Ewigkeit, in die Zeit, leuchte hell hinein

Predigt über Jesaja 65, 17- 19. 23- 25: Neuer Himmel und neue Erde

Ewigkeitssonntag, 25.11.2018, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Jesaja 65, 17-19.23-25

17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,
19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.
25 Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde.

Es gibt im Evangelischen Gesangbuch eine ganze Reihe von Dichterinnen, die zu dem Liedgut beigetragen haben. Mit ihnen haben wir uns in diesem Jahr in unserem Gesprächskreis beschäftigt, und dabei ist uns aufgefallen, dass keine von ihnen ein einfaches Leben hatte. Besonders erschütternd und bewegend war die Erkenntnis, dass sie alle enge Erfahrungen mit dem Tod gemacht haben.

So war es auch bei Marie Schmalenbach, von der ich euch heute ein Lied mitgebracht habe. Es steht leider nicht mehr in unserer Ausgabe des evangelischen Gesangbuches, ich finde es aber sehr schön und singenswert.

Marie Schmalenbach lebte von 1835 bis 1924 in Ostwestfalen. Sie war die Tochter eines Pfarrers und hatte insgesamt zehn Geschwister. Sieben davon starben allerdings sehr früh. Sie hat also schon in ihrer Kindheit erfahren, wie vergänglich das Leben ist. Als Ehefrau und Mutter erlebte sie das dann wieder, denn auch sie verlor eins ihrer fünf Kinder durch den Tod. s. https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=617&url_tabelle=tab_person) Und obwohl das vor 150 Jahren keine Ausnahme war – die Kindersterblichkeit war ja viel höher als heutzutage – hat sie das sicher traurig gemacht. Sie musste das verarbeiten, und dabei half ihr der Glaube an die Ewigkeit. Das bezeugt ihr Lied: „Brich herein, süßer Schein selger Ewigkeit. Leucht in unser armes Leben, unsern Füßen Kraft zu geben, unsrer Seele Freud, unsrer Seele Freud.“ (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-luth Kirche in Niedersachsen und Bremen, Nr. 643,1)

Sie formulierte damit etwas, das auch in der Bibel an vielen Stellen zum Ausdruck kommt. Die Hoffnung auf die Ewigkeit und eine paradiesische Zukunft taucht dort überall auf, sowohl im Alten, wie im Neuen Testament. Gott wird sie heraufführen, denn sie ist sein Reich. Er wohnt in der Ewigkeit und er wird die Menschen eines Tages dahin zurückführen, das ist die Verheißung. Der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja, den wir vorhin gehört haben, ist auch so eine Heilsankündigung.

Sie stammt von dem „dritten“ Jesaja. Wir nennen ihn so, weil beim Lesen des Jesajabuches deutlich wird, dass es drei Verfasser haben muss, die alle zu verschiedenen Zeiten gewirkt haben. Der Dritte gehörte bereits zu den Heimkehrern aus dem babylonischen Exil, die den jüdischen Staat wieder aufbauten. Dieser war unter dem Herrscher von Nebukadnezar völlig zusammengebrochen. Jerusalem eroberte er erstmals 597 und nochmals 586 v.Chr. Beim zweiten Mal führte er die jüdische Oberschicht in die Gefangenschaft und ließ die Stadt und seinen Tempel zerstören.

Zur Zeit des dritten Jesaja war eigentlich alles wieder gut, das Exil war beendet, die Verbannten kehrten zurück. Trotzdem wurden die Menschen ungeduldig, denn das Heil, nach dem sie sich sehnten, war nicht da. Das Leben blieb schwierig und konfliktgeladen, der Aufbau ging nur schleppend voran.

Der dritte Jesaja will seine Landsleute deshalb trösten und ermutigen. Davon handeln sein Buch und somit auch unser Predigttext. Darin verheißt der Prophet eine völlig neue Zeit, in der alle Nöte und Drangsale endgültig aufgehoben sein werden. Alles mündet in einen geschichtslosen Zustand ewiger Glückseligkeit. Denn Gott wird „einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen“. In dieser Welt ohne Leid wird man sich freuen und ohne Unterbrechung frohlocken. Sogar Gott selber wird sich über das Heil freuen, das er für seine Gemeinde in und um Jerusalem schaffen wird. Denn es wird keine menschliche Sünde mehr geben, Gott muss nicht mehr strafend eingreifen. Deshalb verstummt auch das Klagegeschrei. Die furchtbare Säuglingssterblichkeit wird aufhören, und der Segen Gottes steht über den Menschen. Ihre Gebete werden jederzeit und unmittelbar erhört. Und alle Tiere werden in Frieden miteinander leben, der Wolf mit dem Schaf, der Löwe und die Schlange neben dem Rind. Mit diesem idyllischen Bild von der Wiederkehr paradiesischer Verhältnisse schließt die Verheißung.

Sie steht in einem auffälligen und wunderbaren Kontrast zu der jetzigen Welt, die von all dem nichts oder nur sehr wenig weiß. Deshalb spricht uns die Verheißung auch an. Sie formuliert Sehnsüchte und Wünsche, die wir alle kennen. Sie klingt wie ein Märchen mit einem guten Ende.

