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Das wahre Licht

Betrachtunsgottesdienst Krippe und Stern“ 26.12.2014, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

2. Weihnachtfeiertag, Predigt über 1. Johannes 2, 8b: „Das wahre Licht scheint jetzt“

Weihnachten ist ein Lichtfest, denn wir glauben, dass mit der Geburt des Sohnes Gottes ein neues Licht in diese Welt gekommen ist. Es leuchtet auch in dem Stern von Bethlehem, der über der Krippe steht.
Deshalb ist dieser Stern auf fast allen Weihnachtsbildern zu sehen, so auch auf Zweien, die wir in unser Kirche haben: auf dem Weihnachtsfenster und dem Parament, das an unserem Altar hängt.
Wir haben diese beiden Bilder in Verbindung mit den Lesungen betrachtet und danach gefragt, was das Licht, das Jesus in die Welt gebracht hat, für unser Leben bedeutet.

Betrachtung zum Weihnachtsparament
Christa Lehmann

Jesaja 60, 1- 6

1 Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
2 Denn si
ehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
3 Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
4 Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.
5 Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.
6 Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie w
erden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.

Ochse und Esel sind ganz wesentliche Figuren aller Krippendarstellungen, obwohl sie in der Weihnachtserzählung (Lukas 2) gar nicht vorkommen. Warum aber sind gerade diese IMG_3869Tiere überliefert und warum haben sie eine so zentrale Stellung?
Ganz grundsätzlich repräsentieren Ochse und Esel zwei klassische Stalltiere und verweisen damit direkt auf die Geburtsgeschichte Jesu. Er wurde in einem Viehunterstand, einem Stall geboren, in dem eine Futterkrippe für diese Stalltiere stand. Und Hinweise auf diese Stalltiere finden wir in den sogen. apokryphen Evangelien – also Evangelien, die man nicht in unser Neues Testament aufgenommen hat. So heißt es z.B. im sogen. Pseudo-Matthäusevangelium : „Am dritten Tag nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus trat die seligste Maria aus der Höhle, ging in einen Stall hinein und legte ihren Knaben in eine Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an.“
Außerdem wird der Prophet Jesaja zitiert:
„Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk vernimmt’s nicht“ (Jes. 1,3). Von hier aus, so wird angenommen, hielten Ochs und Esel schon in den ersten christlichen Jahrhunderten Einzug in den Stall zu Bethlehem.
Die heutigen Weihnachtskrippen gehen bereits auf das frühe Christentum zurück, aber die Darstellungen der ersten Jahrhunderte zeigten nur das Jesuskind, das nach dem Lukasevangelium in einer Futterkrippe liegt, mit den zwei Tieren: dem Ochsen und dem Esel: Schon auf einem Sargrelief des 3. Jahrhunderts sind sie neben der Krippe zu sehen. Die Figur der Maria kam erst im Mittelalter dazu, Josef sogar noch später.
Dem entspricht auch die Darstellung auf dem Weihnachtsparament in unserer Kirche: Ochse, Esel und die Krippe, darüber der Stern.
Eine weitere Möglichkeit, diese Darstellung zu deuten:
Der Esel lässt sich verstehen als demütiges, dienendes Tier und damit als Bild für die Demut und Aufopferung Jesu, während der Ochse als typisches Opfertier des Alten Testaments auf das Kreuz verweist.
Man hat auch den Ochsen als das reine“ also koschere Tier als Symbol für das jüdische Volk, der Esel als „unreines“ Tier als Symbol für die heidnischen, also andersgläubigen Völker interpretiert. Das bedeutet für unsere Darstellung:
Über beiden, Ochse und Esel, leuchtet der Stern – d.h. zu beiden, den Juden und den Heiden, kommt das Licht, über beiden erscheint die Herrlichkeit des Herrn, wie wir es in der Lesung aus Jesaja 60 angekündigt finden:
„Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn erscheint über dir…Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz,der über dir aufgeht…“

 

Betrachtung zum Weihnachtsfenster
Christa Lehmann

Matthäus 2, 1-12

1 Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:
2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,
4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte.
5 Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1):
6 »Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«
7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,
8und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.
9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.
10 Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut
11 und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem andern Weg wieder in ihr Land.

