Es kommt „der Herr, unsere Gerechtigkeit“

Predigt über Jeremia 23, 5- 8: Verheißung eines gerechten Königs

1. Sonntag im Advent, 27.12.2016, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

Jeremia 23, 5- 8

5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll bein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.
6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«.
7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«,
8 sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Liebe Gemeinde.
„Die Populisten sind auf dem Vormarsch!“ das hört man zurzeit immer und überall. Medien und Politiker sind sich darin einig, und sie betrachten dieses Phänomen mit Sorge.
Worum handelt es sich? Der Duden erklärt, dass Populismus eine Politik ist, die sich an die gegebene Lage anpasst, sie dann aber dramatisiert, um die Gunst der Massen zu gewinnen. Sie gibt einfache Antworten auf schwierige Fragen, verhält sich volksnah und leider oft demagogisch. D.h. der Populismus verführt die Menschen mit Hilfe von Versprechungen oder politischer Hetze. Das Volk wird aufgewiegelt, und meist geschieht das im Hinblick auf Wahlen, wie wir es gerade in Amerika verfolgen konnten. Dabei können die Populisten natürlich lange nicht alle ihre Verheißungen hinterher auch erfüllen. Wie der neu gewählte Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump das machen will, darauf sind wir alle gespannt. Es wird nicht leicht für ihn sein, seine Lügen aus dem Wahlkampf nun in seriöse Politik umzusetzen.
In diesem Zusammenhang wird neuerdings gerne auch vom „postfaktischen Zeitalter“ geredet: Die Menschen wählen nicht auf Grund von Fakten, sondern von Gefühlen und Emotionen.
So gesehen, ist auch der Prophet Jeremia ein guter Populist, und er würde die nächsten Wahlen möglicherweise gewinnen.
Wir haben gehört, was er seinem Volk versprochen hat: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.“
Das hörten die Juden sicher gerne, denn als Jeremia das sagte, regierte gerade der König Jojakim, und der war alles andere als „gerecht“. „Er tat, was dem Herrn missfiel“, wie es im Buch der Könige über ihn heißt (2. Könige 23,32). Bei Jeremia lesen wir, dass er prunksüchtig war, unschuldiges Blut vergoss, das Volk unterdrückte und Gott verhöhnte. Die Menschen litten unter ihm. (Jer. 22,13-19)
Und es gab noch etwas, das der Bevölkerung Angst machte: Der Feind von Norden, der babylonische König Nebukadnezar war im Anmarsch, um Juda einzunehmen. Es war also eine schlimme Zeit, und die Menschen sehnten sich nach besseren Zuständen, nach Befreiung und Rettung.
Jeremia verspricht sie ihnen. „Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen.“ Das sind seine Worte. D.h. die Hilfe ist nahe, bald wird wieder Ordnung und Sicherheit einkehren.
Jeremia nennt auch einen Namen für den, der das bewerkstelligen wird: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“, so wird der neue König heißen, und dieser Name ist wie ein Programm: Der Retter wird klug und einsichtig regieren, so dass die Menschen in Frieden leben können. Es wird den Bewohnern des Landes gut gehen, denn dieser König ist treu und ohne dunkle Vorgeschichte. Mit einem Wort: Jeremia verspricht dem Volk ein umfassendes Heil. Er gibt eine einfache Antwort auf schwierige Fragen, und das klingt nach Verführung.
Wenn wir dann noch den Kontext beachten, in dem diese Worte stehen, liegt der Verdacht des Populismus erst recht nahe. Denn vorher und hinterher klagt Jeremia in demselben Kapitel die „falschen Hirten“ an. (Jer.23,1-2.9-40) Damit meint er andere Propheten, die gegen ihn agierten. Er hetzt also auch noch gegen seine Widersacher.
Was sollen wir daher von seinen Versprechungen halten? Sind sie nicht hohl und leer, zumal wir beachten müssen, dass zu seiner Zeit nichts davon wahr geworden ist? Nicht lange nach seinem Auftreten wurde Jerusalem zerstört und Juda erobert. Bis heute warten die Juden auf die Erfüllung. Auf Fakten gründen sie sich dabei nicht. Sie folgen einfach ihrer Sehnsucht und ihren Wünschen. Wenn man so will, akzeptieren sie also den Populismus der Bibel. Warum auch nicht? Sie behalten dadurch ihre Zuversicht und ihre Hoffnung.
