünsche werden erfüllt. Unsere Sehnsucht wird gestillt, ohne dass wir dafür Kraft einsetzen müssen. Im Gegenteil, wir bekommen neue Energie geschenkt, die uns belebt und aufrichtet. Wir sind befreit von dem Zwang, geliebt zu werden, denn wir wissen uns unendlich von Gott geliebt.
Und das ist keine irreale Liebe, sondern sie ist wirklicher als alles andere. Deshalb wirkt sie sich auch auf unser ganz konkretes Miteinander aus: Wir können selber lieben. Wir sehen plötzlich, wer uns alles braucht, was wir tun und wo wir „dienen“ können. Menschen, mit denen wir in Liebe verbunden werden, finden sich ganz von alleine ein. Es sind diejenigen, die uns wirklich begegnen. Wir müssen nicht nur an sie denken und unsere Phantasie bemühen, wir treffen sie im Alltag. Es können unsere Nachbarn sein, Kollegen, Familienangehörige, Personen in der Gemeinde usw. Niemand ist allein, wir sind längst umgeben von anderen Menschen, und mit ihnen allen kann Christus uns verbinden. Wir müssen nur hinschauen und seine Liebe weitergeben.
Konkret kann das ganz viel heißen. Einiges wird hier ja genannt, die Vergebung z.B.: Wir sind eingeladen, die Sünden und Fehler unserer Mitmenschen barmherzig „zuzudecken“ und liebevoll zu übersehen. Auch die Mahnung zur Gastfreundschaft gehört dazu, dass wir uns nicht verschließen und absondern, sondern offen für die Menschen sind, die zu uns kommen.
Und diese Liste lässt sich beliebig erweitern. Wenn wir erst einmal anfangen, „dienen“ zu wollen, fällt jedem und jeder von uns bestimmt unendlich viel ein. Es ergibt sich aus den Situationen, in die wir hineinkommen. Wir müssen uns nur von dem Wunsch leiten lassen, dass in allem die Kraft und Liebe Christi gegenwärtig sein möge. Dann ist unser Leben gesegnet und unser Miteinander lebendig.
Amen.

Was geschieht beim Abendmahl?

Betrachtungsgottesdienst: „Am Tisch des Herrn“
10.8.2014, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

mit Predigt über Psalm 111, 4:
Der Herr hat ein Gedächtnis gesiftet

Wir haben heute einen Abendmahlsgottesdienst gefeiert, und das haben wir zum Anlass genommen, einmal das Fenster unserer Kirche, das dieses Thema darstellt, zu betrachten. Was hat der Künstler sich dabei gedacht? Darüber hat Binia Kempe sich Gedanken gemacht.

Und wie könnte man das Abendmahl noch darstellen? Das haben wir uns auf einem weiteren Bild vergegenwärtigt, dem „Abendmahl“ von Emil Nolde, das Christa Lehmann mit uns betrachtet hat.

Die Betrachtungen sollten uns an das  Geheimnis des Abendmahls heranführen und uns auf die Feier vorbereiten. In der Predigt wurden einige allgemeine Gedanken zu der Frage behandelt, was beim Abedmahl überhaupt geschieht.

 

Betrachtung des Abendmahlsfensters in der Lutherkirche
von Binia Kempe

Abendmahl

Das Thema Abendmahl steht heute im Mittelpunkt in diesem Gottesdienst. Wir wollen in Abständen die Buntglasfenster hier in der Kirche genauer betrachten und sie so würdigen. Sie wurden 1963 eingeweiht.
Wir beginnen heute mit dem vierten Fenster von vorn gesehen.
Zur genaueren Betrachtung und wenn Sie nicht so günstig sitzen, haben wir Ihnen eine Karte mit der Abbildung des Fensters beim Eintritt in die Kirche gegeben.
Die Epistellesung zum Thema Abendmahl steht im 1. Brief des Paulus an die Korinther.
Ich lese aus der Bibel in gerechter Sprache:

1.Korinther 10,16+17

„Der Becher des Segens, den wir segnen,bringt er uns nicht in die Gemeinschaft mit dem Blut Christi? Das Brot, das wir brechen, bringt es uns nicht in die Gemeinschaft mit dem Leib Christi? Wir vielen sind ein Brot, ein Leib, denn wir haben alle Anteil an dem einen Brot.“

