Hier findet ihr Betrachtungen zu Psalm 139, die an einem Schweigewochenende im Gethsemanekloster Riechenberg als Einführungen in die Stille Zeit dienten:
https://gesabartholomae.com/einfuhrungen-in-die-stille-zeit/
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Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, Volkstrauertag, 15.11.2020
Bitte um Frieden und um Schutz des Lebens
9.30 Uhr und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel
Liebe Gemeinde.
„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“ Das schrieb der Lyriker und Liedermacher Wolf Biermann 1968 seinem Freund Peter Huchel, der in der DDR vom Ministerium für Staatssicherheit überwacht und isoliert wurde. Biermann hat daraus ein ganzes Gedicht gemacht, das den Titel „Ermutigung“ trägt. Er hat es noch im gleichen Jahr veröffentlicht und eine Melodie dazu komponiert. Diese Liedvertonung wurde sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik populär und gehört zu den bekanntesten Liedern Wolf Biermanns. Der Dichter warnt darin ein Gegenüber, trotz der herrschenden Zustände nicht zu „verhärten“ und zu „verbittern“. Dafür hätte er ebenfalls viele Gründe gehabt, denn er war mit einem Auftrittsverbot belegt worden. Das war schlimm für einen Künstler, er drohte zu resignieren. Aber das wollte er nicht. Er hat auch sich selber mit diesem Lied ermutigt und seine positive Grundhaltung nicht aufgegeben. Das wird besonders an der letzten Strophe deutlich, in der er mit dem optimistischen Bild eines kommenden Frühlings Trost verheißt. Es ist deshalb kein Wunder, dass das Lied auch Eingang in das Gesangsgut kirchlicher Kreise fand.
Doch wie kann das nun gelingen, dass wir uns nicht „verhärten, verbittern und erschrecken“ lassen, ganz gleich wie „hart“, oder „bitter“ oder „schrecklich“ die Zeiten sind? Eine einfache Ermahnung reicht da doch nicht. Wir brauchen noch konkretere Vorschläge und Strategien. Und die gibt es auch. So enthält unser Predigttext von heute einen guten Entwurf, wie wir zu einem friedlichen und positiven Lebensgefühl kommen können. Er steht im ersten Brief des Paulus an Timotheus und lautet:
1. Timotheus 2, 1- 4
1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland,
4 welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Paulus schrieb das an seinen Freund und Schüler Timotheus, als er selber in Rom in Gefangenschaft war. Ihm war vorgeworfen worden, dass er gegen das Gesetz und die vorherrschenden religiösen Überzeugungen agiert hatte. Er hatte ja sowohl die jüdische Lehre als auch die römischen Götter hinterfragt und das Volk damit in Unruhe versetzt. Er galt als Aufrührer und saß deshalb in Untersuchungshaft. Und die Einkerkerung war sehr streng: Er lag in Fesseln wie ein Verbrecher. Eine erste Gerichtsverhandlung lag hinter ihm. Sie war zwar günstig verlaufen, aber Paulus war skeptisch, dass der Prozess positiv ausgehen würde. Eine Hinrichtung war durchaus realistisch, darüber war Paulus sich im Klaren. Und genauso ist es dann ja auch gekommen.
Timotheus war nun einer seiner engsten Gefährten und hatte in der jungen Kirche in Kleinasien bereits eine verantwortliche Führerstellung als Vertreter des Apostels inne. So hat er nach dem Martyrium des Paulus dessen Werk auch fortgesetzt. Aus den Quellen kann man schließen, dass er wahrscheinlich zum ersten Bischof von Ephesus wurde.