Krippe und SternAuch auf dieser Darstellung sehen wir wieder Krippe und Stern – die Weihnachtssymbole, die jedem, auch schon kleinen Kindern, geläufig sind. In ihnen finden wir zusammengefasst die Weihnachtsgeschichte, wie sie uns die Evangelisten Lukas und Matthäus berichten. Lukas erzählt von der Geburt im Stall, Matthäus von den Sterndeutern aus dem Morgenland, denen eine besondere Himmelserscheinung den Weg nach Bethlehem wies.
Wir sehen auf blauem Hintergrund – blau steht im Judentum für Gott, in der bildenden Kunst ist es die Farbe der Maria – die braune, also erdfarbene Krippe und darüber den gelben bzw. goldenen Stern mit fünf Strahlen und einem nach links gerichteten Schweif. Das ganze Bild ist geprägt von einer machtvollen, leuchtenden Bewegung von oben nach unten – vom Himmel zur Erde: Gott wird Mensch!
„Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein‘ neuen Schein…“ heißt es in einem Weihnachtslied (EG 23,4).
Welches astronomische Phänomen die drei Weisen tatsächlich beobachtet haben, ist bis heute nicht ganz klar.
Auf vielen Gemälden ist der Stern von Bethlehem als Komet dargestellt. Ein solcher Schweifstern kann eine imposante Erscheinung am nächtlichen Himmel sein.
Der Astronom Johannes Kepler (1571-1630) hatte eine andere Erklärung. Er beobachtete in den Jahren 1604 und 1605, wie die Planeten Saturn und Jupiter sehr dicht beieinander standen. Er berechnete, dass diese seltene Konstellation auch im Jahr 7 vor unserer Zeitrechnung auftrat. Die beiden Planeten sind schon alleine helle Erscheinungen. Wenn sie fast an der gleichen Stelle stehen, ergibt sich ein neuer heller Stern“. Diesem könnten die drei orientalischen Sterndeuter gefolgt sein. Jesus wäre demnach im Jahr 7 vor Christus geboren. Für diese Theorie spricht seine astrologische Deutung: Alles, was sich im Himmel abspielte, entsprach der Wirklichkeit auf der Erde. Der Planet Saturn wurde mit Israel in Verbindung gebracht, Jupiter galt als Königsstern. Die Begegnung fand im Sternbild der Fische statt, welches für Palästina stand. Für die Astrologen konnte sich daher nur die Schlussfolgerung ergeben, dass in Palästina ein neuer König geboren sei.
Der Stern von Bethlehem fand Eingang in viele Bilder zur Weihnachtsgeschichte. In der Weihnachtsdekoration weisen Strohsterne auf die besondere Bedeutung Jesu Christi für die Welt hin. Auf unserem Fenster steht die Krippe für das Stroh, für die Armut, die Christus auf sich genommen hat. Als kleines Kind auf Stroh gebettet, wurde der Retter der Welt geboren, um später in hellem Glanz zu erstrahlen. Krippe und Stern bringen beides zusammen – die Geburt in Niedrigkeit und die „Herrlichkeit des Herrn“, die über den Völkern aufscheinen wird, wie wir es in der ersten Lesung bei Jesaja gehört haben. Paul Gerhardt dichtet in dem Lied „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“, das wir nachher singen werden:

„Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne. O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht‘, wie schön sind deine Strahlen.“ (EG 37,3)

 

Predigt über 1. Johannes 2, 8b: Die Finsternist vergeht und das wahre Licht scheint jetzt.“ 