Als erstes fällt der schöne eiförmige Becher auf breitem Stiel auf. Die Farben rot und gold deuten auf das Metall, aus dem der Becher gemacht ist: Bronze und Gold.
Das Rot deutet aber auch auf den Inhalt des Bechers, den roten Wein, symbolisch das Blut Christi. Und die goldenen Farbe auf die Kostbarkeit des Bechers.
Jesus sagt in der Nacht im Garten Gethsemane, als er verraten wird: Abba, mein Vater, alles ist dir möglich, nimm diesen Kelch von mir “ – oder in anderer Übersetzung: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen – Und weiter sagt Jesus: Doch es geschehe nicht, was ich will, sondern was du willst.“ (Markus 14,36)
Dadurch ist der Kelch zum Symbol für die Gnade Gottes geworden.
In der späteren christlichen Kunst fängt ein römischer Soldat das Blut und das Wasser, das aus der Seitenwunde Jesu fließen, mit einem Kelch auf: das ist sozusagen das Urbild des Abendmahlskelches.
Hier in unserem Buntglasfenster neben dem Becher, etwas schwer zu identifizieren, ein flaches halbrundes Brot, das bedeckt wird von einem Bedeckungsgefäß, einem sog. Ziborium.
Das Brot ist ebenso ein Symbol für Christus als das Brot des Lebens.
Jesus sagte zu seinen Jüngern:
Ich bin das Brot des Lebens, alle die zu mir kommen, werden nie mehr hungrig sein, und alle, die an mich glauben, werden nie mehr durstig sein.
Jesus Christus ist der Gastgeber des Abendmahls. Er wird uns den Gästen durch
Brot und Wein gegenwärtig.
Wenn wir nachher das Abendmahl feiern, erinnern Sie sich vielleicht an den Kelch und das Brot, das hier im Fenster dargestellt ist.

 

Bildbetrachtung „Abendmahl“ von Emil Nolde
von Chista Lemann

KMS6202Markus 14, 17 – 26

17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen.
18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.
19 Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich’s?
20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht.
21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
22 aUnd als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib.
23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus.
24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein aBlut des Bundes, das für viele vergossen wird.
25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.
26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Im Jahr 1909 malte Emil Nolde sein „Abendmahl“.
So ein „Abendmahl“ ist nie zuvor gemalt worden – und es löste damals einen wahren Sturm der Entrüstung aus, gipfelnd im Vorwurf der „Gotteslästerung“! Ein bis dahin einmaliger Kunststreit entbrannte um das Bild.
Was sehen wir?
FARBEN – glühend, leuchtend! Fast, wie wir sie von alten Kirchenfenstern kennen.
Orange und rot, gelbgrüne Gesichter und Hände…
Männer drängen sich um einen Tisch. Im Zentrum die einzige Figur, die frontal zu sehen ist: Christus – in einem hellen Licht, das auch die Gesichter der Jünger erhellt.
Jesus hat die Augen geschlossen. Sein Gesicht, seine Gestalt leuchten von innen heraus.
Seine Hände halten den Kelch: „Er nahm den Kelch und dankte und gab ihnen den.“ Davor hat er mit diesen Händen das Brot gebrochen und es den Jüngern weitergegeben: „Nehmet…“
Nur mit Farben und Licht hat Nolde dem Geschehen einen überwältigenden Ausdruck gegeben. FARBE ist seine Sprache – mehr als die Form.
Als Emil Nolde dieses Bild malte, war er nach einer Trinkwasservergiftung nur knapp dem Tod entronnen. Wie in einem inneren Kampf entstand es in ihm und er schreibt selbst darüber so:

„Einem unwiderstehlichen Verlangen nach Darstellung von tiefer Geistigkeit, Religion und Innigkeit war ich gefolgt, doch ohne viel Wollen, Wissen und Überlegung. Fast erschrocken stand ich vor dem aufgezeichneten Entwurf; nun sollte ich malen das geheimnisvollste, tiefinnerlichste Geschehnis der christlichen Religion! … Ich malte und malte, kaum wissend, ob es Tag oder Nacht war, ob ich Mensch oder nur Maler war. Falls ich am Bibelbuchstaben und am erstarrten Dogma gebunden gewesen wäre – ich habe den Glauben, dass ich dann dieses tiefsinnige Bild „Abendmahl“ nicht hätte so stark malen können. Ich musste künstlerisch frei sein, spürte Gott in mir, heiß und heilig wie die Liebe Christi.“

