Dient einander

Predigt über 1. Petrus 4, 7- 11:
Vom Leben des Christen

9. Sonntag nach Trinitatis, 17.8.2014, 9.30 Uhr,
Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.
Zählen Sie nach, wie viele Menschen Ihnen zum Geburtstag gratulieren? Ich glaube, die meisten tun das und freuen sich, wenn am Ende die Zahl schön hoch ist. Sie setzt sich aus Anrufen, Emails, schriftlichen Grüßen und Besuchen zusammen. Mir ist das jedenfalls nicht egal, wie viele Personen an mich denken. Wir brauchen Freunde und Bekannte, Menschen, die uns Aufmerksamkeit schenken, uns mögen und wertschätzen.
Dieses Bedürfnis machen sich auch die sozialen Plattformen im Internet zu nutze. Da kann man sich anmelden, etwas über sich selber erzählen oder Bilder veröffentlichen. Man sorgt dann dafür oder wartet darauf, dass andere einen entdecken, und möglichst viele Menschen sich als „Freunde“ einfinden, d.h. lesen und beachten, was man da von sich gibt. Es fühlt sich gut an, wenn es etliche sind. Die Betreiber suggerieren einem auch, dass man beliebt und erfolgreich ist, wenn die Anzahl der Leser und Leserinnen steigt. Man bekommt das Empfinden, berühmt zu sein, und es gibt nicht wenige, die sich das wünschen. Sie wollen gesehen, gehört und möglichst bewundert werden. Das sind allgemein anerkannte Ziele, die im Trend liegen.
Im Vergleich dazu scheint die Bibel irgendwie veraltet zu sein, denn wir finden dort ganz andere Wertvorstellungen. Da wird einem nirgends ans Herz gelegt, sich beliebt zu machen und Anerkennung zu suchen. Im Gegenteil, wir finden viele Stellen, in denen die selbstlose Liebe beworben wird, der Dienst am Nächsten und die Vergebungsbereitschaft.
So steht es z.B. im ersten Brief des Petrus, im vierten Kapitel. Die Verse vier bis elf sind heute unser Predigttext. Sie lauten folgendermaßen:

1. Petrus 4, 7- 11
7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet.
8 Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn »die Liebe deckt auch der Sünden Menge« (Sprüche 10,12).
9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren.
10 Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes:
11 Wenn jemand predigt, dass er’s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er’s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Wenn wir das hören, merken wir schon, hier geht es um ganz andere Werte, als wir sie aus unserer heutigen Zeit kennen. Es steht auch ein anderes Lebensgefühl dahinter, das sich gehörig von unserem unterscheidet. Mit den ersten Worten, die ich eben vorgelesen habe, kommt es zum Ausdruck. Sie lauten: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge.“ Damit bezeugt Petrus die sogenannte „Naherwartung“, die alle Christen in der Urzeit teilten. Sie glaubten daran, dass das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi ganz „nah“ waren, so dass sie sie noch erleben würden. Und daraus ergaben sich natürlich viele Konsequenzen. Das hatte Folgen für das Denken und Fühlen, genauso wie für das Handeln und die Lebensführung. In unserem Abschnitt geht Petrus auf das Letztere ein, auf die ethischen Auswirkungen. Ihn motiviert die „Naherwartung“ zu einem bestimmten Verhalten, und dazu will er einladen.
Als erstes leitet er aus dem Wissen um die endzeitliche Stunde die Mahnung zur Nüchternheit ab. Alles Innerweltliche ist vorläufig und bald zu Ende, deshalb soll der Christ besonnen und verständig sein und Vorletztes nicht für Letztes halten. Er soll sich nichts vormachen und im Gebet, bei Gott seine Sicherheit und seinen Halt suchen.
Außerdem soll er die verbleibende Zeit dazu nutzen, den anderen zu dienen. Es lohnt sich nicht, auf seinen eigenen Vorteil aus zu sein. Der Wirklichkeit ist es vielmehr angemessen, sich selber loszulassen und hinzugeben, Liebe zu üben und das Wohl der anderen zu fördern.
Ebenso wäre es Zeitverschwendung, die Sünden und Fehler der Mitmenschen aufzurechnen oder zu verfolgen. Es ist viel sinnvoller, sie „zuzudecken“, d.h. sie vergebend zu übersehen. Auch die Mahnung zur Gastfreundschaft gehört dazu, denn wer sich in dieser Welt fremd weiß, der öffnet dem anderen, dem es ja genauso geht,  gern die Tür.
Es geht Petrus also um eine dienende Grundhaltung. Und er erinnert daran, dass alles, was wir sind und haben, sowieso nicht uns selber gehört oder unser Verdienst ist. Gott hat es geschenkt, ihm verdanken wir unser Leben und unser ganzes Sein. Es ist deshalb angemessen, sich nicht als Besitzer oder Eigentümer des Lebens zu verstehen, sondern als „Haushalter“, als Leute, denen etwas anvertraut wurde. Dabei soll der wahre Eigentümer in allem vorkommen, was wir tun. Gottes Gnade und Kraft soll lebendig werden. Und dafür kann jeder und jede sorgen, ganz gleich, mit welcher Gabe er oder sie betraut wurde.
