Der Herr ist bei mir

Predigt über Jeremia 20, 7- 11a: Die Last des Prophetenamtes

3. Sonntag der Passionszeit, Okuli, 24.3.2019, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Jeremia 20, 7- 11a

7 HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.

8 Denn sooft ich rede, muss ich schreien; „Frevel und Gewalt!“ muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich.

9 Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.

10 Denn ich höre, wie viele heimlich reden: „Schrecken ist um und um!“ „Verklagt ihn!“ „Wir wollen ihn verklagen!“ Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: „Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.“

11 Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.

Liebe Gemeinde.

In den letzten Tagen kamen die sogenannten „Influencer“ ins Gerede, es ging um den Vorwurf der Schleichwerbung. Diese Bezeichnung stammt von dem englischen „to influence“, was auf Deutsch „beeinflussen“ heißt, denn die entsprechenden Personen sagen in den sozialen Netzwerke im Internet ihre Meinung und werden zu Experten und Vorbildern für andere. Meistens sind es junge Leute, die gut aussehen und bestimmte Produkte empfehlen. Als Influencer werden sie bezeichnet, wenn sie eine große Anzahl an „Followern“ haben, d.h. Leuten, die sich regelmäßig anschauen und lesen, was sie zum Besten geben. Weniger als 100.000 Menschen dürfen das allerdings nicht sein. Wenn man bedeutungsvoll sein möchte, müssen schon mehrere Millionen erreicht werden.

Dass die Influencer dabei für bestimmte Firmen Werbung machen, interessiert die Leser und Leserinnen nicht in erster Linie. Es zählt vielmehr das Gefühl, mit ihnen befreundet zu sein. Und das entsteht dadurch, dass die Influencer viel von sich selber erzählen, jeden tollen Moment ihres Lebens mit der Kamera festhalten und mit den anderen teilen. Sie vermitteln menschliche Nähe und genießen dadurch eine hohe Anerkennung und Wertschätzung.

Es geht ihnen also ganz anders als dem Propheten Jeremia. Der hatte auch eine Botschaft und wollte seine Landsleute davon überzeugen, aber es gelang ihm nicht. Sie folgten ihm nicht nur nicht, sie verachteten und verspotteten ihn sogar. Das erfahren wir in dem Abschnitt aus dem Alten Testament, den wir vorhin gehört haben.

Jeremia äußert da sehr viel Frustration. Er grollt und ärgert sich, lehnt sich auf und hat auch Angst. Denn sein Prophetenamt ist für ihn eine große Enttäuschung. Das Wort Gottes hat sich ganz anders ausgewirkt, als er erwartet hat. Es hat sich gegen ihn gewendet, denn er musste dauernd im Auftrag Gottes öffentlich Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen üben, Unheilsdrohungen aussprechen, unerfreuliche und unbequeme Wahrheiten verkünden, die ihm alle übel nahmen. Er erntete dadurch Schimpf und Schande und darunter litt er.

Jeremia versuchte deshalb, dem Auftrag Gottes auszuweichen, einfach nicht mehr an Gott zu denken, was ihm allerdings nicht gelang. Im Gegenteil, die Sache wurde schlimmer, denn dieser Versuch bereitete ihm noch mehr Qualen. Er beschreibt sie mit den Worten: „Es war in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, das ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.“ Es bereitete ihm also körperliche Schmerzen, eine unerträgliche Spannung, die ihn bis zur Erschöpfung führte. Gottes Macht war in seinem Inneren, und die konnte er nicht ignorieren. Er spürte Gott bis in jede Faser seiner Seele und seines Körpers hinein.

