Jesus sehen und umarmen

Predigt über Lukas 2, 25- 35: Der Lobgesang des Simeon
1. Sonntag nach Weihnachten, 27.12.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Lukas 2, 25- 35

25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm.
26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.
27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast;
30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
31 den du bereitet hast vor allen Völkern,
32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden
und zum Preis deines Volkes Israel.
33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.
34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird
35 – und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

Liebe Gemeinde.

Weihnachten war dieses Jahr anders als sonst. Materielle Wünsche sind vermutlich in Erfüllung gegangen, wir haben uns beschenkt und leckere Speisen verzehrt. Aber die Gemeinschaft und das Zusammensein, der leibhaftige Kontakt zur Familie und die Gottesdienste, das alles war sehr eingeschränkt. Die Sehnsucht nach menschlicher Nähe konnte nicht so erfüllt werden, wie wir uns das zu Weihnachten wünschen. Die Einsamkeit, die viele Menschen oft aushalten müssen, wiegt in diesen Tagen auch noch schwerer als sonst, weil wir uns das Fest eigentlich anders vorstellen. Deshalb herrschte in vielen Häusern wahrscheinlich nicht nur Freude, es hat sich dieses Mal ebenso Traurigkeit und Kummer eingeschlichen.

Und das geht möglicherweise noch weiter, denn die Krise ist noch lange nicht vorbei. Wir müssen weiterhin Abstand zueinander halten, Kontakte reduzieren und dürfen uns nur in kleinen Kreisen treffen. Das alles macht uns langsam müde und mürbe.

Wir müssen deshalb darüber nachdenken, wie wir diese neuen Verhaltensregeln am besten aushalten. Und dafür gibt uns der alte Simeon, von dem wir eben gehört haben, einen wunderbaren Hinweis.

Er hatte auch eine Sehnsucht, die sein ganzes Leben bestimmte. Doch die war nun ganz anders, als unsere Wünsche es normalerweise sind. Er wartete nicht auf Menschen, mit denen er sich wohl fühlte, sondern sein Leben lang hoffte er auf „den Trost Israels“, den Retter, den die Propheten verheißen hatten.

Denn er war ein frommer Mann, der daran glaubte, dass Gott den Messias senden und endgültig in das Weltgeschehen eingreifen wird. Und er ging davon aus, dass er das noch erleben würde, weil ihm das in einer Offenbarung Gottes mitgeteilt worden war.

Vom Geist geleitet kam er dann eines Tages in den Tempel von Jerusalem und traf das Kind Jesus mit seinen Eltern. Simeon erkannte in ihm sofort den Messias. Er nahm ihn zärtlich auf die Arme und erlebte in demselben Augenblick die Erfüllung seiner Sehnsucht und Hoffnung. Er stimmte daraufhin das Gotteslob an und sang ein Lied. Voll Freude pries er das Kind mit einem Hymnus, den wir bis heute singen. Er lautet: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“

Simeon konnte nun „in Frieden fahren“, denn er hatte das Ziel erreicht, das Gott für ihn vorgesehen hatte. Er war bereit zu sterben, im Bewusstsein des Heils. Er hatte sein Leben nicht nutzlos verbracht, denn er hat den „Heiland“ noch mit seinen eigenen Augen „gesehen“. Simeon pries ihn als denjenigen, der für alle Völker und alle Stämme Israels gekommen ist, um für sie ein Licht zu sein. Es wird sie erleuchten und die Dunkelheit vertreiben.

Simeon konnte nun sein Leben getrost in die Hand Gottes zurücklegen. Seine Seele war ruhig geworden, seine Sehnsucht war gestillt. Das Alter war für ihn die Zeit der Erfüllung, er erlebte am Ende das Schönste, das er sich vorstellen konnte. Mit weniger hatte er sich auch nicht zufrieden gegeben. Er hat nicht auf etwas Vergängliches gesetzt, sondern auf das ewige Heil, das ihm verheißen worden war. Und natürlich hatte das sein Leben geprägt. Das göttliche Licht war von vorne auf seinen Weg gefallen und hat ihm die Richtung gezeigt. Alles andere hatte sich dadurch relativiert. Mit dieser Lebenseinstellung war er auch nie allein gewesen, selbst im hohen Alter nicht. Er war verbunden mit allen Propheten und Heiligen vor ihm, und diese Gemeinschaft vollendete sich nun für ihn. Er wurde ganz dahinein genommen.

