Achtet auf das „prophetische Wort“!

Predigt über 2. Petrus 1, 16- 19: Die Verklärung Jesu und das prophetische Wort

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 31.1.2021. 9.30 Uhr, Lutherkirche

Liebe Gemeinde.

In den Nachrichten hören wir oft von Überschwemmungen ganzer Landesteile, Städte oder Dörfer. Ein Fluss ist über die Ufer getreten, weil es zu viel geregnet hat; ein Damm ist gebrochen, oder es gab eine Sturmflut. Meistens fordert so ein Ereignis nicht nur Häuser, Gebäude, Autos, Bäume usw., sondern auch Menschen- und Tierleben. Auf jeden Fall ist eine Wasserflut gefährlich: Sie reißt mit sich, was ihr in den Weg kommt, richtet Chaos an, zerstört und tötet. 

Wir gebrauchen das Wort „Flut“ auch in anderen Zusammenhängen, und da hat es ebenfalls eine bedrohliche Bedeutung: Es kann eine Flut von Bildern geben, eine Flut von Meinungen und Gedanken, eine Flut von Nachrichten und Informationen. Und auch davor müssen wir uns schützen, sonst verlieren wir die Orientierung, werden zerrissen und unruhig, fremdbestimmt und sorgenvoll. Wir können psychisch und mental untergehen.

Das ist besonders in diesen Zeiten eine Gefahr. Wenn wir es drauf ankommen lassen, werden wir mit Meldungen – besonders zur Corona-Krise – „überflutet“: Zahlen und Statistiken, Warnungen und Verordnungen überschwemmen uns geradezu und machen uns nervös. Natürlich sollten wir die geltenden Regeln kennen, aber wir müssen uns gleichzeitig davor hüten, in all diesen Nachrichten „unterzugehen“.

Dafür brauchen wir einen festen Standpunkt, einen sicheren Grund, auf dem wir stehen und standhalten können. Und genau davon handelt unser Predigttext von heute. Es ist ein Abschnitt aus dem zweiten Petrusbrief. Da heißt es im ersten Kapitel:

2. Petrus 1, 16- 19

16 Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
17 Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
18 Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
19 Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.

Der Verfasser gibt sich als Petrus aus und meint damit den Jünger Jesu und späteren Apostel. Wir wissen inzwischen, dass er es nicht gewesen sein kann, aber es ist gar keine schlechte Idee, in seinem Namen zu schreiben. Der Brief soll so etwas wie ein Testament des Petrus sein und damit eine zuverlässige Quelle für die christliche Hoffnung. Denn Petrus war nicht nur Augenzeuge des Lebens Jesu, er gehörte auch zu den drei auserwählten Jüngern, die bei seiner Verklärung dabei waren auf dem „heiligen Berge“. Wir haben die Geschichte, die in drei Evangelien erzählt wird, eben gehört. Sie handelt davon, wie die göttliche Natur Jesu einmal kurz auf Erden sichtbar wurde. Petrus hat die „Herrlichkeit des Herrn Jesus Christus selber gesehen“. Und er hat die Stimme Gottes gehört, die dabei vom Himmel kam und sagte: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Seine Predigt bestand also nicht in „ausgeklügelten Fabeln“. So übersetzt Luther das Wort, das hier steht. Es ist das griechische Wort „Mythos“, und das bedeutet u.a. Märchen, Erzählung oder Geschichte. Was der Verfasser damit konkret andeuten will, ist nicht ganz klar. Er beschreibt diese „Mythen“ zusätzlich als „ausgeklügelt“, d.h. sie sind ausgedacht und schlau, und es kann sein, dass er bestimmte Irrlehren meint. Es gab damals ja viele religiöse und philosophische Strömungen, mit denen sich die Christen auseinandersetzen mussten. Doch nur eine Geschichte war wirklich vertrauenswürdig und verlässlich, und die will der Verfasser gewährleisten.

Dabei ist es interessant, dass das Wort „Mythos“ allgemein einfach „Rede“ oder „Wort“ bedeutet, „Mitteilung“, „Bericht“ oder die „Äußerung eines Gedankens“. Es muss also gar nicht um ganze Geschichten gehen, von denen sich das Evangelium unterscheidet, es ist auch mehr als eine beliebige Meldung oder Meinung. Es hat einen anderen Charakter und kann deshalb ganz anders wirken. Und worin der besteht, sagt der Schreiber in dem letzten Vers, den wir heute bedenken: Da nennt er das Evangelium das „prophetische Wort“, und wir „tun gut daran, darauf zu achten als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in unseren Herzen.“

Das ist ein schönes Bild, mit dem der Schreiber noch einmal an die Verklärungsgeschichte anknüpft: Da erschien Jesus den Jüngern in einem hellen Licht. Es war wie das Anbrechen eines neuen Tages, und diesen Zustand kann das Wort des Evangeliums im Herzen der Gläubigen bewirken. Sie erkennen in Jesus Christus die Herrlichkeit Gottes und werden dabei verwandelt. Mit dem „finsteren Ort“ ist die gegenwärtige Welt gemeint, zu der wir noch gehören. In ihr herrschen der Tod und die Angst, Leid und Not. Aber das muss uns nicht verschlingen oder mitreißen, denn es gibt ein helles Licht, das in jedem und jeder aufleuchten kann.

