Erneuerung an Seele und Geist

Predigt über 1. Johannes 5, 1- 4: Die Kraft des Glaubens

3. Sonntag nach Ostern, Jubilate,17.4.2016, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

1. Johannes 5, 1- 4

1 Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist.
2 Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.
3 Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer.
4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Liebe Gemeinde.
Seit einigen Wochen ist die Erde wieder mit einem grünen und bunten Teppich bedeckt: Es begann mit den Schneeglöckchen, Winterlingen, Märzbechern und Krokussen. Die sind jetzt bereits verblüht. Narzissen, Hyazinthen und Tulpen haben sie abgelöst. Außerdem verzaubern Schleier von Forsythien-, Mandel- und Magnolienblüten unsere Gärten und Straßen. Es ist Frühling geworden, das lässt sich nicht mehr übersehen, und das ist schön. Die Erde bricht auf, Büsche schlagen aus, Tiere wollen sich paaren. Überall sprießt neues Leben.
Es ist eine Zeit, in der auch wir aufblühen. Der Gesang der Vögel und die Helligkeit, alles weckt unsere Lebensgeister. Wir können darin auch die Macht des Schöpfers erkennen. In keiner Jahreszeit wird uns bewusster, dass Gott Leben schafft. Wir spüren seine Gegenwart.
Und das passt zu Ostern und zur österlichen Freudenzeit, denn da geht es um genau dasselbe: Neues Leben entsteht, das Alte wird überwunden, und wir sollen daran Anteil haben. Wir werden zu dem Glauben eingeladen, dass Gott der Schöpfer ist, der in seiner Allmacht sogar den Tod vernichtet hat. Im Vertrauen auf ihn können wir die Welt besiegen und neu geschaffen werden.
Das beschreibt auch die Epistel von heute, ein Abschnitt aus dem ersten Johannesbrief, der zugleich unser Predigttext ist. Es heißt dort am Ende: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“
Dabei hat der Schreiber die Vorstellung, dass hinter dieser Welt eine gottwidrige Macht steht. Die ist böse und kommt überall dort zum Zug, wo die Liebe mit Füßen getreten wird. Deshalb ermahnt er in seinem Brief an vielen Stellen zur brüderlichen Liebe. Sie steht im direkten Zusammenhang mit der österlichen Freudenbotschaft. Und das war für die Gemeinde, an die er schrieb, auch wichtig, denn es gab dort Stimmen und Meinungen, die das Evangelium veränderten und verzerrten. Dagegen wehrt Johannes sich und er setzt als klares Zeichen für das Leben, das Gott in Jesus Christus gebracht hat, die Liebe. Mit ihr hat Gott die bösen Mächte in dieser Welt überwunden. Deshalb war es Johannes besonders wichtig, darauf hinzuweisen. Der Christusglaube besiegt die negativen Kräfte in der Welt, weil er von Liebe geprägt ist, und zwar von der Liebe zu Gott und den Brüdern. Wer diese Liebesgemeinschaft verlässt, fällt in die bereits überwundene Welt zurück, das ist seine Warnung.
Auch in unserem Textabschnitt kommen diese Gedanken vor. Da betont Johannes zuerst den Zusammenhang zwischen der Liebe zu Gott und Christus, sie weisen aufeinander hin: Wer Gott liebt, liebt auch Christus und umgekehrt. Das eine geht aus dem anderen hervor.
Und er sagt außerdem, dass daraus die Liebe zwischen den Brüdern entsteht. Sie ist das Gebot Gottes, das es zu halten gilt, das aber auch nicht schwer ist, weil Gott uns dazu die Möglichkeit geschenkt hat. Wenn wir ihm gehorchen, ist das der Sieg, mit dem wir die Welt überwinden, denn auch Christus hat mit der Liebe über die Welt triumphiert. Sie ist die Kraft, die Altes zerstört und Neues schafft. Wir empfangen sie, wenn wir an Jesus Christus glauben. „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ Das ist hier die Botschaft, und die ergeht auch an uns.