Deshalb ergab er sich schließlich und wehrte sich nicht mehr dagegen. Im Gegenteil, er wendete sich an Gott, trug ihm alles vor, rief zu ihm und vertraute sich ihm an. Es ist ja ein Gebet, das hier vorliegt, eine Klage und ein Dank. Und durch dieses Gebet wurde Jeremia wieder ruhig. Er achtete nicht mehr auf die Folgen seines Auftrags, sondern verpflichtete sich zum Gehorsam und willigte ein. Seine Auflehnung gegen Gott schlug in die Freiheit um, zu allem ja zu sagen, was Gott von ihm wollte. So wurde aus der bitteren Klage Gewissheit und aus Erschöpfung Stärke. Das bezeugt Jeremia mit den Worten: „Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“ Jeremia konnte vor Gott nicht fliehen, er wurde ihn nicht los, obwohl er sich das manchmal gewünscht hat. Seine einzige Rettung lag in der Hingabe an Gott. Erst dadurch fand er inneren Frieden. Das beschreibt er hier. Und es ist nicht die einzige Stelle, wo er uns Einblick in seine Seelenkämpfe gewährt. Es gibt noch mehr solcher Bekenntnisse in seinem Buch. Wir nennen sie seine „Klagen“, und sie erschrecken uns.

Wozu lesen wir das? Zeigt sich daran nicht lediglich, dass Jeremia möglicher Weise irgendetwas falsch gemacht hat? Als Vorbild wählen wir ihn jedenfalls nicht besonders gern. Wir, die wir hier sitzen, interessieren uns zwar weniger für die sogenannten Influencer, aber auch wir lieben wie Millionen andere die schönen Menschen, die uns das Gefühl von Glück und Nähe geben. Es zählt auch in unserer Meinung als Erfolg, wenn jemand viele Nachfolger und Nachfolgerinnen hat und sich dafür strahlend und positiv präsentiert. Von einem Ruf, der „Frevel und Gewalt“ beinhaltet, würden wir uns – genauso wie die Menschen zur Zeit Jeremias – eher abgestoßen fühlen.

Doch so schnell sollten wir uns von Jeremia nicht verabschieden. Es lohnt sich durchaus, über seinen Weg nachzudenken und auf seine Worte zu hören. Und es hilft zum Verständnis, wenn wir ihn einmal genau mit denjenigen vergleichen, die heutzutage viel mehr Erfolg zu haben scheinen. Es gibt da ein paar gravierende und bedeutungsvolle Unterschiede.

Zunächst einmal ist die Motivation jeweils eine ganz andere. Die Influencer inszenieren sich selbst, und dadurch haben sie eigentlich kein richtiges Privatleben mehr. Sie sind nie mehr wirklich allein und stehen permanent unter dem Druck, etwas veröffentlichen zu müssen. Sie machen sich abhängig von ihren Followern, und das geht auf keinen Fall ein Leben lang. Irgendwann wird es zu viel.

Und das ist bei Jeremia ganz anders, denn er handelte nicht aus sich selbst heraus. Er hatte sich dieses Leben, das er führte, nicht ausgesucht. Gott hatte ihn vielmehr berufen und Jeremia gehorchte. Er stellte sich in den Dienst Gottes, war selbstlos und erkannte viel mehr, als sein eigenes Leben. Er sah in die Zukunft und wies über sich selber hinaus.

Was er lebte und verkündete, war deshalb sehr viel ernsthafter und dauerhafter. Die Stars aus dem Internet sind eine Zeiterscheinung, und was sie präsentieren, ist sehr oberflächlich. Es ist eigentlich auch nur für junge Menschen interessant und besitzt keine Allgemeingültigkeit. Jeremia dagegen verkündete etwas, das für alle Menschen wichtig war, Junge und Alte, Fröhliche und Traurige, Schöne und Hässliche, denn er erinnerte an Gott und an seinen Willen.

In unserem Abschnitt erfahren wir nicht genau, worin seine Botschaft im Einzelnen bestand. Das wird aber deutlich, wenn wir mehr in seinem Buch lesen. Außerdem müssen wir uns klar machen, wann er lebte und in welcher Situation er predigte. Zu seinen Lebzeiten stand es nämlich schlecht um das Volk Israel. Der König hatte sich von Gott abgewandt und die Religion zerfiel. Stattdessen regierten Prunksucht und Grausamkeit. Dazu kam die Bedrohung von außen: Die Babylonier waren auf dem Vormarsch, um das Land zu erobern. Und wie alle Propheten erkannte Jeremia einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Menschen und diesen politischen Gefahren. Er sah den Grund dafür in dem Ungehorsam des Volkes.