Liebe Gemeinde.
In der westlichen Welt wissen wir gar nicht mehr so genau, was es bedeutet, wenn es wirklich dunkel ist, denn überall werden sofort Lichter angemacht, wenn die Nacht hereinbricht. Ich war nach meinem Abitur ein Jahr in einem afrikanischen Dorf in Botswana. Da gab es keine Straßenlampen, Geschäfte oder elektrische Beleuchtung in den Häusern, und ich habe zum ersten Mal erlebt, was es heißt, wenn nachts der Mond nicht schient: Wir sahen so gut wie nichts.
Und so ähnlich war es sicher auch zu biblischen Zeiten. Die Menschen wussten: Wenn es finster war, brauchten sie unbedingt ein Licht, sonst würden sie nichts mehr sehen, keinen Weg und kein Ziel, kein Ding und keinen Menschen. Die Dunkelheit wurde als feindlich und lebensbedrohlich erlebt.
Deshalb ist sie eine Metapher für all das geworden, was dem Leben entgegensteht, für das Böse und Unheimliche, Orientierungslosigkeit, Angst und Schrecken. Finsternis bedeutet Tod, das Licht steht dagegen für das Leben. Es bringt Heil und Hoffnung, Liebe und Freude.
Jesus hat diese Gegenüberstellung auch gewählt, um seinen Auftrag zu beschreiben. Er hat einmal gesagt: „Ich bin das Licht der Welt.“ (Joh.8,12) Und in Bezug auf diese Aussage heißt es im ersten Johannesbrief: „Die Finsternis vergeht und das wahre Licht scheint jetzt.“
Dieses Wort ist ein Teil eines langen Gedankenganges, in dem Licht und Finsternis einander gegenüber gestellt werden. Die Botschaft lautet: Wo Licht ist, ist kein Schatten, geschweige denn irgendwelche Finsternis. Wer im Licht lebt, muss sich nicht fürchten, seine Sünden werden ihm vergeben und er kann lieben. Und all das hat Jesus Christus gebracht. Wer an ihn glaubt, lebt von dem wahren Licht, das sich gegen die Finsternis durchsetzt.
Dabei finde ich es sehr aufschlussreich, dass er als das „wahre Licht“ bezeichnet wird, d.h. er ist das Licht, das seinen Namen in Wahrheit verdient hat, das zuverlässig und echt ist. Offensichtlich kann man das nicht von jedem Licht sagen. Der Schreiber geht wohl davon aus, dass es auch ein „unwahres“ Licht gibt, das falsch und unnatürlich ist. Es vertreibt die Dunkelheit gar nicht richtig, es vergeht wieder und führt in die Irre.
Und darüber lohnt es sich einmal nachzudenken, denn das können wir genauso auf unser Leben übertragen, wie die Aussage Jesu über sich selber. Die künstlichen Lichter, die wir gerne anzünden, können ebenfalls ein Gleichnis sein.
Dann stehen sie für alles, was wir uns selber ausdenken, um die Dunkelheit des Lebens zu vertreiben, sie sind ein Bild für unsre Illusionen. Und die haben wir alle, je jünger wir sind, umso mehr. Denn dann stellen wir uns vor, was wir im Leben erreichen wollen. Dabei spielen Erfolg und Reichtum ein große Rolle, Macht, Schönheit und Klugheit. Wir wollen gerne beliebt und einzigartig sein, und dafür investieren wir viel. Wir versuchen, unsere Ziele zu erreichen, und leben gerne in der Vorstellung, dass wir auch schon einiges verwirklicht haben. Wir reden und denken uns die Wirklichkeit oft schöner, als sie ist. Wunschbilder bestimmen unser Lebensgefühl.
Doch damit können wir auch einer Täuschung erliegen. Wir bilden uns etwas ein und spiegeln uns eine irreale Welt vor. Oft dauert es allerdings lange, bis wir das merken. Es geschieht erst, wenn es plötzlich nicht mehr weiter geht, und das ist leider die Kehrseite dieser Lebensführung: Irgendwann geraten wir an eine Grenze. Wir merken, dass wir ganz stark in unsrer Phantasie leben, und dass die Wirklichkeit ganz anders ist. Denn wir bewerkstelligen lange nicht alles, was wir uns erträumen. Das Erreichen unserer Ziele bleibt unvollkommen, und vieles von dem, was wir geschafft haben, vergeht auch wieder. Außerdem sind wir irgendwann müde, denn es ist anstrengend, das Leben immer aus eigener Kraft zu erhellen.