Die Frage ist allerdings, ob sie überhaupt interessant für uns ist. Ist das noch relevant? Wir sind ja immer so ein bisschen allergisch gegen Formulierungen, mit denen angedeutet wird, dass diese Welt besiegt werden muss. Denn das klingt nach einer Ablehnung der Welt, einer Verneinung irdischer Genüsse. Und das gefällt uns nicht, denn unsre Freude an der Welt und am Leben wollen wir uns nicht nehmen lassen. Es ist doch schön! Gerade jetzt im Frühling genießen wir das Erwachen und die Vielfalt der Natur. Und das muss doch nicht überwunden werden! Auch das Glück in unseren Familien und Freundschaften ist uns wichtig, Wünsche und Träume halten uns lebendig, Ideen bringen uns weiter. Sollen wir das alles verneinen? Diese Frage stellen viele sofort, wenn sie die Botschaft vom „Sieg über die Welt“ vernehmen.
Doch so ist sie auch nicht gemeint. Es geht hier nicht um eine lebensverneinende Enthaltsamkeit. Der Schreiber des Johannesbriefes sieht vielmehr, dass die Freude am Leben brüchig ist. Es gibt überall Gefahren, sowohl von innen als von außen. Unser Leben und alles in der Welt ist vom Verfall bedroht, von Lieblosigkeit und Verhärtung.
Wenn wir nicht aufpassen, geht z.B. die Lebendigkeit unserer Beziehungen verloren. In Ehen und Freundschaften besteht die Gefahr, dass wir uns festfahren. Oft verschwindet nach vielen Jahren des Zusammenseins die Faszination aneinander, die am Anfang da war. In unzähligen Ehen macht sich im Laufe der Jahre eine gewisse Langeweile breit. Mühsal und Freudlosigkeit können einkehren. Auch Konflikte bleiben nicht aus. Sie führen dann zum Streit und nicht selten zur Trennung. Wir erleben, was es heißt, wenn die Liebe verschwindet. Auch zwischen Eltern und Kindern kann das eintreten. Das Verhältnis kühlt sich ab, und die Freude aneinander stirbt.
Und dieser Gefahr sind ebenso unsre Ideen und Wünsche ausgesetzt, unser Denken und unsere Meinungen. Auch die können sich verhärten und langsam leblos werden. Wenn wir unachtsam sind, werden wir geistig unbeweglich, erstarren in althergebrachten Vorstellungen, handeln nach eingefahrenen Mustern und reagieren dadurch oft unangemessen. Wir schotten uns gegen andere Meinungen ab, isolieren uns und werden letzten Endes einsam.
Das Leben ist also mitnichten immer nur schön. Das Gute ist – wie gesagt – ständig von innen und außen bedroht. Trotzdem verfallen wir diesen Gefahren sehr leicht. Wir wehren uns nicht dagegen, lassen es zu. Die negativen Kräfte gewinnen an Macht, und wir widerstehen ihnen nicht. Warum ist das so? Das müssen wir uns fragen. Dann kommen wir am ehesten darauf, warum es doch eine gute Botschaft ist, dass unser Glaube der Sieg über die Welt ist.
Unser lieb- und lebloses Verhalten hat nämlich etwas damit zu tun, dass wir vor dem Neuen eventuell Angst haben und es auch anstrengend finden. Alte Denkmuster, vertraute Reaktionen und Anschauungen, all das schafft uns Sicherheit. Wir fühlen uns in unseren Gewohnheiten zu Hause, richten uns darin ein, weil das am bequemsten zu sein scheint.
Genauso ist es mit den Beziehungen. Wir meinen, wir kennen die Menschen, mit denen wir befreundet sind oder die zu unseren Familien gehören. Und so haben wir immer irgendwelche Bilder voneinander. Das scheint das Zusammenleben zu erleichtern. Wir haben Angst, uns selber zu verlieren, wenn wir daran etwas ändern.