Und damit ist er für uns wie gesagt ein sehr schönes Vorbild. Drei Dinge können wir von Simeon lernen.

Zunächst einmal zeigt er uns, auf welche Wünsche es ankommt. Wünsche haben ja immer etwas handlungsanleitendes, sie führen uns in eine bestimmte Richtung und prägen unser Denken. Ob es uns gut oder schlecht geht, hängt immer mit unseren Wünschen zusammen. Das Gelingen unseres Lebens beginnt nicht dann, wenn alles in Erfüllung geht, was wir uns vorstellen, sondern viel früher. Es hat seinen Ursprung in dem, wonach wir verlangen. Es ist also sinnvoll, wenn wir uns das zunächst bewusst machen. Wir warten nämlich normalerweise auf etwas anderes als Simeon. Das ewige Heil ist uns gar nicht so wichtig, wir sehnen uns viel mehr nach irdischem Glück, Wohlstand und Gemeinschaft, Gesundheit und Gemütlichkeit.

Das ist zwar naheliegend und berechtigt, aber dadurch sind die Enttäuschungen bereits vorprogrammiert. Denn das bekommen wir nicht immer, im Gegenteil, es ist ständig brüchig und bedroht. Das merken wir in der Krise besonders. Da erfüllt sich nicht alles, wonach wir uns sehnen. Wir sind deshalb gut beraten, wenn wir unser Wollen und Trachten einmal hinterfragen und es relativieren. Die irdischen und menschlichen Wünsche führen uns nur sehr eingeschränkt ins Glück. Sie bergen sogar ein sehr hohes Potential, uns zu enttäuschen und unglücklich zu machen. Das ist der erste Punkt.

Als zweites können wir uns zusammen mit Simeon nach etwas ganz anderem ausstrecken. Wenn es uns schlecht geht, weil die Welt sich verdüstert, dann ist das noch lange nicht der Untergang der Freude. Die äußere Dunkelheit muss uns nicht verschlingen, denn es gibt ein Licht, das sie vertreiben kann Wir müssen nur in dieses Licht hineinschauen. Es strahlt in dem Kind in der Krippe, dem neugeborenen Jesus, der von Gott zu uns gekommen ist. Und es kann auch in uns leuchten. Wenn es um uns herum dunkel ist, muss sich nicht gleichzeitig unsere Seele verdüstern. Sie kann von dem göttlichen Licht angerührt und erfüllt werden. Wir müssen uns nur dafür bereiten.

Simeon hat das Kind auf seine Arme genommen, er hat es umfangen und festgehalten, und das können auch wir im Geiste tun. Paul Gerhard hat das einmal sehr schön zum Ausdruck gebracht: In dem Lied „Fröhlich soll mein Herz springen“ lautet die Strophe zehn: „Süßes Heil, lass dich umfangen, lass mich dir, meine Zier, unverrückt anhangen. Du bist meines Lebens Leben; nun kann ich mich durch dich wohl zufrieden geben.“ (EG 36,10) So können auch wir beten. Wir müssen die Dunkelheit nicht selber vertreiben, aber Jesus kann das für uns tun. Wir müssen ihn nur anschauen und im Geist umarmen.

Dann wird unsere Seele hell und still. Das ist der dritte Schritt, den wir mit Simeon gehen können. Er war bereit, im „Frieden dahin zu fahren“, nachdem er Jesus begegnet war. Er konnte loslassen und Abschied nehmen. Das Ende seines Lebens, von dem er wusste, dass es bald kommen würde, hat ihn nicht erschreckt. Er war nun bereit zu sterben.

Und das kann auch uns so gehen. Wenn wir mit Jesus verbunden sind und ihn im Herzen tragen, ist der Tod nicht mehr das Schlimmste, was es gibt. Das ist er nur, wenn wir keinen Trost haben, wenn wir uns nicht geborgen wissen und voller Angst sind. Jesus kann uns das alles nehmen. Und so sollte unser Leben auch angelegt sein. Es ist gut, wenn wir schon zu Lebzeiten uns darauf vorbereiten und mit Paul Gerhard sagen: „Ich will dich mit Fleiß bewahren; ich will dir leben hier, dir will ich hinfahren; mit dir will ich endlich schweben voller Freud ohne Zeit dort im andern Leben.“ (EG 36,12)

Wenn wir so leben, dreht sich alles um: Das Alter ist nicht mehr die Zeit der Entbehrung, sondern die Zeit der Erfüllung. Traurigkeit verwandelt sich in Freude, und die Dunkelheit wird vom Licht verschlungen. Danach dürfen wir getrost verlangen. Wenn das unser größter Weihnachtswunsch wird, werden wir nicht enttäuscht. Denn wir geben uns keiner Illusion mehr hin, werden nüchtern und fromm, und eine große Freude zieht in uns ein.