(zitiert aus: Emil Nolde, Mein Leben, Dumont, 11. Aufl. 2000)

 

Predigt über Psalm 111,4
von Gesa Bartholomae

Liebe Gemeinde.
Wir haben heute zwei Bilder über das Abendmahl gesehen, die in Farbe und Form, Inhalt und Aussage sehr voneinander abwichen. Sicher kennen Sie auch noch unzählige andere und wissen, wie verschieden man diese Szene darstellen kann. Jedem Maler, jeder Künstlerin ist etwas anderes eingefallen und wichtig, und daran erkennen wir, dass jeder Mensch das Abendmahl auf seine Weise versteht und etwas anderes dabei erlebt.
In der Theologie und der kirchlichen Tradition ist das nicht anders. Auch da gibt es viele Möglichkeiten, das Abendmahl zu deuten und zu vollziehen. Für die einen sind Brot und Wein wirklich Leib und Blut Christi, die anderen verstehen diese Elemente nur als Symbole. Viele gehen unvorbereitet dahin, etliche meinen, dass sie zunächst beichten müssen. In Klöstern wird es täglich gefeiert, in unzähligen Gemeinden jeden Sonntag. Wir laden einmal im Monat ein, einige Christen gehen nur einmal im Jahr.
Und es gibt auch Streit darüber. Die Trennung der Kirchen entzündet sich oft an diesem Thema, und es gibt bis heute unversöhnliche Gegensätze.
Das ist schade, denn so hat Jesus sich das bestimmt nicht vorgestellt. Und ich denke auch, dass es ein paar Dinge gibt, die uns doch alle vereinen. Sie kommen in dem Bibelwort zum Ausdruck, unter das wir diesen Gottesdienst gestellt haben. Es steht in Psalm 111,4 und lautet:
„Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr.“
Der Psalm ist insgesamt das Dankgebet eines Einzelnen für Gottes große Taten. Der Beter bekennt, was Gott ihm bedeutet und was er mit ihm erlebt hat. Er freut sich darüber, dass Gott sein Heil dem Volk offenbart hat, dass er wirkt und handelt. Dabei denkt er zum einen an die Geschichtstaten Gottes, an alles, was Israel im Laufe der Zeit mit Gott erfahren hat, und zum anderen an die kultischen Traditionen, die es in Israel gibt, die regelmäßigen Rituale und Feiern. Gott hat sie eingesetzt, darüber freut sich der Beter, und damit erinnert er daran, dass sie dem Willen Gottes entspringen. Gott möchte, dass sie immer wieder vollzogen werden. Die Gemeinde soll Gottesdienste feiern, damit sie an ihn denken und sein Wirken spüren kann. Die Rituale weisen auf Gott hin und machen seine Gegenwart erlebbar.
Und das trifft auch auf unsere christlichen Traditionen zu. Wir können die Aussagen des Psalms genauso gut auf unsere Überlieferungen und Bräuche anwenden, also auch auf das Abendmahl. Wenn wir das tun, finden wir drei Aussagen, die wahrscheinlich sogar alle Christen teilen.
Die erste Botschaft lautet: „Gott hat ein Gedächtnis gestiftet“. Das bedeutet, die Initiative für das Abendmahl ging von Gott aus, und zwar erinnert Gott uns damit an sich selber. Er lädt uns ein, er kommt in unsere Wirklichkeit, in unser Leben hinein. Mit Erinnerungen wird das, woran wir uns erinnern, ja immer ein Stück lebendig, es wird gegenwärtig und erfahrbar. Und so ist es mit dem Abendmahl: Wir kommen mit Gott in Kontakt.
Es ist also nicht unsre Idee, und entscheidend daran sind auch nicht unsere Ansichten und Meinungen darüber. Wir reden und denken nicht nur, sondern vollziehen etwas: Wir essen und trinken und haben Gemeinschaft. Wir werden leibhaftig in ein Geschehen einbezogen. Gott berührt unseren Leib und unsere Seele und kommt uns ganz nahe.
Das ist der erste Punkt, der in unserem Psalmvers zum Ausdruck kommt.