Deshalb erinnerte er an die Gebote Gottes. Wenn Israel auf die Stimme Gottes hört, wird eine Wende eintreten. Das war seine Botschaft. Deshalb ermahnte er die Menschen dazu, nach dem zu fragen, was dem Leben dient. Dann würden sie Sicherheit und Schutz empfangen. Er verwies also auf die tiefere Wirklichkeit, die allem Leben zu Grunde liegt, auf eine Dimension, die dem Leben seinen wahren Sinn verleiht, ihm Richtung und Ziel gibt. Das ist der zweite Punkt.

Und damit gab er Antworten auf die wirklichen Lebensfragen. Jeremia erkannte die Gefahren im Leben, die Abgründe, die sich auftun können, Verirrungen, die das Miteinander zerstören. Und er verkündete, dass es einen ewigen Halt gibt, eine göttliche Ordnung, die Heil und Frieden gewährt.

Und wenn wir das nun mit dem vergleichen, was wir oft für wichtig halten, dann kommt es dagegen in der Tat nicht an. Es ist vielmehr eine große Täuschung. Wer nur das Schöne liebt, gibt sich Illusionen hin und verkennt die Realität. Denn die ist viel komplizierter. Das ist der dritte Unterschied zwischen Jeremia und den sogenannten Influencern.

Und wenn wir das alles beachten, merken wir, dass es sich doch lohnt, auf die Worte Jeremias zu achten. Er hat ja auch einen Ausweg aus seinem Leiden gefunden, und zwar indem er sich Gott letzten Endes hingab. Jeremia hörte in sich die Stimme Gottes, und das hatte etwas Segensreiches. Genau das können auch wir tun, und es ist sehr heilsam.

Dazu gehört es, dass wir uns einmal von dem abwenden, was uns blendet, und zu der Welt mit ihrem schönen Schein auf Distanz gehen. Wir sollten unsere Wertvorstellungen regelmäßig hinterfragen und kritisch betrachten. Erfolg oder Geld, Macht, Wohlstand und Glück sind nicht das Wesentliche Das. Entscheidende spielt sich nicht da ab, wo der „große Haufen“ sich versammelt. Im Gegenteil, es ereignet sich möglicher Weise gerade im Hässlichen und Verachteten, da, wo Menschen nichts mehr aus sich selber machen, sondern einfach nur vertrauen und lieben, hoffen und glauben. Das sollten wir einsehen und unseren Blick auf die Welt ändern. Dann beurteilen wir vieles neu und entdecken Vorgänge, die unter der Oberfläche geschehen.

Außerdem tut es unserer Seele gut, denn auch wir gehören ja eher zu denen, die unscheinbar sind oder sogar leiden. Die Schönen und Erfolgreichen sind in der Minderheit. Sie beeindrucken uns zwar, aber sie verursachen immer auch ein bisschen Neid und Druck. Wir fühlen uns schlechter als sie und kommen da nicht mit. Doch genau das ist nicht schlimm, wenn wir uns auf Gott einlassen. Im Gegenteil, er sieht uns mit all unseren Schwächen und Nöten, wir müssen nichts vor ihm verbergen.

Denn was ihn interessiert, ist nicht unser äußeres Gehabe, sondern unser Inneres. Da will er wohnen, und da können wir ihn auch am ehesten erleben. Gott ist – wie bei Jeremia – in unserem Inneren wie ein Feuer, d.h. wie eine Flamme, die uns erwärmt. Er ist unser tiefstes Geheimnis, etwas, das in uns lebt und uns Richtung und Ziel weist. Wir müssen nur darauf achten. Und dazu ist es gut, wenn wir immer wieder umkehren und uns nicht in der Welt verlieren. Es geht vielmehr darum, auf „die Gesänge unseres Geistes zu horchen“, wie Friedrich Schlegel es einmal ausgedrückt hat, und uns dem lebendigen Gott hinzugeben, der wie ein „starker Held“ unser Leben von Anfang an leitet. Es reicht, wenn „der Herr bei uns ist“, und wir ihm treu bleiben.