Und genau da setzt das Evangelium ein. Uns wird verkündet, dass es noch eine ganz andere Kraft gib, die uns Sicherheit verschafft und uns leben lässt. Wir müssen nicht in unseren Gewohnheiten bleiben. Wir können Christus vertrauen, der immer wieder alles neu machen kann. Seine Liebe ist stark, in ihr kommen wir in Berührung mit der Kraft Gottes des Schöpfers, und es ist gut, wenn wir die empfangen. Das hebt uns heraus und lässt uns die Welt überwinden. Es ist wie eine neue Geburt, wie ein Sieg, der uns befreit und erlöst.
Wir müssen dabei nur drei Dinge beachten. Zunächst einmal ist es wie mit dem Frühling. Der folgt ja dem Winter, d.h. ihm geht ein Sterben vorweg. Und dieses Prinzip durchzieht die ganze Schöpfung. Saat und Ernte, Geburt und Tod, überall ereignet sich derselbe Rhythmus. Freude und Trauer lösen sich ab, wir werden krank und wieder gesund, atmen ein und aus. Und so ist es auch mit Geist und Seele. Ihre Erneuerung geschieht nicht ohne eine Krise, die vorweg geht. Das Leiden an uns selbst, an den anderen und an der Welt gehört dazu. Erst wenn wir nicht mehr weiterwissen, fangen wir an, umzudenken.
Das müssen wir einsehen und bejahen, und das ist nicht ganz einfach. Doch wenn wir es tun, ist das der erste Schritt zu einem neuen Leben. Wir lösen uns damit aus der Erstarrung, lassen los und öffnen uns für das neue, das kommen will. Und ohne dieses Loslassen geht es nicht. So wie Christus gestorben und auferstanden ist, müssen auch wir Krisen durchleben.
Das ist der erste Punkt.
Und als zweites ist es wichtig zu wissen, dass wir dazu Geduld brauchen. Die Erneuerung unserer Beziehungen oder unseres Denkens geschieht nicht in einem Augenblick. Wir müssen uns dafür Zeit nehmen und uns von Christus und seiner Liebe prägen lassen. Seine „Informationen“ müssen unsere Seele erreichen und uns innerlich „aktualisieren“.
Wenn Sie einen Computer haben, kennen Sie das, denn da geschieht etwas Ähnliches. In regelmäßigen Abständen empfängt er neue Updates. Das sind Zusätze zur Software, die dazu beitragen, Probleme zu vermeiden oder zu beheben. Die Leistung und die Sicherheit des Computers werden verbessert, so dass die Arbeit damit leichter wird. Meistens beginnt das Herunterladen dieser Updates, wenn man den Computer ausschaltet. Wenn man ihn wieder anschaltet, werden die neuen Informationen installiert. Das dauert oft lange. Man kann nicht sofort wieder damit arbeiten und braucht Geduld.
So ist es auch mit dem Glauben und der Erneuerung des Lebens. Wir müssen uns geduldig der Liebe Christi aussetzen, damit sie Geist und Seele auf den neuesten Stand bringen kann. Die Aktualisierung braucht Zeit und Ausdauer. Das ist das Zweite, was wir beachten müssen.
Und als drittes ist noch wichtig, dass dieser Prozess nie zu Ende ist. Ich habe gerade einen Artikel über das Freiburger Münster gelesen. Das ist seit ca. 800 Jahren eine Dauerbaustelle. Wenn es die Steinmetze der Münsterbauhütte nicht gäbe, wäre diese „schönste Kirche Deutschlands“ – wie sie in dem Artikel genannt wird – längst eine Ruine. „Rissige Giebel, moosige Pfeiler und verwitterte Türmchen werden abgeworfen, damit bald wieder neue Giebel wachsen, Pfeiler sprießen, Kreuzblumen blühen und Maßwerk sich rankt.“ So ist es dort formuliert. Das Münster kommt dem Journalisten wie „ein riesiger, verästelter Organismus“ vor, „der sich erneuert, von Jahr zu Jahr“. (Oliver Fischer, Die Steinflüsterer, in: MERIAN 07/66, 2015, S. 50). Und das wird weitergehen, solange es Menschen gibt. Es hört nie auf.
