Predigt über Apostelgeschichte 16, 9- 15:
Der Ruf nach Mazedonien
Sexagesimae, 23.2.2014, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel
Liebe Gemeinde.
Das mobile Telefonieren hat unser Leben verändert. Wer will, ist überall und jederzeit erreichbar. Man kann immer mit anderen kommunizieren, ganz gleich, wo man selber oder sie sich gerade aufhalten. Und viele Menschen nutzen das. Im Straßenbild sieht man sie mit dem Handy am Ohr oder dem Blick auf dem Display. Im Bus ist ungefähr jeder Dritte auf diese Weise beschäftigt.
Dabei telefonieren die meisten nicht bloß, sie befinden sich wahrscheinlich im Internet, in einem Netzwerk, in dem sie viele „Freunde“ haben und wo immer etwas geschieht. Sie lesen Kurznachrichten, gucken Filme, posten Fotos usw.
Was um sie herum geschieht, ist nicht so wichtig. Die Menschen, denen sie leibhaftig begegnen, sind nur ein kleiner Teil des Lebens. Die Entscheidung darüber, was sie als nächstes tun, fällt deshalb auch nicht mehr auf Grund von Verabredungen, sondern nach dem, was sich gerade als beste und interessanteste Möglichkeit anbietet, über die sie etwas im Netz erfahren.
Bei jungen Menschen ist dieses Handeln besonders beliebt, denn das ist modern, und sie sind auf jeden Fall dabei, wenn irgendwo etwas Aufregendes stattfindet.
Ganz neuartig ist so ein Verhalten allerdings nicht. Im Gegenteil, bevor es die Telekommunikation gab, haben Menschen ebenfalls oft spontan gehandelt. Sie besuchten einander un-angemeldet, reagierten direkt auf Ereignisse und Notwendigkeiten und waren offen für das, was die Situation erforderte. Sie hörten hin, und zwar nicht nur auf die Stimmen um sie herum. Sie achteten auch auf das, was ihre innere Stimme ihnen sagte und was sie für richtig hielten.
Dafür gibt es besonders in der Bibel viele Beispiele, und zwar ist es dort vor allen Dingen eine Stimme, die die Menschen immer wieder in Bewegung setzte, und das war die Stimme Gottes. Die Menschen rechneten mit ihr. Sie waren offen für Gott und seinen Willen. Wenn sie den vernahmen, dann stellten sie alles andere hinten an. Bei den Propheten und Königen, bei Jesus und auch bei den Aposteln war das so. Paulus hat das z.B. oft erlebt.
Und von so einer Begebenheit handelt heute unser Predigttext. Er steht in der Apostelgeschichte, Kapitel 16 und lautet folgendermaßen:
Apostelgeschichte 16, 9- 15
9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!
10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis
12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Be-zirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.
13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Pur-purhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet wurde.
15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.
Paulus befindet sich hier auf seiner zweiten Missionsreise, die er mit Silas und Timotheus unternahm. Sie besuchten dabei verschiedene Gemeinden in Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei. Paulus hatte sie gegründet. Abgesehen davon waren sie offen für das, was geschah, und natürlich gab es unvorhergesehene Situationen. Sie mussten ihre Reiseroute öfter ändern. Aber das gehörte für sie dazu, denn sie reisten mit dem Vertrauen, dass Gott sie führen würde. Wenn es also irgendwo nicht weiterging, weil ihnen vielleicht der Zutritt in eine Stadt verwehrt wurde, dann sahen sie darin eine Weisung des Geistes Jesu. Und dafür waren sie immer bereit, damit rechneten sie sogar. Das kommt in unserem Abschnitt besonders schön zum Ausdruck:
Da sah Paulus bei Nacht eine Erscheinung, d.h. er hatte einen Traum oder eine Vision, durch die er einen Auftrag empfing. Und zwar sah er einen Mann aus Mazedonien, der da stand und rief: „Komm herüber und hilf uns.“
Dazu muss man wissen, dass Mazedonien bereits zu Europa gehörte, also jenseits des Meeres auf dem nächsten Kontinent lag, auf dem Gebiet des heutigen Griechenland. Paulus hielt sich gerade an der Grenze auf. Er war am westlichsten Zipfel von Kleinasien angelangt, in der Hafenstadt Troas. Ohne diesen Ruf wäre er wahrscheinlich wieder umgekehrt, denn die Grenze hätte er nicht aus eigenem Antrieb überschritten. Aber genau das sollte er nun tun. Im Traum wird er aufgefordert, weiterzureisen, in neue Gefilde vorzudringen, ins Ausland sozusagen, ins Unbekannte und Ungewisse. Er sollte von Asien nach Europa übersetzen.