Amen.

Habt Geduld!

Predigt über Jakobus 5, 7- 8: Mahnung zur Geduld

2. Advent, 6.12.2020, 9.30 Uhr Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde

Ein verarmter Mann beabsichtigte, seine drei Töchter zu Prostituierten zu machen, weil er sie mangels Mitgift nicht standesgemäß verheiraten konnte. Nikolaus, noch nicht Bischof und Erbe eines größeren Vermögens, erfuhr von der Notlage und warf in drei aufeinander folgenden Nächten je einen großen Goldklumpen durch das Fenster des Zimmers der drei Jungfrauen. Auf dieser Legende über den heiligen Nikolaus basiert der Brauch, in der Nacht vor dem Nikolaustag Schuhe oder Ähnliches mit Geschenken zu füllen.

Auch soll Nikolaus einmal während einer großen Hungersnot angeordnet haben, in Myra, seinem Heimatort, einen Teil des Kornes von einem Schiff auszuladen, das eigentlich für den Kaiser in Byzanz vorgesehen war. Er wollte in der Not helfen. Und als das Schiff in der Hauptstadt ankam, hatte sich das Gewicht der Ladung trotz der entnommenen Menge nicht verändert. Das in Myra entnommene Korn aber reichte volle zwei Jahre und darüber hinaus noch für die Aussaat. Das ist eine weitere der vielen Legenden über Nikolaus von Myra.

Historisch belegt sind diese Geschichten nicht. Wir wissen nur, dass der Heilige Nikolaus im 4. Jahrhundert nach Christus lebte und erst Priester und später Bischof in Myra wurde. Das lag in der kleinasiatischen Region Lykien und war damals Teil des römischen, später des byzantinischen Reichs. Heute gehört es zur Türkei. Sein ererbtes Vermögen verteilte er unter den Notleidenden. Er war also ein Helfer der Armen und ein Geschenkebringer. Dafür wird er bis heute nicht nur in der Ostkirche, sondern in allen Konfessionen verehrt. Auch bei uns.

Und das geschieht zu Recht, denn damit tat er genau das, was im Neuen Testament an vielen Stellen steht und den christlichen Lebenswandel prägen soll. Jesus hat das betont, und auch in den Briefen der Apostel kommt es oft vor. So auch bei Jakobus, dessen Brief etliche Ermahnungen zum rechten Handeln enthält. Er betont, dass die guten Werke auf jeden Fall zum Glauben dazu gehören. Die Reichen warnt er besonders, nicht nur an sich selber zu denken. Er erinnert sie mehrfach daran, dass Gold und Silber vergeht. Die Armen dagegen sind in seinen Augen die Heiligen und Erwählten. Denn sie sind viel weniger in Gefahr, den materiellen Dingen oder der Gier zu verfallen. Und das ist ihm wichtig, denn was die Christen erfüllt, soll nicht die Welt sein, sondern das „Kommen des Herrn“. So kann die wirtschaftliche Notsituation sogar eine Chance sein, sich auf das kommende Heil zu freuen. Darauf sollen die Christen jedenfalls geduldig warten. So steht es in dem Abschnitt, der heute unser Predigttext ist. Er lautet folgendermaßen:

Jakobus 5, 7- 8

7 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Jakobus will mit diesen Worten die Christen trösten und ermahnen. Er erinnert sie deshalb zunächst an das „Erscheinen des Herrn“. Damit meint er die Wiederkunft Christi in Macht und Herrlichkeit, wie sie an vielen Stellen im Neuen Testament angekündigt wird. Er veranschaulicht das mit dem Vergleich vom Bauern, der geduldig während des Regens die Früchte seines Feldes erwartet und dabei die Sorge um den Ernteertrag Gott überlässt. Er kann das Wachsen und Reifen der Früchte nicht beschleunigen, sondern nur mit Geduld erwarten. Gott bestimmt die Zeit und schickt den Regen, den die Felder brauchen. Darauf muss er vertrauen.