Ich fand den Bericht faszinierend, denn genauso ist es mit unserem Leben: Es ist nie fertig. Wir können nie sagen, nun habe ich das mit der Liebe und der Offenheit verstanden, meine Beziehung ist gerettet, ich weiß, wo es lang geht. Wir müssen in Bewegung bleiben, uns immer wieder hinterfragen, Krisen durchleben und Gottes Liebe empfangen.
Die drei Beispiele – vom Frühling, vom Computer und dem Freiburger Münster – zeigen, dass die ganze Welt ständig auf Erneuerung angewiesen ist. In der Natur, in der Technik und in der Kultur, überall herrscht derselbe Grundsatz von Werden und Vergehen. Wir müssen unser Leben deshalb so anlegen und es von vorne herein so verstehen: Altes muss immer wieder erneuert und überwunden werden.
Und was ist daran eigentlich schlimm? Wir sollten da nicht so empfindlich sein, denn es geht um etwas zutiefst Positives. Wir haben in all dem die Verheißung, dass wir das Heil empfangen. Die Liebe ist da, sie ist in Jesus Christus erschienen und durch ihre Kraft können wir die Welt besiegen.
Und das ist eine wunderbare Botschaft. Das Vertrauen auf diese Kraft macht uns lebendig und stark wie der Frühling, wir bleiben seelisch und geistig immer auf dem neuesten Stand, und unser Leben wird wie eine Kirche, die von Licht durchflutet ist.
Amen.

Jesus lebt, mit ihm auch ich!

Predigt über 1. Petrus 1, 3- 9: Lebendige Hoffnung

1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti
3.4.2016, 9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

1. Peterus 1, 3- 9

3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten,
4 zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe,
das aufbewahrt wird im Himmel für euch,
5 die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
6 Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen,
7 damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.
8 Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude,
9 wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.

Liebe Gemeinde.
In vielen Kirchen weltweit – wie auch in der Jakobikirche hier bei uns – werden in der Osternacht Menschen getauft, die zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Diese Tradition. stammt schon aus der frühen Christenheit. Da fanden außerdem in der Osterwoche täglich Gottesdienste statt. Die Neu-Getauften nahmen daran in ihren weißen Taufkleidern teil und wurden in ein tieferes Verständnis der Sakramente eingeführt. Am Sonntag nach Ostern – den wir heute feiern – legten sie die weißen Gewänder dann feierlich ab. Deshalb heißt dieser Sonntag von alters her auch „Weißer Sonntag“.
Und das ist sehr passend, denn in unserem Kulturkreis wird die Farbe Weiß gerne mit Freude in Zusammenhang gebracht. Sie steht außerdem für Unschuld und Reinheit, ebenso für Unsterblichkeit und Unendlichkeit. Und das alles entspricht der Bedeutung der Taufe durchaus, denn sie ist ein freudiges Ereignis und wie eine neue Geburt, nach der der Mensch noch unschuldig und rein ist. Auch das ewige Leben wird ihm in der Taufe geschenkt.
In unserer Epistel von heute kommt das alles zum Ausdruck. Sie ist ein Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief, der mit den Worten beginnt: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch.“
Das ist ein hymnischer Dank, in dem Gott für seine „große Barmherzigkeit“ gelobt wird. Durch Jesus Christus hat er eine neue Lebenswirklichkeit geschaffen. Der Eintritt dahinein ist wie eine neue Geburt, die eine lebendige Hoffnung begründet. Und das alles ist durch die Auferstehung Jesu Christi verbürgt.
Es war in neutestamentlicher Zeit üblich, Briefe mit so einem Dank zu beginnen. Der Schreiber, der sich Petrus nennt, wahrte also die Form. Doch das war nicht der einzige Grund für diesen Briefanfang. Seine Worte haben noch einen tieferen Sinn, der im weiteren Verlauf des Textes auch deutlich wird.
