Du öffnest, Herr, die Türen

Predigt über Apostelgeschichte 2,1-14.22-24: Das Pfingstwunder

Pfingstsonntag, 24.5.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Abends, spätestens vor dem Schlafen gehen, verschließen wir in der Regel unsere Türen. Wir wollen nicht, dass ungebetene Gäste in unser Haus bzw. unsere Wohnung kommen und uns unangenehm überraschen. Das Verriegeln gibt uns Sicherheit. Wir schließen ja auch Menschen ein, die gefährlich sind, oder Tiere oder Geld oder wertvolle Gegenstände. Dahinter steht immer eine Angst oder eine Sorge.

So war es auch bei den Jüngern nach dem Tod Jesu. Im Johannesevangelium heißt es: „Die Jünger waren versammelt und die Türen waren verschlossen aus Furcht vor den Juden.“ (Joh.20,19) Und so blieben sie in einem Haus in Jerusalem und versteckten sich im „Obergemach“. Dort „pflegten sie sich aufzuhalten“. (Apg. 1,13)

Sie glaubten zwar an die Auferstehung Jesu und hatten sich auch nicht getrennt, aber sie waren unsicher und wussten nicht, wie es nun weitergehen sollte. Auf jeden Fall trauten sie sich mit ihrem Glauben nicht an die Öffentlichkeit. Sie fürchteten sich vor den Juden und den Römern, die ja schließlich dafür gesorgt hatten, dass Jesus hingerichtet worden war. Wenn sie sich öffentlich zu ihm bekennen würden, dann würde es ihnen nicht viel anders ergehen als ihm, das war ihre Sorge, und deshalb zogen sie sich lieber zurück.

Doch nach 50 Tagen geschah etwas, das ihre Situation grundlegend veränderte. Das Ereignis steht am Anfang der Apostelgeschichte, es war das Pfingstwunder, und das wird folgendermaßen erzählt:

Apostelgeschichte 2, 1- 14. 22b- 24

1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.
2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen,
4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.
6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa?
8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache?
9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien,
10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom,
11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?
13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.
14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen!
22b Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst –
23 diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht.
24 Den hat Gott auferweckt und hat aufgelöst die Schmerzen des Todes, wie es denn unmöglich war, dass er vom Tode festgehalten werden konnte.

Am Pfingstfest der Juden geschah also ein Wunder: Der Heilige Geist kam auf die Jünger herab, und zwar mit Wind und mit Feuer. Die waren mit einem Mal da, und es sind Energien: Der Wind bewegt alles, was ihm begegnet. Wo vorher Stillstand war, ist plötzlich was los. Und so ähnlich ist es mit dem Feuer, das ist ebenfalls eine Kraft, die vieles verändern und bewirken kann. Deshalb sind der Wind und das Feuer sehr gute Bilder für den Heiligen Geist: Auch er ist Energie und Kraft, er setzt in Bewegung, verändert und wirkt.

Und mit dieser Energie waren die Jünger plötzlich erfüllt. Die Angst war wie weggeblasen, alle Furcht war von ihnen abgefallen, und sie verließen ihr Versteck. Sie öffneten ihre Türen, gingen auf die Straße und fingen an, von Jesus Christus zu reden. Sie verkündeten seine Auferstehung und waren davon plötzlich so begeistert, dass sie sich nicht mehr zurückhalten wollten.

Und dann geschah das nächste Wunder: Jeder verstand sie, „denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.“ Gott löste alle Hindernisse zwischen den Menschen auf. Er öffnete die Lippen der Apostel und die Ohren der Hörenden. Eine wunderbare Verständigung trat ein, der Geist steckte alle an. Viele kamen zum Glauben an Jesus Christus und wollten sich taufen lassen. Das wird etwas weiter unten erzählt. Der Heilige Geist hatte die Menschen bewegt, ihr Denken erhellt und alles verändert.

Und das war nicht nur ein historisches Ereignis, sondern es kann sich jederzeit wiederholen. Denn der Heilige Geist ist auch heute noch lebendig und weht überall. Er schenkt neue Einsichten, Mut und Zuversicht. Furcht und Todesangst verschwinden. Wen er ergreift, fühlt sich frei und unbeschwert. Türen öffnen sich, es entsteht Gemeinschaft und Liebe. Und das sind wunderbare Eigenschaften und Wirkungen. Lasst uns deshalb fragen, wie der Heilige Geist auch in der heutigen Zeit wehen und arbeiten kann.

Die Situation der Jünger können wir uns gut vorstellen, denn bei uns waren genauso wie bei ihnen ungefähr zwei Monate lang die meisten Türen zu. Wir sollten am besten zu Hause bleiben und uns nicht mit anderen treffen. Bis auf die Läden waren alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen und viele sind es immer noch. Dahinter steht ebenfalls eine Angst: Es ist die Furcht vor dem Corona-Virus, und die ist auch noch nicht weg. Vieles wird langsam zwar wieder geöffnet, so auch unsere Kirchen, aber Vorsicht ist nach wie vor geboten. Das Stichwort, das jetzt gilt, ist „die neue Normalität“. Dazu gehören Abstands- und Hygieneregeln, Mund- und Nasenschutz, Dokumentationspflicht bei Veranstaltungen usw.