Und das ist eine gute Botschaft: Wir müssen nicht in der Flut der traurigen und schlechten Nachrichten untergehen, sondern können uns auf ein Wort verlassen, das uns in eine „Lichtflut“ stellt. Auch in diesem Zusammenhang gebrauchen wir ja gerne das Wort „Flut“, wie etwa bei dem Begriff „Flutscheinwerfer“. Sie machen die Nacht taghell und sorgen dafür, dass wir die Dinge erkennen, die vor sich gehen, wie z.B. bei einem Fußballspiel, einem Konzert oder einem Polizeieinsatz. Diese Eigenschaft hat das Wort Gottes über Jesus Christus. Es ist wie ein Flutlicht, und es ist ratsam, dass wir es in unser Herz scheinen lassen. Dann wird alles in uns hell und klar.

Aber wie geht das nun? Und können wir die Stimme Gottes überhaupt so hören, wie es in der Bibel erzählt wird? Er spricht doch gar nicht direkt zu uns. Was die Menschen von damals bezeugen, erleben wir nicht. Das ist unser Einwand. Lasst uns deshalb fragen, wie und wann das Wort Gottes überhaupt hörbar wird und in dieser Weise scheinen kann.

Und dabei hilft uns, dass der Verfasser unseres Textes die Qualität des Evangeliums der Qualität anderer Nachrichten gegenüberstellt und sie deutlich voneinander abhebt. Dadurch lädt er uns nämlich indirekt dazu ein, uns der Flut all der minderwertigen Botschaften zu entziehen und verstärkt auf das eine, „prophetische Wort“ zu achten, das allein lebendig und erhellend ist.

So ein ähnliches Vorgehen hat vor ein paar Wochen auch eine Psychotherapeutin empfohlen, die in der Zeitung zitiert wurde. Sie gebrauchte dafür den Begriff „Informationshygiene“. Der ist gerade jetzt sehr aussagekräftig, weil wir ständig an Hygienevorschriften erinnert werden und uns daran halten müssen. Sie beziehen sich auf unser körperliches Wohlergehen: Wir sollen uns nicht mit dem Virus infizieren. Aber es gibt eben auch noch ganz andere Infektionsgefahren: Die Seele kann sich von Angst und Sorge anstecken lassen. Unser Geist kann von all den negativen Meinungen und Gedanken verseucht werden, und das macht uns dann genauso krank wie das Virus es vermag. Wir müssen uns auch davor schützen und wohl dosieren, wie viele Nachrichten wir hören, wie viele schlaue Berichte wir lesen, wie vielen „ausgeklügelten Fabeln“ wir folgen wollen. Auch unser Geist und unsere Seele brauchen Hygiene. Man spricht nicht umsonst von „Seelenhygiene“, wenn es darum geht, in sich hineinzuschauen, auf sich selber zu achten und sich innerlich von negativen Einflüssen zu reinigen.

Doch so ganz einfach ist das nicht, denn die Flut der Meldungen rollt jeden Tag aufs Neue an und will uns mitreißen, wie bei einer Wasserflut und einer Überschwemmung. Dieses Bild ist ganz hilfreich, denn vor ihr rettet man sich am besten, indem man auf eine Anhöhe steigt. Das tun die Menschen ja, die davon betroffen sind: Sie klettern auf ihre Dächer, auf den Deich oder einen Berg.

Und genau das müssen wir im Geist tun. Die Jünger sind mit Jesus auch auf einen Berg gestiegen, um ihn im göttlichen Licht zu sehen. Sie haben eine Pause gemacht und den Alltag unter sich gelassen. Sie waren vorübergehend für niemanden erreichbar, nur für die Gegenwart Jesu und die Stimme Gottes. Und das heißt: Auch wir müssen Pausen einlegen, damit die vielen Stimmen, die auf uns „einströmen“ und uns „überfluten“ wollen, einmal zum Schweigen kommen. Wir hören das „prophetische Wort“ so selten, weil es viel zu laut um uns herum ist, weil wir uns ständig von allem möglichen mitreißen lassen. Wenn wir da aussteigen, und es stiller wird, nehmen wir plötzlich ganz andere Dinge wahr. Wir beruhigen uns, hören die Stimme Gottes, und unser Geist wird klar.

Anselm Grün formuliert das in einer Betrachtung zu unserem Textabschnitt so: „Das Wort Gottes, das mit dem Herzen aufgenommen wird, das leuchtet in unserer Dunkelheit. Es lässt den Tag anbrechen in unserem Inneren. Die Nacht mit ihrer Undurchschaubarkeit, die Nacht mit all dem Bösen, das in ihr geschieht, weicht dem Tag. Der Morgenstern leuchtet in uns auf. Christus selbst leuchtet im göttlichen Wort in unseren Herzen auf.“ (Meditative Zugänge zu Gottesdienst und Predigt, Predigttext-Reihe VI,1, Göttingen 1995, S. 79)

Und der reformierte Pfarrer Adolf Lampe aus dem Rheinland hat das Licht, das von Christus ausgeht, 1718 in einem Lied als „Lebenssonne“ bezeichnet. Ihre „Strahlen“ scheinen auch „im Dunkeln“ und sind mit nichts zu vergleichen. Er bittet Jesus um die „Klarheit“, die alle „Schatten“ aus seinem Herzen vertreiben kann. Denn er möchte „in diesem Licht wandeln“, es soll in ihm „wohnen, herrschen, leuchten und heilen“. Dafür „räumt er ihm Herz und Mut.“ Denn er weiß und bekennt: „Ohne dieses Licht des Lebens lebt ich in der Welt vergebens.“ (EG, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, 1994, Nr. 597)

Amen.

Freut euch des Himmels!