Klar ist, dass er an Christen der sogenannten zweiten Generation schrieb. Sie waren Jesus Christus nicht persönlich begegnet, sondern durch die Predigt der Apostel zum Glauben an ihn gekommen. Sie hatten „ihn lieb und glaubten an ihn, obwohl sie ihn nicht gesehen haben“, wie es in unserem Textabschnitt heißt. Sie hatten sich also für Christus entschieden, und das war am Anfang mit viel Freude verbunden.
Wir wissen aber, dass das Glücksgefühl dieser Menschen nicht lange dauerte, denn sie gerieten bald in Bedrängnis. Von vielen Außenstehenden wurden sie verdächtigt, geschmäht, angeklagt und sogar vor Gericht gestellt, und so waren sie „traurig in mancherlei Anfechtungen“.
Das hat der Schreiber des Petrusbriefes vor Augen, und er will den Christen Mut machen. Sie sollen sich von ihrem neuen Bekenntnis nicht abbringen lassen, auch wenn sie deswegen verfolgt werden. Dazu erinnert er sie an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus. Es war gut, dass sie sich darauf eingelassen hatten, denn sie haben dadurch einen neuen Daseinsgrund. Das Wesensmerkmal ihrer Existenz ist nicht mehr die Angst vor dem Tod, sondern „das Ziel ihres Glaubens“, und das ist „der Seelen Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.“
Der Verfasser stellt ihnen also die Ewigkeit vor. Er lässt die himmlische Zukunft vor ihrem inneren Auge lebendig werden, und damit will er sie zum Durchhalten motivieren. Die Anfechtungen sind eine Prüfung, durch die ihr „Glaube als echt und viel kostbarer befunden wird als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird“. Das Leid ist kein Grund, vom Glauben wieder abzufallen. Es ist vielmehr eine Bewährungsprobe, mit der seine Echtheit festgestellt wird. Es dauert auch nur „eine kleine Zeit“ im Vergleich zur Ewigkeit, die auf sie wartet. Gott wird sie durch seine „Macht bewahren“ und „dann werden sie sich freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude“. Sie werden dabei sein, wenn „Jesus Christus offenbart wird“.
Der Briefschreiber will mit diesem Textabschnitt also Hoffnung und Freude wecken, auch wenn Verfolgung und Unterdrückung das Leben prägen. Er stellt in kunstvollem Stil die Gewissheit des Heils dar und spielt das Bedrückende der Situation herunter. Seine Botschaft lautet: Durch die Auferstehung Jesu Christi haben alle, die auf seinen Namen getauft sind, eine ewige Hoffnung. Das neue Dasein, das durch den Glauben geschenkt wird, hört im Tod nicht auf, es geht weiter. Die Freude des Heils ist zeitlos und weist über alles Irdische hinaus.
Das ist eine schöne Verheißung, die allen Gläubigen bis heute gilt, sie ist also auch an uns gerichtet. Wir werden mit Christus auferstehen, weil wir – wie alle Getauften – durch die Barmherzigkeit Gottes zu einem neuen Leben wiedergeboren wurden, und darüber können wir uns freuen. In vielen Osterliedern kommt das sehr schön zum Ausdruck. „Jesus lebt!“ Mit diesem Ruf beginnt z.B. jede Strophe eines Liedes von Christian Fürchtegott Gellert von 1757. (EG 115) Fortsetzungen sind dann „mit ihm auch ich!“, „Sein Heil ist mein.“ oder „Ich bin gewiss.“  Darin klingt sehr schön die Hochstimmung an, in die ihn der Glaube an die Auferstehung versetzt,
Die Frage ist allerdings, ob uns das genauso geht. Zweifel melden sich, wenn wir das hören oder lesen. Wir fragen uns: Stimmt das auch? Sind das nicht nur schöne Worte? Welche Wirkung haben sie denn angesichts des Todes? Und wie sollen wir das leben? Es geht doch gar nicht, dass wir in allen Situationen, selbst im Sterben noch unsere Hoffnung behalten, dafür ist es zu schlimm und zu bedrückend. Vieles, was wir an Not und Leid erfahren, lässt sich durch den Glauben nicht herunterspielen. Es behält seine Macht und stellt solche Verheißungen, wie wir sie hier hören, in den Schatten.