Die Christen sind mit diesem und ähnlichen Prophetenworten anders umgegangen. Wir glauben, dass Jesus Christus dieser „gerechte König“ ist. Er ist der Messias, den die Propheten des Alten Testamentes angekündigt haben, in ihm erfüllt sich die Schrift. Das wird an vielen Stellen im Neuen Testament so gesagt. Es ist durchzogen mit sogenannten „Schriftbeweisen“. Das sind Zitate aus der Bibel, die zeigen, dass Jesus genau der Heilsbringer ist, auf den die Menschen warteten.
In der Adventszeit steht dieses Thema im Vordergrund. Da bereiten wir uns auf Weihnachten vor, den Tag der Geburt Jesu, das Fest seines Erscheinens. Die vier vorangehenden Wochen sind also eine Zeit der Vorfreude und der Zuversicht. Denn wir gehen von vorne herein davon aus, dass unsere Hoffnungen erfüllt werden, dass Jesus unser Retter ist.
Doch wie kommen wir eigentlich dazu, das zu glauben? Hat sich durch Jesus denn irgendetwas in der Welt verändert? Wie können wir als Christen diese Auffassung vertreten? Und sehen wir das wirklich alle so? Zweifel sind angebracht, denn durchgegriffen hat Jesus bis heute nicht. Wenn wir wollen, können wir die Verheißungen der Propheten nach wie vor für leere Versprechungen halten.
Wir müssen uns also Gedanken machen und fragen, wie denn das Heil zu verstehen ist, das Jesus angeblich gebracht hat. Das können wir gut in drei Schritten tun.
Zunächst einmal müssen wir beachten, dass das Reich Jesu „nicht von dieser Welt ist“ (Johannes 18,36a). Das hat Jesus selber mehrfach so zum Ausdruck gebracht. Er war schon mit denselben Fragen konfrontiert. Als Pilatus ihn verhörte, wollte der z.B. wissen, ob Jesus denn nun „der König der Juden“ sei. (Johannes 18,33) Und darauf gab Jesus ihm diese Antwort. „Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich nicht den Juden überantwortet würde.“ (Johannes 18,36b) Das ist seine Erklärung, und damit betont er, dass er etwas ganz anderes vertritt, als einen irdischen Frieden oder ein weltliches Heil. Gott hat durch ihn nicht die Welt verändert, sondern er ist in die Welt gekommen. Er hat den Menschen nicht neu erschaffen, seine Freiheit hat er ihm gelassen, wie von Beginn an. Die Menschen sind also weiter verantwortlich für ihr Handeln. Ihre Selbstbestimmung hat Gott ihnen nicht genommen. Es liegt immer noch in ihrer Hand, wie sie leben wollen. Durch Jesus gibt es nur einen neuen Weg, eine andere Möglichkeit zu leben. Wir können durch ihn die Kräfte besiegen, die uns gefangen halten. Das Erscheinen Jesu ist ein neues Angebot Gottes. Er hat mit der Sendung seines Sohnes seine Hand ausgestreckt, um uns bei der Überwindung der Welt zu helfen. Er will aber weiterhin, dass wir mit ihm zusammen wirken. Wir sollen frei bleiben und ihm ähnlich, wie schon von Anfang der Schöpfung an. Wir sind nach wie vor seine „Ebenbilder“. (1. Mose 1,27) Das wirkliche Ende dieser Welt, wie wir sie kennen, und eine vollständige Neuschaffung stehen noch aus.
Das müssen wir als erstes beachten. Wenn sich die politischen und sozialen Verhältnisse durch Jesus also nicht geändert haben, heißt das noch lange nicht, dass er keine Macht hat, sondern diese Macht wollte er gar nicht.
Er wollte stattdessen Glauben wecken, das ist der zweite Punkt. Wer das Heil empfangen möchte, das Jesus gebracht hat, muss sich für ihn entscheiden. Ein Angebot wird nur dann wirksam, wenn wir es auch annehmen, und dazu lädt er uns ein. Wir müssen uns also auf ihn einlassen, und das heißt, dass wir unsere alten Wege verlassen.