Und es ist bemerkenswert, dass er das ohne zu zögern gleich am nächsten Tag tat. Sie fuhren mit dem Schiff über das Meer und kamen nach Philippi. Dort blieben sie eine Zeit lang und setzten ihre Missionstätigkeit fort. Denn das war der Inhalt des Rufes gewesen. „Komm herüber und hilf uns“, hieß so viel wie: Predige auch bei uns das Evangelium.
Und damit begannen sie genauso wie immer: Sie suchten zunächst die Stätte der Juden, an der am Sabbat gebetet und gepredigt wurde. Da wollten sie anknüpfen, um ihre Botschaft zu verkündigen. Sie fanden diesen Ort an einer Stelle am Fluss. Dort waren ein paar Frauen zusammengekommen. Paulus und Silas setzten sich dazu und redeten mit ihnen über Jesus Christus.
Im weiteren Verlauf der Geschichte wird eine von diesen Frauen dann namentlich genannt, weil bei ihr die Botschaft von Jesus Christus besonders gut ankam. Es war eine Purpurhändlerin aus Thyatira. Sie hörte zu, was Paulus zu sagen hatte, und dann heißt es, „der Herr tat ihr das Herz auf“. D.h. sie ließ sich auf die Botschaft ein und glaubte daran. Sie wur-de zu Christus bekehrt und ließ sich „mit ihrem Haus“ taufen, d.h. mit ihrer ganzen Familie. Und damit gab es für die wer-dende Gemeinde in Philippi einen Mittelpunkt. Lydia sammelte in ihrem Haus die erste Hausgemeinde auf europäischem Boden. Und das hatte Gott gewollt.
Die Geschichte ist also ein sehr schönes Beispiel dafür, wie Gott damals gewirkt hat, wie er zu den Menschen sprach, sie führte und zusammenbrachte. Paulus und Lydia trafen sich, weil beide offen für die Stimme Gottes waren, weil sie hörten und gehorchten. Sie ließen sich ein und ließen den Geist Gottes wirken. Und es ist schön, was dabei herausgekommen ist: Glaube wurde geweckt, Vertrauen und Zuneigung, und es entstand eine neue christliche Gemeinde.
Wir erfahren hier also etwas über die Stimme und das Wirken Gottes und sind eingeladen, selber ebenfalls darauf zu achten. Denn Gott spricht immer noch zu uns, er ruft uns sozusagen an, wir müssen nur hinhören. Dann kommt es zu sehr schönen und wichtigen Begegnungen. Das Evangelium wird lebendig, das Wort Gottes breitet sich aus, seine Liebe kommt zu den Menschen, sie werden gerettet und froh. Freude und Heil entstehen.
Doch wie geht das nun? Wie spricht Gott heutzutage zu uns? Und was will er von uns? Das müssen wir uns fragen.
Oft denken wir ja, er redet nicht. Er bleibt verborgen, und wir sind auf uns allein gestellt. Es kommt auf uns an, auf unser eigenes Wirken und unsere menschliche Kraft. Deshalb fragen wir oft gar nicht mehr nach ihm. Wir leben so, als gäbe es Gott nicht. Unsere Kommunikation erschöpft sich im zwischenmenschlichen Bereich. Wir achten auf Anrufe im Telefon, mit einem Ruf vom Himmel rechnen wir nicht.
Doch das ist ein Fehler, denn dadurch verpassen wir ganz viel. Gott spricht durchaus zu uns, wir müssen nur darauf achten. Und wie das geht, dazu gibt es in unserer Geschichte viele Hinweise.
Zunächst einmal erfahren wir, dass Paulus offen und empfangsbereit war. Und das heißt, auch wir müssen auf Empfang schalten. So wie ein Handy immer klingeln kann, so kann Gott jederzeit zu uns sprechen. Wir müssen nur hinhören.
Es kann sein, dass unser Leben dann unbequem wird, dass wir etwas anderes tun sollen, als wir uns vorgestellt haben. So war es ja bei Paulus. Und das ist eine Hürde. Sie hält uns normaler Weise davon ab, auf Gott zu hören. Es liegt also nicht an Gott, sondern an uns, wenn wir seine Stimme nicht vernehmen. Denn wir achten lieber auf die Stimmen, die uns Spaß verheißen. Das steckt z.B. hinter der Kommunikation im Netz: Was dort eingeht, bietet uns Abwechslung und Unterhaltung. Deshalb interessiert es uns. Und das ist zwar verständlich und naheliegend, aber die Stimme Gottes verpassen wir dadurch eventuell.
