Predigt über Jesaja 65, 17- 19. 23- 25: Neuer Himmel und neue Erde
Ewigkeitssonntag, 25.11.2018, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel
Jesaja 65, 17-19.23-25
17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,
19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.
25 Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.
Liebe Gemeinde.
Es gibt im Evangelischen Gesangbuch eine ganze Reihe von Dichterinnen, die zu dem Liedgut beigetragen haben. Mit ihnen haben wir uns in diesem Jahr in unserem Gesprächskreis beschäftigt, und dabei ist uns aufgefallen, dass keine von ihnen ein einfaches Leben hatte. Besonders erschütternd und bewegend war die Erkenntnis, dass sie alle enge Erfahrungen mit dem Tod gemacht haben.
So war es auch bei Marie Schmalenbach, von der ich euch heute ein Lied mitgebracht habe. Es steht leider nicht mehr in unserer Ausgabe des evangelischen Gesangbuches, ich finde es aber sehr schön und singenswert.
Marie Schmalenbach lebte von 1835 bis 1924 in Ostwestfalen. Sie war die Tochter eines Pfarrers und hatte insgesamt zehn Geschwister. Sieben davon starben allerdings sehr früh. Sie hat also schon in ihrer Kindheit erfahren, wie vergänglich das Leben ist. Als Ehefrau und Mutter erlebte sie das dann wieder, denn auch sie verlor eins ihrer fünf Kinder durch den Tod. s. https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=617&url_tabelle=tab_person) Und obwohl das vor 150 Jahren keine Ausnahme war – die Kindersterblichkeit war ja viel höher als heutzutage – hat sie das sicher traurig gemacht. Sie musste das verarbeiten, und dabei half ihr der Glaube an die Ewigkeit. Das bezeugt ihr Lied: „Brich herein, süßer Schein selger Ewigkeit. Leucht in unser armes Leben, unsern Füßen Kraft zu geben, unsrer Seele Freud, unsrer Seele Freud.“ (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-luth Kirche in Niedersachsen und Bremen, Nr. 643,1)
Sie formulierte damit etwas, das auch in der Bibel an vielen Stellen zum Ausdruck kommt. Die Hoffnung auf die Ewigkeit und eine paradiesische Zukunft taucht dort überall auf, sowohl im Alten, wie im Neuen Testament. Gott wird sie heraufführen, denn sie ist sein Reich. Er wohnt in der Ewigkeit und er wird die Menschen eines Tages dahin zurückführen, das ist die Verheißung. Der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja, den wir vorhin gehört haben, ist auch so eine Heilsankündigung.
Sie stammt von dem „dritten“ Jesaja. Wir nennen ihn so, weil beim Lesen des Jesajabuches deutlich wird, dass es drei Verfasser haben muss, die alle zu verschiedenen Zeiten gewirkt haben. Der Dritte gehörte bereits zu den Heimkehrern aus dem babylonischen Exil, die den jüdischen Staat wieder aufbauten. Dieser war unter dem Herrscher von Nebukadnezar völlig zusammengebrochen. Jerusalem eroberte er erstmals 597 und nochmals 586 v.Chr. Beim zweiten Mal führte er die jüdische Oberschicht in die Gefangenschaft und ließ die Stadt und seinen Tempel zerstören.
Zur Zeit des dritten Jesaja war eigentlich alles wieder gut, das Exil war beendet, die Verbannten kehrten zurück. Trotzdem wurden die Menschen ungeduldig, denn das Heil, nach dem sie sich sehnten, war nicht da. Das Leben blieb schwierig und konfliktgeladen, der Aufbau ging nur schleppend voran.
Der dritte Jesaja will seine Landsleute deshalb trösten und ermutigen. Davon handeln sein Buch und somit auch unser Predigttext. Darin verheißt der Prophet eine völlig neue Zeit, in der alle Nöte und Drangsale endgültig aufgehoben sein werden. Alles mündet in einen geschichtslosen Zustand ewiger Glückseligkeit. Denn Gott wird „einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen“. In dieser Welt ohne Leid wird man sich freuen und ohne Unterbrechung frohlocken. Sogar Gott selber wird sich über das Heil freuen, das er für seine Gemeinde in und um Jerusalem schaffen wird. Denn es wird keine menschliche Sünde mehr geben, Gott muss nicht mehr strafend eingreifen. Deshalb verstummt auch das Klagegeschrei. Die furchtbare Säuglingssterblichkeit wird aufhören, und der Segen Gottes steht über den Menschen. Ihre Gebete werden jederzeit und unmittelbar erhört. Und alle Tiere werden in Frieden miteinander leben, der Wolf mit dem Schaf, der Löwe und die Schlange neben dem Rind. Mit diesem idyllischen Bild von der Wiederkehr paradiesischer Verhältnisse schließt die Verheißung.