Als zweites ist das Stichwort „Wunder“ entscheidend. Als Wunder gilt ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann, so dass es Erstaunen auslöst. Es bezeichnet etwas Außergewöhnliches, ein Ereignis, das sich zwar in Raum und Zeit abspielt, das man mit menschlicher Vernunft aber nicht begreiflich machen kann. Denn es widerspricht unseren normalen Erfahrungen und sprengt die Gesetzlichkeiten von Natur und Geschichte.
Das Abendmahl ist so ein Wunder, denn natürlicherweise ist Gott beim bloßen Essen und Trinken von Brot und Wein nicht anders gegenwärtig, als sonst auch. Und wie sollen sich diese Elemente in Leib und Blut Christi verwandeln? Das bleibt unfassbar und unverfügbar.
Zum Abendmahl gehören also die Ankündigung und der Glaube, dass hier etwas Göttliches geschieht, etwas, das unser Denken überschreitet. Insofern hat Luther Recht, wenn er im Kleinen Katechismus erklärt: „Die Worte sind neben dem leiblichen Essen und Trinken das Hauptstück im Sakrament. Und wer diesen Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten.“ Das Aussprechen und Hören des Wortes Gottes und der Glaube des Einzelnen sind unverzichtbar, wenn das Abendmahl wirken soll. Nur dann, wenn die Heilige Schrift laut wird und die Empfangenden darauf vertrauen, dass Gott sie einlädt, ereignet sich das Wunder, um das es geht: Dann ist Gott in dieser Feier wirklich gegenwärtig und zieht in Leib und Seele ein. Das ist der zweite Punkt.
Und als Drittes wird in dem Psalmvers Gottes „Gnade und Barmherzigkeit“ erwähnt. Und damit wird sowohl der Ursprung als auch das Ziel des Abendmahls angedeutet. Warum gibt es diese Feier überhaupt? Warum hat Gott dieses „Gedächtnis“ gestiftet und was will er uns damit schenken? Die Antwort lautet: Er hat es eingesetzt, weil er gnädig ist und weil er uns vergeben will. Auch das kommt im Kleinen Katechismus zum Ausdruck. Luther fragt im zweiten Absatz: „Was nützt denn solch Essen und Trinken? Das zeigen uns diese Worte: Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden; nämlich, dass uns im Sakrament Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit durch solche Worte gegeben wird; denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit.“
Das Abendmahl ist also eine Feier der Befreiung und der Liebe. Wir dürfen kommen, wie wir sind, jeder und jede ist eingeladen. Wir müssen uns nicht vorher reinigen und alle unsere Sünden ablegen. Was uns an uns selber nicht gefällt, dürfen wir mitbringen. Wir dürfen sein, wer wir sind, denn Gott sagt ja zu uns. An seinem Tisch wird uns abgenommen, was uns eventuell von ihm trennt. Wir haben ungehinderte Gemeinschaft mit Gott und empfangen seine Liebe. Deshalb bewirkt das Abendmahl „Leben und Seligkeit“, wie Luther sagt, d.h. Erlösung und Heil, Glück und Freiheit.
Und natürlich entsteht dadurch auch Einigkeit untereinander. Die Liebe, die wir empfangen, wirkt sich auf unsere menschliche Gemeinschaft aus. Wir können uns gegenseitig genauso vergeben, wie Gott uns vergibt. Trennendes wird aufgehoben, wir werden miteinander verbunden.
So hat Gott sich das jedenfalls vorgestellt, als sein Sohn das Abendmahl eingesetzt hat. Gerade diese Feier sollte dazu dienen, dass seine Jünger eins sind. Auch wenn wir unterschiedliche Menschen sind, mit vielfältigen Meinungen und Ansichten, beim Abendmahl sind wir alle vereint im Glauben und Schauen der Gegenwart Gottes.
Amen.