Aber ist sie das nicht auch? Was hier formuliert ist, hat mit unserer Wirklichkeit doch nichts zu tun. Wozu lesen wir das? Wollen wir daran glauben und uns daran festhalten? Menschen haben das immer wieder getan, aber waren die dadurch nicht etwas weltfremd? Was bringt es denn, wenn wir in unserer Phantasie aus der Welt fliehen? Verlieren wir dadurch nicht den Realitätsbezug und das Verantwortungsbewusstsein? Das fragen wir uns. Der Glaube an die Ewigkeit hat in unserem modernen Denken und Bewusstsein einen schweren Stand. Ein Lied wie das von Marie Schmalenbach passt nicht mehr zu unserem Lebensgefühl. Darum ist es wohl auch aus unserem Gesangbuch verschwunden.

Das finde ich allerdings schade, denn der Ewigkeitsbezug ist keineswegs nur eine Wahnvorstellung. Das merken wir, wenn wir uns darauf einmal einlassen, und das können wir in drei Schritten tun.

Der erste Schritt ist eine theologische Klärung zu den Aussagen der Bibel und des christlichen Glaubens. Dazu gehört die Einsicht, dass wir zwar nicht wissen, ob es die Ewigkeit gibt, wir wissen aber auch nicht, ob das Gegenteil der Fall ist. Wir können uns im Irrtum befinden, wenn wir das Reich und die Macht Gottes leugnen. Und das würde dann einemn schwerwiegenden Verlust gleich kommen. Wir würden etwas Großes und Bedeutendes verpassen. So sah das auch der Prophet Jesaja. Er war erfüllt von der Gewissheit, dass Gott noch lange nicht fertig ist mit der Schöpfung, eines Tages wird er sie vielmehr vollenden. Und er umgibt uns jetzt mit seiner neuschaffenden Gegenwart, mit seiner undendlichen Macht und Liebe.

Jesus Christus hat das mit seinem Kommen noch einmal grundlegend bestätigt. Er verkündete ebenfalls das Reich Gottes, das mit ihm bereits angebrochen ist. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Gott schöpferisch in das Weltgeschehen eingegriffen und uns einen Weg zu ihm eröffnet. Das Paradies ist nicht mehr verschlossen.

Und es ist auch nicht erst da, wenn wir sterben oder hier alles zu Ende geht. Gott wirkt vielmehr jetzt schon in die Zeit hinein. Die Strahlen der Ewigkeit fallen von vorne auf unseren Weg. Darum bittet Marie Schmalenbach in ihrem Lied. Sie formuliert in Strophe vier: „Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine, und das Große groß erscheine.“ Sie hält die Ewigkeit also für „groß“ und alles Zeitliche für „klein“, und sie wünscht sich, dass die Verhältnisse sich in ihrem Bewusstsein umdrehen: Nicht mehr die Welt soll bedeutend und wirklich sein, sondern die Gegenwart Gottes und sein zeitloses Reich. Diesem Wunsch hat sie Raum gegeben. Und das können auch wir tun.

Darin besteht der nächste Schritt: Wir dürfen den Glauben an die Ewigkeit und das Vertrauen auf die Verheißungen Gottes nicht mit Nichts-Tun verwechseln. Wir legen damit auch nicht unser Verantwortungsbewusstsein ab und ergeben uns einfach nur in unser Schicksal. Es ist vielmehr eine starke innere Aktivität, für die wir uns bewusst entscheiden müssen. Sie fordert unsere Aufmerksamkeit und Bereitschaft. Vor allem gehört es dazu, dass wir das Leid annehmen und Gedanken des Grolls, der Bitterkeit und der Trauer loslassen. Davon ist unser Leben ja leider immer wieder erfüllt. Auch wenn wir nicht um einen lieben Menschen trauern, sind wir noch lange nicht glücklich. Wir werden von vielen Nöten heimgesucht.

Marie Schmalenbach trauerte ebenfalls nicht nur um das Kind, das sie verloren hat. Sie litt unter noch mehr. So haben ihre Eltern ihre geistigen Interessen in ihrer Jugend zwar sehr gefördert, als Erwachsene blieb ihr dann aber nur das Leben als Hausfrau, Ehefrau und Mutter. Sie heiratete mit 21 Jahren den damaligen Hilfsprediger Theodor Schmalenbach und hoffte, in ihm einen angemessenen Gesprächspartner gefunden zu haben. Sie hätte sich gerne mit ihm über theologische und politische Fragen ausgetauscht. Aber das fand nicht statt. Ihr Mann war viel unterwegs und ließ sie an seiner Arbeit und seinen Gedanken kaum teilhaben. Ihre Pflichten lagen einzig und allein im Haushalt und in der Erziehung der Kinder. An dieser Situation konnte sie auch nichts ändern, denn es war gesellschaftlich und kirchlich vorgegeben, dass die Frau sich dem Willen des Mannes unterordnete. Für Marie war das unbefriedigend und teilweise unerträglich. Sie lebte ein einsames, zurückgezogenes Leben und hatte kaum Kontakte zu Menschen, die ihren intellektuellen und geistlichen Bedürfnissen nachkommen konnten. (s.o.) All das steht hinter den Zeilen aus ihrem Lied: „Hier ist Müh morgens früh und des Abends spät, Angst, davon die Augen sprechen, Not, davon die Herzen brechen, kalter Wind oft weht, kalter Wind oft weht.“ Und das ist eine allgemeine Erfahrung, das Leben ist voll von Leid. Menschen enttäuschen uns oder machen uns Angst. Wir sorgen uns, fühlen uns schwach und ausgeliefert, sind traurig oder niedergeschlagen. Was Marie Schmalenbach betrifft, so fand sie nur im Lesen und Schreiben ihrer Gedichte einen Trost und eine Lebenserfüllung.