Davon gibt es viele, Paulus hat darüber auch geschrieben und gelehrt, über die sogenannten Charismen, die Gnadengaben. Petrus erwähnt hier zwei, das Predigen und das Dienen. Er denkt also an Propheten, Evangelisten, Katecheten usw. Ihr Wort soll Gott und nicht sie selber zur Sprache bringen. Im Wort will Gott der Gemeinde begegnen. Und auch das helfende Tun, das Petrus als zweites erwähnt, beruht nicht auf eigener Kraft, sondern auf derjenigen, die Gott schenkt. In allem Reden und Tun der Seinen soll Gott wirken und verherrlicht werden. Es gebührt sich nicht, dabei den eigenen Ruhm oder die eigene Ehre zu suchen und heimlich auf Anerkennung aus zu sein. Das Ziel ist vielmehr, dass „in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Mit diesem Lobpreis endet der Abschnitt, und damit wird noch einmal unmissverständlich deutlich, dass der tiefste Sinn aller Worte und Taten darin liegt, dass Gott in allem geachtet wird.
Aber ist diese Aufforderung eigentlich gesund, und wollen wir sie befolgen? Dient es dem Leben, wenn wir nur noch an Gott denken? Damit wird doch ganz viel Schönes, was uns begegnen kann, was wir erleben und schaffen können, von vorne herein abgelehnt. Und das ist uns zu negativ. Schon der Eingangsgedanke klingt doch lebensfeindlich: Wenn alles angeblich bald zu Ende ist, dann muss man sich ja um nichts mehr kümmern. Man kann gleich aufhören, sich zu engagieren oder irgendwelche Ziele zu verfolgen. Eine solche Grundeinstellung bewirkt Interesselosigkeit und Untätigkeit. Das meinen viele, wenn sie von dem Ende der Welt etwas hören.
Doch so ist es hier ganz und gar nicht gemeint. Im Gegenteil, Petrus will uns gerade aufwecken, uns wachrütteln und zum Aufbruch motivieren. Er will, dass das Leben reich wird, dass wir Kraft empfangen und Gemeinschaft erfahren. All das liegt in seinen Mahnungen beschlossen, wir müssen sie nur richtig hören und einmal auf unser Leben anwenden.
Ich sagte am Anfang ja, dass wir alle heimlich von einer gewissen Eigenliebe befallen sind. Es geht uns ganz oft um uns selber. Um das auszuleben, muss man auch nicht bei Facebook registriert sein. Den Wunsch nach Anerkennung gab es schon immer. In England ist es z.B. üblich, alle Weihnachtskarten, die man bekommt, in der Wohnung aufzuhängen, so dass jeder sehen kann, wie viele es sind. Und es lässt sich gar nicht ermitteln, wer alles Bücher schreibt, die nie veröffentlicht werden, Bilder malt, die kaum jemand sieht, Musik aufführt oder Vorträge hält, zu denen nur eine Handvoll Menschen kommen usw. All diese Poeten, Künstler, Musiker und Philosophen wünschen sich in Wirklichkeit mehr Beachtung und freuen sich über jeden Erfolg. Auch uns Pastoren und Pastorinnen geht es natürlich nicht anders. Je voller die Kirchen sind, umso besser fühlen wir uns.
Es wird uns von der Psychologie ja auch ans Herz gelegt, uns selber zu verwirklichen. Wir sollen unser Ich stärken und unsere Gaben und Fähigkeiten ausbauen. Wer nicht wahrgenommen und geliebt wird, dessen Seele verkümmert. Zu einem gesunden Leben gehören der Erfolg und der Zuspruch. Ohne das sind wir arm dran. Dieses Denken ist inzwischen Allgemeingut geworden, jeder kennt es und richtet sich danach.
Es sind auch wertvolle Einsichten, die wir berücksichtigen müssen, aber sie allein reichen nicht, damit das Leben wirklich gelingt. Denn das Streben danach hat auch Schattenseiten, und die sollten wir uns ebenfalls klar machen.
Zunächst einmal ist es anstrengend, sich immer um ausreichend Anerkennung kümmern zu müssen. Wir verbrauchen viel Kraft und Zeit, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist nicht einfach.
Und oft machen wir uns dann auch etwas vor. Gerade viele von den sogenannten „Freunden“ im Internet sind ja nicht wirklich da. Wir stellen sie uns nur vor. Das meiste spielt sich in unserer Phantasie ab. Wir denken, dass wir geliebt werden, aber ob das wirklich so ist, wissen wir nicht. Es bleibt irreal und reicht auch nie ganz aus.