Predigt über Johannes 2, 1- 11: Die Hochzeit zu Kana

2.Sonntag nach Epiphanias, 17.1.2021, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Johannes 2, 1- 11

1 Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da.
2 Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen.
3 Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr.
4 Jesus spricht zu ihr: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.
5 Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.
6 Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße.
7 Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan.
8 Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm.
9 Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam
10 und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.
11 Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Liebe Gemeinde.

Anfang des Jahres bekam ich von meinem Neffen und seiner Freundin einen Brief. Im Umschlag war eine Karte, auf deren Vorderseite steht neben einem Foto von den beiden – sie sind darauf sehr hübsch gekleidet – das Wort „Liebe“ und: „We said yes.“ Der Text auf der Innenseite lautet: „Wir haben uns still und heimlich und ganz für uns das JA Wort gegeben. In diesen turbulenten Zeiten haben wir uns nochmal ganz bewusst gemacht, was für uns wirklich wichtig ist im Leben. Deshalb haben wir diesen Moment ganz für uns und ohne viel Trubel genossen.“

Es war eine Hochzeit ohne Fest, denn das geht zurzeit nicht, aber vielleicht brauchen die beiden es auch nicht. Andere Paare haben ihre Trauung, die sie eigentlich letztes Jahr feiern wollten, verschoben. Wir haben deshalb für den Sommer schon eine ganze Reihe von Anmeldungen. Ob das dann klappt, wissen wir nicht, aber wir hoffen es alle, denn natürlich wollen wir irgendwann auch wieder mit vielen Menschen zusammenkommen, feiern und fröhlich sein.

Jesus hat das offensichtlich auch getan. Davon handelt die Geschichte, die wir eben gehört haben. Sie erzählt, wie er einmal zu Gast bei einer Hochzeit war. Sie fand in Kana statt.

Wo diese Stadt wirklich war, lässt sich nicht mehr herausfinden. Wir haben nur den Hinweis, dass sie in Galiläa lag, dem nördlichen Teil Palästinas, wo Jesus sozusagen zu Hause war. Deshalb war er dort wohl auch zu einer Hochzeit eingeladen. Vielleicht war es sogar ein Familienfest, denn seine Mutter war ebenfalls dabei, und alle seine Jünger, und die stammten genauso wie er aus dieser Gegend. Es waren also viele Gäste anwesend, so wie es damals üblich war. Eine Hochzeit im alten Orient war ein langes und großes Fest. Das ganze Dorf nahm daran teil, alle Freunde und Verwandten kamen und feierten mit. Es dauerte normalerweise sieben Tage.

Es ist hier also kein Wunder, dass der Wein irgendwann alle war. Davon brauchte man ganz schön viel, und offensichtlich hatte der Bräutigam, oder wer dafür verantwortlich war, sich verkalkuliert, und nicht genug vorgesehen. Es war zwar bereits gegen Ende des Festes, die Leute hatten also schon ausgiebig getrunken, aber es war trotzdem peinlich. Das durfte eigentlich nicht passieren.

Die Mutter Jesu fand das auch. Und sie traute ihrem Sohn zu, dass er helfen konnte. Sie hielt ihn bereits für einen Wundertäter. In der Öffentlichkeit hatte er das zwar noch nicht gezeigt, aber Mütter wissen über ihre Kinder ja oft mehr als andere. Und so sagte sie zu ihm: „Der Wein ist alle“, und das war so etwas wie eine Aufforderung, etwas zu tun. Jesus verstand das auch, aber er fand das nicht gut. Er ignorierte es völlig, dass sie seine Mutter war, und redete sie nur barsch mit „Frau“ an. Sie sollte ihn in Ruhe lassen, denn nicht sie bestimmte, wann er seine Macht offenbarte. Jesus hing von den Weisungen seines Vaters im Himmel ab. Der allein gab an, wann seine Stunde gekommen war.

Seine Mutter nahm die Zurückweisung wohl auch nicht persönlich, jedenfalls akzeptierte sie sie und zog sich zurück. Allerdings glaubte sie weiter daran, dass er Abhilfe schaffen würde, denn sie sagte zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut.“. Sie hielt an ihrer Überzeugung fest, dass er Wunder tun konnte.

Und so geschah es dann auch. Es standen da sechs riesige Krüge, die für das Wasser zur Reinigung bestimmt waren, jeder fasste 80 bis 120 Liter. Die Reinigung war nach dem Gesetz des Mose ein Bestandteil des Festes und der Mahlzeit. Dazu gehörten z.B. das Waschen der Hände und natürlich auch die Reinigung der Gefäße, also der Abwasch.

Und bei diesen Krügen, die noch leer waren, gab Jesus den Dienern nun zwei Befehle: Sie sollten sie mit Wasser füllen, und dann den Speisemeister von diesem Wasser kosten lassen. Das taten sie, und als der Mundschenk das Wasser probierte, war es köstlicher Wein. Er wusste nicht, woher er kam, und war natürlich äußerst verwundert. Es war sogar guter Wein, besserer als der Vorige, und er wurde ausgeschenkt. So konnte das Fest weitergehen.

Das ist die Geschichte, die von dem ersten Wunder handelt, das Jesus tat. Es wird selbst gar nicht beschrieben, sondern stillschweigend vorausgesetzt, als das Wasser zu Wein geworden war. Eigentlich haben auch nur die Diener mitbekommen, dass Jesus hinter der plötzlichen Weinfülle steckte. Trotzdem „offenbarte er damit seine Herrlichkeit“, wie es abschließend heißt. Bestimmt haben also seine Jünger erfahren, dass er dieses Wunder getan hatte.