Und entsprechendes gilt für die Christen. Auch sie sollen die Geduld nicht verlieren und einen langen Atem behalten. Das Erscheinen Christi ist nahe, er steht praktisch vor der Tür. Es gilt also, langmütig zu sein und zu warten. Sie sollen unter ihrem Schicksal glaubensvoll aushalten, sich in Geduld üben und ihre „Herzen stärken“. Auch in Anfechtung und Zweifeln gilt es festzubleiben und die Hoffnung nicht aufzugeben.

Und das musste auch der Heilige Nikolaus tun, denn während der Christenverfolgung im Jahr 310 wurde er gefangen genommen und gefoltert. Das wird in den Legenden kaum erwähnt. Es ist aber wichtig, um zu verstehen, was ihn ausmachte. Denn es zeigt, dass seine Gesinnung nicht von den Freuden der Welt geprägt war, sondern von Glauben und Vertrauen. Das gab ihm Kraft. Die Nähe Christi erfüllte sein Denken und Handeln. Er hatte die Geduld der Liebe, hielt sich offen für Christus, war wachsam und bereit zu handeln, wo es nötig war. Er ließ sich von den Notsituationen, von denen er erfuhr, nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, mit großer Leidenschaft ging er darauf ein, war barmherzig und vermittelte den Menschen die Langmut Gottes. Und damit ist er ein gutes Beispiel dafür, wie unser christliches Leben gedacht ist.

Doch was heißt das nun konkret für uns heute und für unsere Lebensführung? Lasst uns das als erstes fragen. Mit der Geduld haben wir ja häufig so unsere Schwierigkeiten. Wir warten nicht gerne. Wir sind vielmehr oft ungeduldig, wenn etwas nicht so schnell geht, wie wir es gern hätten. Wir machen uns Sorgen und würden vieles gerne beschleunigen. Am liebsten wollen wir, dass das Gute sofort geschieht. Wir verlangen nach Glück, das sich am besten hier und jetzt einfinden möge. Ohne es zu merken, zwingen wir dabei anderen unsere Erwartungen auf und versuchen die Dinge selber zu regeln.

Doch natürlich gelingt das nicht immer. Es gibt eine Menge Schwierigkeiten, die sich nicht so leicht ändern lassen, Schicksalsschläge, Krisen und Krankheiten, die wir nicht abschaffen können. Angesichts vieler Nöte sind wir machtlos, und das verursacht dann Ärger oder Schwermut. Wir bekommen schlechte Laune. Frustration stellt sich ein, Groll und Wut. Wir hadern mit unserem Schicksal, und unser Geist verdüstert sich.

Und genau dagegen richtet sich die Ermahnung zur Geduld. Sie wäre genau das Gegenteil, denn sie beinhaltet, dass wir das, was uns nicht gefällt, aushalten, es ertragen und „Ja“ dazu sagen. Wir sollen ruhig bleiben, still werden und nicht alles selber machen. Es gilt, den Eigenwillen und die Autonomie aufzugeben und uns im Vertrauen zu üben. Gleichmut und Toleranz, Gelassenheit und Ausdauer sind die Verhaltensweisen, die uns hier vorgeschlagen werden.

Aber wollen wir das? Das ist die nächste Frage, die wir haben. Diese Vorgehensweise klingt in unseren Ohren leicht wie Ergebung und Unterwerfung. Schnell stellen wir uns darunter vor, dass alle Leidenschaft zum Erliegen kommt, keine Begeisterung mehr da ist, Träume aufhören, und Resignation sich breit macht. Passivität und Müdigkeit kehren ein, das ist unsere Sorge.

Doch so ist die Aufforderung zur Geduld im Neuen Testament an keiner Stelle gemeint. Im Gegenteil, sie ist etwas Aktives, der „lange Atem der Leidenschaft“, wie Jüngel es einmal formuliert hat. Sie weitet unseren Horizont und hält Durststrecken aus. Sie macht weitsichtig und gelassen. Auch Geduld ist ein Handeln, denn wir entscheiden uns bewusst für einen anderen Umgang mit der Realität, als wie ihn meistens pflegen.