Als Christen haben wir es da leicht, denn durch Jesus Christus ist allen Menschen zugesagt worden, dass Gott uns für immer nahe ist, uns annimmt und erlöst. In Christus sehen wir, wer Gott ist, was er will und kann und tut. Durch den Glauben an Jesus Christus wird die göttliche Flamme in uns entzündet, und es ist gut, wenn das unser Bewusstsein erfüllt.

Denn damit erreichen wir das wahre Ziel unseres Lebens, wir finden den tiefen Sinn, den Gott für uns vorgesehen hat, und gehen nicht mehr verloren. Wir werden erlöst und sind frei von den Zwängen unserer Wünsche und Neigungen, frei von allem Leistungsdruck und aller Einbildung. Wir werden lebendig und erfüllt, stark und gesund.

Und davon profitieren dann auch andere. Besonders die Menschen in unserer nächsten Umgebung werden davon „beeinflusst“. Sie bekommen von der Kraft und Liebe Gottes etwas ab. Denn wir können uns ihnen ungezwungen zuwenden, sie beachten und ihnen helfen. Wir tragen die Liebe Gottes ganz von selber in die Welt hinein, auch ohne Internetauftritt und strahlende Videos. Unser Wirkungskreis beginnt in unsren Familien, bei unsren Kindern und weitet sich von da aus. Wie groß er ist, richtet sich nach der Kraft und Liebe, die wir in uns tragen, aber das ist gar nicht die entscheidende Frage. Viel wichtiger ist, dass wir das Bild Gottes in uns hüten, es mit unserem inneren Auge immer wieder anschauen und genießen.

Amen.

 

 

 

 

Lasst uns frei hinzutreten zum Thron Gottes

Predigt über Hebräer 4, 14- 16: Der Gnadenthron

1. Sonntag der Passionszeit, Invokavit, 10.3.2019, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Hebräer 4, 14- 16

14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.
15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unsrer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
16 Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.

Liebe Gemeinde.

Ein Thron war schon in der Antike das Symbol der Könige und Götter. Es ist ein Stuhl, oder besser gesagt ein Sessel, der meistens aufwendig gestaltet ist. Auf ihm nimmt der Herrscher oder die Herrscherin zu besonderen Anlässen Platz, z.B. bei Krönungszeremonien, bei der Rechtsprechung oder der Verkündigung von Gesetzen und Erlässen. Dem Thron wird deshalb immer eine unmittelbare Verbundenheit mit der königlichen Macht zugesprochen, er ist das symbolische Zentrum des Herrschaftsbereiches. Man kann sich ihm in der Regel nur mit einer besonderen Erlaubnis nähern, und wenn es geschieht, dann sind Ehrfurcht und Gehorsam geboten.

In Deutschland gibt es keinen König oder keine Kaiserin mehr, und damit auch keinen klassischen Thron, aber aus anderen Ländern kennen wir das durchaus. Außerdem ist uns das Bild aus der Geschichte oder der Kunst vor Augen.

In der Bibel gibt es den Thron ebenfalls. Der König Salomo baute z.B. einen, von dem es heißt, dass „dergleichen vorher nie gemacht worden war.“ Er bestand aus Elfenbein, das mit Gold überzogen war, und sechs Stufen führten zu ihm hinauf. So steht es im ersten Buch der Könige. (1. Könige 10,18-20)