Für sie war es auch bestimmt: Es sollte ihren Glauben stärken, dass Jesus der Sohn Gottes war, der Messias, auf den sie gewartet hatten. Der Wein war eine Gabe des Gottessohnes. Wir müssen ihn als ein Symbol verstehen. Es ist damit das ewige Leben gemeint, die unerschöpfliche Fülle, Heil und Freude. Jesus bringt sie uns. Er zeigt uns die Gegenwart Gottes und feiert mit uns ein himmlisches Fest.

Es geht also nicht um den Alkohol oder um eine ausgiebige Feier. Es gibt Leute, die hören hier heraus, dass Jesus daran Spaß hatte: Er konnte lustbetont und gesellig sein, freute sich am Leben, aß und trank gern, weil er genauso weltlich war wie wir. Diese Auslegung ist natürlich ganz praktisch, denn damit sagt die Geschichte, dass wir ruhig feiern dürfen, Speisen und Getränke nach Herzenslust genießen. Partys und lustvolle Zusammenkünfte werden von Jesus abgesegnet.

Doch wenn das der Inhalt ist, was nützt sie uns dann in Zeiten wie diesen? Sie wäre bedeutungslos, denn das alles geht gerade nicht. Und das macht uns durchaus zu schaffen. Wir vermissen den Trubel und die Geselligkeit, Feste und Konzerte, und da stimmt es uns umso trauriger, wenn wir hören, dass Jesus das eigentlich gut fand.

Aber so ist die Geschichte auch nicht gemeint. Der Wein ist wie gesagt als ein Symbol zu verstehen. Jesus ist gerade nicht einfach nur ein Mensch wie alle anderen, sondern er bringt etwas, was wir von uns aus nicht machen können: Er bringt den Himmel auf die Erde. Und das ist viel mehr, als dass nur unsere Feste und unser Spaß am Feiern gut geheißen werden. Es geht um Fülle und Freude in einem viel tieferen Sinn, um die Ewigkeit, die größer als alles ist, und der gegenüber sämtliche anderen Dinge klein werden. Es geht um das, was „wirklich wichtig ist im Leben“.

Und das ist auch gut so, denn es gibt immer Zeiten wie diese, wo Feste nicht möglich sind. Es kann uns auch durch ganz andere Krisen abhandenkommen: eine schwere Krankheit, ein Unfall, tiefe Traurigkeit, Enttäuschung und Resignation. In solchen Situationen ist uns nicht nach Feiern zu Mute und wir merken, wie begrenzt und vergänglich die irdische Freude ist. Unser Leben ist ständig gefährdet und es endet auf jeden Fall mit dem Tod. Es ist deshalb gut, wenn wir uns sowohl in guten als in schlechten Zeiten nach einem anderen Heil ausstrecken. Und genau das will Jesus uns schenken.

Natürlich bejaht er das Leben. Er möchte, dass wir uns freuen und Gemeinschaft haben. Aber das ist bei ihm mehr, als wir uns normalerweise vorstellen. Denn in ihm berühren sich Himmel und Erde. Die Betonung liegt in unserer Geschichte auf dem Wunder, auf der Verwandlung, die stattfindet: Aus dem Profanen wird etwas Heiliges, weil Gott auf der Erde erschienen ist. Und das heißt: Im Glauben an Jesus wird unser Leben verändert. Wir werden emporgehoben und bekommen Kontakt zur Ewigkeit.

Wir müssen nur der Aufforderung folgen, die in unserer Geschichte indirekt vorkommt. Das Hochzeitspaar hatte Jesus ja eingeladen, und das müssen wir auch tun, d.h. „Komm zu uns“ sagen und „herein“, wenn er anklopft. Wir müssen uns und unsere Tür für ihn öffnen, damit er unser Gast sein kann. Es gibt ein Tischgebet, mit dem diese Einladung sehr schön und einfach formuliert ist. Es lautet: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast, und segne uns, und was du uns aus Gnaden bescheret hast.“ Es ist die Bitte um Segnung der Speise, aber es beinhaltet noch viel mehr. Wir können dieses Gebet auf unser ganzes Leben übertragen und auch in anderen Situationen sprechen.

Und dazu haben wir gerade jetzt eine wunderbare Möglichkeit. Wir dürfen nicht mit vielen Gästen zusammen sein. Unser Leben ist ruhiger als sonst. Aber darüber müssen wir nicht traurig sein, sondern wir können diese Ruhe dazu nutzen, einen ganz besonderen Gast einzuladen und viel Zeit mit ihm zu verbringen: Jesus Christus, den Sohn Gottes. Er wartet schon darauf, dass wir ihn in unser Herz hineinlassen und mit ihm das Fest des Himmels feiern.