Mit diesem Problem müssen wir uns beschäftigen, und dafür ist es gut, wenn wir zunächst einmal bei unserem eigenen Denken und Fühlen anfangen und uns fragen: Von woher definieren wir uns eigentlich. Was ist unser Selbstverständnis? Was macht unsere Identität aus? Normaler Weise ist das alles Mögliche: Unsere Gaben und Fähigkeiten sind z.B. wichtig. Auch der Besitz spielt eine Rolle, ebenso Beziehungen, Familie und Freunde. Wir sind in großen Teilen unseres Lebens damit beschäftigt, etwas zu lernen und zu leisten, Geld zu verdienen, Erfolg und Anerkennung zu bekommen, zu lieben und geliebt zu werden. Das macht unser Leben aus, darüber definieren wir uns.
Dabei merken wir oft nicht, dass wir genau dadurch immer wieder in Leid geraten. Denn all das, was wir erreichen und aufbauen, kann aufhören, es ist vergänglich und brüchig. Unsere Leistungsfähigkeit lässt im Laufe des Lebens nach. Wir werden oft enttäuscht, verlassen, betrogen oder hintergangen. Andere Menschen tun uns Leid an, und so sind wir über weite Strecken des Lebens gar nicht freudig oder glücklich, sondern traurig, ärgerlich oder wütend. Auch Angst und Sorge sind ständige Begleiter. Und am Ende macht uns das Sterben zu schaffen. So lange es geht, verdrängen wir es, aber es kommt, und es ist unausweichlich. Da liegen wir dann und müssen erleben, wie unsere Kräfte schwinden und der Körper zerfällt. Und das ist eine große Not, auf die es keine Antwort gibt.
Auch für viele andere Probleme gibt es oft keine rechte Lösung. Natürlich suchen wir immer wieder danach. Die Psychologie und die Medizin unterstützen uns dabei, auch die Politik oder die Wirschaft. Aber viel Leid bleibt trotzdem bestehen, es gibt daraus kein Entrinnen.
Unser Elend hat also etwas damit zu tun, dass wir uns oft nur vom Diesseits her definieren, dass unsere Lebensinhalte weltlich und irdisch sind und damit ein Verfallsdatum haben. Ihre minderwertige Qualität ist die Ursache für unsere Trauer und unsere Angst, für Wut und Sorge.
Es ist deshalb gut, dass es noch eine ganz andere Ebene des Daseins gibt, und das ist die Ebene des Glaubens. In unserem Briefabschnitt werden wir auf unsere Beziehung zu Gott verwiesen. Uns wird eine religiöse Lösung angeboten. Durch die Barmherzigkeit Gottes gibt es einen neuen Daseinsgrund, den wir durch den Glauben an die Auferstehung Jesu Christi gewinnen können. Er hat ewigen Bestand, denn er ist nicht von dieser Welt. Nichts Irdisches haftet an ihm. Der Vergänglichkeit ist er nicht unterworfen.
Wenn wir uns damit identifizieren, drehen sich die Verhältnisse um: Nicht mehr die irdischen Nöte stellen die Verheißung in den Schatten, sondern diese großartige Perspektive relativiert alles andere. Unsere Zweifel verschwinden, und alle Fragen verstummen
Und das Wunderbare ist: Wir müssen gar nicht viel tun, um an diesem neuen Daseinsgrund teilzuhaben. Durch die Taufe sind wir bereits mit ihm verbunden. Unser Leben besteht dadurch aus noch viel mehr als aus unseren Gaben und Erfolgen. Auch unsere Beziehungen oder unser Besitz müssen uns letzten Endes nicht bestimmen, denn wir wurden von Gott her neu geboren. Durch die Taufe wurden wir in eine neue Wirklichkeit aufgenommen, und es gilt, dass wir uns von daher definieren. Wir sind eingeladen, uns die himmlische Zukunft vor unserem inneren Auge vorzustellen und uns davon prägen zu lassen. Das Leid und selbst das Sterben verlieren dann ihre Macht.