Und darin kommt zum Ausdruck, wie sie sich gerettet hat. Ihre Gedichte enthalten keineswegs nur Klagen, sondern ein starkes Glaubenszeugnis. So ist es auch in unsrem Lied, dem die dritte Strophe lautet: „Jesus Christ, du nur bist unsrer Hoffnung Licht, stell uns vor und lass uns schauen jene immergrünen Auen, die dein Wort verspricht, die dein Wort verspricht.“ Marie Schmalenbach hat sich auf Jesus Christus und auf sein Wort gegründet. Sie hat ihr Leid angenommen, gehofft und gebetet und sich auf die Ewigkeit ausgerichtet. Auf diese Weise hat sie sich gegen die Verbitterung und Traurigkeit gewehrt, und das ist eine große geistige und seelische Leistung. Wir müssen also zweitens feststellen, dass der Glaube und das Vertrauen auf Gott etwas äußerst aktives ist, und wir sind dazu ebenfalls eingeladen.

Dann ergibt sich ganz von allein der dritte Schritt: Unser Leben verändert sich. Durch den Glauben an Jesus Christus bleibt nicht alles beim Alten, sondern die Kräfte der Auferstehung wirken. Gott schickt seine Strahlen, und wir spüren seine Nähe, sein Licht und seine Wärme. Er hört unsere Gebete und antwortet auf unsre Fragen. Denn was er uns schenkt, sind nicht irgendwelche weltlichen Dinge, sondern er kommt selber zu uns. Das „Kleine wird klein und das Große wird groß“. Ein innerer Friede breitet sich aus. Unser Geist wird weit, die Seele kann aufatmen, Schweres wird plötzlich leicht. Wir werden widerstandfähig und unabhängig von den äußeren Umständen. Das Weinen und Klagen verstummt, und es entsteht eine Freude, die sich nicht so leicht vertreiben lässt.

Und schließlich macht uns das dann auch fähig zum Handeln, wo es möglich und nötig ist. Wir bekommen den Mut, neue Schritte zu wagen. Was uns erfüllt, will aus uns heraus und fließt zu den anderen Menschen. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass die Hoffnung auf die Ewigkeit keine Weltflucht ist: Sie wirkt sich in der Welt aus, denn wir werden transparent und bringen den Menschen das, was ihnen am meisten fehlt: Das Wissen um das ewige Licht.

Amen.

Pax et Bonum

Predigt über Philipper 4, 4- 9: Mahnung zur Freude im Herrn und zum Frieden

Bitte um Frieden und um Schutz des Lebens
18.11. 2018, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Philipper 4, 4- 9

4 Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!
5 Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe!
6 Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!
7 Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
8 Weiter, liebe Brüder: Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was einen guten Ruf hat, sei es eine Tugend, sei es ein Lob – darauf seid bedacht!
9 Was ihr gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt an mir, das tut; so wird der Gott des Friedens mit euch sein.

Liebe Gemeinde.

In Assisi gibt es als Souvenir  kleine Teller oder Kacheln mit der Aufschrift „pax et bonum“ – auf Deutsch heißt das: „Frieden und Gutes“, denn das war ein Gruß bzw. ein Segenswort, das Franz von Assisi immer gebrauchte. Er wünschte das jedem Menschen, den er traf, und er sagte damit: „Mögest du in Frieden leben, versöhnt mit dir selbst, mit den deinen und der Welt. Mögest du heil sein oder werden, nicht verwundet noch verletzt, angstfrei und geborgen.“ Dieser Gruß ist also ein Segenswunsch, und er ist in der franziskanischen Familie zur Tradition geworden. (s. https://www.st-marienwoerth.de/pax/01/files/assets/downloads/page0011.pdf)

Die Gewohnheit des Friedensgrußes ist aber auch noch weiter verbreitet. Wir machen z.B. das gelegentlich in der Abendmahlsliturgie. Dann reichen wir einander die Hand und sagen „Der Friede des Herrn sei mit dir“.