Doch das ist nicht der einzige Thron, der in der Bibel erwähnt wird. Im Tempel von Jerusalem lag ganz hinten ein besonderer Raum, das Allerheiligste, das durch dichte Vorhänge vom übrigen Tempel abgetrennt war. Früher befand sich da die Bundeslade mit den Gesetzestafeln, später stellte man sich vor, dass dort der Thron Gottes stand. Der Raum durfte nur vom Hohenpriester betreten werden, wenn er am großen Versöhnungstag die Sühnehandlung für ganz Israel zu vollziehen hatte. Er empfing dort stellvertretend für das Volk die Vergebung Gottes. Natürlich wussten die Menschen, dass ein kleiner Raum wie das Allerheiligste im Tempel Gott nicht fassen kann, aber es war ein Sinnbild. Es versicherte den Menschen: Gott ist bei uns. Nur nähern durfte man sich ihm nicht. Nichts Unheiliges oder Unreines sollte Gott beleidigen. Gottes Herrlichkeit war zu furchtbar, zu groß, zu verzehrend, als dass ein normal Sterblicher sie aushalten würde. Das war der Glaube. Deshalb war das Allerheiligste von den normalen Menschen abgeschirmt, und nur der Hohepriester vertrat die Menschen dort vor Gott.

Das alles wusste der Schreiber des Hebräerbriefes und er war mit der Tempelpraxis offensichtlich vertraut. Denn er benutzt dieses Geschehen in seinem Brief an einigen Stellen als ein Bild. In dem Abschnitt, der heute unsere Epistellesung und auch unser Predigttext ist, stellt er sich vor, wie der Hohepriester durch die Vorhöfe und Hallen des Tempels in das Allerheiligste geht, und er sagt: So schreitet Jesus durch die Himmel und tritt für uns vor den Thron Gottes. Und daran schließt er die unglaubliche, ja fast skandalöse Botschaft an, dass jeder und jede, die sich Christus anschließt, ebenfalls in das Allerheiligste hineingehen darf. Der Verfasser stellt also die außerordentliche Behauptung auf, dass der Zutritt zu Gott durch Jesus Christus und sein Heilswerk für jeden Menschen frei ist. Man kann Gott ohne Angst und Schrecken begegnen.

Und er begründet das damit, dass Jesus Christus der „große Hohenpriester“ ist. So nennt er ihn, weil er ein für alle Mal Versöhnung zwischen Gott und Mensch bewirkt hat. In ihm ist Gott selber Mensch geworden. Dabei wird hier sehr schön beschrieben, was das heißt: „Jesus leidet mit unserer Schwachheit mit und wurde versucht wie wir.“ D.h. er war ein Mensch aus Fleisch und Blut, er fühlte und kannte Angst und Not, wie sie jeder und jede in dieser Welt schmerzlich erfahren muss. Persönliche innere Kämpfe sind ihm nicht erspart geblieben, er musste wie alle Menschen den vielfältigen Versuchungen widerstehen.

Doch genau das ist ihm gelungen wie keinem anderen. Er blieb in all dem „ohne Sünde“ und ist Gott bis zum Tod am Kreuz gehorsam gewesen. Selbst in dieser radikalen Grenzsituation hat er dem Willen Gottes entsprochen. Deshalb hat Gott ihn erhöht und ihn selber auf den „Thron der Gnade“ gesetzt.

An dieses „Bekenntnis“ sollen wir uns „halten“. Wir dürfen uns ihm „mit Freudigkeit nähern“, und werden „Erbarmen empfangen und Gnade finden“, so dass uns „zur passenden Zeit Beistand und Schutz“ zu Teil wird. Das ist hier die Botschaft. Es ist eine Einladung, die lautet: „Komm herein, die Tür steht offen. Du brauchst dich nicht zu fürchten, Gott erwartet dich vielmehr und sieht dich freundlich an.“ Ein wunderbares Angebot ist das, und es tut uns gut, wenn wir es annehmen.