In unserem Briefabschnitt wird das Leid als „Prüfung für die Echtheit des Glaubens“ bezeichnet. Und das heißt, es ist keine absolute Gegebenheit, sondern es ist einem Zweck untergeordnet. Und zwar kann es uns auf das Heil hinweisen, das bei unserer Taufe in unser Inneres eingesenkt wurde. Es lässt mich fragen: Lebe ich wirklich aus dem Glauben oder lebe ich aus den äußeren Verhältnissen? Und die Antwort sollte sein: Mein Leben ist in Jesus Christus begründet, in seiner Auferstehung und in der Ewigkeit. Das Leid kann uns immer wieder dahinführen, uns von Gott her zu definieren, und nicht vom Gelingen des irdischen Lebens.
Wer das beizeiten beherzigt und sich darin übt, hat auch im Sterben noch eine Hoffnung. Die Verheißung des Evangeliums ist nicht bloß ein Wort, sie erweist sich vielmehr gerade dann als echt und tragfähig. Sie schafft Zuversicht und Trost. Eine gute Praxis ist dafür das regelmäßige Wiederholen des christlichen Bekenntnisses. Es ist gut, wenn auch wir immer wieder Gott loben und ihm für „seine große Barmherzigkeit“ danken. Dann wird die Hoffnung lebendig, und die „Auferstehung Jesu Christi“ bleibt aktuell.
Möglicherweise ist das nicht jedem Christen oder jeder Christin in ihrer Sterbestunde gegenwärtig, denn am Ende versagt oft auch der Geist. Aber dann können andere für sie einspringen. Wenn wir Sterbende begleiten, können wir für sie an das „unvergängliche und unbefleckte und unverwelkliche Erbe“ glauben, es ihnen wünschen und an der Überzeugung festhalten, dass es „im Himmel für sie aufbewahrt wird.“ Denn wir können uns darauf verlassen, dass es ihnen bereits bei ihrer Taufe versprochen wurde.
Es ist eine alte und sehr sinnvolle Tradition, dass der Taufsegen die Zusage des ewigen Lebens enthält. Die klassische Formulierung lautet: „Der allmächtige Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der dich von neuem geboren hat durch das Wasser und den heiligen Geist und dir alle deine Sünde vergibt, der stärke dich mit seiner Gnade zum ewigen Leben.“ Auch Säuglingen wird dieser Segen gegeben, d.h. sie werden bereits bei der Taufe in die Wirklichkeit hineingenommen, die auch nach dem Tod noch da ist. Durch ihre Taufe legen wir den neuen, ewigen Daseinsgrund, und der trägt bis zum Ende. Deshalb gilt auch das Umgekehrte: Bei der Grablegung erinnern wir an die Taufe mit folgenden Worten: „Gott vollende an dir, was er dir in der Taufe geschenkt hat und gebe dir Anteil an seiner Herrlichkeit“.
Nicht umsonst ist auch das Totenhemd in der Regel weiß. Es bekleidet den Leichnam nach Eintritt des Todes bis zu seiner Bestattung. Und wenn die Angehörigen es nicht anders wünschen, wird damit bewusst eine symbolische Verbindung zum Taufkleid hergestellt. So kommt zum Ausdruck, dass das ganze Leben von der Taufe bis zum Tod wie ein großer Bogen ist, der sich unter der Barmherzigkeit Gottes auspannt. Alle Christen können mit Freude in die Osterlieder einstimmen und überschwänglich mitsingen:
„Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben. Welchen Trost in Todesnot wird er meiner Seele geben, wenn sie gläubig zu ihm spricht: ,Herr, Herr, meine Zuversicht!‘“
Amen.

Der Predigt liegt eine Meditation von Anselm Grün zu Grunde
in: Meditative Zugänge zu Gottesdienst und Predigt, Predigttext-Reihe II,1, Advent bis Kantate, Göttingen, 1982, S. 153ff