Es ist genug für alle da

Predigt über 2. Mose 16, 2- 3. 11- 18:
Speisung mit Wachteln und Manna

7. Sonntag nach Trinitatis, 9.30 und 11.00 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel

2.Mose 16,2-3.11-18

2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. 3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
11 Und der HERR sprach zu Mose: 12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin. 13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. 14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. 15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. 16 Das ist’s aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. 17 Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. 18 Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

Liebe Gemeinde.
Sie haben sicher alle eine Tiefkühltruhe oder zumindest ein Tiefkühlfach in Ihrem Haushalt. Das ist ja sehr praktisch, denn wir können darin problemlos Lebensmittel über einen längeren Zeitraum aufbewahren, ohne dass sie verderben. Indem wir sie einfrieren, machen wir sie haltbar
Dafür gibt es auch noch andere Methoden. Das Einmachen ist ja gerade wieder modern geworden. Ich kenne es noch aus meiner Kindheit. Die Gläser mit Früchten und Gemüse aus dem Garten standen dann im Kellerregal, und wir konnten sie im Winter verbrauchen. Konservendosen funktionieren ähnlich: Durch Erhitzen und luftdichten Verschluss wird der Verfall der Nahrungsmittel gestoppt.
Zucker, Essig, Alkohol oder irgendwelche anderen chemischen Substanzen bewirken dasselbe, wie bei Marmelade, Heringen, Milch usw. Auch das Trocknen von Früchten ist eine altbewährte Methode.
Seit jeher tun Menschen das: Sie machen Lebensmittel haltbar und legen einen Vorrat an. Es ist dann immer etwas im Haus, für alle Fälle, und das beruhigt. Man weiß ja nie, was passiert.
So ist es kein Wunder, dass auch die Israeliten das versuchten, als sie von Gott in der Wüste mit Manna versorgt wurden.
Es war nicht lange nach dem Auszug aus Ägypten und der glücklichen Rettung vor ihren Verfolgern, da „murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron.“ Sie erinnerten sich an die „Fleischtöpfe“ und das „Brot , das sie dort in Hülle und Fülle gehabt hatten. In Wirklichkeit war es in Ägypten sicher nicht so rosig gewesen, aber im Nachhinein und angesichts der Nahrungsknappheit in der Wüste stellte es sich für sie so dar. Denn sie waren hungrig und hatten Angst, dass sie sterben würden.
Doch das war natürlich unberechtigt, das wollte Gott auf keinen Fall. Er hörte ihr Murren und antwortete auf ihre Klage. In wunderbarer Weise sorgte er dafür, dass sie „gegen Abend Fleisch zu essen hatten und am Morgen von Brot satt wurden.“ Er schickte am Ende des Tages Wachteln herauf und am Morgen „lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde.“ Die Israeliten wussten nicht, was es war, denn das hatten sie noch nie gesehen. „Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat.“ Davon sollte jeder so viel sammeln, wie er für seine Familie brauchte. Das taten die Israeliten, und wie durch ein Wunder bekam jeder genau die richtige Menge: Wer viel gesammelt hatte, behielt nichts übrig, und wer wenig gesammelt hatte, verfügte trotzdem über genug. Es war also nicht nötig, sich irgendwelche Sorgen zu machen und etwas davon bis zum nächsten Morgen aufzubewahren. Das erklärte Mose ihnen auch. Aber wie der Mensch so ist: „Sie gehorchten ihm nicht, und etliche ließen davon übrig bis zum nächsten Morgen.“ Doch was geschah? „Es wurde voller Würmer und stinkend.“ Mose hatte das vorher gewusst, deshalb wurde er zornig: Das „Manna“, wie sie es nannten, ließ sich nicht aufbewahren, man konnte es nicht haltbar machen. „Wenn die Sonne heiß schien, zerschmolz es.“
So mussten die Israeliten darauf vertrauen, dass Gott es ihnen jeden Morgen neu geben würde, und das war auch der Sinn der Sache, das sollten sie lernen: „Sie sollten innewerden, dass er, der HERR, ihr Gott war.“