Außerdem kennen wir den Friedenswunsch als „Kanzelsegen“. Das ist schon seit dem 4. Jahrhundert in unseren Gottesdiensten Tradition und soll deutlich machen, dass letzten Endes nur Gottes Friede das Heil bewirkt. Der Prediger oder die Predigerin sagt damit: „Ich habe euch das Evangelium verkündet, aber Gottes Friede ist größer, als ich ihn auszudrücken vermag.“ Und das geht wunderbar mit dem Vers, den wir vorhin in der Epistellesung gehört haben „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Er steht zusammen mit anderen Wünschen und Ermahnungen am Ende des Briefes von Paulus an die Philipper. Dort ist es ein Zuspruch, der die Empfänger stärken und erfrischen sollte.

Die Gemeinde in Philippi war sozusagen die Lieblingsgemeinde von Paulus, denn die Menschen dort hatten seiner Verkündigung geglaubt und lebten seitdem in der Liebe, die Jesus Christus ihnen geschenkt hatte. Sie waren „erfüllt mit Frucht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus.“ (Phil.1,11) Paulus war „darin guter Zuversicht, dass der in ihnen angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden.“ So schreibt er es am Anfang des Briefes. (1,6) Für Paulus war das, was in der Gemeinde in Philippi geschah, also Gottes Werk. Wenn er an die Philipper dachte, setzte er deshalb sein Vertrauen ganz auf Gott, der den Anfang und das Ende „des guten Werkes“ in seinen Händen hat.

So sind auch seine Wünsche und Ermahnungen am Ende des Briefes gemeint, und es ist wichtig, dass wir das beachten, denn sonst fühlen wir uns von seinen Worten eventuell erdrückt oder überfordert. Es ist ja nicht wenig, was Paulus hier zu verlangen scheint. Er zählt eine ganze Liste von Eigenschaften auf, die die Philipper sich aneignen sollen: Er wünscht sich, dass „sie achtenswert, gerecht, lauter, wohlgefällig, angesehen, tauglich und lobenswert“ leben. Außerdem sollen sie „sich freuen, sich keine Sorgen machen, beten und danken und den Frieden Gottes im Herzen bewahren“. Kurz gesagt: Sie sollen gute Menschen sein, fromm und gottesfürchtig. Es klingt sogar fast so, als sollten sie heilig leben. Dabei stellt Paulus sich ihnen als Vorbild hin. Er sagt: Lebt so, wie ihr es von mir „gelernt, empfangen, gehört und gesehen“ habt. Das ist noch eine Liste von Wörtern, die hier vorkommt. Und das klingt wie gesagt anstrengend.

Wir hören das ja nicht neutral, sondern beziehen es gleich auf uns, und so ist es auch gemeint. Natürlich werden auch wir damit ermahnt. Doch wie soll das gehen? Ist da nicht alles etwas zu viel verlangt und ist es nicht auch gesetzlich? Es klingt so, als sollten wir plötzlich doch wieder durch gute Werke glänzen. Wo bleiben da die Gnade und die Vergebung? Gott nimmt uns doch auch als Sünder an, wenn wir das alles gerade nicht schaffen! Das hat Paulus immer wieder betont. Auch im Philipperbrief ist davon die Rede, dass Jesus Christus für uns gestorben ist und alle Sünde auf sich nimmt. Paulus lehnt im dritten Kapitel die „Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt“ ab und verkündet die Gerechtigkeit, „die durch den Glauben an Christus kommt“. (3,9) Und er betont, dass er „ihn erkennen möchte und die Kraft seiner Auferstehung.“ (3,10)  Was sollen also diese strengen Ermahnungen am Ende des Briefes? Sie scheinen dazu im Widerspruch zu stehen.

Doch so ist es nicht. Der Glaube an Jesus Christus hat für Paulus auf jeden Fall Vorrang vor allem anderen. Christen sind erlöst und frei vor Gott. Allerdings hat das auch Folgen. Das Leben verändert sich durch den Glauben. Es bleibt nicht alles beim Alten, sondern wird neu. Und wie diese Veränderung und Erneuerung aussieht, beschreibt Paulus am Ende des Briefes. Seine Ermahnungen und Wünsche sind also kein neues Gesetz und auch keine menschliche Leistung.

Nicht umsonst spricht er in unserem Abschnitt von einem „Frieden, der höher ist als alle Vernunft.“ Der wurde den Christen geschenkt, und er kann sich um ihr Herz und ihre Gedanken legen wie eine beschützende und bewahrende Macht. Das ist der Ausgangspunkt. D.h. Paulus verlangt keine Moral. Es ist auch kein Programm, das er den Philippern auftischt. Was er ihnen wünscht, ist vielmehr die Kraft und die Nähe Gottes, die ihnen hilft, ihr altes Wesen abzulegen. Der „Friede Gottes“ liegt jenseits von Philosophie, Politik oder Psychologie, er ist vielmehr durch Jesus Christus Wirklichkeit im Leben der Christen.