Mit den Briefen an ihn wollte Paulus ihm wohl sein Lebenswerk als Vermächtnis übergeben. Besonders der erste hat den Charakter eines amtlichen Schreibens. Es beginnt mit einigen grundsätzlichen theologischen Klarstellungen und enthält ab dem zweiten Kapitel eine Gemeindeordnung. Und die beginnt mit der Anweisung von „Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung“ im Gottesdienst. Damit beschreibt Paulus das gesamte christliche Gebet, das er als Einheit versteht. Und es soll allen Menschen gelten, ohne Ausnahme, ganz im Sinne der Liebesgesinnung Jesu. So soll es auch für die Kaiser und hohen Beamten erfolgen, also für die heidnische Obrigkeit, die römische Regierung und Verwaltung. Paulus begründet das damit, dass dann das Gemeindeleben gedeihen kann. Er vertraut also darauf, dass Gott die christliche Gemeinde bei der Lenkung der Weltgeschichte berücksichtigen wird, so dass sie Frieden haben und halten kann. Er glaubt daran, dass Gott der Beschützer der gesamten Menschheit ist, und sein Heilsplan alle umfasst. Hinter seiner Missionstätigkeit hatte ja auch die Überzeugung gestanden, dass alle Menschen vom Evangelium erfahren sollten, damit sie gerettet werden. Er wollte sie zur „Anerkennung der Wahrheit“ führen und sie bekehren.
Dafür hat er gelebt und dafür ist er gestorben. Er hat sich also durch nichts „verhärten“ lassen, war unerschrocken, wurde nicht bitter und hat nicht geschwiegen. Möglich wurde ihm das durch seinen Glauben an Gottes Allmacht und die umfassende Wirkung des Gebetes. Das war seine Strategie für ein friedliches und positives Lebensgefühl.
Und das kann auch uns helfen. Einfach sind die Zeiten, in denen wir gerade leben, ja ebenfalls nicht. Sie sind zwar noch lange nicht so schlimm, wie während der DDR-Diktatur, geschweige denn unter der Herrschaft der Römer, aber vielen Menschen geht es gerade nicht gut. Sie können dem, was die Regierung jetzt in der Corona-Krise beschließt und verordnet, nur schwer vertrauen. Den einen ist es zu wenig, den anderen geht es zu weit. Es ist alles sehr ungewohnt, schränkt uns ein, macht uns nervös und dünnhäutig. Die einen haben dabei Angst vor der Ansteckung mit dem Virus, die anderen vor der Macht der Regierenden, und wieder andere haben Angst vor der Angst, die sich gerade überall verbreitet. Es liegt nahe, dass wir die Politiker und Politikerinnen deshalb verurteilen, ihnen alles Mögliche unterstellen und spekulieren, was sie vielleicht antreibt, ohne dass wir davon etwas erfahren. In vielen Köpfen sprießen gerade Verschwörungstheorien.
Vielleicht hilft das denjenigen, die daran glauben und ihre Hypothesen in die Welt setzen. Sie verharmlosen damit die Gefährlichkeit des Virus, schaffen sich eine andere Realität und fühlen sich sicher. Das mag eventuell eine Hilfe sein, eine optimistische Grundhaltung verbirgt sich dahinter aber nicht. Im Gegenteil: Es entsteht ein sehr düsteres Weltbild, negative Gedanken und Gefühle drängen sich in den Vordergrund, die Aggressivität wächst, und es wird Unfriede gesät. Und das kann nicht gut gehen. Niemandem ist damit geholfen, dass wir hart werden. Es führt vielmehr irgendwann zum Zusammenbruch, so wie Wolf Biermann es formuliert hat: „Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich.“
Und genau das haben wir als Christen nicht nötig. Im Gegenteil, unser Glaube ist immer friedlich ausgerichtet, er führt zur Versöhnung und zur Liebe, zur Hoffnung und zur Zuversicht. Und um das zu gewinnen, ist es in der Tat gut, für die „Obrigkeit“, d.h. für die Regierenden zu beten, und zwar mit „Bitte und Danksagung“. Gemäß den Anordnungen von Paulus kommt das ja auch fast in jedem Fürbittgebet und damit in jedem Gottesdienst vor.
Die Frage ist allerdings, ob wir überhaupt daran glauben, dass Gott es erhört und dass es etwas bewirkt. Ganz so überzeugt wie Paulus sind wir davon wahrscheinlich nicht. Wir machen zu oft die Erfahrung, dass Gott nicht so handelt, wie wir uns das wünschen. Sonntag für Sonntag oder sogar jeden Tag beten wir für Frieden und Gerechtigkeit, aber sie scheinen sehr fern zu sein, jedenfalls in vielen Teilen der Welt. Hat Gott sich nicht längst verabschiedet und die Menschen sich selbst überlassen, ganz gleich, wieviel wir beten? Diese Gedanken kennen wir sicher alle. Sie liegen angesichts so vieler Konflikte in der Menschheit ja auch nahe und fallen uns in dieser Krise bestimmt wieder ein.
