Himmlisch leben

Predigt über Lukas 24, 50- 53: Jesu Himmelfahrt

Himmelfahrt, 14.5.2015, 19 Uhr, Jakobikirche Kiel

Lukas 24, 50- 53

50 Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie.
51 Und es geschah, als er sie segnete,
schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.
52 Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude
53 und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.

Himmelfahrt001

Liebe Gemeinde.

Es gibt viele Darstellungen der Himmelfahrt Christi. Alle Maler haben sich dabei an die biblische Erzählung gehalten. Trotzdem haben sie dieses Motiv ganz unterschiedlich umgesetzt. Auf den Bildern aus der Romantik sind z.B. Wolken zu sehen, in die Christus entschwebt, Engel, die ihn umgeben, dazu manchmal Mose und der Prophet Elia, der Himmel, der sich öffnet und ein Lichtstrahl, der von dortauf die Erde fällt. Unten sieht man die Jünger und andereMenschen, die nach oben blicken oder ratlos einander anschauen.
Ältere Darstellungen sind anders. Sie verzichten auf das ganze himmlische Spektakel und zeigen von Christus nur die Füße am oberen Bildrand in einer Wolke. So ist es auch auf dem Holzschnitt von Albrecht Dürer, den ich auf dem Zettel kopiert habe. Auf einem romanischen Türrelief aus dem 13. Jahrhundert und vielen anderen Bildern gibt es ebenfalls so eine Darstellung. Auch Cranach hat das noch übernommen.
Das finden wir inzwischen natürlich eher lustig, denn so naturalistisch und naiv stellen wir uns die Himmelfahrt nicht vor. Diese Ausführung sagt ja auch nicht viel aus. Sie zeigt eigentlich nur, dass Christus jetzt verschwindet, dass von ihm bald nichts mehr zu sehen sein wird, und dass die Jünger ohne ihn weiterleben müssen. Meistens schauen sie deshalb etwas ängstlich drein, sie wirken unsicher und verloren.
Und das ist in der Tat nicht alles, was es an der Himmelfahrtsgeschichte zu illustrieren gibt. Die späteren Maler haben recht, wenn sie das Ereignis großartiger ausgestalten, denn in der Bibel wird ebenfalls noch mehr erzählt.
Wir finden die Geschichte bei dem Evangelisten Lukas, und zwar zweimal. Er hat ja auch die Apostelgeschichte geschrieben, und die beginnt mit der Himmelfahrt Christi. Sein Evangelium endet damit. Sie ist also das Bindeglied zwischen der Zeit Jesu auf Erden und dem anschließenden Wirken der Jüngerl. Jesus verabschiedet sich von ihnen, aber das tut er nicht einfach nur so. Die zentrale Handlung ist dabei vielmehr die Segnung der Jünger.
Ein letztes Mal war er mit ihnen an einen Ort in der Nähe von Jerusalem gegangen, den sie bereits kannten, nach Betanien. „Dort hob er die Hände auf und segnete sie“, wie Priester das am Ende eines Gottesdienstes tun. Und dabei entschwindet er. Es gab so eine Entrückung in den Himmel schon einmal in der jüdischen Geschichte. Der Prophet Elia verließ auf dieselbe Weise die Erde. Hier fährt nun allerdings kein sterblicher Mensch in den Himmel, sondern der Auferstandene. Die Anwesenden fallen vor ihm nieder und „beteten ihn an“, wie es weiter heißt. Das hatten sie in dieser Form noch nie getan. Bis dahin hatten sie nur Gott angebetet. Nun gebührt auch seinem Sohn diese Ehre, denn mit seiner Aufnahme in den Himmel wird er vergöttlicht. Die Jünger werden zu Empfängern seines Segens, und darum sind sie auch nicht traurig. Im Gegenteil, große Freude beherrscht sie, und sie tragen den Segen mit sich. Sie wissen jetzt, was sie tun sollen, weil er es ihnen gesagt hat, und können seinem Willen entsprechen: Sie bleiben in Jerusalem und warten, bis sie mit dem Heiligen Geist ausgerüstet werden. Dieses Warten wird mit anhaltendem Lob Gottes im Tempel positiv gefüllt.
Es geschieht also wirklich weit mehr, als dass Jesus verschwindet. Das tut er in Wahrheit gar nicht. Seine Aufnahme in den Himmel bedeutet vielmehr, dass sein Machtbereich ausgedehnt wird. Er ist nicht weg, sondern nun ist er überall. Seine Gegenwart wird universal, sie umfasst Himmel und Erde.