Die Dunkelheit lauert deshalb immer um die Ecke, und oft fehlt nicht viel, und wir erliegen ihr. Sinnlosigkeitsgefühle, Traurigkeit, Schuld und Angst können uns jederzeit beschleichen. Wir fühlen uns verloren und wissen nicht weiter.
Wir haben uns gerade von Udo Jürgens verabschiedet. Er war unwahrscheinlich erfolgreich, und das über Jahrzehnte. Es war ein gelungenes und rundes Leben, das sich nun vollendet hat. Und doch war auch er nicht frei von Dunkelheit, das hat er selber zugegeben. Nach jedem Auftritt und dem unbeschreiblichen Applaus tausender Fans kam die Einsamkeit. Der Rausch verflog, die Normalität hatte ihn wieder. Und ein schönes Familienleben ist ihm auch nicht möglich gewesen. Das war der Preis für seinen Erfolg, und der war schon recht hoch, das war ihm selber klar und darüber hat er auch offen geredet.
Und daran können wir erkennen, dass selbst das strahlendste Leben nicht vollkommen ist. Die Finsternis der Welt lässt sich mit rein menschlichen Mitteln nie vollends vertreiben.
Deshalb ist es eine gute Botschaft, die uns zu Weihnachten verkündet wird: Es gibt ein „wahres Licht“, das alle Finsternis vertreibt. Kein Mensch hat es angezündet, es kommt vielmehr von Gott. Er hat die Dunkelheit der Welt wirklich verbannt und uns ein Licht geschenkt, das nicht vergeht. Es lohnt sich, dieses Licht zu entdecken, und das ist auch nicht schwer. Zwei Schritte gehören dazu.
Zunächst einmal ist es gut, wenn wir all die anderen Lichter vorübergehend ausschalten. Wir müssen uns das bewusst vornehmen und Zeit dafür freimachen, denn das tun wir normalerweise nicht gerne. Es heißt nämlich, dass wir unsere Unvollkommenheit und Einsamkeit erkennen, und das tut weh. Es geht uns gegen den Strich. Denn dann müssen wir all die schlechten Gefühle, das Scheitern, die Fehlerhaftigkeit und die Vergänglichkeit einmal aushalten und nicht mehr verdrängen. Wir müssen unsere Wünsche und Träume zur Seite legen. Damit das gelingt, können wir uns sagen, dass sie in Wirklichkeit gar nicht so wichtig sind. Wir können vorübergehend getrost darauf verzichten, sie zu pflegen. So viel macht es nicht, wenn sie nicht alle wahr werden. Das gilt es, zu erkennen und zuzugeben.
Dann haben wir eine gute Voraussetzung, das „wahre Licht“ zu sehen. Es erscheint ja gerade in der Finsternis. Wir müssen nur darauf vertrauen, dass es da ist, und das ist der zweite Schritt: Wir wenden uns im Geiste Jesus Christus zu und glauben daran, dass er das „wahre Licht“ ist. Dann leuchtet es plötzlich in unserer Seele auf. Wir fühlen uns frei und erlöst, werden innerlich an die Hand genommen und geführt. Wir entspannen uns zutiefst und finden einen ganz neuen Weg. Er besteht nicht mehr darin, dass wir unsere Ziele verwirklichen wollen. Wir lassen uns vielmehr lieben und sind nur einfach nur da. Alles ist gut, wir können wir selber sein, denn wir haben den gefunden, der uns so annimmt, wie wir sind. Dann wird es plötzlich ganz hell in uns, alle Dunkelheit vergeht und das „wahre Licht“ erscheint.
Und das verändert uns. Wir können auch äußerlich eine neue Richtung einschlagen. Denn nun sehen wir ebenso die Welt und die anderen Menschen in einem anderen Licht: Wir sehen sie, wie sie wirklich sind, in ihrer Bedürftigkeit und Sehnsucht. Und wir können ihnen etwas geben. Die Welt ist plötzlich nicht mehr dazu da, dass meine Träume sich in ihr verwirklichen. Die anderen Menschen müssen nicht mehr dazu beitragen, dass es mir gut geht. Ich schenke ihnen vielmehr die Liebe, die ich im Glauben empfangen habe, und trage das Licht Christi in die Welt. Anstatt etwas haben zu wollen, bringe ich ein, was ich empfangen habe.
Dazu sind wir heute eingeladen. Lassen Sie uns deshalb in das Licht sehen, das Jesus gebracht hat, und uns davon leiten lassen. Der Stern von Bethlehem will auch uns führen. Und wenn das geschieht, wird es nicht nur hell in uns, sondern ebenso in der Welt, und die Weihnachtsbotschaft wird lebendig.
Amen.