Doch sie sollten uns nicht davon abhalten, trotzdem Fürbitte für alle Menschen zu halten. Das bewirkt nämlich noch an einer ganz anderen Stelle etwas: Es prägt auf jeden Fall unser Bewusstsein und unsere Seele, und zwar in mehrfacher Weise.
Zunächst einmal ändert sich unsere Einstellung zu den Regierenden, denn wir sehen die Politiker und Politikerinnen als unsere Mitmenschen, die genauso viel göttlichen Beistand brauchen wie alle anderen. Was sie beschließen, kann nur menschlich und damit unzulänglich sein. Sie wissen vieles auch nicht besser als wir. Sie haben möglicherweise etwas mehr Macht, aber die ist in der Regel begrenzt. Wir dürfen das Handeln der Regierenden deshalb nicht überbewerten, sondern können es ruhig relativieren.
Denn die letzte Macht hat Gott, daran sollen wir glauben. Er lenkt nach wie vor unsere Geschicke. Er ist der Herr der Welt, und es gilt, auf ihn zu schauen. Mit dem Gebet tun wir das. Wir richten unser Bewusstsein auf den, der größer ist als alle anderen, der die Welt geschaffen hat und auch erhalten will. Wir setzen unser Vertrauen auf seine Gegenwart und Kraft. Denn er ist bei uns, ganz gleich, wie es um uns steht.
Paulus ist für diesen Glauben ein wunderbares Beispiel. Er hat sich nicht erschüttern lassen, die Machthaber haben ihm seinen Glauben nicht austreiben können. Es ist, als ob er befolgt hat, was Wolf Biermann so formuliert: „Du, lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Das woll‘n sie doch bezwecken, dass wir die Waffen strecken schon vor dem großen Streit.“ Selbst angesichts des Todes hat Paulus genau das nicht getan, „die Waffen gestreckt“: Er hat seinen Glauben nicht aufgegeben, sondern seine Zuversicht behalten. Und er hat wie Jesus für seine Feinde gebetet. Er war von einem tiefen Frieden und von Ruhe erfüllt.
Und so kann es auch uns gehen. Wenn wir auf Gott vertrauen und am Gebet festhalten, werden unser Bewusstsein und unsere Seele erhellt, und wir beruhigen uns. Angst und düstere Gedanken weichen, wir werden frei und klar. Der Heilige Geist kann Einzug halten, und Frieden wird möglich. Die finsteren Mächte können uns nichts anhaben, weil wir geschützt sind.
Und das ist in der Zeit, in der wir gerade leben, das wichtigste. Damit kommen wir am besten durch die Krise. Es ist gut, wenn wir der Stimme Wolf Biermanns folgen, der uns zuruft: „Du, lass dich nicht verbrauchen. Gebrauche deine Zeit. Du kannst nicht untertauchen. Du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit.“
Und natürlich wird die Krise auch irgendwann zu Ende sein. Alle Pandemien waren irgendwann vorbei, genauso wie alle Kriege in der Geschichte wieder aufgehört haben, und alle Tyrannen eines Tages gestürzt wurden oder starben. Es hat manchmal lange gedauert, aber am Ende haben sich die konstruktiven Kräfte durchgesetzt. Es war, wie Wolf Biermann am Schluss seines Liedes sagt: „Das Grün ist aus den Zweigen gebrochen.“ Und wer weiß, vielleicht lag es genau daran, dass es immer Menschen gab, die für die „Obrigkeit“ gebetet haben.
Amen.