Das meiste Unheil in dieser Welt kommt ja von uns Menschen selbst. Machstreben, Prunksucht und Gier führen zu der Ungerechtigkeit, unter der so viel Menschen leiden. Kriege und Zerstörung sind von Menschen gemacht und haben ihre Wurzel in der menschlichen Natur. Die ist leider zum großen Teil verdorben, und davon ist niemand ganz frei. Was sich im Großen abspielt, ereignet sich immer auch im Kleinen, in Familien und Betrieben. Auch wir suchen oft unseren Vorteil, sind neidisch oder eifersüchtig, wollen etwas gelten und auf unsere Kosten kommen. Wir sind auf die weltliche Befriedigung unsrer Bedürfnisse aus, und können nur selten davon Abstand nehmen.
Genau das aber wäre nötig, wenn sich etwas ändern soll, und dazu lädt Jesus uns ein. Er hilft uns auch dabei, denn durch ihn haben wir eine ganz neue Perspektive. Er vertritt ein „Reich, das nicht von dieser Welt ist“, so dass wir in seiner Gegenwart von dieser Welt lassen können. Wenn wir uns auf ihn einlassen, haben wir vieles nicht mehr nötig. Was wir meinten, unbedingt zu brauchen, entpuppt sich als oberflächlich und überflüssig. Wir können mit wenig zufrieden sein, denn seine Gegenwart wirkt in der Tiefe unserer Seele. Dort verändert sich auch etwas durch den Glauben an ihn.
Und diesen Vorgang sollten wir nicht unterschätzen. Es ist ein Prozess, bei dem sich ein echter Machtkampf abspielt. „Der Teufel brächt uns gern zu Fall und wollt uns gern verschlingen all; er tracht‘ nach Leib, Seel Gut und Ehr.“ So drückt der Schüler Luthers, Erasmus Alber es in seinem Adventslied aus. (EG 6,4) Er formuliert deshalb die Bitte: „Herr Christ, dem alten Drachen wehr.“ Er geht davon aus, dass Christus stärker ist, als die Seelenkräfte, die an uns zerren und uns zerstören wollen. Er hat Macht, die Sünde zu besiegen, wir müssen ihn nur walten lassen. Er heilt uns von innen her: Wir werden freier und gelassener, fester und sicherer.
Und damit sind wir bei dem dritten Aspekt, den das Heil Jesu beinhaltet: Es verändert unsere Seele und unser Bewusstsein und damit auch unseren Blick auf diese Welt. Wir gehen anders mit ihr und den Menschen um, die uns begegnen. Wir werden leidens- und widerstandsfähiger, kritischer und klarer. Wir bleiben auch angesichts von Schwierigkeiten zuversichtlich. Wir erwarten unser Glück nicht mehr von dieser Welt, weil wir innerlich alles haben, was wir zum Leben brauchen. Und damit sind wir gut gerüstet. Auf irgendwelche Populisten fallen wir bestimmt nicht mehr herein, weil wir gar nicht darauf angewiesen sind, ihren Versprechungen zu glauben. Sie können uns nicht verführen, weil wir geschützt sind. Wir handeln verantwortlich und brauchen keine Lügen. Und das ist ein ganz großer Beitrag zum Frieden in der Welt. In unsern Herzen beginnt das „Reich der Gerechtigkeit Gottes“ Gestalt anzunehmen, und es kann sich von da ausbreiten.
Und dazu ist die Adventszeit da, dass wir der Macht Jesu den Weg bahnen, in uns und um uns. Konkret heißt das, dass wir uns bewusst vornehmen, gerade in dieser Zeit uns innerlich für die Gegenwart Jesu zu öffnen. Das scheint mit all dem, was wir normalerweise in diesen Wochen so veranstalten, nicht ganz zusammen zu passen, mit unseren Adventsfeiern, Weihnachtsmärkten, Einkäufen usw. Verhindern diese Aktivitäten es nicht, dass wir zu uns kommen, in die Tiefe gehen und uns innerlich neu ausrichten? Auf den ersten Blick sieht das so aus, aber ich glaube, wir müssen uns da keine Sorgen machen. Denn kein Becher Glühwein, kein Lebkuchen und keine Lichterkette kann uns das Heil schenken, nach dem wir uns letzten Endes alle sehnen. Das merken wir auch immer und überall, wir müssen es nur zugeben: dadurch verändert sich in der Tat nichts. Wir brauchen viel mehr, um froh und glücklich zu sein, und mit dieser Sehnsucht können wir jederzeit zu Jesus gehen, und aus jeder Situation heraus uns für ihn entscheiden.
