Wandelt als Kinder des Lichtes

Betrachtungsgottesdienst Kinder des  Lichtes“,  26.7.2015, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

8. Sonntag nach Trinitatis
Predigt über Johannes 12, 35f: Werdet Kinder des Lichtes

Wir haben im Gottesdienst wieder zwei Kunstwerke betrachtet. Das war einmal das  Buntglasfenster unserer Kirche, auf denen Feuerflammen zu sehen sind, und ein Gemälde von der Künstlerin Cornelia Patschorke, das den Titel trägt: „Er kam als Licht in die Welt“.
Mit den Betrachtungen wurden wir an den Heiligen Geist und das Licht Christi erinnert. Wir sollen es empfangen. Der Wochenspruch dazu lautet: „Wandelt als Kinder des Lichtes. Die Frucht des Lichtes ist lauter Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ (Epheser 5,9) Es ging also darum, dass unser Lebenswandel vom Licht und vom Geist Christi geprägt sein möge.

 

Betrachtung des Buntglasfensters Flammen
von Binia Kempe

Ausgangspunkt unseres Gottesdienstes heute ist einPfingstenes der Buntglasfenster. Sie haben alle am Eingang eine Karte mit der Abbildung des Fensters bekommen. Wenn Sie das Fenster im Original genauer betrachten möchten und dafür einen ungünstigen Platz haben, setzen Sie sich doch bitte gern jetzt auf einen anderen Platz.

Die Epistellesung für den heutigen Sonntag steht im Brief des Paulus an die Epheser im 5. Kapitel und ist überschrieben mit: Kinder des Lichtes.

Epheser 5, 8b- 13

8b Nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
9 Wandelt wie die Kinder des Lichtes – die Frucht des Lichtes ist lauter Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit –
10 und prüfet, was da sei wohlgefällig dem Herrn.
11 Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie vielmehr.
12 Denn was heimlich von ihnen geschieht, das ist schändlich auch nur zu sagen.
13 Das alles aber wird offenbar, wenn´s vom
Licht gestraft wird; denn alles was offenbar wird, das ist Licht.
14 Darum heißt es: Wache auf, der du schläfst,

und stehe auf von den Toten,
so wird dich Christus erleuchten.

Was sehen wir nun in unserem Fensterbild?
Der Künstler, der die Fenster geschaffen hat – das war im Jahre 1963 Gerhard Hurte aus Eutin – hat wohl, das dürfen wir sicher annehmen, an das Pfingstfest gedacht. In der Apostelgeschichte wird das Pfingstgeschehen so erzählt:
„Und es erschienen ihnen Zungen, wie von Feuer, die sich verteilten und sich auf jeden von ihnen setzten, und sie wurden alle mit dem heiligen Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu predigen, wie der Geist es ihnen eingab.“ (Apg. 2, 3f)
Wir sehen Zungen, man spricht auch von Feuerzungen, gelb und heiß. Feuerzungen die in den blauen Himmel lodern und Licht geben.
Das Feuer war in der damaligen Welt des Alten und Neuen Testaments eines der vier Elemente, aus denen die Welt besteht: Wasser, Erde, Luft und Feuer.
Im Alten Testament ist das Feuer meist Bild und Symbol für den Zorn Gottes.
Im Neuen Testament ist es dann Symbol der Herrlichkeit und Heiligkeit Gottes, zum einen brennend und verzehrend und zum anderen leuchtend und Wärme spendend.
Es ist aber auch Symbol des Heiligen Geistes, zum einen wegen der Pfingstgeschichte und zum anderen wegen der Worte Johannes des Täufers:
Ich taufe euch mit dem Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.  (Mt. 3,11)
Das Feuer – zum einen beängstigend, verzehrend und heiß, zum anderen reinigend und Helligkeit, Wärme und Licht gebend: so viele verschiedene Möglichkeiten sind in dem Feuer.
Wie hatte Luther übersetzt im Epheserbrief:
„Wache auf, der du schläfst,
und stehe auf von den Toten,
so wird dich Christus erleuchten. (5,14)
Erleuchtung – ja, auch darin ist das Bild vom Feuer.
Der heilige Geist kann uns auf so viele verschiedene Arten erleuchten.