Wir sind damit auch nicht allein. Das haben unzählige Menschen vor uns getan und tun es jetzt ebenso. Und besonders von denen, die kein einfaches Leben hatten oder haben, gibt es dazu wunderschöne Glaubenszeugnisse. Eine davon ist Marie Schmalenbach. Sie lebte von 1835 bis 1924 in Ostwestfalen. Sieben ihrer zehn Geschwister starben sehr früh, und später auch eins ihrer eigenen Kinder. Sie dichtete deshalb: „Hier ist Müh morgens früh und des Abends spät, Angst, davon die Augen sprechen, Not, davon die Herzen brechen, kalter Wind oft weht.“ Aber sie ist daran nicht verzweifelt, sondern Jesus Christus war ihrer „Hoffnung Licht“. Sie glaubte an die Ewigkeit und sah vor ihrem inneren Auge die „immergrünen Auen, die sein Wort verspricht“. Und so bat sie: „Brich herein, süßer Schein selger Ewigkeit. Leucht in unser armes Leben, unsern Füßen Kraft zu geben, unsrer Seele Freud.“

Sie hat Jesus eingeladen, in ihr Leben einzutreten, und diese Bitte hat er erfüllt. Denn das tut er gerne immer wieder bei allen, die sich das wünschen. Auch das Abendmahl ist dafür eine Gelegenheit. Da schenkt Jesus sich selber und feiert mit uns. Es wird nicht nur Wasser in Wein verwandelt, sondern der Wein wird zu seinem Blut und das Brot zu seinem Leib. Näher als beim Abendmahl können wir also gar nicht Gemeinschaft mit ihm haben. Es ist das Fest, das unseren Glauben stärken kann und uns mit einer ewigen Freude erfüllt. Wir werden es deshalb nachher zusammen feiern.

Amen

1. Brich herein, süßer Schein
selger Ewigkeit.
Leucht in unser armes Leben,
unsern Füßen Kraft zu geben,
unsrer Seele Freud
unsrer Seele Freud.

2. Hier ist Müh morgens früh
und des Abends spät,
Angst, davon die Augen sprechen,
Not, davon die Herzen brechen,
kalter Wind oft weht,

kalter Wind oft weht.

3. Jesus Christ, du nur bist
unsrer Hoffnung Licht,
stell uns vor und lass uns schauen
jene immergrünen Auen,
die dein Wort verspricht,
die dein Wort verspricht.

4. Ewigkeit, in die Zeit
leuchte hell hinein,
dass uns werde klein das Kleine,
und das Große groß erscheine,
selge Ewigkeit,
selge Ewigkeit.

Text: Marie Schmalenbach 1882
Melodie: Karl Kuhlo 1887

Haltet zusammen!

Predigt über Römer 12, 1- 8: Ein Leib, viele Glieder

1. Sonntag nach Epiphanias, 10.1.2021, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Ich erinnere mich noch gut an eine Geschichte, die ich einmal in meiner Schulzeit gehört habe, jedenfalls an ihre Pointe, an die „Moral der Geschichte“. Unser Französischlehrer hat sie uns vorgestellt. Wir haben sie auf Französisch gelesen und dann darüber gesprochen. Sie ging ungefähr so:

Ein Vater hatte drei Söhne, und bevor er starb, wollte er ihnen mitgeben, worauf es im Leben ankommt. So versammelte er sie eines Tages um sich und zeigte ihnen ein Bündel von Zweigen. Sie sollten es mit bloßen Armen durchbrechen. Der erste versuchte es und scheiterte. Es war zu dick, um es zu zerstören. Dann probierte es der Zweite, aber auch ihm gelang es nicht, und genauso erging es dem Dritten. Da zeigte der Vater ihnen, was zu tun ist: Er nahm das Bündel auseinander und zerbrach jeden Zweig einzeln. Und dann sagte er: „Seht ihr? Solange die Zweige zusammengebunden waren, konnte man sie nicht zerbrechen, das ging erst, als ich sie getrennt habe. Merkt euch also: Einheit macht stark.“ Ich habe sogar den französischen Satz behalten, obwohl ich sonst von der Sprache nicht mehr viel weiß. Aber er ist ein geflügeltes Wort und lautet: „L’unité fait la force.“

Viele Gruppen haben sich diese Parole zu eigen gemacht, und auch in der Bibel finden wir dazu etliche Beispiele.

So beschreibt Paulus diese Weisheit an zwei Stellen in seinen Briefen mit einem Bild. Eine davon finden wir im Römerbrief, Kapitel 12. Da veranschaulicht er die Einheit von Vielen mit dem Beispiel von den verschiedenen Gliedern an einem Leib. Der Abschnitt – es sind die Verse eins bis acht – ist heute unser Predigttext. Er lautet folgendermaßen:

Römer 12, 1- 8

1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.
2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.
3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,
5 so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied,
6 und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.
7 Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er.
8 Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s gern.“

Paulus eröffnet mit diesen Gedanken im Römerbrief die Ermahnungen an die Gemeinde. Er will das richtige christliche Verhalten beschreiben. Wie in jedem seiner Briefe stehen sie am Ende. In den vorhergehenden Kapiteln hatte Paulus seine Theologie entfaltet und die wichtigsten Glaubensfragen beantwortet. Er hatte dargelegt, wer Christus ist, was er bewirkt hat, was wir glauben und worauf wir hoffen dürfen. Nun sagt er, was das alles ganz konkret für das Leben heißt. Es ist ihm wichtig, dass der richtige Gottesdienst nicht auf besondere Andachtszeiten oder Opfer beschränkt bleibt, sondern in den Alltag und das Verhalten hineinwirkt. So beschreibt er, wie Christus das Leben prägen kann, und was dabei das Entscheidende ist.