Lassen Sie uns das also tun und es nicht versäumen, dem „Herrn, der unsere Gerechtigkeit ist“, die Türen unseres Herzens zu öffnen.
Amen.

Jetzt ist die Zeit der Gnade

Predigt über Römer 14, 7- 9: Keiner lebt sich selber

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 6.11.2016, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

Römer 14, 7- 9

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

Liebe Gemeinde.
„Kehrt um und tut Buße, wenn ihr gerettet werden wollt. Bald geht die Welt unter!“ Solche und ähnliche Sätze hören wir gelegentlich aus dem Mund von selbsternannten Missionaren oder Predigern. Sie stehen an belebten Plätzen und halten leidenschaftliche Reden. Denn sie sind erfüllt von einer Idee oder einer Vision, die sie für absolut wahr halten, und fühlen sich beauftragt, das der Menschheit zu verkünden.
Meistens sind sie davon überzeugt, dass die Endzeit bald heranbricht. Sie wollen die Vorübergehenden wach rütteln und drohen mit schlimmen Strafen, wenn die sich nicht auf die kommenden Ereignisse einstellen. Sie versuchen, Angst und Schrecken zu verbreiten, wollen den Leuten ein schlechtes Gewissen machen und sie einschüchtern. Oft zitieren sie dabei Stellen aus der Bibel und sind angeblich von Jesus Christus ergriffen
Doch meistens hört kaum jemand auf sie. Die Passanten nehmen sie nicht ernst, sondern halten sie eher für leicht verrückt. Wenn sie sich zu ungebührlich verhalten, werden sie sogar von der Polizei abgeführt.
Und mit dem Evangelium haben solche Droh- und Mahnpredigten auch in der Tat nichts zu tun.
Die Menschen, die zur Zeit Jesu und in den ersten Jahrzehnten nach ihm lebten, glaubten zwar ebenfalls an das nahe Ende der Welt, aber sie brachten ihre Botschaft ganz anders zur Sprache. Der Apostel Paulus war einer von ihnen, und in unserem Briefabschnitt für heute kommt sehr schön zum Ausdruck, wie er mit dem Thema umging.
Der Text steht im Römerbrief, und die Sätze sind eingebettet in seine Antwort auf einen Streit zwischen „Starken und Schwachen“ im Glauben (Kap. 14). Die gab es in Rom, und sie verurteilten sich gegenseitig. Paulus ermahnt sie dazu, damit aufzuhören und einander nicht zu richten. Mit den Sätzen, die wir gehört haben, gibt er ihnen dafür einen Grund: Was sie tun, tun sie alles „im Blick auf den Herrn“ (V.6). Ihr ganzes Leben steht unter und in der Gegenwart Christi, dessen Reich bald ganz anbrechen wird. Streitereien um Vorläufiges sind deshalb völlig sinnlos und nichtig. Das ist seine Botschaft, und die weitet er sogar noch auf das Sterben aus. Paulus sagt: „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“ Christen leben und sterben nicht im Blick auf sich selbst, sie sind nicht losgelöst und autonom, sondern gehören Jesus Christus. „Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“, sagt Paulus. Mit einem Zusatz erläutert er seine Aussage noch. Er wiederholt den Grund dafür, dass Jesus Christus unsre Bestimmung ist. In seinem ganzen Brief hatte er die Nachricht entfaltet: Christus ist der Herr über Lebende und Tote, er ist die Mitte der Welt und der Sinn des Lebens. Die alte Welt ist im Vergehen, denn mit Jesus Christus hat bereits eine neue Zeit angefangen, und dadurch relativieren sich alle irdischen Vorgänge. Sein Sterben und Auferstehen haben ihr Ziel und ihren Zweck darin, die Menschen zu Gott zurückzuführen. Paulus sagt das so: „Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“
Damit endet unser Textabschnitt und Paulus bringt damit zur Sprache, was ihn bei dem Gedanken an das Ende der Welt erfüllt: Es ist der Blick auf Jesus Christus, der rettet und befreit. Paulus ging also positiv und konstruktiv mit dem Thema um. Er hält auch keine lange Rede, sondern kommt mit wenigen Worten auf das Wesentliche. Und das ist von großer Bedeutung.