Doch was heißt das nun? Wie geht das, und was gehört dazu? Das müssen wir uns fragen, und dabei hilft es, wenn wir die einzelnen Schritte, die hier aufgezählt werden, einmal entfalten und uns klar machen, was sie für unseren Lebenswandel bedeuten. Fünf Maßnahmen werden hier genannt, die alle sehr viel beinhalten:

Erstens sollen wir „am Bekenntnis festhalten“; dann dürfen wir „hinzutreten“; drittens „erlangen wir Barmherzigkeit“; viertens „finden wir Gnade“; und als letztes „wird uns geholfen“. Damit wird ein innerer Weg beschrieben, auf dem sich so einiges ereignet. Wir müssen uns das nur ausmalen, dann wird klar, was in der Seele und im Geist geschieht, wenn wir von dem Hohenpriester Jesus mit Gott versöhnt werden.

Zuerst ist da das „Bekenntnis“, an dem wir „festhalten“ sollen. Damit ist die anerkannte Behauptung gemeint, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Die Christen sind darin übereingekommen, das zu glauben, und es gilt, diesen Glauben selber zu ergreifen. Unserem Leben als Christen liegt kein Wissen zu Grunde und auch kein Gesetz, sondern das Vertrauen auf die Botschaft des Evangeliums. Wir kennen die Zeugnisse über Jesus Christus aus der Bibel und auch aus der Verkündigung, die bis heute ergeht. Darauf gilt es zu hören, das Evangelium ernst zu nehmen und sich darauf einzulassen. Wir dürfen es für uns in Besitz nehmen und behalten. Das ist der erste Schritt.

Die nächste Handlung ist das „Hinzutreten“, d.h. wir müssen uns in Bewegung setzen, herbeikommen und uns Jesus „nähern“. Man kann es auch mit „besuchen“ übersetzen, oder sich „an ihn wenden“, und zwar mit „Zuversicht“, wie es in der Lutherübersetzung heißt. Das griechische Wort, das dort steht, bedeutet auch „Offenheit“, „Freudigkeit“ und „Freimütigkeit“, und das beinhaltet mehr, als beim ersten Hören deutlich wird. Denn es ist die Einladung zur Ehrlichkeit. Wir dürfen so kommen, wie wir sind, frei und unverstellt. Und das klingt zwar ganz schön, ist aber in Wirklichkeit gar nicht so einfach. Denn dazu gehört, dass wir nicht nur unsere positiven Eigenschaften einbringen, sondern auch alle unsere Schwächen und Fehler zugeben.

Das ist hier sowieso der Hintergrund. Natürlich geht der Schreiber des Hebräerbriefes wie alle neutestamentlichen Verfasser davon aus, dass wir die Erlösung brauchen. Wir sind Menschen, die immer wieder versucht werden und den Versuchungen auch erliegen. Keiner und keine von uns ist ohne Laster. Es gibt in jedem Leben Schuld und Vergehen. Worin das im Einzelnen besteht, ist genauso vielfältig wie wir Menschen sind.

Drei Beispiele haben wir in der Versuchungsgeschichte von Jesus gehört (Matthäus 4, 1- 11). Da ist die erste Hürde die Aufforderung, Steine in Brot zu verwandeln, und damit ist der Materialismus gemeint. Dem erliegen wir alle zu einem bestimmten Grad, denn wir lieben die Dinge dieser Welt und binden uns gerne daran. Als zweites soll Jesus von der Zinne des Tempels springen und sich von den Engeln auffangen lassen. Damit ist ein Glaube angedeutet, der am liebsten Beweise haben will, und das gehört ebenfalls zu unseren Untugenden. Und schließlich bietet der Teufel Jesus uneingeschränkte Macht an, wenn er ihn anbetet. Viele Menschen erliegen dieser Versuchung tatsächlich. Aber das sind wie gesagt nur drei Beispiele für das, was unser Leben gefährdet. Es gibt noch viel mehr. Jede Sucht gehört dazu, Begierde und Abhängigkeit. Manchmal rutschen wir unversehens dahinein und merken erst später, dass wir Irrwege gehen, nämlich dann, wenn wir anfangen zu leiden. Dazu können innere Leere und Sinnlosigkeitsgefühle gehören, fehlende Zuversicht und Freude, Rücksichtslosigkeit oder Ungerechtigkeit und vieles mehr. Die Laster können das Leben auf jeden Fall zerstören.