Und er sagt als erstes etwas Grundsätzliches, nämlich dass alle zusammengehören und aufeinander angewiesen sind. Keiner und keine soll sich über die anderen erheben und die eigene Denk- und Lebensweise durchsetzen. Es gilt vielmehr, die Gaben, die wir haben, Jesus Christus und der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen und sie dem Dienst am Evangelium unterzuordnen. „Niemand halte mehr von sich, als sich’s gebührt zu halten, sondern er halte maßvoll von sich, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“

So formuliert Paulus das, und dabei ist es aufschlussreich, welche Wörter hier im Urtext stehen: Anstatt sich selber „über“ zu bewerten – auf Griechisch „hyperphronein“ – soll man lieber „mit“-denken – „symphronein“ – , d.h. versuchen, mit den anderen übereinzustimmen. Hochmut und Stolz werden als Gegensatz zum Verstehen und Erkennen benannt. D.h. niemand soll eigenmächtige Denkwege beschreiten, die die Gemeinschaft der Glaubenden und den Zusammenhalt sprengen würden. Geboten ist vielmehr die Übung der Besonnenheit und das Maß halten. Denn die einzelnen Gemeindeglieder sind ein Leib, die Vielen sind daran nur die Glieder, und keins kann ohne das andere existieren. 

Und das ist eine gute Botschaft, die auch wir uns zu Herzen nehmen sollten. Denn wir tendieren oft zum gegenteiligen Verhalten. Das ist besonders jetzt die Gefahr, wo wir eindringlich dazu aufgefordert sind, Abstand zueinander zu halten und die Kontakte zu reduzieren. Das kann leicht zur Vereinzelung führen. Wir ziehen uns in unsere Privatsphäre zurück, isolieren uns von anderen, und unser Miteinander droht auseinander zu fallen. Viele hadern sicher auch mit den verordneten Maßnahmen und zweifeln an ihrer Wirksamkeit. Auflehnung oder Angst verdüstern die Stimmung und führen zu negativen Gefühlen. Und wenn das so ist, werden die Gesellschaft und die Einheit geschwächt. Wir werden anfälliger und sind leichter zu zerbrechen.

Doch das muss nicht eintreten, und es ist auch wichtig, dass wir die negativen Gedanken vertreiben. Das haben unsere Politikerinnen auch erkannt, und sie betonen deshalb, dass alles, was sie verordnen, genau dem Gegenteil dienen soll, dass es letztlich um ein Zusammenhalten geht: Nur durch die gemeinsame Anstrengung kann es uns gelingen, das Virus, das unser Leben bedroht, zu besiegen. Das hören wir immer wieder, fast gebetsmühlenartig. Aber es ist auch wahr, denn wir stehen vor einer ganz besonderen Herausforderung, einer heimtückischen Gefahr. Sie führt uns in den verzwickten Widerspruch, durch das Meiden von Kontakten und den körperlichen Abstand zueinander gemeinsam stark zu werden und zur Einheit zu kommen.

Das ist – zugegeben – eine mentale Kurve, ein ungewohnter Gedankengang, den wir so noch nicht kennen. Und das Verhalten, das daraus folgt, bleibt widersprüchlich. Aber es lohnt sich, wenn wir mitmachen, auch wenn wir uns dabei etwas verbiegen müssen. Es ist nicht ganz einfach, diese Kurve in unserem Denken kriegen. Aber wir sollten es versuchen, denn das verhilft uns dazu, dass wir die Dinge nicht nur negativ sehen und die Maßnahmen nicht ablehnen.

Äußerlich tun wir dabei zwar weniger als sonst, treffen uns nicht so oft, gehen nicht mehr aus, kaufen nur noch das Nötigste usw., aber innerlich tun wir gleichzeitig viel mehr. Das merken wir daran, dass es anstrengend ist, wir brauchen eine Menge an emotionaler Energie. Und daran wird deutlich, dass es um einen gemeinsamen Kraftakt geht, dass wir alle an einer Sache arbeiten. Wir ordnen uns unter, „denken mit“ und versuchen, mit den anderen übereinzustimmen. Wir tun genau das, was Paulus uns vorschlägt. Lasst es uns jedenfalls so sehen, denn dann gelingt es uns besser, wirklich mitzumachen.

Ein weiterer hilfreicher Gedanke ist der, dass die Krise die ganze Menschheit betrifft. Ich kann mich nicht daran erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben: Aus allen Ländern der Welt sieht man die gleichen Bilder, hört identische Nachrichten, erfährt von denselben Problemen. Es ist also eine globale Anstrengung, und wenn sie zum Erfolg führt, kann die Menschheit stolz sein. Dann werden wir etwas gelernt haben, nämlich dass „Einheit stark macht“: Wenn wir uns „zusammenbinden“, kann uns tatsächlich niemand mehr zerbrechen.

Und als Christen hilft uns schließlich noch etwas, diese Herausforderung anzunehmen. Denn dazu, miteinander übereinzustimmen, sind wir als Gemeindeglieder sowieso aufgerufen und befähigt. Paulus erinnert seine Leser und Leserinnen bewusst an „die Barmherzigkeit Gottes“ und verweist uns auf Jesus Christus. Entscheidend ist der Satz: „So sind wir viele ein Leib in Christus.“ Und das heißt, wir werden durch ihn und um seinetwillen befähigt, zusammenzuhalten. Wir müssen nur auf Jesus Christus vertrauen und uns mit seinem Geist beschenken lassen. Er befreit uns von uns selber, er löst die verhärteten Denkmuster und führt uns auf neue Wege. In seiner Gegenwart und durch seine Kraft können wir uns verändern. Denn er kann sowohl unsere Auflehnung, als auch unsere Angst überwinden.