Sie steht in einem auffälligen und wunderbaren Kontrast zu der jetzigen Welt, die von all dem nichts oder nur sehr wenig weiß. Deshalb spricht uns die Verheißung auch an. Sie formuliert Sehnsüchte und Wünsche, die wir alle kennen. Sie klingt wie ein Märchen mit einem guten Ende.
Aber ist sie das nicht auch? Was hier formuliert ist, hat mit unserer Wirklichkeit doch nichts zu tun. Wozu lesen wir das? Wollen wir daran glauben und uns daran festhalten? Menschen haben das immer wieder getan, aber waren die dadurch nicht etwas weltfremd? Was bringt es denn, wenn wir in unserer Phantasie aus der Welt fliehen? Verlieren wir dadurch nicht den Realitätsbezug und das Verantwortungsbewusstsein? Das fragen wir uns. Der Glaube an die Ewigkeit hat in unserem modernen Denken und Bewusstsein einen schweren Stand. Ein Lied wie das von Marie Schmalenbach passt nicht mehr zu unserem Lebensgefühl. Darum ist es wohl auch aus unserem Gesangbuch verschwunden.
Das finde ich allerdings schade, denn der Ewigkeitsbezug ist keineswegs nur eine Wahnvorstellung. Das merken wir, wenn wir uns darauf einmal einlassen, und das können wir in drei Schritten tun.
Der erste Schritt ist eine theologische Klärung zu den Aussagen der Bibel und des christlichen Glaubens. Dazu gehört die Einsicht, dass wir zwar nicht wissen, ob es die Ewigkeit gibt, wir wissen aber auch nicht, ob das Gegenteil der Fall ist. Wir können uns im Irrtum befinden, wenn wir das Reich und die Macht Gottes leugnen. Und das würde dann einemn schwerwiegenden Verlust gleich kommen. Wir würden etwas Großes und Bedeutendes verpassen. So sah das auch der Prophet Jesaja. Er war erfüllt von der Gewissheit, dass Gott noch lange nicht fertig ist mit der Schöpfung, eines Tages wird er sie vielmehr vollenden. Und er umgibt uns jetzt mit seiner neuschaffenden Gegenwart, mit seiner undendlichen Macht und Liebe.
Jesus Christus hat das mit seinem Kommen noch einmal grundlegend bestätigt. Er verkündete ebenfalls das Reich Gottes, das mit ihm bereits angebrochen ist. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Gott schöpferisch in das Weltgeschehen eingegriffen und uns einen Weg zu ihm eröffnet. Das Paradies ist nicht mehr verschlossen.
Und es ist auch nicht erst da, wenn wir sterben oder hier alles zu Ende geht. Gott wirkt vielmehr jetzt schon in die Zeit hinein. Die Strahlen der Ewigkeit fallen von vorne auf unseren Weg. Darum bittet Marie Schmalenbach in ihrem Lied. Sie formuliert in Strophe vier: „Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine, und das Große groß erscheine.“ Sie hält die Ewigkeit also für „groß“ und alles Zeitliche für „klein“, und sie wünscht sich, dass die Verhältnisse sich in ihrem Bewusstsein umdrehen: Nicht mehr die Welt soll bedeutend und wirklich sein, sondern die Gegenwart Gottes und sein zeitloses Reich. Diesem Wunsch hat sie Raum gegeben. Und das können auch wir tun.
Darin besteht der nächste Schritt: Wir dürfen den Glauben an die Ewigkeit und das Vertrauen auf die Verheißungen Gottes nicht mit Nichts-Tun verwechseln. Wir legen damit auch nicht unser Verantwortungsbewusstsein ab und ergeben uns einfach nur in unser Schicksal. Es ist vielmehr eine starke innere Aktivität, für die wir uns bewusst entscheiden müssen. Sie fordert unsere Aufmerksamkeit und Bereitschaft. Vor allem gehört es dazu, dass wir das Leid annehmen und Gedanken des Grolls, der Bitterkeit und der Trauer loslassen. Davon ist unser Leben ja leider immer wieder erfüllt. Auch wenn wir nicht um einen lieben Menschen trauern, sind wir noch lange nicht glücklich. Wir werden von vielen Nöten heimgesucht.