 

Betrachtung des Gemäldes Er kam als Licht in die Welt von Cornelia Patschorke (2003)
von Christa LehmannLicht

Ein zweites Bild, ein zweiter Zugang zum Thema „Licht“ – Sie halten die Karte in der Hand. Geschaffen
wurde das Werk von Cornelia Patschorke, einer zeitgenössischen Künstlerin, im Jahr 2003. Sie hat dazu Acrylfarbe und Sand auf eine 90 x 90 cm große Leinwand  aufgebracht.
„Er kam als Licht in die Welt“ nennt sie diese Darstellung. Ein dunkles Blau in verschiedenen Abstufungen und leuchtendes Gelb bestimmen das Bild, wobei das Gelb wie eine Säule die blauen Flächen von einander trennt. Es wirkt wie ein Lichteinbruch in den quadratischen Raum, der – wie die Zahl vier – als Symbol für die Welt verstanden werden kann. Wir erinnern uns an die Schöpfungsgeschichte:
„… es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ (1. Mose 1, 2-5a)
Die Kraft des Lichts drängt die Dunkelheit zurück. Das ist die Aussage dieser Darstellung. So kommt uns als zweites Jesus in den Sinn, der von sich selbst sagte: „Ich bin das Licht der Welt.“ (Joh 8,14) Aus dem Bild ist zu spüren, was Johannes am Anfang
seines Evangeliums schreibt: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (1,5) Und etwas weiter spricht er das an, was die Künstlerin auch mit dem quadratischen Format ausdrückte: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ (1,9)
In der Lesung aus dem Matthäusevangelium haben wir eben gehört: „Ihr seid das Licht der Welt“ (5, 14a) Oder, wie es bei Johannes heißt: „Wer mir nachfolgt,…wird das Licht des Lebens haben“ (8,14) Das bedeutet doch, dass wir als Christen am Licht Jesu Christi teilhaben, wenn wir uns auf ihn einlassen, ihn in unser Leben hineinlassen. Sein Feuer will in uns brennen. Durch jeden und jede von uns – trotz all unserer  Unvollkommenheit – will Jesus seinem Licht Raum schaffen in dieser so oft dunklen und kaltherzigen Welt: „damit sie eure guten Werke sehen und – darum geht es! –  euren
Vater im Himmel preisen.“ (Mt. 5,16)

 

Predigt über Johannes 12, 35f

Johannes 12, 35.36:

35 Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
36 Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.