Deshalb heißt es in dem Himmelfahrtslied von Bartholomäus Gesius, das wir vorhin gesungen haben, z.B.: „Gen Himmel aufgefahren ist der Ehrenkönig Jesus Christ. Er sitzt zu Gottes rechter Hand, herrscht über Himmel und alles Land.“ (EG 119,1) Und Philipp Hiller hat gedichtet: „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig, alles legt ihm Gott zu Fuß. Aller Zunge soll bekennen, Jesus sei der Herr zu nennen, dem man Ehre geben muss.“ (EG 123,1) Himmelfahrt handelt von der Thronbesteigung Jesu, von seinem Antritt als Weltherrscher. Und diese Weltherrschaft hat er bis heute. Sie dauert bis in alle Ewigkeit, so ist unser Glaube. Wir bekennen ihn jedes Mal, wenn wir sprechen: „Aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“
Aber sind wir davon auch überzeugt? Merken wir davon eigentlich etwas? Wie regiert er denn nun? Es scheint sich seitdem ja nichts in der Welt geändert zu haben. Wir erleben niemanden, der endlich einen weltweiten Frieden einführt, der allem Leid ein Ende setzt, der dem Morden Einhalt gebietet, den Hunger bekämpft oder Krankheiten abschafft. Schön wär’s, aber dem ist nicht so. Das denken wir und fragen uns: Wozu feiern wir dieses Fest eigentlich? Beinhaltet es nicht nur eine Phantasievorstellung, die im Grunde genommen völlig unrealistisch ist? Wir zweifeln oft an der Weltherrschaft Christi.
Und natürlich ist das berechtigt, wir müssen uns schon Gedanken darüber machen, was Christus denn nun tut und kann. Doch dabei sollten wir nicht nur die Glaubensaussagen unter die Lupe nehmen und die biblische Geschichte analysieren, sondern auch unsere Fragen, und uns klar machen, warum sie entstehen. Sie entspringen nämlich einem bestimmen Bewusstsein, einer geistigen Voraussetzung, die wir eingestehen müssen. Und zwar stellen wir sie dann, wenn wir nur in diese Welt schauen.
Unser Blick kann ja in ganz verschiedene Richtungen gehen, nach vorne oder nach hinten, nach links oder nach rechts, nach unten oder nach oben. Und um diese letzte Richtung geht es heute, um den Blick nach oben, den vergessen wir nämlich oft. Wir bleiben am liebsten horizontal ausgerichtet, schauen um uns herum, gucken uns die Welt an, und sehen, was vor Augen liegt. Von daher kommen wir dann zu unseren Schlussfolgerungen und Ergebnissen.
Der Glaube beinhaltet aber noch mehr, und daran werden wir am Himmelfahrtstag erinnert: Er erschöpft sich nicht in der Welt, sondern ist zuerst etwas Vertikales. Glauben heißt, nach oben zu schauen, zu Gott in Beziehung zu treten, sich von ihm anrühren und innerlich empor ziehen zu lassen. Dann sehen und erleben wir noch viel mehr, als nur diese Welt mit all ihren Nöten. Wir merken, es gibt eine Kraft, die vom Himmel kommt, die ordnet und Klarheit schafft, die Ruhe und Frieden schenkt. Wir werden heute dazu eingeladen, diesen Blick nach oben zu wagen, uns der Herrschaft Christi zu unterstellen und „himmlisch zu leben“.
Lassen Sie uns deshalb fragen, was das bedeutet und wie wir vorgehen müssen, damit das auch geschieht. In drei Schritten können wir es uns klar machen.
Der erste Schritt besteht darin, dass wir das irdische Leben relativieren, d.h. ihm seine absolute Bedeutung nehmen. Das tun wir normalerweise nämlich nicht. Wir sind vielmehr sehr stark auf das fixiert, was wir hier vorfinden, was wir sehen, hören und erleben. Es hält uns in Atem und beherrscht unser Denken und Fühlen. Wir sind erfüllt von unseren Sorgen und Nöten, von Vorgängen in der Familie oder im Freundeskreis, von der Politik und dem Weltgeschehen. Über irgendetwas machen wir uns immer Gedanken. Es kann etwas Schönes oder auch etwas Schweres sein. Die Geburt eines Kindes oder eine Krankheit, ein Geschenk oder ein Verlust, ein Erfolg oder eine Niederlage. Das ist bei jedem und jeder von uns anders. Ähnlich ist nur, dass uns diese Ereignisse besetzen, und wir sie für die ganze Wirklichkeit halten.
Und das gilt es, zu durchbrechen. Wir müssen unsere Erlebnisse wie gesagt relativieren, d.h. einmal loslassen. Ganz gleich, was uns gerade beschäftigt, es ist nicht die ganze Wirklichkeit. Wir können getrost einmal aufhören, darüber dauernd nachzudenken. Es gilt, eine Pause einzulegen, Abstand zu dem nehmen, was uns umtreibt, und ruhig zu werden.