Natürlich haben Wissenschaftler sich gefragt, was die Israeliten denn da nun jeden Morgen fanden, und es lässt sich in der Tat mit einem Phänomen auf der Sinaihalbinsel erklären. Das sogenannte Manna entsteht durch das Zusammenwirken eines Insektes und eines Baumes: Wenn die Schildlaus in das Blatt einer bestimmten Tamariskenart sticht, die in der Wüste wächst, dann entsteht ein Sekret, das von den Blättern auf den Boden fällt. Es hat die Form eines Tropfens und ist weiß. In der Nacht wird es hart, so dass man es am Morgen auflesen kann. Tagsüber schmilzt es dann wieder. Aber es ist essbar, hat einen süßlichen Geschmack und wird noch heute von den Leuten in der Wüste an Ort und Stelle gern gegessen.
Für die Israeliten war es neu, und das ist für die Erzählung auch entscheidend, denn es geht hier nicht in erster Linie um die Lebensmittel, die es in der Wüste gibt. Das Manna wird vielmehr bewusst als Gottesgabe ausgewiesen, und die Botschaft lautet: Gott ist treu, er hält seine Zusagen und sorgt für die Menschen. Er gibt immer das für den augenblicklichen Bedarf Erforderliche, das „tägliche Brot“, nicht mehr und nicht weniger. Denn er ist groß und wunderbar. Die erste Pflicht der Israeliten ist deshalb unbedingtes Gottvertrauen.
Und das wird auch uns mit dieser Geschichte ans Herz gelegt. Auch wir sollen etwas über die Größe und Kraft Gottes erfahren, über seine Liebe und Fürsorge. Er hat uns das Leben geschenkt, er steht uns bei und führt uns durch alle Krisen und Engpässe. Wir müssen deshalb keine Angst haben, dass wir zu kurz kommen oder verhungern. Wir können jeden Tag mit seiner Liebe rechnen und uns mit dem Nötigsten beschenken lassen.
Es geht also darum, dass wir gegenwärtig leben und Maß halten. Neid oder Gier sind nicht nur unnötig, sondern auch schädlich. Sie führen zu nichts. Denn das Leben lässt sich nicht festhalten. Es gehört uns noch nicht einmal. Alles was wir sind und haben, ist eine Gabe Gottes.
Und es ist genug für alle da. Niemand muss hungern, niemand kommt zu kurz oder wird vernachlässigt. Gott hat die Erde so eingerichtet, dass jeder satt werden kann.
Das ist hier Botschaft, und die ist eigentlich ganz wunderbar. Aber entspricht sie auch der Realität? Ist das nicht nur ein schöner Traum? In Wirklichkeit ist doch alles ganz anders: Die Güter der Erde sind ungerecht verteilt. In unseren Ländern haben wir zwar mehr als genug, aber wo anders hungern die Menschen. Es wird beileibe nicht jeder auf dieser Welt satt. Es herrscht an vielen Orten Ausbeutung und Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Armut und Hunger.
Viele Menschen glauben deshalb nicht an Gott. Im Gegenteil, sie werfen ihm sogar vor, dass er sich nicht genug kümmert, dass er nicht eingreift und für mehr Gleichheit sorgt.
Aber liegt es wirklich an ihm? Ist der Hunger nicht zum allergrößten Teil menschengemacht? Wenn wir genauer hinschauen, sehen wir sehr wohl, dass überall dort, wo Hunger herrscht, Gier und Macht die Ursache sind, Rücksichtslosigkeit und Egoismus von Regierenden, Profitstreben einiger riesiger Konzerne, Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit Einzelner, die Einfluss haben, Bosheit und Neid.
Und das sind nicht die Fehler Gottes, sondern die Grundübel der Menschheit. Die Israeliten waren davon auch nicht frei, deshalb bekommen sie hier eine Lektion: Sie sollten Angst und Gier ablegen und stattdessen auf Gott vertrauen. Mit dem Manna in der Wüste gab Gott ihnen die Möglichkeit, ein ganz neues Lebensgefühl einzuüben, und das können auch wir uns aneignen.
Dafür ist es gut, wenn wir in unser eigenes Leben schauen. Wir sind ja keineswegs frei von den Lastern, die ich aufgezählt habe. Wir sorgen uns schon um unser tägliches Leben und setzen uns gerne durch. Und dabei nehmen wir nicht immer Rücksicht auf die anderen.
Das ist einerseits zu entschuldigen, denn dahinter steht ein ganz natürlicher Trieb, nämlich die Angst ums Überleben. Sie ist uns in die Wiege gelegt, und sie ist auch nicht nur schlecht. Sie sorgt immerhin dafür, dass wir uns anstrengen und kämpfen, dass wir unser Leben in die Hand nehmen und bestehen.
Doch andererseits übertreiben wir das leider oft. Der Überlebenswille verselbständigt sich gerne und wird leicht zur Gier. Wir häufen mehr an, als wir brauchen, nehmen die Dinge in die Hand und versuchen, das Schicksal zu lenken.
Und dadurch entstehen die Probleme. Es kommt automatisch zu Ungerechtigkeiten, weil der Stärkere gewinnt. Wir werden neidisch auf diejenigen, die mehr haben, und verschließen uns gegenüber den Mitmenschen. Außerdem entsteht Stress. Das Leben wird anstrengend und ermüdend. Wir reiben uns auf und verbrauchen unsere Kraft.