Liebe Gemeinde.
Wir haben zwei Bilder betrachtet, die das Licht zum Thema hatten, unser Pfingstfenster und ein modernes Gemälde. Es sind zwei geistliche Bilder, d.h. sie wollen die biblische Botschaft veranschaulichen, und das ist ihnen auch sehr gut gelungen.
Vom Licht ist ja an vielen Stellen in der Bibel die Rede, und es steht immer im Zusammenhang mit der göttlichen Kraft und Gegenwart. Sie ist wie Feuer und Wärme, sie verdrängt die Finsternis und bringt Licht und Klarheit. Das zeigen die Bilder sehr schön.
Dabei sollen wir das nicht nur hören und betrachten. Das Ziel der biblischen Aussagen und der Bilder ist vielmehr, dass wir das Licht empfangen und selber darin wandeln. Es kann die Dunkelheit aus unserem Fühlen und Denken vertreiben, und darauf sollen wir uns einlassen. Christus möchte, dass sein Feuer in uns brennt, wie wir gehört haben. Er lädt uns ein, „Kinder des Lichtes“ zu werden.
Dazu gibt es viele Stellen im Neuen Testament. Einige haben wir bereits gehört. Im Johannesevangelium finden wir diese Aussagen in einem Gespräch, das Jesus mit seinen Jüngern führt. Sie waren bereits in Jerusalem, um am Passafest teilzunehmen. Die Stadt war also voll von Menschen, und Jesus hatte bei seinem Einzug auch Aufsehen erregt. Deshalb war er mit seinen Jüngern jetzt nicht allein, sondern viel Volk stand um ihn herum und hörte zu. An diese Menschen sind seine Worte ebenso gerichtet, wie an die Jünger.
Er thematisiert darin seinen nahe bevorstehenden Tod und will erklären, warum der geschehen muss: Er wird nicht sinnlos sein, sondern Frucht tragen und neues Leben schaffen. Er wird den Menschen das Heil bringen. Das ist seine Botschaft, und er fordert die Zuhörer dringend auf, daran zu glauben. Besonders in seinen abschließenden Worten kommt dieser Ruf in die Nachfolge zum Ausdruck. Sie lauten:
35 Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
36 Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.
Er wusste, dass sein Tod eine Verheißung hatte, dass er Heil bewirkt und ewiges Leben. Doch das geht nur dem auf, der an Jesus glaubt. Das betont er hier. Er bietet den Umstehenden eine letzte Chance an, diesen Glauben anzunehmen. Das Dunkel der Nacht wird kommen, davon war er überzeugt, und dann brauchen sie das Licht, das von ihm ausgeht. Wenn sie es jetzt annehmen, werden sie als „Kinder des Lichtes“ zu ihm gehören und durch seine Erhöhung am Kreuz zum ewigen Leben gerettet werden. Das ist hier die Botschaft, und die gilt auch uns.
Doch wie geht das nun, und wollen wir das überhaupt? Akzeptieren wir diesen krassen Gegensatz, der auch auf den Bildern dargestellt ist? Sehen wir es genauso, dass wir mit Jesus das Licht haben, ohne ihn aber in der Finsternis wandeln?
Die Aussagen sind uns wahrscheinlich etwas zu dringlich und zu radikal. So dunkel ist es doch in unserem Leben gar nicht, selbst wenn wir nicht an Jesus glauben. Und wenn wir es tun, dann müssen wir trotzdem nicht gleich so kompromisslos sein, denn in vielen Bereichen des Lebens brauchen wir Jesus nicht. Da zünden wir lieber selber Lichter an, und dann wird es auch ohne ihn hell und klar.
Denn wir haben vieles, worüber wir uns freuen, und können unseren Verstand gebrauchen, um zu erkennen, wo es lang geht. Unser Fühlen und Denken geben uns die Richtung an, wir handeln aus eigener Kraft, und das meiste gelingt uns auch ganz gut. Das ist unsere gängige Meinung.
Aber stimmt die eigentlich? Ist es wirklich so, dass wir immer klar kommen, auch ohne Glauben und ohne die Kraft Gottes? Lassen Sie uns diese Meinung einmal überprüfen. Unser Fühlen und Denken haben ja ihre Grenzen, das sollten wir uns klar machen. Wir sollten einmal ehrlich sein und zugeben, dass es mitnichten heilsam ist, wenn wir nur unserem eigenen Willen folgen. Im Gegenteil, viele Probleme entstehen genau dadurch, dass uns unsere Ideen und Einsichten oft so wichtig sind.