„Ermutigung“
Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleichDu, lass dich nicht verbittern
In dieser bitt’ren Zeit
Die Herrschenden erzittern
Sitzt du erst hinter Gittern
Doch nicht vor deinem Leid
Auch nicht vor deinem LeidDu, lass dich nicht erschrecken
In dieser Schreckenszeit
Das woll’n sie doch bezwecken
Dass wir die Waffen strecken
Schon vor dem großen Streit
Schon vor dem großen StreitDu, lass dich nicht verbrauchen
Gebrauche deine Zeit
Du kannst nicht untertauchen
Du brauchst uns und wir brauchen
Grad deine Heiterkeit
Grad deine HeiterkeitWir woll’n es nicht verschweigen
In dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
Wir wolln das allen zeigen
Dann wissen sie Bescheid
Dann wissen sie Bescheid.
Text und Melodie: Wolf Biermann 1968
Reformationsfest, 31.10.2020, 18 Uhr, Lutherkirche
Liebe Gemeinde.
„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ – Das sind die berühmtesten Lutherworte, gesprochen 1521 auf dem Reichstag zu Worms. Kein Luther-Film kommt ohne sie aus, und meistens sagt Luther sie darin selbstbewusst oder sogar triumphierend. Bis heute sind diese Worte populär.
Sie sind die Antwort Luthers auf die Frage, ob er seine Schriften widerrufen wolle. Und Luther wusste genau, dass es dabei um seinen Kopf ging: würde er es nicht tun, drohte ihm als verurteiltem Ketzer der Feuertod. Trotzdem lehnte er den Widerruf ab, denn seine Predigten seien bibelgemäß und seine Kritik am Papsttum sei ebenfalls durch die Heilige Schrift gedeckt. So lautete seine Begründung.
Ein triumphales „Hier stehe ich …“, und ein selbstbewusstes „Ich kann nicht anders“ sind allerdings Legende. In Wirklichkeit hat Luther seine Rede mit einem schlichten „Gott helfe mir. Amen.“ beendet. Wer für die rhetorische Zuspitzung verantwortlich ist, wissen wir nicht, aber es ist ihm auf jeden Fall ein großer Wurf gelungen, denn die nie gesagten Worte wurden für unsere protestantische Tradition prägend. So stellen wir uns Luther gerne vor: aufrecht stehend, mit stolzgeschwellter Brust vor einem krumm hockenden Kaiser. Das hat Vorbildcharakter, so mutig wären wir ebenfalls gerne.
Und das sollten wir uns auch nicht ausreden lassen, im Gegenteil, es entspricht den Ermahnungen im Evangelium. In der Aussendungsrede sagt Jesus zu seinen Jüngern:
Matthäus 10, 26b- 33
26 Fürchtet euch nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.
27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.
28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.
29 Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.
30 Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt.
31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.
32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.
33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
Das ist der Predigttext für heute, und er hat als Grundthema die Ermunterung der Jünger: „Fürchtet euch nicht.“ Sie begegnet uns in den wenigen Sätzen dreimal. Offensichtlich wusste Jesus, dass die Jünger Mut für das brauchten, was er von ihnen erwartete: Er sandte sie als Missionare aus. Der Abschnitt steht am Ende seiner Rede, mit der er sie damit beauftragte, in seinem Namen zu predigen. Sie sollten verkündigen, dass das „Himmelreich nahe herbeigekommen ist.“ (Mt. 10, 7) Und Jesus verschwieg ihnen nicht, dass sie dabei viele Anfeindungen und Verfolgungen erleben würden, Hass und Entzweiung, Verurteilung und Leid. Deshalb stellt er am Ende klar die Gottesfurcht über die Menschenfurcht und versichert ihnen, dass Gott immer bei ihnen sein wird. Er veranschaulicht das mit dem Gleichnis von den Sperlingen. Das waren damals im Orient die billigsten essbaren Vögel, sie waren wirtschaftlich also sehr unbedeutend. Trotzdem sind sie Gottes Geschöpfe, und seine bewundernswerte Aufmerksamkeit gilt ihnen genauso wie allen anderen. Und da man vom Kleineren auf das Größere schließen kann, darf man davon ausgehen, dass Gott diejenigen, die sich zu ihm bekennen, erst recht beachtet.