Das müssen wir als erstes berücksichtigen, wenn wir diese Ermahnungen hören. Gott ist der Ursprung des Friedens. Daran erinnert Paulus hier, und er möchte, dass wir Gott den Weg bereiten, seinem Frieden sozusagen die Tür öffnen, ihm eine Chance geben. Dazu gehört es, dass wir unser Leben ordnen. So wie wir ein Zimmer aufräumen müssen, wenn wir friedlich darin leben und uns wohlfühlen wollen, so müssen wir auch in unserer Seele und in unserem Geist Klarheit einziehen lassen. Der Friede und das Gute fängt nicht an, wo wir äußerlich alles mögliche Gute tun, sondern in uns. Er geht von innen nach außen, von den Einzelnen zu den Vielen.

Trotzdem ist der Frieden natürlich immer etwas Gemeinschaftliches. Das ist als zweites wichtig. Er ereignet sich, wenn wir mit anderen zusammen sind, und d.h. wir können ihn nur gemeinsam verwirklichen, und zwar, indem wir uns damit gegenseitig sozusagen anstecken. Wir können ihn uns auch zusprechen.

Ich erwähnte ja bereits, dass Franz von Assisi das immer getan hat. Zu der Tradition des „pax et bonum“ gibt es auch eine Geschichte aus seinem Leben, die ich euch gerne einmal erzählen möchte:

„Als sich die ersten jungen Männer um Franziskus scharten und mit ihm sein Leben teilen wollten, da erfuhren sie in ihrer Heimat viel Ablehnung, Spott und Hohn. So kam es, dass sie aufbrachen in eine andere Gegend, wo man sie, da sie fremd waren, freundlich aufnahm. Hier überkamen Franziskus allerdings große Zweifel, ob er die Botschaft des Evangeliums recht verstanden habe, ob er, mit all seinen Begrenzungen und Unzulänglichkeiten Jesu Fußspuren überhaupt nachfolgen könne. In seiner Not betete er. Und in der Nacht, als er schlief, schenkte Gott ihm einen Traum, in dem Gott ihm all das vergab, was Franziskus belastete und zwischen sie beide zu stehen kam. Friede kam zwischen Gott und ihn, und Franziskus wurde beauftragt und ermächtigt, überall wo er hinkam, diesen Frieden und Zuspruch zu verkünden. Eine große Freude erfüllte ihn da. Er erfuhr an sich selbst das unendliche und reiche Erbarmen Gottes. Er war angenommen, trotz seiner Schwachheit, ja sogar zum Mitarbeiter Gottes erwählt, um etwas von dieser Erfahrung den Menschen zu bringen. So versammelte er bereits am nächsten Morgen seine Brüder und sandte sie zu zweit aus, um wie die Jünger Jesu Friede und Gnade den Menschen zuzusprechen. Seine Mitbrüder sollten Gutes über die Schwellen der Häuser tragen, in die sie kamen – ,pax et bonum‘.“ (s.o.)

Und das ist mit Sicherheit geschehen, denn bei dem Zuspruch des Segens überträgt sich etwas von dem Frieden, den wir meinen. Er breitet sich in dem Moment aus, wo wir ihn äußern, geht von einem zum anderen und entfaltet sich.

So hat Paulus das auch gesehen. Er stellt sich selber ja als Vorbild hin, d.h. er möchte, dass die Philipper von ihm lernen, sich etwas bei ihm abgucken. Das klingt vielleicht im ersten Moment etwas überheblich, so als würde er alles richtig machen. Aber so hat Paulus sich sicher nicht gefühlt. Er will einfach nur deutlich machen, dass es den Frieden Gottes gibt. Auch andere Menschen leben ihn, und darauf gilt es zu achten. Sie verwirklichen etwas von dem, was Gott will. Was wir an ihnen sehen, können wir uns zu Herzen nehmen und selber danach leben. Dann hat der Friede eine Möglichkeit, um sich zu greifen. Das ist der zweite Punkt

Und als drittes müssen wir berücksichtigen, dass der Friede nie vollkommen sein wird. Es ist zwar wichtig, dass wir auf ihn achten, aber er wird immer nur punktuell bleiben, sowohl räumlich wie auch zeitlich. Denn leider wird er immer wieder vertrieben, durch Streit und Eifersucht, Hass und Zorn. Er ist flüchtig und vergänglich. Deshalb braucht er ja auch unsere Aufmerksamkeit. Wir müssen ihn pflegen und bewahren. Am ehesten können wir das in unserem nächsten Umfeld verwirklichen, in der Familie, im Freundeskries, in der Gemeinde und der Nachbarschaft. Da gibt es ja immer mal wieder Konflikte. Die können wir entschärfen, indem wir nicht aggressiv, sondern freundlich und liebevoll miteinander umgehen, ruhig bleiben, miteinander reden, Fehler zugeben und uns entschuldigen, wenn es nötig ist.