Eine Jungfrau wird schwanger

Predigt über Matthäus 1, 18- 25: Jesu Geburt

Heiligabend, 24.12.2014, 23 Uhr, Lutherkirche Kiel

 

Matthäus 1, 18- 25

18 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
19 Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.
20 Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.
21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
22 Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14):
23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
25 Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

Liebe Gemeinde.Maria und Joseph

Sie sehen hinter dem Altar zwei Skulpturen. Das sind unsre Weihnachtsfiguren, Joseph und Maria. Joseph ist in traditioneller Weise gestaltet. Er wird in seiner Fürsorglichkeit für Maria und das Neugeborene gezeigt. In seiner linken Hand hält er ein brennendes Öllämpchen, ein Gegenstand, der Licht und Wärme spendet. Joseph ist der Mutter und dem Kind liebevoll zugewandt und füllt die Vaterrolle aus, ganz so, wie wir uns das vorstellen. Er hat eine vertraute, menschliche Gestalt.
Bei Maria ist das anders. Sie hat, genaugenommen nur ein Haupt. Was auf den ersten Blick ihr Körper zu sein scheint, ist es bei näherem Hinsehen nicht mehr. Die Figur besteht in der oberen Hälfte vielmehr aus einem Dreieck oder Stern, in der unteren Hälfte aus geschwungenen Konturen. Sie deuten ein Gewand an, sind es aber nicht. Sie versinnbildlichen eher eine Kraft, von der Maria auf geheimnisvolle Weise getragen wird. Ihr Gesicht wendet sie dem Kind zu, das in einer Höhlung in dem Stern liegt. Es strampelt wie jedes Kind, erhebt aber gleichzeitig seine rechte Hand wie zum Segen.
Mit dieser Figurengruppe hat der polnische Künstler Ryszard Zajac, den die Luthergemeinde 1994 mit der Schaffung zweier weihnachtlicher Figuren beauftragt hat, das Weihnachtsgeschehen sehr schön dargestellt. Sie erinnern besonders an die Erzählung der Geburt Jesu aus dem Matthäusevangelium, die wir vorhin gehört haben, denn dort kommen Maria und Joseph in genau diesen Rollen vor:
Joseph erfährt als das Familienoberhaupt die Botschaft, dass seine Verlobte ein besonderes Kind bekommen wird. Das sagt ihm ein Engel im Traum. Es wird nicht von ihm sein, er soll es aber beschützen und dafür sorgen, dass Maria nichts geschieht. Eigentlich hätte er sie am liebsten verlassen, denn ein uneheliches Kind bedeutete Schande für die ganze Familie. Aber genau das sollte er nicht tun, und er gehorcht. Er nimmt die menschliche Rolle des Vaters an und gibt dem Kind den Namen, den er ebenfalls im Traum gehört hat: „Jesus“, das heißt, der Retter.
Der Künstler hat das mit unserer Josephsfigur sehr schön umgesetzt.
Maria ist in der Bibel nun diejenige, an der ein Wunder geschieht: Sie bekommt ein Kind, das vom Heiligen Geist gezeugt wurde. Eine Jungfrau wird schwanger, ein göttliches Kind kommt zur Welt. Der Künstler hat auch das in seiner Figur wunderbar zum Ausdruck gebracht: Das Dreieck deutet die göttliche Dreieinigkeit an, von der das Kind ein Teil ist. Maria ist ganz und gar Hingabe, sie schaut auf das Kind, und ihre Seele ist angerührt. Sie nimmt ihren Sohn an, will ihm dienen und wird dabei in sein Geheimnis hineingezogen. Sie steht nicht mehr auf ihren eigenen Beinen, sondern wird von einer unisichtbaren Kraft getragen.
Und mit all dem erfüllt sich, was in der Schrift schon angekündigt war: Der verheißene Retter wurde geboren, die Sehnsucht der Menschen nach der Nähe Gottes wird gestillt. Es ist Weihnachten.
In unserem Glaubensbekenntnis kommt dieses Geschehen bis heute vor, und zwar in dem Satz: „Geboren von der Jungfrau Maria“. Aber können wir den eigentlich noch problemlos mitsprechen? Damit tun wir uns heutzutage schwer, denn das glaubt niemand mehr so richtig. Wir müssen uns also darüber Gedanken machen, wie wir dieses Ereignis verstehen wollen.
Und dafür gibt es zwei Herangehensweisen. Zunächst einmal lässt sich theologisch etwas dazu sagen: Wir können die Jungfrauengeburt als einen Mythos verstehen. Er kommt in vielen Religionen vor. Göttliche Kinder werden auch von Göttern gezeugt, durch ein mystisch-ekstatisches Widerfahrnis. Maria erlebte die größtmögliche Berührung eines Menschen mit dem Geheimnis Gottes. Durch die Kraft des Heiligen Geistes schuf Gott neues Leben und wählte sich dafür den Leib eines palästinensischen Mädchens. Die Theologie rechnet mit Wundern dieser Art, damit, dass das Göttliche in die Normalität der Welt einbricht.