Zunächst einmal lädt er alle, die das lesen, dazu ein, an Jesus Christus zu glauben. Sie sollen ihm vertrauen, seine Macht anerkennen, und sich ihm zu eigen geben. Wenn seine große Heilstat, sein Sterben und Auferstehen wirksam werden soll, müssen Menschen sich darauf einlassen und daran glauben. Auch wir werden dazu aufgefordert. Die Sätze enthalten also durchaus eine Mahnung. Doch die ist nicht angstmachend oder bedrohlich, sondern zutiefst befreiend.
Lassen Sie uns deshalb genau nachfragen: Was geschieht, wenn wir diese Botschaft anerkennen und annehmen? Mir sind dazu drei Punkte eingefallen.
Zunächst einmal stiftet dieser Glaube einen tiefen Lebenssinn, und den brauchen wir alle, um im Leben klar zu kommen. Wer keinen Sinn in seinem Leben findet, wird depressiv. Er leidet unter innerer Leere, wird schwermütig und antriebsschwach und ist irgendwann möglicherweise sogar selbstmordgefährdet. Es gibt deshalb auch eine Therapieform, die nach dem Sinn des Lebens fragt, die sogenannte „Logotherapie“. Der österreichische Neurologe, Psychiater und Holocaust-Überlebende Viktor E. Frankl hat sie in den späten 1920er Jahren gegründet. Das Streben nach Sinn ist für ihn die Kraft, die heilen und motivieren kann, die uns zu unsren Handlungen führt und uns ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Wenn der Sinn verloren geht, geht der Mensch ein.
Leider geschieht das heutzutage oft. Selbst Menschen, die Arbeit, Familie und Geld haben, können von Sinnlosigkeitsgefühlen befallen werden. Ihnen wird bewusst, dass irgendwann alles vergeht. Sie wissen nicht, wozu sie letzten Endes tun, was sie tun. Und so ganz unrealistisch ist das gar nicht. Denn natürlich können diese Fragen aufbrechen. Unserem Leben fehlt oft die Tiefe, wir sind autonom und damit losgelöst von einem übergreifenden Zusammenhang. Der Boden kann uns entrissen werden und alles gerät ins Wanken.
Und genau da setzt das Evangelium an: Es verkündet uns einen Sinn und eine Grundlage, die weit über unser persönliches Dasein hinausgehen. Es gibt noch etwas viel größeres, als unsere eigenen Ideen. Wir müssen uns gar nicht selber den Sinn unsres Lebens ausdenken, er wird uns vielmehr geschenkt, oder noch anders: Er ist bereits vor uns da und weist deshalb auch über das Sterben hinaus. Wenn wir auf Jesus Christus schauen, bleibt der Sinn unseres Lebens selbst angesichts des Todes erhalten. „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.“
Im Konzentrationslager, am tiefsten Punkt seines Lebens, hat Viktor Frankl diese tiefe Erfahrung gemacht, und in ihr liegt die Wurzel seiner Anthropologie. Er bezieht die geistige Dimension in seine Heilmethode ein, die dadurch die tiefsten und letzten Fragen der menschlichen Existenz berührt.
Das ist der erste Punkt, der sich aus dem Glauben an Jesus Christus ergibt.
Und das bedeutet als Zweites tatsächlich Heilung und Befreiung. Wer das glaubt, dass sein Leben Jesus Christus gehört, der kann immer gelassen und ruhig bleiben. Alles, was sonst zu unsrem Leben gehört, relativiert sich, und dadurch schwinden auch Ängste und Sorgen.