Und um das hinzubekommen, ist es ein besonders gutes Mittel, wenn wir auch unseren Gegnern den Frieden wünschen, denjenigen, die uns kritisieren, uns zu Unrecht verletzen oder enttäuschen. Eigentlich ärgern sie uns ja und machen uns wütend. Am liebsten würden wir ihnen genauso begegnen wie sie uns, mit Kritik und Vorwürfen. Aber das hilft nicht, es macht den Konflikt meistens nur noch schlimmer. Viel besser ist es, wenn wir sie segnen. Wir können damit in Gedanken beginnen, indem wir für sie beten und ihnen im Geist Gutes zusprechen. Dann entschärft sich der Konflikt. Wir werden selber innerlich friedlich, bekommen Abstand und sehen, dass diejenigen, die uns bedrängen und ärgern, einfach nur anders sind als wir. Ihre Lebenssituation unterscheidet sich von der unsrigen, sie haben andere Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt und setzen andere Prioritäten. Wenn wir das einsehen, dann finden wir meistens auch die richtigen Worte, und Frieden wird möglich.

Und das ist von großer Bedeutung, denn dadurch entstehen „Inseln des Friedens“ oder auch „Oasen“, an denen wir neue Kraft schöpfen. Davon kann es nie genug geben, und mit der Hilfe Gottes können wir sie bilden. Die Gemeinde in Philippi war so eine Insel, denn sie war diesbezüglich auf einem guten Weg. Dort leuchtete beispielhaft auf, was Gott will.

Und das kann heutzutage auch bei uns geschehen, die Gemeinde ist dafür ein guter Ort. Dann fällt von Gott her ein Lichtstrahl in die Zeit. Die Kirche setzt Zeichen des Friedens in dieser Welt, und Gerechtigkeit bricht an. Es geschieht dann, wenn Menschen durchlässig werden für den Frieden Christi, und dort, wo sie aufeinander zugehen, sich die Hand reichen und den Frieden weitergeben, der sie erfüllt.

Wir wollen das deshalb jetzt tun. Ich lade euch ein, eurem Nachbarn oder eurer Nachbarin neben oder vor oder hinter euch in der Bank die Hand zu geben mit den Worten „Friede sei mit dir“. Ihr könnt auch aufstehen, in der Kirche umhergehen und diesen Gruß noch anderen Menschen geben.

Amen.

Die Kirche in der Welt

Predigt über Römer 13, 1- 7: Das Verhältnis zur staatlichen Gewalt

23. Sonntag nach Trinitatis, 4.11. 2018, 9.30 und 11 Uhr,
Luther- und Jakobikirche Kiel

Römer 13, 1- 7

1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.
2 Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.
3 Denn vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten.
4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut.
5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.
6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.
7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

Liebe Gemeinde.

Am 31. Mai 1934 wurde auf der Bekenntnissynode in Barmen eine theologische Erklärung verabschiedet. Sie war von drei namhaften Theologen ausgearbeitet worden und wurde die zentrale theologische Äußerung der Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft. Sie richtete sich gegen die falsche Theologie und das Kirchenregime der sogenannten „Deutschen Christen“. Die hatten damit begonnen, die evangelische Kirche der Diktatur des „Führers“ anzugleichen, und das war schlimm. Deshalb trennt die Barmer Erklärung Staat und Kirche voneinander und macht deutlich, welche Aufgabe der jeweiligen Institution zukommt. In Artikel fünf heißt es: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens […] für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche […] erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“ (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Nr. 810,5)

Bis heute gilt die Barmer Erklärung als wegweisendes Lehr- und Glaubenszeugnis der deutschsprachigen evangelischen Kirche und ist deshalb in unserem Gesangbuch im Wortlaut abgedruckt.

Und das ist auch gut so, denn was hier formuliert ist, deckt sich mit dem Neuen Testament. Dort ist die Unterscheidung zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Welt ebenfalls grundlegend. Sowohl Jesus als auch Paulus sahen darin zwei Wirklichkeiten, die voneinander abgegrenzt sind, und daraus haben sie ihre Schlüsse gezogen. Hinter den Aussagen über die Obrigkeit, die Paulus im Römerbrief formuliert hat, steht diese Weltsicht ebenfalls, und es ist ganz wichtig für das Verständnis dieses Textes, dass wir das berücksichtigen.

Denn beim ersten Hören sind wir ja zunächst empört und regen uns auf. Paulus sagt hier, dass alle Obrigkeit von Gott eingesetzt ist. Deshalb ermahnt er zur Loyalität gegenüber den Staatsorganen. Die Christen sollten sich um Frieden und Liebe gegenüber jedermann bemühen, auch gegenüber den staatlichen Ordnungen und Autortäten. Denen sollten sich die Christen unterordnen, denn sie haben ihre Macht nicht an Gott vorbei, sondern üben sie aus, weil er es angeordnet hat. Wer sich der Staatsmacht widersetzt, lehnt sich also gegen den Willen Gottes auf. Das sagt Paulus hier. Damit will er aus den Christen zu Rom zwar keine kaisertreuen Patrioten machen, aber er mutet ihnen zu, ihren Bürgerpflichten nachzukommen. Besonders wichtig sind ihm die Zoll- und Steuerzahlungen. Sie dienten dazu – wie auch bei uns –, dass der Staat mit Hilfe des eingetriebenen Geldes tat, was allen zu Gute kam. Und daran sollten sich auch die Christen beteiligen. Paulus rät ihnen von Handlungsweisen ab, die als politischer Protest gedeutet werden könnten.