Und dabei geht es nicht nur um eine bestimmte Verhaltensweise oder Tugend. Im Neuen Testament hängt die Ermahnung zur Geduld vielmehr immer mit dem Hinweis auf die Nähe und das Kommen Christi zusammen. So ist es auch in unserem Briefabschnitt. Jakobus begründet seine Aufforderung nicht umsonst mit dem Satz „denn das Kommen des Herrn ist nahe.“ Dafür sollen wir still werden.

Und das heißt, wir sollen nicht einfach nur geduldig ins Leere blicken oder langsam einschlafen, sondern auf Christus schauen und ihn erwarten. Die göttliche Wirklichkeit ist schon da, und sie relativiert alles andere. Anstatt uns in der Welt zu verlieren und uns zermürben zu lassen, lohnt es sich viel mehr, wenn wir uns nach ihm ausstrecken. Die Probleme und Nöte verblassen dann. Deshalb ist es gut, wenn wir unsere Angelegenheiten einmal ruhen lassen und stattdessen beten, zu Christus rufen und uns seiner Gegenwart aussetzen. Wir können das auch gemeinsam tun, indem wir in der Kirche oder zu Hause zusammenkommen, an ihn denken und mit ihm rechnen.

Dann werden unsere „Herzen gefestigt“. Wir bekommen neue Kraft und werden von innen her heil. Wir wissen uns geborgen und geliebt. Und das ist viel besser, als alle eigene Anstrengung. Denn jedes Gedrängel und Gezerre macht uns kurzatmig, es ist ermüdend und kräfteraubend. Die Geduld und das Warten auf Christus machen uns dagegen langatmig und gesund.

Trotzdem gibt es noch eine dritte Frage, und die lautet, ob so eine Lebensführung letzten Endes nicht egoistisch ist. Es mag uns selber dabei vielleicht gut gehen, aber wo bleiben die anderen? Ist das nicht viel zu innerlich? Dreht sich nicht alles nur noch um unser eigenes Seelenheil?

Diese Vermutung liegt zwar nahe, aber sie trifft nicht zu. Denn wenn wir wirklich auf Christus schauen, werden wir auch von seinem Geist erfüllt. Wir verlieren unser Selbstbezogenheit, werden uns selber im guten Sinne los. Und damit rücken die anderen ganz von alleine ins Blickfeld. Wir werden frei und offen, wachsam und bereit zu handeln. Nicht Gleichgültigkeit ist die Folge, sondern Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Ganz von selber wenden wir uns unseren Nächsten zu. Wir werden barmherzig und können den Menschen den langen Atem Gottes offenbaren. Die Geduld, die wir einüben, ist die Geduld der Liebe. So war es bei Jesus und allen Aposteln und Heiligen. Die Legenden über Nikolaus machen das sehr schön deutlich. Es gibt noch weitere, als die, die ich eingangs erwähnte.

So riefen einmal in Seenot geratene Schiffsleute in ihrer gefährlichen Lage den heiligen Nikolaus an. Ihnen erschien ein mit Wunderkräften ausgestatteter Mann und übernahm die Navigation, setzte die Segel richtig und brachte sogar den Sturm zum Abflauen. Daraufhin verschwand der Mann wieder. Als die Seeleute in der Kirche von Myra zum Dank für ihre Rettung beteten, erkannten sie den Heiligen und dankten ihm.

Und eine letzte schöne Geschichte erzählt, wie Nikolaus einmal drei oströmische Feldherren kennen lernte, die er zu sich nach Myra einlud. Sie wurden Zeugen, wie der Bischof drei unschuldig zum Tod Verurteilte vor der Hinrichtung bewahrte, indem er dem Scharfrichter das Schwert aus der Hand riss. Zurück in Byzanz wurden die drei Feldherren Opfer einer Intrige und selbst zum Tod verurteilt. Im Kerker erbaten sie die Hilfe des heiligen Nikolaus, der daraufhin dem Kaiser und dem Intriganten im Traum erschien. Zutiefst erschrocken veranlasste der Kaiser die unverzügliche Freilassung der Feldherren.

Und das alles konnte Nikolaus, weil er von Christus erfüllt war und geduldig auf ihn wartete. Sein „Herz war fest“ geworden, und deshalb wurde er auch für seine Mitmenschen zum Segen.

Amen.

Die Legenden und Daten über Nikolaus vn Myra sind dem Artikel bei Wikipedia entnommen: https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_von_Myra