Davon werden wir ja oft heimgesucht. Wir fürchten uns davor, etwas Schönes und Vertrautes zu verlieren, unser Glück oder unsre Heimat. Wir haben Angst, dass wir nicht zum Zuge kommen, krank werden oder erfolglos bleiben, und wir fühlen uns unter Druck. Auch um die Liebe bangen wir oft, dass wir allein bleiben und keiner sich um uns kümmert. Das Gefühl der Einsamkeit nagt an unsrer Seele. Und all das hat eine zerstörerische Macht, es bringt uns an einen Abgrund, in den wir hineinstürzen können. Doch genau davor kann Jesus Christus uns bewahren. Im „Blick auf ihn“ verlieren all diese Bedrängnisse ihren Einfluss. Sie verblassen und verziehen sich, „denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden“. Er ist über alle und alles der Herr. In seiner Gegenwart können wir loslassen, was uns ängstet, und müssen selbst den Tod nicht mehr fürchten. Denn er fängt uns auch im Sterben noch auf. Das ist der zweite Punkt.
Und als drittes überwindet der Glaube an ihn alles Trennende. Wir leiden ja oft unter der Andersartigkeit unserer Mitmenschen, auch die unserer nächsten Familienangehörigen und Verwandten. Sie denken anders als wir, ärgern uns und beengen unseren Spielraum. Es kommt oft zu Konflikten und zum Streit, zu Verwerfungen und Trennungen. Für Paulus war genau das der Hintergrund seiner Aussagen und er wollte die Römer wieder zusammenführen. Er ermahnte sie dazu, nicht das Trennende, sondern das Verbindende zu beachten. Es spielte keine Rolle, ob jemand schwach oder stark war, alt oder jung, begabt oder unbegabt. Alle „leben dem Herrn“. Wenn sie das beachten und beherzigen, werden die Unterschiede bedeutungslos. Anstatt richtender oder verurteilender Gedanken, regieren im Geist und in der Seele Sanftmut und Geduld.
Das ist die dritte Folge aus dem, was Paulus uns hier mit seinen Sätzen sagt. Seine Botschaft rettet und heilt und verbindet. Er will uns mit dem Glauben an das Ende der Welt keine Angst machen, sondern uns von unsrer inneren Leere, von unseren Ängsten und Konflikten befreien.
Nicht umsonst ist der Textabschnitt in unserer „lutherischen Agende für die Bestattung“ als biblisches Votum am Ende einer Trauerfeier vorgeschlagen, und ich sage das dort am Sarg eines Menschen auch sehr gerne. Selbst wenn bei einem Abschied die Verstorbenen im Großen und Ganzen positiv dargestellt werden, so überschatten immer auch belastende Erinnerungen eine Trauerfeier. Kein Mensch ist vollkommen, und jeder und jede Verstorbene hat in ihrem Leben Fehler gemacht. Auch die Angehörigen sind oft nicht frei von Versagen und Schuld im Miteinander. Dadurch sind in der Stunde des Abschieds ganz verschiedene Gefühle vorhanden. Es gibt kein eindeutiges Empfinden. Das Gedenken ist vielschichtig und manchmal kompliziert.
Und dann ist es gut, am Ende darauf zu vertrauen, dass „unser keiner sich selber lebt und keiner sich selber stirbt.“ Wir erinnern uns nicht nur an den Verstorbenen und an unsere Geschichte mit ihm, sondern besinnen uns auf den, der uns unsere Sünden vergibt, der uns einen festen Grund gibt und unsere Wunden heilt. Alles relativiert sich in seiner Gegenwart. Das hat etwas Tröstendes und Versöhnendes. Dank und Liebe können die Seele erfüllen, Vergebung und Frieden.
Dazu sind wir heute eingeladen, zu einem Leben, das auch angesichts des Endes geborgen bleibt. Wir müssen uns vor nichts fürchten, und niemand muss öffentliche Drohpredigten halten. Denn das Reich Gottes ist nicht etwas Zukünftiges, sondern es ist bereits da. Es ist gegenwärtig und kann uns jetzt erfüllen. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, wie Jesus in seiner Endzeitrede im Lukasevangelium sagt (Lukas 17,21b). Und auch der Wochenspruch aus dem zweiten Korintherbrief betont das: „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.“ (2.Korinther 6,2b) Es gilt also, jetzt für Christus zu leben. Das ist wichtiger als jede Predigt, denn dann wohnt er in uns und verkündet selber: Ich bin da und ich bin über „Tote und Lebende Herr“.
Amen.