Und das empört uns wie gesagt. Es fällt uns in unseren Tagen nach zwei Weltkriegen und unzähligen blutigen Auseinandersetzungen schwer, diese Gedankengänge des Paulus nachzuvollziehen. Täglich hören wir Meldungen und sehen Bilder von Menschen, die unter Gewalt, Hunger und Vertreibung leiden, weil staatliche Ordnung versagt, der Stärkere sich nimmt, was er will, ohne Strafe zu fürchten. Da wollen diese sieben Verse aus dem Römerbrief nicht einleuchten. Sie scheinen die grausame Realität zu missachten und ihre Opfer zu verspotten. Was sollen wir damit also anfangen?

Sicher würden einige von euch dafür plädieren, sie gar nicht mehr zu lesen, sie zu ignorieren und bei Seite zu schaffen. Aber ist das sinnvoll und steht uns das zu? Können wir einfach so Teile aus der Bibel rausschmeißen, bloß weil sie uns nicht gefallen oder zu schwierig sind? Ich finde das problematisch. Außerdem lohnt es sich fast immer, über das nachzudenken, was uns erst mal nicht passt. Lasst uns das also mit dem Text von Paulus auch tun, und zunächst versuchen, ihn zu verstehen. In einem zweiten Schritt wollen wir dann überlegen, wie wir das auf unser Leben und in unserer Zeit anwenden können.

Was Paulus betrifft, so ist es wie gesagt in seinem ganzen Denken grundlegend, dass er zwischen dem Reich Gottes und dem Reich der Welt unterscheidet. Dabei ist Gott für ihn auf jeden Fall der Mächtigere, der Schöpfer und Ordner, von dem alles kommt und zu dem alles geht. Was dabei die Menschen betrifft, so hat er sie befähigt, ihr Zusammenleben zu organisieren und soziales Chaos zu verhindern.

Wir hören unseren Text leicht so, als seien Gott und die Ordnungen der Welt identisch, als stünde da mathematisch gesehen ein „ist gleich“ (=). Doch das ist nicht so, es steht ein „ist größer“ (>) dort. Gott ist nicht die Obrigkeit, er hat sie vielmehr eingesetzt, d.h. auch sie ist ihm untergeordnet. Alles muss ihm gehorchen, und dadurch relativiert sich auch alles, was in der Welt geschieht, sowohl das Gute als auch das Schlechte. Wer an Gottes Macht glaubt und sich an ihn bindet, für den ist die Welt zweitrangig. Davon waren das Lebensgefühl und das Denken von Paulus bestimmt. Das müssen wir als erstes beachten.

Dazu kam bei Paulus die Überzeugung, dass es mit dieser Welt sowieso bald zu Ende gehen würde. Paulus lebte in der sogenannten Naherwartung, und das hieß für die christlichen Hausgemeinden, dass sie Christus angehörten, dem endzeitlichen Herrn der Welt, und sie gingen als seine Zeugen auf den nahe bevorstehenden Gerichtstag Gottes zu. Es lohnte sich für sie also gar nicht, in dieser Welt noch etwas zu ändern. So sah Paulus das. Sie sollten deshalb die bestehende Regierungsmacht und deren Geldansprüche respektieren und sich ruhig verhalten.

Und schließlich müssen wir berücksichtigen, dass der römische Staat zu den Lebzeiten von Paulus noch funktionierte. Die Christenverfolgungen und Gräueltaten setzten erst später ein. Paulus hat erlebt, dass die weltlichen Ordnungen die Bürger schützten. Es gab für ihn keinen Grund zur Klage. Er sah es vielmehr so, dass Gott mittels der staatlichen Autoritäten zugunsten aller Menschen und auch der Gemeinden das Gute befördert und das Böse in Grenzen hält. Auf die Frage, wie die Christen sich in einem Unrechtsstaat verhalten sollten, geht Paulus hier also gar nicht ein.

Wenn wir das alles beherzigen, verstehen wir den Abschnitt besser und können zur zweiten Frage übergehen, die lautet: Wie wenden wir das nun auf unser Leben an? Um das zu beantworten, möchte ich gerne wieder mit der Vorstellung und der Lehre beginnen, dass es zwei Reiche gibt, das Reich Gottes und das Reich der Welt.

Als Christen gehören wir zum ersten, denn dafür hat Jesus Christus gesorgt. Er hat durch sein Sterben und Auferstehen das Reich Gottes für alle geöffnet, die an ihn glauben. Wenn wir das tun, wissen wir also um mehr als diese Welt. Wir erkennen hinter allem, was geschieht, noch eine andere Macht als nur die menschliche. Wir sind auf Gott bezogen und schöpfen unsere Zuversicht aus seiner Gegenwart. Wir sind bereits erlöst und freuen uns auf die Ewigkeit. Auch im Leiden und Sterben sind wir noch geborgen. Wir können demnach getrost in dieser Welt leben und ihre Ordnungen anerkennen. Wir können uns unauffällig verhalten und dabei hoffnungsfroh und ruhig bleiben.