So richtig frei fühlen wir uns also weiterhin nicht. Dabei verwirren uns mittlerweile die vielen verschiedenen Meinungen zu diesem Thema. Die Gegenstimmen werden lauter, Wissenschaftler*innen legen voneinander abweichende Theorien vor, die Studien und Statistiken sind nicht alle gleich, Politiker*innen vertreten unterschiedliche Strategien usw. Wer hat denn nun Recht? Das fragen sich inzwischen viele. Die Unsicherheit bleibt also, selbst bei geöffneten Türen, und die sogenannte „neue Normalität“ fühlt sich irgendwie gar nicht normal an. Wir sind geschwächt und angreifbar.

Das ist unsere gegenwärtige Situation und Stimmungslage, und dahinein schenkt uns das Pfingstfest nun eine wunderbare Botschaft. Denn uns wird verkündet: Es gibt einen besseren Weg zu einem angst- und sorgenfreien Lebensgefühl, als es uns z.Zt. angeboten wird, denn es gibt noch eine ganz andere Realität, als die der Wissenschaft, der Politik oder des eigenen Denkens. Es ist der Heilige Geist, der uns alle ergreifen kann, wir müssen nur damit rechnen. Dann verschwinden Unsicherheit und Furcht ganz von selber, wir fühlen uns frei und werden gestärkt. Denn er verbindet uns mit Jesus Christus, der den Tod überwunden hat. Wir müssen uns davor also nicht mehr fürchten.

Letzten Endes steht hinter dem Verschließen von Türen ja immer eine Todesangst. Sei es die Quarantäne wegen einer Infektion, ein Besuchsverbot in Altersheimen oder auch nur das Verschließen der Türen am Abend: Wir tun es, um unser Leben zu sichern, um nicht zu sterben.

Auch die Jünger fürchteten den Tod und schlossen sich deshalb ein. Wie sie da wieder herauskommen würden, wussten sie nicht. Am einfachsten wäre es eigentlich gewesen, ihren Glauben an Jesus Christus abzulegen, aber das taten sie nicht. Sie blieben zusammen und bildeten eine verschworene Gemeinschaft, denn sie waren davon überzeugt, dass Jesus lebte. Deshalb warteten und beteten sie einfach, d.h. sie blieben mit Gott in Verbindung, hielten an ihrer Überzeugung fest und hatten Geduld. Und weil sie das alles taten, konnte die Kraft des Heiligen Geistes sie ergreifen und erfüllen. Sie fanden Trost und Hoffnung, Zuversicht und Freude.

Und das kann auch bei uns geschehen, wir müssen uns nur genauso verhalten wie die Jünger, und das heißt: Anstatt unser Lebensgefühl von dem bestimmen zu lassen, was von außen an uns herangetragen wird, wenden wir uns nach innen, beten und halten zusammen, glauben und vertrauen auf Jesus Christus. Unsere „Herzenstür“ kann immer offenstehen, das kann kein Gesetz der Welt verbieten, und Jesus kann dort jederzeit mit seinem Geist einziehen.

Wir sind es ja nicht gewohnt, dass der Staat so viel Macht über unser Leben hat wie in der letzten Zeit, und sogar in unsere privatesten Beziehungen hineinregiert. Das fühlt sich nicht gut an, es regt sich Widerstand. Doch anstatt uns dagegen aufzulehnen, ist es besser, wenn wir eine noch viel stärkere Macht über unser Leben zulassen: die Macht des Heiligen Geistes. Er verbindet uns mit Jesus Christus, der den Tod überwunden hat. Er schafft eine neue Realität, in der Krankheit, Leid und Sterben ihre Bedeutung verlieren. Der Heilige Geist hebt uns weit über all das hinaus. Er lässt uns aufatmen, befreit uns und macht uns stark.

Und dieses Lebensgefühl sollte unsere „neue Normalität“ sein. Anstatt die Antworten auf unsere Fragen von anderen Menschen oder von uns selbst zu erwarten, rechnen wir mit Gott: Wir beten und halten zusammen und glauben an etwas Großes, nämlich daran, dass Jesus bei uns ist und den Tod überwunden hat.

Dann öffnen sich auch die Türen unserer Häuser und Kirchen ganz von selbst, und das ist gut, ob nun mit Hygieneregeln oder ohne. Wichtiger als die Form unserer Zusammenkunft ist die Tatsache an sich, dass wir hier Gottesdienst feiern und uns zu der Quelle führen lassen, die uns allen Leben schenkt.

Der evangelische Theologe und Kirchenmusiker Friedrich Hofmann hat dazu 1986 ein schönes Lied gedichtet (EG, Ausgabe für die Nordelbische Kirche, Nr. 567) . Es lautet:

1. Du öffnest, Herr, die Türen, lädst uns zur Kirche ein, willst uns zur Quelle führen, zum Wasser frisch und rein.
2. Du machst uns dir zu eigen, gibst uns zum Guten Kraft, hilfst Liebe uns erzeigen; du bist’s, der Neues schafft.
3. Aus deinen Quellen leben lehr uns, du Guter Hirt. Du hast dein Wort gegeben, dass uns nichts mangeln wird.
4. Die Taufe ist das Zeichen, dass du stets bei uns bist. Lass uns von dir nicht weichen und mach uns treu, Herr Christ!
5. Gelobt sei deine Treue und deiner Liebe Licht! Stell täglich uns aufs neue, Herr, vor dein Angesicht.
6. Du öffnest uns die Türen, lädst uns zum Leben ein; willst uns zur Freude führen, auf ewig dein zu sein.

Amen.