Es gibt dazu ein schönes Lied von August Herman Franke, einem deutschen evangelischen Theologen und Kirchenliederdichter aus dem 19. Jahrhundert, das wir nachher noch singen werden. Es beginnt mit der Aufforderung: „Nun aufwärts froh den Blick gewandt.“ (EG 394) Und in der zweiten Strophe braucht der Dichter für das, was ich eben beschrieben habe, den schönen Ausdruck: „Vergesset, was dahinten liegt“, d.h., lasst es hinter euch, legt es ab, ignoriert es und beachtet es nicht mehr. Denn es „beschwert nur euren Weg“, wie der Dichter sagt. Es lohnt sich mehr, sich an ganz andere Dinge zu erinnern, nämlich an „das, was ewig euer Herz vergnügt“. Es bedeutet zwar ein „Opfer“ zu bringen, d.h. zu verzichten, aber dadurch werden wir frei. Denn die Welt „hält uns nur gefangen“, und es gilt, sie „abzuwerfen“, wie der Dichter weiter formuliert. Und das ist der erste Schritt zu einem „himmlischen Leben“.
Der zweite Schritt besteht darin, dass wir unseren inneren Blick nach oben lenken und den Segen Christi annehmen. Wir müssen den Himmel zulassen, uns auf ihn einlassen und von dort göttliche Kraft empfangen. Christus möchte unser Fühlen und Denken durchdringen, er möchte uns Freude schenken, und uns in seine Gegenwart hineinziehen. Wir sind eingeladen, „immerfort zum Himmel zu reisen“. Noch sind wir zwar „irdisch“, wir sollen aber hier bereits „himmlisch sein“, wie es in einem weiteren Lied heißt. Es beginnt mit der Zeile „Lasset uns mit Jesus ziehen.“ (EG 384). Dort steht an einer Stelle: „So wird er uns aus dem Grab in das Himmelsleben heben.“ August Herrmann Franke, dessen Lied wir eben schon bedacht haben, drückt denselben Gedanken so aus: „So steigt ihr frei mit ihm hinan zu lichten Himmelshöhn. Er uns vorauf, er bricht uns Bahn – wer will ihm widerstehn?“ Das ist der zweite Schritt.
Und als drittes ordnet sich das Leben dadurch neu. In uns und um uns verändert sich etwas. Verkrustungen in der Seele werden gelockert, Müdigkeit verschwindet, die Angst weicht, Trauer klingt ab und Unruhe legt sich. Denn nun ist jemand bei uns, dessen Gegenwart stärker ist, als all die anderen Gefühle. Er nimmt uns an die Hand und führt uns innerlich ins Weite. Dadurch werden wir heil und froh, und auch Konflikte können sich lösen, Stress, den wir mit anderen haben, Unzufriedenheit und Ärger. Denn wir sehen die Menschen um uns herum plötzlich in einem anderen Licht. Wir werden frei von Vorurteilen und ändern möglicher Weise unsere Meinung über sie. Wir bauen einseitige Standpunkte ab, Verblendungen lösen sich auf, und wir können neu vertrauen. Es kommt Bewegung in unser Leben und unsere Beziehungen und damit auch in die Welt.
Es ist also keineswegs so, dass die Herrschaft Christi folgenlos bleibt, geschweige denn gar nicht existiert. Sie wirkt vielmehr in jedem und jeder Einzelnen von uns, und sie geht von innen nach außen. Christus greift nicht ohne uns in diese Welt ein. Er braucht Menschen, die „himmlisch leben“, damit seine Macht und Gegenwart sich auswirken kann.
Vieles von dem, was er tut, geschieht demnach zunächst im Verborgenen, es bleibt unsichtbar und ist nicht besonders spektakulär. Auffallende Zeichen und Wunder dürfen wir nicht erwarten. Insofern sind die Bilder, auf denen nur noch seine Füße zu sehen sind, gar nicht nur verkehrt. Er ist nicht mehr so auf dieser Erde, wie er es zu Lebzeiten war. Seine leibliche Gegenwart ist vorbei. Wir können ihn nicht mehr anfassen.
Wenn wir allerdings den Segen empfangen, den er uns immer wieder gibt, dann geschieht trotzdem ganz viel: Wir merken, dass seine Herrschaft keine Grenzen kennt, dass der Himmel allen Menschen offen steht und dass Licht von oben in diese Welt herein fällt. Wir müssen nur bereit sein, „himmlisch zu leben“.
„Drum aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt. Wir gehn an unsers Meisters Hand, und unser Herr geht mit.“
Amen.