Dieses alles schauen wir uns nur ungern an, aber genau das ist notwendig, wenn wir zum „Thron der Gnade hinzutreten.“ Es bedeutet, dass wir offen und ehrlich sind und unsere üblichen Wege verlassen, umkehren und uns an Jesus wenden. Das ist der zweite Schritt.

Und daraus folgen die nächsten drei, die alle darin bestehen, dass Gott selber handelt. Wenn wir so zu ihm kommen, dann hat er Mitleid mit uns. Er verurteilt uns nicht und weist uns auch nicht ab. Er wendet sich uns vielmehr zu und verschont uns. Wir werden angenommen und „empfangen Barmherzigkeit“, d.h. auch ohne liebenswert zu sein, werden wir geliebt.

Außerdem finden wir „Gnade“, d.h. Freundlichkeit und Wohlwollen. Wir werden freigesprochen. Ein Thron kann ja auch ein Richterstuhl sein, von dem aus Urteile ergehen, und die können durchaus Strafen beinhalten. Von einem „Gnadenthron“ aus geschieht genau das Gegenteil: Uns wird ein Liebesdienst erwiesen, mit altertümlichen Worten ausgedrückt, wird uns „Huld und Gunst erzeigt.“

Und das bedeutet als letztes und fünftes, dass wir die angemessene Hilfe bekommen. Es ändert sich also etwas in unserem Leben. Wir bekommen Unterstützung und Beistand. Wir sind nicht mehr auf uns allein gestellt. Es gibt eine feste Grundlage, einen Schutz, unter dem wir unser Leben führen. Wir bekommen neue Kraft und das Leben wird schön. Wir werden erlöst und sind frei. Die Versuchungen können uns viel weniger anhaben, denn wir können die Dinge der Welt plötzlich lassen, wir hören auf, zu viel davon zu erwarten. Wir sind in der Lage, zu vertrauen, und auch von der Macht können wir uns verabschieden. Ein neues Leben beginnt.

Das alles steckt in den drei Versen aus dem Hebräerbrief, über die wir heute nachdenken. So ist es, wenn wir der Einladung folgen, die hier an uns ergeht.

Und dafür, wie das ganz konkret geschehen kann, gibt es in unserer Kirche und im Gottesdienst zwei schöne Möglichkeiten, die beide heute da sind. Das erste ist die Fastenzeit, die ja am Mittwoch begonnen hat, d.h. heute ist darin der erste Sonntag. Oft denken wir, diese Zeit dient der Selbstüberwindung und dem Verzicht. Wir müssen es endlich einmal hinbekommen, diese Welt und unser Leben besser zu machen. Doch das ist gar nicht der Schwerpunkt. Viel entscheidender ist, dass es eine Zeit „des Hinzutretens zum Thron der Gnade“ wird, d.h. eine Zeit der besonderen Nähe zu Jesus. Wir sind eingeladen, verstärkt die Gemeinschaft mit ihm zu suchen. Gerade in dieser Zeit geht es um seine menschlichste Seite, um sein Versucht-werden, sein Leiden und Sterben. Es geschah bei ihm „ohne Sünde“, und damit hat er uns das Heil geschenkt. Das bedenken wir in der Passionszeit, und deshalb ist sie eine besondere Heilszeit, eine Zeit der Gnade und Barmherzigkeit, der Hilfe und der Freude. Sie dient der Erneuerung und Veränderung, dem Frieden und der Gerechtigkeit. Wir müssen sie nur auch so nutzen.

Und das andere Angebot, das uns gemacht wird, ist das Abendmahl. Bei diesem Sakrament „treten“ wir buchstäblich „herzu“ und nähern uns Gott. Der Altar erinnert uns an den „Gnadenthron“, zu dem wir gehen, um mit Gott Gemeinschaft zu haben. Wir brauchen dafür keine besondere Erlaubnis und wir müssen uns auch nicht unterwerfen. Uns wird beim Abendmahl vielmehr „Barmherzigkeit und Gnade“ geschenkt.

Amen.