Das ist ein Weg, das Ereignis der Jungfrauengeburt zu erklären und den Satz aus dem Glaubensbekenntnis dann doch mitzusprechen.
Aber dabei allein muss es nicht bleiben. An die Theologie knüpft sich vielmehr der Glaube an, d.h. die Bereitschaft unseres Geistes und unserer Seele, sich auf etwas einzulassen, das die Vernunft übersteigt.
Und diese Bereitschaft und auch Fähigkeit ist in jedem und jeder von uns angelegt. Es ist sogar so, dass wir uns zutiefst danach sehnen, dass es noch mehr geben möge, als die reine Innerweltlichkeit und den puren Verstand. Wir müssen uns nur einmal ehrlich bewusstmachen, wie wir leben und denken
Kaum jemand hört während seines Lebens auf, sich etwas zu wünschen. Selbst wenn wir viel erreicht haben, es bleibt immer noch etwas offen. Das Leben ist nie vollkommen. Wenn wir jung sind, malen wir uns die Zukunft aus, und machen Pläne. Wenn wir einen Beruf haben, denken wir daran, wie wir weiter kommen. Wenn wir Kinder haben, sorgen wir dafür, dass sie ihren Weg ins Leben finden. Im Alter sehnen wir uns dann vielleicht zurück oder danach, dass die Beschwerden nicht allzu heftig werden. Wer arm ist, sehnt sich nach Reichtum, und wer reich ist, wünscht sich einen tieferen Sinn. Der Gefangene möchte frei sein, der Kranke gesund. Künstler entwickeln ihre Kreativität, Forscher wollen noch mehr entdecken, usw. Diese Liste könnten wir unendlich fortsetzen, jeder und jede findet sich mit irgendwelchen offenen Wünschen und Sehnsüchten darin wieder.
Vieles davon verwirklichen wir auch, aber eben niemals alles. Und das gehört zu unsrer menschlichen Natur, so ist unser Leben angelegt: Es bleibt immer eine Restsehnsucht übrig. Und die müssen wir einmal beachten und wahrnehmen. Denn zutiefst äußert sich darin die Sehnsucht nach Gott, nach etwas Größerem, das uns trägt und befreit, das uns ganz erfüllt und Freude und Heil schenkt.
Wenn wir uns dem Wunder der Weihnacht nähern wollen, ist es deshalb gut, das als erstes wahrzunehmen, ehrlich zu sein und zu erkennen, wie wir angelegt sind. Dazu gehört es, dass wir vorübergehend all unsre anderen Aktivitäten und Gedan-ken unterbrechen, eine Pause einlegen und nicht mehr dem hinterher jagen, was wir meinen erreichen zu müssen. Es gilt, einmal still zu werden und die unerfüllte Sehnsucht einfach nur auszuhalten. Wir müssen sie als etwas annehmen, das zu uns dazu gehört. So sind wir, und das ist gut. Es tut auch bereits gut, sich das so bewusst zu machen. Es ist der erste Schritt des Glaubens.
In einem zweiten Schritt können wir dann unseren Geist öffnen und darauf vertrauen, dass es etwas gibt, das uns doch ganz erfüllen kann. Es ist nicht von dieser Welt, sondern kommt von Gott. Er hat die Sehnsucht nach sich selber in unsere Herzen gelegt. Wir sind auf Gott hin geschaffen, und nur wenn wir seine Nähe suchen, werden wir ganz erfüllt. Und dabei kommt er uns entgegen, ja noch mehr: Er sorgt persönlich dafür, dass wir mit ihm in Berührung kommen. Das ist das Wunder von Weihnachten: Wir müssen uns nicht mehr anstrengen, um mit Gott in Kontakt zu treten, denn er ist zu uns gekommen. Er ist nicht mehr fern, sondern ganz nah. Er ist in unser Menschsein eingegangen. In dem Kind der Jungfrau Maria können wir Gottes Gegenwart erleben. Wir müssen es nur genauso betrachten, wie sie das tut, es in unser Herz aufnehmen, in unser Innerstes hineinlassen.
Dann werden auch wir in das göttliche Geheimnis hineinge-nommen, etwas verändert sich. Wir spüren eine Kraft, die uns trägt, es entsteht auch in uns neues Leben. Wir werden erfüllt mit einer Freude, die wir uns gar nicht richtig erklären können, mit einem Heil, das uns entspannt und beseelt.
Dazu sind wir heute eingeladen.
Der Mystiker Gerhard Tersteegen hat das 1731 in seinem Weihnachtslied sehr schön zum Ausdruck gebracht  (Evangelisches Gesangbuch 41). Es beginnt mit der Weihnachtsfreude und der Aufforderung: „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Engel in Chören.“ . Dann beschreibt er mit innigen Worten das Geheimnis der Geburt Christi und sagt am Ende:
„König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde, dem ich auch wieder mein Herze in Liebe verbinde: du sollst es sein, den ich erwähle allein; ewig entsag ich der Sünde.
Treuer Immanuel, werd auch in mir nun geboren, komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren! Wohne in mir, mache ganz eins mich mit dir, der du mich liebend erkoren.“
Lassen Sie uns dieses Lied jetzt singen.
Amen.