Unser Leben wird in das helle Licht der Liebe Christi getaucht, und das macht uns in wohltuender Weise nüchtern und realistisch. Wir sehen nicht mehr alles nur negativ, sondern von Christus her wird unser Denken und Fühlen ganz von selber positiv: Wir erkennen, dass wir alle aufeinander angewiesen sind und nur im Zusammenspiel eine lebendige Gemeinschaft werden. Wir sind der Leib Christi, an dem jedes Glied wichtig ist. Das müssen wir uns bewusst machen, dann hören das Hadern und Zweifeln auf. Uns wird klar: Jeder und jede trägt zum Ganzen etwas bei. Wir alle werden zu „Strahlen, die aus einem Licht hervorbrechen. Unser Licht heißt Jesus Christus, und wir sind eins durch ihn.“ (EG 268,1)

Amen.

Habt Geduld!

Predigt über Philipper 4, 10- 13: Die Genügsamkeit des Apostels

1.1.2021, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Der Jahresanfang ist bei vielen Menschen ein Zeitpunkt der guten Vorsätze: Wir nehmen uns vor, irgendetwas im Neuen Jahr anders oder sogar besser zu machen. So will der eine vielleicht endlich abnehmen, die andere will fitter werden; wir wollen netter zu unseren Familienangehörigen sein, rücksichtsvoller Auto fahren, bestimmte Fähigkeiten ausbauen, eine neue Sprache lernen usw. Meistens gehört ein bestimmtes Training dazu, um die Ziele zu erreichen, die wir uns stecken. Ein Weg liegt vor uns, auf dem wir das Neue ausprobieren und einüben, lernen und praktizieren.

Wie lange es uns gelingt, ist dabei offen. Natürlich wünschen wir uns Erfolge, aber oft stellt sich bald heraus, dass es doch zu schwer war, und wir geben wieder auf.

Dabei ist es durchaus sinnvoll, sich etwas Gutes vorzunehmen, denn das Leben will gemeistert werden. Es lebt sich nicht von alleine, sondern stellt uns ständig vor neue Herausforderungen. Und es ist ratsam, wenn wir die annehmen und unsere Möglichkeiten ausschöpfen, wenn wir versuchen, stärker und gesünder zu werden, klüger und umsichtiger.

Der Apostel Paulus hat das auch getan, denn für ihn gab es ständig neue Situationen, die ihm viel abverlangten.

Er war ein erfolgreicher Missionar, ohne den sich der Glaube an Jesus Christus nicht so schnell ausgebreitet hätte. Doch natürlich hat er sich auch Feinde gemacht. Die Bekehrten wurden ja ihrem bisherigen Glauben abtrünnig und verachteten fortan ihre alten Götter. In Ephesus gab es aus diesem Grund einmal viel Unruhe, so dass am Ende die Ordnungshüter eingriffen und Paulus festnahmen. Auch an anderen Orten ist ihm das widerfahren: Immer wieder wurde er wegen Volksverhetzung und Gotteslästerung angeklagt und gefangen genommen. Seine Gegner wollten der Ausbreitung des Evangeliums damit einen tödlichen Schlag verpassen. Doch genau das Gegenteil trat ein, denn es machte seine Weggefährten „umso kühner, das Wort zu reden ohne Scheu.“ (Philipper 1,14) Das erfahren wir von Paulus selber durch die Briefe, die er im Gefängnis schrieb. Dazu gehört auch der Brief an die Philipper.  

Als Paulus ihn verfasste, wusste er nicht, wie seine Gefangenschaft ausgehen würde. Er wartete gerade auf das Gerichtsurteil, und das konnte durchaus die Hinrichtung bedeuten. Er hatte also allen Grund zur Sorge und zur Angst, und die Philipper teilten das mit ihm. Sie waren sozusagen seine Lieblingsgemeinde, er fühlte sich eng mit ihnen verbunden, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. So hatten sie z.B. für ihn gesammelt, weil sie wussten, dass die offizielle Verpflegungszuteilung für Inhaftierte sehr zu wünschen übrig ließ. Die Gemeinde hatte deshalb eine Kollekte für Paulus organisiert, und darüber war er „hoch erfreut“, wie er schreibt. Mit dem Dank dafür beginnt ein Abschnitt im Philipperbrief, der heute unser Predigttext ist. Es ist Philipper 4, 10- 13. Dort steht:

10 Ich bin aber hocherfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen; ihr wart zwar immer darauf bedacht, aber die Zeit hat’s nicht zugelassen.
11 Ich sage das nicht, weil ich Mangel leide; denn ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht.
12 Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden;
13 ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.

Paulus beschreibt damit, was er im Laufe seines Lebens gelernt hat, und zwar ist er „autark“ geworden, wie es wörtlich heißt, d.h. unabhängig und innerlich frei. Nichts kann ihn erschüttern oder umwerfen, weder die eigenen Emotionen noch das Schicksal. Er ist in die Kunst der Selbstgenügsamkeit eingeweiht. So können weder Hunger noch Sattheit, weder Armut noch Reichtum, weder Gefängnis noch Freiheit seine Existenz im Kern treffen.

Denn die ist von etwas ganz anderem bestimmt: Jesus Christus hat ihn befähigt, allen Anforderungen gewachsen zu sein. Christus ist stark in ihm, er gibt ihm die Kraft zum Verzichten und Entsagen, genauso wie zum Haben und Genießen. „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ Das ist sein Bekenntnis. „Sein Glaube war der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1.Johannes 5,4) Er war gelassen und getrost in allen Lebenslagen.

Und das hat er natürlich nicht geschrieben, um die Gemeinde darüber einfach nur zu informieren. Er wollte vielmehr ein Vorbild sein und den Philippern Mut machen, sich ebenfalls in Gelassenheit zu üben. Sie sollten in Jesus Christus ihre Stärke sehen und sich in allen Situationen auf ihn verlassen. Das sind seine Botschaft und seine Ermahnung.