Es täte uns allen deshalb gut, wenn wir uns ein anderes Bewusstsein angewöhnen, eine andere Grundeinstellung, und genau da will die Geschichte uns hinführen. Sie will uns die Angst nehmen, dass wir eventuell nicht genug bekommen. Auch wir sollen auf Gott vertrauen. Unsere erste Sorge sollte nicht dem Überlebenskampf gewidmet sein, sondern der Gewissheit, dass Gott da ist. Damit gilt es, den Tag zu beginnen. Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass diese Welt nicht uns gehört. Gott hat sie uns zur Verfügung gestellt, und nur er kann uns die Sicherheit geben, die wir suchen.
Es ist natürlich nicht ganz einfach, das wirklich zu verinnerlichen, denn die Lebensangst steckt tief in jedem von uns. Es ist ein langer Prozess, sie abzulegen, mit dem wir auch nie ganz fertig werden. Aber es lohnt sich, damit zu beginnen, und wir müssen diesen Weg auch nicht alleine gehen.
Jesus hat uns das Gottvertrauen vorgelebt. Er führte ein ungesichertes Dasein und vertraute jeden Tag darauf, dass er und seine Jünger das Nötige zum Leben bekamen. Er lehrte sie deshalb zu beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Und in der Bergpredigt spricht er an einer Stelle über genau dieses Thema. Er sagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ Er wollte seine Jünger zu einem sorgenfreien Leben einladen und hinführen. Und mit seiner Hilfe kann das auch uns gelingen. Wenn wir uns sein Leben vor Augen halten, werden wir davon angesteckt. Er hilft uns, unser Bewusstsein zu verändern.
Dazu gehört es, dass wir immer wieder unsere Hände und Herzen öffnen, und sie von ihm füllen lassen. Wir üben uns in eine empfangende Haltung ein. Anstatt Dinge an uns zu raffen und sie festzuhalten, sind wir dankbar für das, was uns geschenkt wird. Anstatt sorgenvoll an das Morgen zu denken, konzentrieren wir uns auf das Jetzt. Und das tun wir, so oft wie möglich, als regelmäßige Übung am Anfang des Tages und immer, wenn es sich anbietet.
Leider ist die Sitte des Tischgebetes so gut wie verloren gegangen. Dabei ist auch das ein gutes Mittel, um immer wieder daran zu denken, von wem wir alles haben. Wenn wir am Tisch vor den gedeckten Speisen sitzen, greifen wir nicht einfach zu, sondern besinnen uns auf den Geber und bedanken uns zunächst bei ihm. „Alle guten Gaben und alles, was wir haben, kommt o Gott von dir, wir danken dir dafür.“ Das Gebet kennen wir alle, und es ist gar nicht schlecht, es zumindest in Gedanken immer wieder zu beten.
Dann verändert sich etwas. Wir werden freier von Ängsten und Zwängen, zufriedener und gelassener. Und wir können viel besser teilen. Es ist nicht nötig, dass wir neidisch sind und anderen etwas wegnehmen. Wir können loslassen und darauf achten, dass alle genug abbekommen.
Und damit beginnt der Weg zu mehr Gerechtigkeit und Frieden. Auf jeden Fall liegt darauf eine Verheißung, es führt in die Zukunft und in die Weite. Die Vision von einer besseren Welt entsteht vor unserem inneren Auge und wir gehen in diese Richtung.
Wir haben uns kürzlich in einem Zusammensein darüber unterhalten, dass es auch gehörig schief gehen kann, wenn wir Lebensmittel haltbar machen wollen. Eine Gesprächsteilnehmerin erzählte z.B., wie ihr einmal eine ganze Palette mit Gläsern, in die sie Apfelmus gefüllt hatte, verschimmelt war. Irgendetwas hatte sie wohl nicht beachtet. Und wenn der Strom ausfällt, kann alles, was in der Tiefkühltruhe gelagert ist, ganz schnell unbrauchbar werden. Das sind zwar harmlose Beispiele, aber sie zeigen an, dass angelegte Vorräte uns keine letzte Sicherheit verschaffen können.
Und was wir so im Kleinen und Alltäglichen erfahren, gilt auch für das Große und Ganze: Ob und wie es mit die Welt und unserem Leben weiter geht, können wir nicht selber steuern, es liegt in Gottes Hand. Doch gerade deshalb ist es entscheidend, dass wir auf ihn vertrauen und ihn zum Zuge kommen lassen. Dann kann er wenigstens dort, wo wir sind, dafür sorgen, dass die Welt besser wird. Sein Reich wird sichtbar und erlebbar, seine Liebe kann wirken, und Menschen können erfahren, dass für alle genug zum Leben da ist.
Amen.