Das besagt die Zwei-Reiche-Lehre, und es tut gut, sie anzunehmen. Es ist heilsam und befreiend, das Reich Gottes von dem Reich der Welt zu unterscheiden. Wenn alle Menschen das täten, gäbe es auch kein Unrecht mehr. Fast alle Gräueltaten haben darin ihren Ursprung, dass Menschen sich plötzlich zu Göttern erheben, dass sie Gottes Macht nicht mehr anerkennen und sich selber an oberste Stelle setzen.

Genau dagegen wendet sich auch die Erklärung von Barmen. Es heißt in dem Artikel fünf weiter: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“ (EG 810,5)

Die Barmer Theologen kritisierten zum einen die Anmaßungen Hitlers und zum anderen die Verirrung der „Deutschen Christen“. Und Paulus hätte das sicherlich unterschrieben. Auch er war gegen eine Verwechslung von staatlicher Obrigkeit und dem Anspruch des Evangeliums. Aus der Nachfolge Christi folgt weder eine Diktatur noch die Anarchie. Sie befähigt vielmehr, in dieser Welt, die noch „nicht erlöst“ ist, friedlich als Christ zu leben. So ist seine Ermahnung, „der Obrigkeit zu gehorchen“, gemeint.

Doch was sollen nun die Menschen tun, denen die Regierenden Unrecht zufügen? Die staatliche Macht kann ja dämonische Züge annehmen. Gilt das, was Paulus hier sagt, dann weiterhin? Sollen wir wirklich alles erleiden und nie aufbegehren? Diese Frage geht wie gesagt über unseren Text hinaus, aber natürlich müssen wir uns in diesem Zusammenhang damit beschäftigen. Wenn wir Paulus das fragen, würde er sicher zunächst sagen: „Es lohnt sich mehr, wenn du so viel wie möglich erträgst. Du kannst damit Christus ähnlich werden und an seinem Sterben und Auferstehen Anteil bekommen. Ein Christ oder eine Christin ist zum Leiden und Sterben befähigt. Auch durch Unrecht kannst du zu Gott finden. Du kannst sogar gerade im Sterben ihm nahe kommen, es ist wie die Tür zu seinem Reich.“ Paulus hat so gelebt und ist so gestorben. Er war durchdrungen von der Gewissheit, dass er an der Auferstehung teilhat. Und diese Erfahrung können wir alle machen. Unsere Seele und unser Geist sind viel elastischer, als wir denken. Wir können sie sehr weit dehnen und uns damit nach Gott ausstrecken.

Trotzdem ist natürlich irgendwann die Dehngrenze erreicht. Wenn wir ein Gummiband immer weiter auseinanderziehen, reißt es irgendwann. Und so ist auch mit der Seele. Was wir ertragen müssen oder wollen, kann an einem bestimmten Punkt zerstörerisch sein, dann halten wir es nicht mehr aus, und es führt uns auch nicht zu Gott. Wir zerbrechen vielmehr daran. Wann das so ist, lässt sich nicht pauschal festlegen, darüber kann man keine allgemein gültigen Aussagen machen. So wie wir, die wir hier sitzen, körperlich alle unterschiedlich beweglich sind, so ist es auch mit der Seele und dem Geist. Wir halten verschieden viel aus, und jeder und jede muss selber erkennen, wann für sie Schluss ist. Dann gilt nicht mehr der Satz „Es ist notwendig, sich unterzuordnen“, sondern: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Das hat Petrus in der Apostelgeschichte gesagt. (Apg. 5,29) Er begründete damit gegenüber dem Hohen Rat, dass er nicht aufhören wird, das Evangelium zu predigen, selbst wenn der Staat es verbietet. Das war seine Entscheidung, und so müssen auch wir letzten Endes selber entscheiden, ob wir etwas ertragen oder verändern wollen.

Im Blickfeld des Neuen Testamentes lag es noch nicht, dass die Christen auf eine humane Staatsform dringen sollen, die den Ansprüchen des Evangeliums entgegenkommt, aber natürlich können wir das heutzutage versuchen. Wir haben ja auch ganz andere Möglichkeiten als z.B. Paulus. Gerade in Deutschland haben wir eine Verfassung und ein Grundgesetz, die die Freiheit der Einzelnen schützen. Wir können mitbestimmen, mitreden und für das Gute kämpfen. Keiner verbietet uns das oder hindert uns daran, und dafür dürfen wir dankbar sein. Wir sind auch eingeladen, für die Regierenden immer wieder zu beten und Gott darum zu bitten, dass sie seinen Willen tun.

Bloß verwechseln sollten wir die beiden nicht. Gott ist nicht der Staat und die Regierung hat nicht dieselbe Macht wie er. Letzten Endes sind wir als Christen an ihn und an seinen Sohn Jesus Christus gebunden, so wie es am Anfang der Barmer Erklärung heißt: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ (EG Nr. 810,1)

Amen.