Und die tut auch uns gut. Wie wäre es, wenn wir uns das für das neue Jahr vornehmen, die Übung der Geduld und der Leidensfähigkeit, der inneren Ruhe und Selbstgenügsamkeit? Möglichkeiten werden wir dazu genug haben, denn die Krise, in der wir uns befinden, ist noch nicht vorbei, und sie verlangt genau das von uns: Dass wir verzichten und geduldig sind. Wir hören solche Ermahnungen jetzt nicht nur von Seelsorgern, Therapeutinnen oder Philosophen, auch Politikerinnen verkünden diese Tugenden als die beste Strategie. Sie werden uns im Endeffekt sogar von den Regierungen verordnet. Denn etliches dürfen wir z.Zt. nicht, bzw. es geht auch gar nicht: Reisen und in Hotels übernachten, mit vielen Menschen feiern und ihre Nähe spüren; außerdem sind Konzert- und Kinobesuche, Kulturveranstaltungen, gemeinsamer Sport, Einkaufen als Erlebnis usw. eingeschränkt bzw. ganz ausgesetzt. Und das ist eine große Herausforderung. Nicht alle Menschen bewältigen das, sondern sie werden davon seelisch krank oder gewalttätig, depressiv oder aggressiv. Sie fliehen in irreale Welten, verzagen, werden mürbe und dünnhäutig, ganz zu schweigen von der Angst, die um sich greift. Es ist deshalb auch für uns gut, wenn wir innerlich stark werden und uns nicht aufregen oder zerreiben lassen, geduldig und zuversichtlich bleiben.

Doch wie geht das nun? Es ist ja nicht ganz einfach, diese Tugenden zu erlangen, und es ist möglicherweise so wie mit vielen anderen guten Vorsätzen: Wir scheitern am Ende, weil die Ziele zu hoch gesteckt waren. Wir müssen uns also fragen, mit welchen Methoden wir dieses Ziel erreichen können.

Und da gibt Paulus uns einen wichtigen Hinweis. Er hat seine Geduld nämlich nicht durch eigene seelische Anstrengung gewonnen, sondern durch Jesus Christus. Paulus war kein Held, sondern ein Heiliger, und d.h. der Heilige Geist hat in ihm gewirkt. Christus hat ihn frei gemacht und ihn aus allem herausgehoben. Paulus hat sich seine innere Stärke nicht selber antrainiert, sondern sie wurde ihm geschenkt, weil er ganz auf Christus vertraute. Und das heißt, er hat sie nicht zum Ziel erklärt und in die Zukunft verlagert, sondern er hat sich ganz auf den Augenblick geworfen.

Und das ist auch für uns das Geheimnis: Was wir uns wünschen, wenn wir geduldig werden wollen, entsteht nicht erst morgen oder in der nächsten Zeit, es verwirklicht sich in der Gegenwart. Denn jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist Christus da. Es gilt, sich ihm anzuvertrauen, jeden Augenblick aufs Neue. Wir müssen all unsere Nöte nicht in irgendeinem bestimmten Zeitraum selber überwinden. Es geht vielmehr darum, dass wir so, wie wir sind, zu Christus fliehen und ihn walten lassen. Seine Gegenwart wirkt, seine Liebe befreit uns, und er zieht mit seiner Kraft in uns ein. Er kann uns aus der Welt herausheben, weil in ihm eine andere Wirklichkeit da ist. Die Übung, um die es geht, ist also die des Vertrauens und der Hingabe.

Die sollten wir uns allerdings wirklich vornehmen und ganz konkrete Zeiträume oder Gelegenheiten dafür schaffen. Es hilft, wenn wir immer mal wieder still werden und uns im Gebet auf Christus konzentrieren.

Das haben – neben Paulus – noch unzählige weitere Menschen vor uns genauso getan. Ein berühmtes Beispiel für uns evangelische Christen ist Paul Gerhard. Er hatte ein viel schwereres Leben als wir. Der 30-jährige Krieg tobte, vier seiner fünf Kinder sind gestorben, und seine Frau war schwermütig. Trotzdem gehören seine Lieder zu den schönsten, die wir im Gesangbuch haben, oder vielleicht sogar gerade deshalb. Denn was er formulierte, hat er natürlich selber gelebt, das kam aus tiefstem Herzen und war leiderprobt. Paul Gerhard wollte auch andere dazu einladen, es ihm gleich zu tun, und dichtete in seinem Neujahrslied bewusst: „Nun lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.“ Und sicher hat er nicht nur zu Neujahr, sondern an jedem Morgen gebetet: „Gelobt sei deine Treue, die alle Morgen neue; Lob sei den starken Händen, die alles Herzleid wenden.“ (EG 58,1.7)

Und ein anderes berühmtes Beispiel ist Dietrich Bonhoeffer. Er wurde von den Nazis gefangen genommen und eingekerkert. Der Ausgang seiner Haft war unsicher. Eines Tages wusste er aber genau, dass sie ihn hinrichten würden. Er hätte nun verzweifeln können, den Mut, die Hoffnung und den Trost verlieren. Aber das ist nicht geschehen, sondern das Gegenteil ist eingetreten: Er war sich der Gegenwart Christi umso gewisser und hat für seine Lieben noch kurz vor seinem Tod ein Lied gedichtet, das bis heute vielen Menschen Trost gibt. Es endet mit der Strophe: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (EG 65,7)

Lasst auch uns so glauben und die Übung der Geduld und des Vertrauens ganz oben auf die Liste unserer guten Vorsätze stellen.

Amen.