Das erste Problem ist, dass wir uns durch unser eigenes Den-ken oft unter Leistungsdruck setzen. Es verursacht Unruhe und Hektik, ist anstrengend und macht uns müde. Irgendwann sind wir erschöpft und haben keine Kraft mehr. Das ist die eine Grenze, an die wir früher oder später geraten.
Dazu kommt, dass sich in unser Denken immer auch trübende Elemente mischen. Das sind unsere z.B. unsere Wünsche und Phantasien, Erwartungen und Illusionen. Wir sind ja nie ganz frei davon, und dadurch werden wir unseren Mitmenschen gegenüber leicht einmal ungerecht. Wir überschätzen unsere Möglichkeiten, werden laut und machen uns und andere scheu. Wir verlieren viele unnötige Worte, verschwenden Energie und verletzen uns gegenseitig. Oft entstehen mehr Probleme, als dass welche gelöst werden, denn viele Beziehungen werden belastet und möglicher weise sogar zerstört. Oft spielt Gewalt in unser Handeln mit hinein, denn sie äußert sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Konflikte und Spaltungen sind die Folgen, und im schlimmsten Fall Mord und Totschlag.
Die schrecklichsten Beispiele dafür sind die Fanatiker, Terro-risten oder die Nationalsozialisten. An ihnen erkennen wir, wie schnell wir in die Irre geleitet werden können, und wo uns das hinführt. Da ist es dann wirklich finster, denn es herrschen Bosheit und Lüge. Die Dunkelheit bricht herein, Unfrieden, Krieg und Zerstörung breiten sich aus.
Das meint Jesus mit der „Finsternis“, und wir sollten seine Aussagen doch ernst nehmen. Denn die Finsternis ist für uns eine Gefahr. Selbst wenn wir nicht gänzlich darin gefangen sind, es ist schon schlimm, wenn wir uns überhaupt in diese Richtung bewegen. So weit sind wir von der Dunkelheit, die uns verschlingen kann, dann nicht mehr entfernt, und es ist gut, wenn wir auf die Worte Jesu hören.
Sie können uns retten und bewahren, denn er bringt uns ein Licht, das größer und heller ist, als all unsere Gedanken und Gefühle. Es hat eine ganz andere Qualität, denn es ist nicht von dieser Welt. Es kann deshalb alles durchdringen und leuchtet tiefer in unsere Wirklichkeit hinein, als unsere eigenen Lichter es jemals können. Sie verblassen dagegen geradezu. Jesus kann uns eine Klarheit schenken, die unser eigenes Fühlen und Nachdenken bedeutungslos macht.
Und zu diesem Licht und dieser Klarheit sind wir heute einge-laden. Wir sollen seinen Geist empfangen, sein Feuer soll in uns brennen und sein Licht in uns leuchten. Wenn wir es gewinnen wollen, ist es deshalb gut, wenn wir zunächst einmal inne halten und ruhig werden, unsere eigenen Gedanken loslassen, egal, wie gut wir sie finden. Anstatt etwas zu tun, müssen wir ins Licht Christi schauen, auf ihn, und uns von ihm erfüllen lassen. Er möchte uns sein Licht und seine Klarheit schenken, uns reinigen und erleuchten. Er verkündet uns, dass die Lösung unserer Probleme längst da ist. Wir müssen gar nicht so viel machen, nicht die Welt verbessern oder andere Menschen belehren, niemanden retten oder heilen. Das kann Jesus viel besser und er will es auch. Denn mit ihm ist Gott in diese Welt gekommen. Er ist für uns gestorben und auferstanden, und die Ewigkeit steht offen. Wir haben keine andere Aufgabe, als seinen Geist zu empfangen und in seinem Licht zu wandeln. Das reicht schon aus, wenn wir etwas Gutes tun wollen. Denn das hat Folgen.
Wir werden ruhig und fest, Freude und Gelassenheit ziehen in unseren Geist ein. In unserer Seele entsteht Frieden. Und wenn das so ist, bringen wir mehr in die Welt, als alle anderen, denn wir bringen „Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“, wie es im Epheserbrief heißt. Es herrschen also nicht mehr Rechthaberei und Gewalt, sondern Freundlichkeit und Erbarmen. Fairness und Redlichkeit bestimmt unser Handeln, wir erlangen Sicherheit und Gewissheit. Und das wichtigste, das wir den Menschen geben können, was ihnen am meisten fehlt, ist das ewige Licht. Es kann sich durch uns ausbreiten und vermehren und diese Welt heller und wärmer machen.
Lassen Sie uns deshalb dem Aufruf Jesu folgen und „Kinder des Lichtes“ werden.
Amen.
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Der rettende Ruf