Achtsamkeit

Predigt über Lukas 21, 25- 33:
Das Kommen des Menschensohnes und Ermahnung zur Wachsamkeit

2. Sonntag im Advent, 7.12. 2014, 11 Uhr, Jakobikirche Kiel

Das Evangelium für heute, das zugleich der Predigttext ist, steht bei Lukas im 21. Kapitel und lautet folgendermaßen:

Lukas 21, 25- 33:

25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.
31 So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.

Liebe Gemeinde.
Ich hatte gerade Besuch von einer guten Freundin. Als wir gemütlich beieinander saßen, Tee tranken und klönten, ertönte plötzlich aus ihrem Rucksack ein schöner, warmer Gongschlag. Das war die „Glocke der Achtsamkeit“, die hatte sie sich auf ihr I-Pad heruntergeladen. In unregelmäßigen Abständen erfolgte dadurch eine sanfte Erinnerung. Sie dient dazu, „die Aufmerksamkeit zum gegenwärtigen Augenblick zurückbringen“. Die Anleitung lautet: „Wenn du die Glocke hörst, nimm einige bewusste Atemzüge. Achte auf deine Konzentration und mach weiter. Genieße es.“ Das haben wir dann auch getan.
Die Anwendung gehört zu den Gesundheitsapps und wird von vielen Nutzern und Nutzerinnen positiv bewertet. Eine schreibt: „Wer etwas gedanklich abtauchen und sich richtig entspannen möchte, ist bei dieser App gut aufgehoben. Ich kann mich vollkommen fallen lassen. Jeden Tag lass ich mich erinnern, wieder etwas achtsam meine Umgebung oder einfache Dinge wahrzunehmen.“
Daran musste ich denken, als ich unseren Predigttext las, denn dort werden wir auch zur Achtsamkeit aufgefordert, zum Sehen und Erkennen von Dingen, die nicht vor Augen liegen. Jesus ermahnt seine Jünger dazu.
Der Kontext ist allerdings anders. Jesus geht es nicht um Entspannung und Gesundheit, sondern um etwas viel Dramatischeres. Die Ermahnung ist ein Teil der sogenannten Endzeitrede. Darin trägt Jesus verschiedene Gedanken und Vorstellungen über das Kommen des Weltendes vor, und das wird furchtbar: Er erwähnt z.B. die baldige Zerstörung des Tempels, die Verfolgung der Gemeinde und das Ende Jerusalems. Außerdem wird es Veränderungen an Sonne und Mond geben. Weltweite Naturkatastrophen werden eintreten, denen keiner entkommen kann. Sie werden die Menschen in Angst und Schrecken versetzen, denn die Ordnung der Schöpfung wird dabei umgewälzt.
Aber inmitten dieser Weltendramatik, wenn die ganze Erde erbebt und erzittert, wird der Menschensohn am Himmel sichtbar. Und er wird mit großer Macht und Herrlichkeit kommen. Das ist der Trost, den Jesus seinen Jüngern gleichzeitig gibt. Damit greift er eine fromme jüdische Vorstellung auf: Man dachte bei dem „Menschensohn“ an eine himmlische Gestalt, ein Lichtwesen, dem nach diesem letzten Gericht von Gott die Weltherrschaft übertragen wird. Und das hat Jesus für sich in Anspruch genommen. Wenn er vom Menschensohn sprach, meinte er immer sich selbst, und zwar als den Auferstandenen, der einst wiederkommt, wenn alle kosmischen Ordnungen zerbrechen.
Und weil das geschehen wird, sollen die Christen achtsam und aufmerksam sein. Wie so oft verdeutlicht Jesus das noch mit einem Gleichnis: Man kann am Sprossen der Blätter des Feigenbaumes und der Bäume erkennen, dass der Sommer kommt. Und genauso deuten jene Ereignisse an, dass die Gottesherrschaft nah ist. Die Christen sollen diese Zeichen beobachten und richtig verstehen. Es gibt Vorboten, die es zu beachten gilt.
Dabei war Jesus davon überzeugt, dass die himmlische Welt schon jetzt in die Irdische hineinwirkt und alles verändert. Es gibt eine Realität, die viel größer ist als das, was wir mit unserem Verstand erfassen oder mit den Augen sehen können. Die gilt es, zu beachten und sich davon anrühren zu lassen. Das ist hier die Aussage und Ermahnung. Sie ist schön zusammengefasst in dem Satz: „Seht auf und erhebt eure Häupter weil sich eure Erlösung naht.“
Die Haltung, die hier beschrieben wird, ist also ganz ähnlich wie die, die auch die „Glocke der Achtsamkeit“ fördern will. Der Unterschied ist allerdings der, dass es bei Jesus sehr viel dramatischer klingt. Er sieht eine tödliche Gefahr, den drohenden Untergang. Für ihn war es ein ernstes Thema, und er will die Jünger wachrütteln.
Auch wir sind gemeint, wenn wir seine Worte lesen. Aber können wir dem genauso viel Bedeutung geben wie er? Klingt das für uns nicht unrealistisch und weltfremd? Das glauben wir doch gar nicht richtig, dass das Ende der Welt irgendwann einmal so kommt, wie es hier beschrieben wird. Es hat sich viel zu lange verzögert, und wir brauchen diese Vorstellung heutzutage auch nicht mehr. Das ist unsere Meinung.