Den Höhepunkt der Rede Jesu bildet dann der letzte Satz, das Wort vom Bekennen und Verleugnen. Es enthält die Bitte um einem klares „Ja“ zu Christus. Er fordert ein eindeutiges Bekenntnis und krönt seine Bitte mit dem Versprechen, dass das nicht einseitig bleiben wird. Er wird sich selber an diejenigen binden, die sich ganz zu ihm halten. Die Festlegung ist wechselseitig und hat universale Gültigkeit: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Das ist der Schlusssatz.
Und den hatte Luther offensichtlich verinnerlicht. Er war ja in einer ganz ähnlichen Situation, wie Jesus sie den Jüngern hier prophezeit: Er stand vor einem Gericht und musste sich verantworten. Und er war bereit, das Martyrium auf sich zu nehmen, d.h. für seine Überzeugung zu sterben.
Denn sie bestand nicht einfach in irgendeiner Ideologie oder menschlicher Lehre, er hatte vielmehr am eigenen Leibe die Erlösungstat Christi erlebt. Seine Seele war frei geworden, weil er die tiefe Erkenntnis gewonnen hatte, dass der Glaube ihn vor Gott gerecht macht. Wofür er „stand“, war größer, als alle menschliche Gerichtsbarkeit, es wies weit über Tod und Leben hinaus. Denn es war das ewige Heil, dessen er sich gewiss war, und er spürte: Christus wird sich zu ihm bekennen, wenn er sich zu ihm bekennt, d.h. wenn er sich ganz auf ihn verlässt und ihm vertraut.
Luthers Zeugnis ist die Grundlage für unsere Kirche, und es ist gut, dass wir das heute feiern. Wir verehren damit keinen Heiligen, aber wir denken an einen Menschen, der mit seiner Standhaftigkeit, seinen brennenden Fragen nach Gott und seinem mutigen Einstehen für seinen Glauben die Kirche tief geprägt hat. Der Reformationstag ruft uns ebenfalls zum freien und furchtlosen Bekenntnis auf und erinnert an die Traditionen, auf die sich die evangelischen Christen gründen.
Und das ist heute genauso wichtig wie damals. Denn nicht alles ist gut geblieben in der Kirche. Wir müssen uns immer wieder reformieren, wie Luther selber gesagt hat.
Und was das bedeutet, können wir uns gut bewusst machen, wenn wir einmal fragen, was denn die Kirche in der jetzigen Krise einbringen kann. Wir haben es ja nicht ganz leicht. Denn auf der einen Seite ist es geboten, dass wir die Schwachen schützen und auf diejenigen Rücksicht nehmen, die am stärksten gefährdet sind. Als Christen sind wir der Nächstenliebe verpflichtet. Insofern ist es gut, wenn die Kirche all die Maßnahmen der Politik, die dazu dienen, dass wir aufeinander Rücksicht nehmen, gutheißt und beachtet.
Doch das darf nicht dazu führen, dass wir verschweigen, was unseren Glauben genauso ausmacht, und das ist die Gewissheit, dass uns weder Tod noch Leben von Gott trennen kann. Unser Glaube weist weit über dieses Leben hinaus und gibt uns eine Hoffnung und einen Mut, der sich durch nichts erschüttern lässt. Das müssen wir ebenfalls verkünden und leben.
Denn viele Menschen verlieren gerade ihre Zuversicht und ihre Seelenruhe. Sie werden krank, weil sie keine Perspektive mehr sehen, weil sie vereinsamen und an Leib und Seele verarmen. Deshalb ist das Bekenntnis zu einem Gott, der all unsere Not kennt und sie längst für uns überwunden hat, in der jetzigen Zeit genauso wichtig wie die Nächstenliebe. Es sollte klar und auffällig sein. Wir dürfen uns als Christen mit dieser Botschaft nicht verstecken, denn sie ist überlebensnotwendig.