Marie Schmalenbach trauerte ebenfalls nicht nur um das Kind, das sie verloren hat. Sie litt unter noch mehr. So haben ihre Eltern ihre geistigen Interessen in ihrer Jugend zwar sehr gefördert, als Erwachsene blieb ihr dann aber nur das Leben als Hausfrau, Ehefrau und Mutter. Sie heiratete mit 21 Jahren den damaligen Hilfsprediger Theodor Schmalenbach und hoffte, in ihm einen angemessenen Gesprächspartner gefunden zu haben. Sie hätte sich gerne mit ihm über theologische und politische Fragen ausgetauscht. Aber das fand nicht statt. Ihr Mann war viel unterwegs und ließ sie an seiner Arbeit und seinen Gedanken kaum teilhaben. Ihre Pflichten lagen einzig und allein im Haushalt und in der Erziehung der Kinder. An dieser Situation konnte sie auch nichts ändern, denn es war gesellschaftlich und kirchlich vorgegeben, dass die Frau sich dem Willen des Mannes unterordnete. Für Marie war das unbefriedigend und teilweise unerträglich. Sie lebte ein einsames, zurückgezogenes Leben und hatte kaum Kontakte zu Menschen, die ihren intellektuellen und geistlichen Bedürfnissen nachkommen konnten. (s.o.) All das steht hinter den Zeilen aus ihrem Lied: „Hier ist Müh morgens früh und des Abends spät, Angst, davon die Augen sprechen, Not, davon die Herzen brechen, kalter Wind oft weht, kalter Wind oft weht.“ Und das ist eine allgemeine Erfahrung, das Leben ist voll von Leid. Menschen enttäuschen uns oder machen uns Angst. Wir sorgen uns, fühlen uns schwach und ausgeliefert, sind traurig oder niedergeschlagen. Was Marie Schmalenbach betrifft, so fand sie nur im Lesen und Schreiben ihrer Gedichte einen Trost und eine Lebenserfüllung.
Und darin kommt zum Ausdruck, wie sie sich gerettet hat. Ihre Gedichte enthalten keineswegs nur Klagen, sondern ein starkes Glaubenszeugnis. So ist es auch in unsrem Lied, dem die dritte Strophe lautet: „Jesus Christ, du nur bist unsrer Hoffnung Licht, stell uns vor und lass uns schauen jene immergrünen Auen, die dein Wort verspricht, die dein Wort verspricht.“ Marie Schmalenbach hat sich auf Jesus Christus und auf sein Wort gegründet. Sie hat ihr Leid angenommen, gehofft und gebetet und sich auf die Ewigkeit ausgerichtet. Auf diese Weise hat sie sich gegen die Verbitterung und Traurigkeit gewehrt, und das ist eine große geistige und seelische Leistung. Wir müssen also zweitens feststellen, dass der Glaube und das Vertrauen auf Gott etwas äußerst aktives ist, und wir sind dazu ebenfalls eingeladen.
Dann ergibt sich ganz von allein der dritte Schritt: Unser Leben verändert sich. Durch den Glauben an Jesus Christus bleibt nicht alles beim Alten, sondern die Kräfte der Auferstehung wirken. Gott schickt seine Strahlen, und wir spüren seine Nähe, sein Licht und seine Wärme. Er hört unsere Gebete und antwortet auf unsre Fragen. Denn was er uns schenkt, sind nicht irgendwelche weltlichen Dinge, sondern er kommt selber zu uns. Das „Kleine wird klein und das Große wird groß“. Ein innerer Friede breitet sich aus. Unser Geist wird weit, die Seele kann aufatmen, Schweres wird plötzlich leicht. Wir werden widerstandfähig und unabhängig von den äußeren Umständen. Das Weinen und Klagen verstummt, und es entsteht eine Freude, die sich nicht so leicht vertreiben lässt.
Und schließlich macht uns das dann auch fähig zum Handeln, wo es möglich und nötig ist. Wir bekommen den Mut, neue Schritte zu wagen. Was uns erfüllt, will aus uns heraus und fließt zu den anderen Menschen. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass die Hoffnung auf die Ewigkeit keine Weltflucht ist: Sie wirkt sich in der Welt aus, denn wir werden transparent und bringen den Menschen das, was ihnen am meisten fehlt: Das Wissen um das ewige Licht.
Amen.