Das ist das nächste Problem: Selbst wenn einigermaßen viele Menschen uns mögen, so ganz befriedigt ist unsere Seele nie. Sie braucht immer noch mehr Zuspruch, denn in die tiefsten Schichten dringt kaum ein Mensch mit seiner Anerkennung vor.
Und schließlich kann es ganz leicht sein, dass wir scheitern. Der Misserfolg lauert immer um die Ecke, wir sind ständig bedroht. Wenn wir älter werden, sind es z.B. automatisch weniger Leute, die uns kennen, und es werden auch immer weniger. Viele Menschen leiden darunter. Sie fühlen sich allein oder isoliert, und wenn es noch schlimmer kommt, werden sie von anderen sogar misshandelt oder gemobbt. Auch dafür öffnet das Internet Tor und Tür. Was man dort über sich selbst erzählt oder zeigt, kann ganz schnell von anderen in den Dreck gezogen werden. Verunglimpfung und Verleumdung ist genauso weit verbreitet wie Freundschaft und Zuneigung.
Die Eigenliebe hat also ihre ganz erheblichen Schattenseiten, und das wusste auch der Schreiber des Petrusbriefes. Für ein gelingendes Leben und Miteinander reicht es nicht, wenn jeder und jede nur versucht, sich selber zu verwirklichen. Wir brauchen zum Glücklichsein noch viel mehr.
Und darum geht es hier letzten Endes. Petrus will uns das Leben nicht vermiesen, er will vielmehr zeigen, wie es schön und reich werden kann. Wenn er an das Ende alles Irdischen erinnert, dann tut er das nicht, weil er depressiv ist. Er will vielmehr die Aufmerksamkeit auf die tiefere Wahrheit lenken, auf den, der immer schon da war, der bleibt und uns so tief liebt, wie kein Mensch das jemals kann: auf Jesus Christus, der von Gott zu uns kam, um uns alles zu schenken, was wir zum Leben brauchen.
Wir sind eingeladen, uns ihm hinzugeben und uns von ihm lieben zu lassen. Bei ihm finden wir, wonach wir uns sehnen. Wir brauchen gar nicht so viele „Freunde“, denn der beste Freund ist längst da. Und seine Aufmerksamkeit kann niemand übertreffen.
Es ist deshalb gut, wenn wir uns zu allererst an ihn hängen, uns ihm anvertrauen und uns von seiner Liebe anrühren lassen. Dann verändert sich etwas, es entsteht ein ganz neues Lebensgefühl. Denn wir können uns mit einem Mal selber loslassen. Wir stehen nicht mehr im Mittelpunkt, und das ist nicht schlimm, sondern wohltuend. Es geht nicht mehr um uns, und das ist sehr entspannend. Alle Anstrengung und Mühe fällt von uns ab, denn unsere tiefsten Wünsche werden erfüllt. Unsere Sehnsucht wird gestillt, ohne dass wir dafür Kraft einsetzen müssen. Im Gegenteil, wir bekommen neue Energie geschenkt, die uns belebt und aufrichtet. Wir sind befreit von dem Zwang, geliebt zu werden, denn wir wissen uns unendlich von Gott geliebt.
Und das ist keine irreale Liebe, sondern sie ist wirklicher als alles andere. Deshalb wirkt sie sich auch auf unser ganz konkretes Miteinander aus: Wir können selber lieben. Wir sehen plötzlich, wer uns alles braucht, was wir tun und wo wir „dienen“ können. Menschen, mit denen wir in Liebe verbunden werden, finden sich ganz von alleine ein. Es sind diejenigen, die uns wirklich begegnen. Wir müssen nicht nur an sie denken und unsere Phantasie bemühen, wir treffen sie im Alltag. Es können unsere Nachbarn sein, Kollegen, Familienangehörige, Personen in der Gemeinde usw. Niemand ist allein, wir sind längst umgeben von anderen Menschen, und mit ihnen allen kann Christus uns verbinden. Wir müssen nur hinschauen und seine Liebe weitergeben.
Konkret kann das ganz viel heißen. Einiges wird hier ja genannt, die Vergebung z.B.: Wir sind eingeladen, die Sünden und Fehler unserer Mitmenschen barmherzig „zuzudecken“ und liebevoll zu übersehen. Auch die Mahnung zur Gastfreundschaft gehört dazu, dass wir uns nicht verschließen und absondern, sondern offen für die Menschen sind, die zu uns kommen.
Und diese Liste lässt sich beliebig erweitern. Wenn wir erst einmal anfangen, „dienen“ zu wollen, fällt jedem und jeder von uns bestimmt unendlich viel ein. Es ergibt sich aus den Situationen, in die wir hineinkommen. Wir müssen uns nur von dem Wunsch leiten lassen, dass in allem die Kraft und Liebe Christi gegenwärtig sein möge. Dann ist unser Leben gesegnet und unser Miteinander lebendig.
Amen.

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