Das schreiben auch unsre Bischöfe. So steht in einem Brief von Gothart Magaard an alle Kirchengemeinden ausdrücklich: „Gottesdienste und Kasualien werden in den kommenden Wochen besonders wichtig sein und können weiterhin gefeiert werden. Wir brauchen Orte und Zeiten, wo Sorgen und Ängste formuliert werden können und Menschen Kraft und Hoffnung schöpfen. Auch im Blick auf Seelsorge sollten wir Menschen im Rahmen der Möglichkeiten so gut es geht begleiten.“ (29.10.2020) Und Bischöfin Fehrs sagte in einer Sendung im NDR: „Hoffnung, Zuversicht, Optimismus, Lebenswillen – das sind die Kräfte, die wir jetzt in dieser Pandemie-Zeit mit all ihren Unwägbarkeiten brauchen. Wenn die Corina-Nachrichten niederdrücken, Existenzangst auslösen oder vielleicht einfach nur nerven, ist hartnäckige Zukunftskraft gefragt.“ Und sogar die Hälfte der gesamten Ärzteschaft hat erkannt, wie wichtig es ist, dass die Menschen die Hoffnung nicht verlieren. „Wir müssen die Menschen mitnehmen, ihnen Mut machen, Angst, Panik und Verbote helfen niemandem. Es ist wichtig, Alternativen aufzuzeigen, denn Hoffnung ist ein besserer Partner als Verzagtheit.“ So steht es in einem Papier, das am Mittwoch vorgestellt wurde.
Und das alles kann uns durch die deutliche Stimme des Evangeliums zukommen. Wir sollten uns als Christen deshalb mutig zu unserem Glauben bekennen. Wir müssen die bewährten Hygiene- und Schutzkonzepte dabei ja nicht missachten. Natürlich ist es wichtig, dass wir weiterhin vorsichtig mit unseren Kontakten umgehen. Aber die Angst sollte uns trotzdem nicht beherrschen.
Im Gegenteil, wir sind aufgefordert, gerade jetzt öffentlich von dem zu reden, was wir glauben, und nicht einfach nur zu schweigen. Das ist in vieler Hinsicht sehr wirkungsvoll und wohltuend. Zunächst einmal bedeutet es ja, dass wir uns nicht von dem beeindrucken lassen, was um uns herum geschieht, sondern von dem, worauf wir vertrauen. Wir konzentrieren uns nicht auf die Nachrichten, nicht auf die Maßnahmen und schon gar nicht auf unsere Sorgen. Wir schieben das alles vielmehr beiseite und machen in unserem Bewusstsein Platz für das Bekenntnis des Glaubens.
Dann füllen andere Gedanken unseren Geist und unsre Seele, als sie uns gerade überall in unsrer Umgebung begegnen. Angst und Verzagtheit weichen der Zuversicht. Hoffnung und Liebe werden lebendig, und unsere Seele weitet sich. Wir fühlen uns frei und atmen auf.
Denn was uns erfüllt und wovon wir überzeugt sind, ist nicht einfach nur eine Idee. Wir haben vielmehr jemanden auf unserer Seite, der stärker ist als alle anderen, den lebendigen Gott, der uns durch Jesus Christus erlöst hat. Wenn wir uns zu ihm bekennen, bekennt er sich zu uns. Er ist dann bei uns, seine Gegenwart wird lebendig und spürbar. Oft denken wir ja, glauben heißt, etwas für Gott zu tun. Doch das ist ein Irrtum. In erster Linie geht es darum, dass Gott etwas für uns tut. Wir müssen einfach nur darauf vertrauen, dass er da ist und dass sein Reich kommt. Dann merken wir, dass er sich an unsere Seite stellt, uns rettet und erlöst.
Und diese Botschaft sind wir der Welt schuldig. Es ist deshalb gut, wenn wir genauso furchtlos wie Luther aufstehen und uns zu „Gott, dem Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ bekennen, und zu „Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn“. Er ist Mensch geworden wie wir, hat gelitten und ist gestorben und wurde begraben. Er stieg bis in das Totenreich hinab. Aber dort ist er nicht geblieben, sondern „am dritten Tage ist er auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel und sitzt nun zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“
Möge der Heilige Geist uns zu diesem Bekenntnis befähigen und uns damit zur „heiligen christlichen Kirche“ machen. Dann haben wir „Gemeinschaft mit allen Heiligen, empfangen die Vergebung unserer Sünden und werden selber auferstehen von den Toten und das ewige Leben ererben.“ (Apostolisches Glaubensbekenntnis)
Amen.