Doch genau die wird hier in Frage gestellt, und das sollten wir ruhig einmal zulassen. Jesus lädt uns zu einem Leben ein, das den Himmel einbezieht und sich in der Ewigkeit festmacht. Wir dürfen glauben und hoffen, dass es noch etwas Größeres gibt, als alles, was uns hier begegnet. Und das ist doch spannend. Vielleicht tut es uns ja gut, auf Jesus zu hören, Dinge zu entdecken, die nicht vor Augen liegen, für die wir sonst blind sind. Möglicherweise verpassen wir etwas, wenn wir es nicht tun.
Lassen Sie uns also fragen, was die Ermahnung Jesu für uns bedeuten kann. Und dafür ist es gut, wenn wir uns einmal bewusst machen, wie wir normalerweise denken und leben. Was ist das Gegenteil von der Haltung, die Jesus hier beschreibt? Wovon hebt sie sich ab, wozu bildet sie die Alternative? Das können wir uns fragen.
Und dazu fällt mir hauptsächlich unsere Diesseitigkeit ein. Das ist gerade jetzt in der Adventszeit leider eine Gefahr. Überall gibt es ganz viel Ablenkung und Zerstreuung, sodass wir das Reich Gottes leicht vergessen. Wir sind auch meistens etwas im Stress in dieser Zeit, denn wir nehmen uns ganz viel vor: Wir müssen Geschenke kaufen oder basteln, Grüße schreiben, auf Adventsfeiern gehen und Besuche machen.
Das macht ja auch alles Spaß und hilft uns, diese dunkle Jahreszeit besser durchzustehen. Aber wir können uns darin auch verlieren. Wir sind so in Anspruch genommen, dass der Kopf nicht mehr frei wird. Alles zieht und zerrt an uns, jeder will etwas, so dass wir irgendwann gar nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht.
Und das kommt nicht erst durch die vielen Dinge, die uns in dieser Zeit beschäftigen und angeboten werden. Wir leben auch sonst am liebsten so, weil es am meisten Befriedigung und Erfüllung verspricht. Wir folgen unserem Willen und den äußeren Gegebenheiten. Dabei sind wir mit unseren Gedanken oft schon einen Schritt weiter, planen den nächsten Tag, bereiten ein Projekt vor, freuen uns auf Besuch, lernen für eine Prüfung usw. Unser Ehrgeiz steckt dahinter, unsere Leistungsfähigkeit und unsere Ichhaftigkeit. Wir denken, so wird das Leben schön und gut, so wird es gelingen.
Doch das ist ein Irrtum, denn dieses Konzept hat auch seine Schattenseiten. Wir merken z.B. nicht, dass wir uns dadurch an die Welt und an uns selber binden. Unsre Ideen und Aufgaben halten uns fest. Und es gehen auch immer Sorgen und Ängste damit einher. Wir sind nie richtig frei, engen uns ein und geraten mit Sicherheit irgendwann an eine Grenze. Denn wir können nie alles erreichen, was wir uns wünschen und erstreben. Es entstehen Konflikte, und dann gerät auch unser Selbstbewusstsein ins Wanken. Traurigkeit und Niedergeschlagenheit sind die Folgen. Wir schauen nicht mehr nach vorne, sondern eher nach unten und sind bedrückt.
Deshalb ist es durchaus ratsam, einmal zu fragen, ob es wirklich gut ist, so zu leben. Und dazu müssen wir dieses unentwegte Treiben unterbrechen, anhalten, das „Haupt erheben und aufsehen“. Wir sollten viel öfter auf den Augenblick achten, so wie es die Aufmerksamkeitsglocke vorschlägt. Was geschieht eigentlich jetzt gerade? Was spüre ich, wie geht es mir wirklich? Das sind die Fragen, die wir uns stellen können, dann entspannen wir uns bereits. Wir lassen uns selber los, atmen tief durch, und das tut gut.
Doch es geht bei Jesus wie gesagt um noch mehr. Er lädt uns nicht nur zu einer Entspannungsübung ein. So sanft und friedlich klingt seine Rede ja auch nicht. Er weiß, dass das Leben hart und schrecklich sein kann, das lässt sich nicht vermeiden. Aber er ist immer da, darauf will er uns hinweisen. Als Christen haben wir noch mehr, als nur einen Gongschlag und die Fähigkeit, uns zu konzentrieren. Wir dürfen an den glauben, der auch im Leid und sogar im Tod noch lebendig ist und uns zur Seite steht. „Seine Worte vergehen nicht“, darauf dürfen wir vertrauen. Auch wenn alles schief läuft und unser Leben zusammenbricht, wir sind geliebt und gehalten, denn Jesus kommt uns entgegen, um unser Leben in seine Hand zu nehmen. Und wenn wir uns bei ihm bergen, dann sind wir wirklich befreit und erlöst.
Zu dieser Haltung werden wir hier ermahnt, und die Adventszeit ist eigentlich dazu da, das einzuüben. Adventlich leben heißt: Aufmerksam und achtsam sein für die Gegenwart Gottes, leicht werden und uns zu dem ausstrecken, der uns entgegengeht und uns ruft. Er zieht unsere Aufmerksamkeit zwar vom Diesseits ins Jenseits, aber dadurch gewinnen wir Halt und Orientierung. Unser Blick wird weggelenkt von den Dingen dieser Welt nach oben, und dadurch werden wir frei und ruhig.
Zu so einem Leben sind wir heute eingeladen. Wir sollen uns auf das Wesentliche konzentrieren, aufmerksam und realistisch werden. Wir sollen aufhören, allem Möglichen hinterherzujagen, und die Gegenwart Christi erkennen. Dann geschieht wirklich, was wir uns wünschen: Wir werden erfüllt und zufrieden, gesund und fröhlich.
Amen.