Denn sie ist anders, sie fordert uns heraus, und dafür müssen wir bereit sein. Der erste Schritt zum Hören auf Gott besteht deshalb darin, andere Stimmen in den Hintergrund zu stellen. Unser Leben muss leiser und ruhiger werden, wenn wir Gott hören wollen.
Dann merken wir, dass es noch viel mehr zu bieten hat. Tiefe Begegnungen und wesentliche Erlebnisse spielen sich nicht an der Oberfläche ab. Sie ereignen sich, wenn wir tiefer fragen und noch mehr suchen. Gott lässt sich dann hören und finden, denn er ist längst da. Es gibt ganz viele „Anrufe“, die von ihm kommen. Oft erkennen wir das erst später. Dann fällt uns ein: Das kann Gott gewesen sein. Unsere innere Stimme weist uns darauf hin.
Er redet z.B. durch ein Bibelwort oder durch eine Predigt mit uns. Die handeln ja direkt von ihm.
Oft hören wir Gott aber auch indirekt, durch andere Menschen z.B., die etwas von uns wollen. Vielleicht brauchen sie uns. Oder sie tun uns gut schenken und etwas. Auch das kann von Gott kommen.
Ein weiterer Weg, den er wählt, sind unsere eigenen Gedan-ken. Wir haben plötzlich eine Einsicht, die uns weiterbringt und befreit.
Und auch das, was uns zu schaffen macht, kann eine Bot-schaft von Gott enthalten, eine Krankheit z.B. oder eine Enttäuschung, ein Verlust oder eine Niederlage. Wir müssen unser Leben dadurch in eine neue Richtung lenken, und es kann sein, dass Gott genau das will.
Und das ist der zweite Hinweis aus unserer Geschichte: Wenn Gott zu uns spricht, dann müssen wir uns meistens in Bewegung setzen, innerlich oder auch äußerlich. Etwas wird anders in unserem Leben, wir überschreiten Grenzen und kommen in unbekannte Gebiete. Konkret kann das in vielerlei Weise geschehen: Neue Aufgaben können auf uns zu kommen, die wir wahrnehmen sollen; vielleicht merken wir, dass wir unser Denken und unser Verhalten ändern müssen; oder wir sollen mit Menschen zusammen kommen, die wir noch nicht kennen. Es gibt viele Gebiete, auf denen sich unser Leben eventuell ändert.
Das kann uns natürlich Angst machen. Wir vermeiden so et-was lieber. Aber wir dürfen wissen: Wenn es wirklich Gott ist, der etwas von uns will, dann ist das für uns und andere auf jeden Fall gut. Er will uns nicht zerstören, sondern weiterbrin-gen. Er schenkt uns Leben und Freude, er will uns befreien und Kraft schenken. Er führt uns mit Menschen zusammen, die dankbar dafür sind, die uns bereichern und inspirieren.
Und damit sind wir bei dem dritten Punkt, auf den unsere Geschichte uns hinweist: Der Hauptinhalt seines Wortes an uns besteht darin, dass das Evangelium verbreitet wird. Es geht ihn um Jesus Christus. Gott will gar nichts Kompliziertes von uns, keine Einzelheiten oder schwierigen Entscheidungen. Er will etwas ganz Einfaches, nämlich, dass wir ihn in Jesus Christus erkennen, seine Liebe annehmen und weitersagen. Das Evangelium soll lebendig werden, wir sollen gerettet und froh sein, Freude und Heil empfangen. Gott ist da, und bei ihm ist unser Leben längst geborgen, egal was passiert. Und darum geht es vor allem anderen: Gott möchte, dass wir über-haupt an ihn glauben und ihm vertrauen, uns immer wieder zu ihm „hinkehren“, uns zu ihm bekehren, so wie Lydia in unserer Geschichte.
Dann werden wir freier und anspruchsloser, heiter und un-kompliziert. Es muss gar nicht immer alles unbedingt Spaß machen und interessant sein, denn wir beziehen unser Glück und unsere Lebensfreude aus einer ganz anderen Quelle. Wir leben nicht mehr an der Oberfläche und reagieren nicht auf jede verlockende Stimme, weil wir tiefer verankert sind. Wir sind bei dem zu Hause, der unser Leben von Anfang bis Ende in der Hand hält und führt, bei Gott, der uns immer zeigt, wo unser Weg lang geht und wo er uns haben will.
Amen.