Predigt über Lukas 5, 1- 11: Berufung des Petrus und seiner Freunde

5. Sonntag nach Trinitatis, 5.7.2015, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

Lukas 5, 1- 11

1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth
2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Gemeinde.
„Alles stehen und liegen lassen“, diese Redensart kennen und gebrauchen wir gerne. Sie bedeutet laut Wörterbuch, dass „man aus Eile eine Sache nicht erledigt und überstürzt die bisherige Tätigkeit beendet, um etwas Dringenderes zu tun.“
Es ist eine Flucht, und die geschieht aus unterschiedlichen Gründen und verschiedenen Situationen heraus. Wir erleben es gerade in großem Umfang, dass Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, weil bei ihnen Krieg herrscht oder Hunger und Armut. Man kann aber auch vor einer Aufgabe fliehen, aus einer Beziehung, aus einem Konflikt, weil man Angst hat, unter Druck steht und irgendetwas nicht mehr aushält. So ist es z.B. bei jemandem, der im Internet um Rat fragte. Er schreibt: „Einfach abhauen, weil alles nur noch schrecklich ist. Kein Job, Freundin ist weg und man kann seine Rechnungen nicht mehr zahlen.“ Und deshalb hat er sich überlegt, dass er einfach ein paar Sachen packt und irgendwo mit dem Zug hinfährt.
Normalerweise geschieht es gezwungenermaßen, „dass man alles stehen und liegen lässt“, weil man keinen anderen Ausweg mehr sieht.
In unserem Evangelium ist es anders. Es endet mit dem Satz: „Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.“ Sie ließen also „alles stehen und liegen“, aber in diesem Fall passiert es freiwillig, aus eigenem Antrieb heraus.
Die Geschichte kennen Sie sicher alle, sie handelt von Jesus und den Fischern Simon, Jakobus und Johannes. Am See Genezareth treffen sie sich am Anfang der Wirksamkeit Jesu. Es beginnt mit seiner vollmächtigen Verkündigung: Er hält eine Missionspredigt und hat viele interessierte Zuhörer. Hinter ihm auf dem See liegen zwei leere Boote. Die Fischer waren ausgestiegen, um die Netze zu waschen. Ohne um Erlaubnis zu bitten, steigt Jesus in eines der beiden. Denn von dort aus will er die Menge nach der Verkündigung belehren, d.h. seine Predigt näher erklären und die Menschen in weiteren Einzelheiten unterweisen. Um eine gute Akustik zu haben, soll das Boot einige Meter auf den See hinausgefahren werden. Es befindet sich wahrscheinlich in einer Bucht, und die Menge nimmt am Ufer im Halbkreis Platz.
„Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“
So geht die Geschichte dann weiter. Plötzlich ist nicht mehr die Menschenmenge im Blick, sondern das, was im Boot geschieht: Es ergeht ein Befehl an den Besitzer, der Simon heißt, und der gehorcht aufs Wort. Und das ist erstaunlich, denn eigentlich ist die Aufforderung unsinnig. Die Fischer sind die ganze Nacht unterwegs gewesen um etwas zu fangen, weil das dafür die günstigste Zeit ist. Nun ist bereits morgen, und sie waren erfolglos geblieben. Aber „auf sein Wort“ wirft Simon die Netze noch einmal aus. Es ist stärker als seine berufliche Erfahrung. Und dann fangen sie so viele Fische, dass die Netze zu reißen beginnen. Fischer von einem anderen Bott müssen helfen, um sie an Bord zu ziehen. „Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.“
Es geschieht also ein Wunder, und das überwältigt Simon. Er begreift, dass Jesus kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein göttliches Wesen ist, Herr der Naturereignisse. Und Simon gerät außer sich, fällt zu Jesu Knien und spricht: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ Er redet Jesus mit „Kyrios“ an, einer Ehrenbezeichnung, die sich bis heute in der christlichen Gemeinde gehalten hat. D.h. er hat die Sache erfasst und versteht sich plötzlich neu. Er spürt, dass er ein „sündiger Mensch“ ist und bekehrt sich zu Jesus. Die Fülle des Fangs hat ihn und die anderen verändert.
Und dann folgt Jesu Wort, das dem erschreckten Gewissen Simons und auch seiner Gefährten, Johannes und Jakobus gilt: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Sie sollen Missionare werden und Menschen für Jesus und das Reich Gottes gewinnen.
Zum Schluss wird kurz festgestellt, was ich schon am Anfang erwähnte: „Sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.“ Sie „ließen alles stehen und liegen“ und gingen mit Jesus. Sie wurden zu seinen engsten Vertrauten und taten von nun an, was Jesus von ihnen wollte. Sie lernten von ihm und wurden später als Missionare ausgesandt.
Die Geschichte besteht also aus drei Schritten: Den ersten Schritt macht Jesus, er kommt und sieht Simon und tut ein Wunder. Daraufhin ruft er Simon in die Nachfolge, wählt ihn aus und will etwas von ihm. Und am Ende entscheidet Simon sich für Jesus, er erkennt eine große Aufgabe, für die er sein bisheriges Leben verlässt. Etwas Besseres und Größeres lockt ihn und lässt ihn nachfolgen.
Das wird uns hier erzählt, und beim Hören oder Lesen entsteht unwillkürlich die Frage: Sollen wir dasselbe tun? Viele von uns schrecken davor natürlich zurück. Wir lieben unser Leben, wie es ist, haben uns etabliert, hängen an unseren Aufgaben und Familien, bevorzugen den festen Wohnsitz und genießen den Wohlstand. Ich kenne zwar einen Menschen, der tatsächlich für Jesus seinen Beruf als Unternehmensberater an den Nagel gehängt hat und Mönch wurde, und ein anderer aus derselben Berufsgruppe, von dem mir erzählt wurde, arbeitet heutzutage als Missionar. Aber sind das Vorbilder, die allgemein gelten, denen wir alle nacheifern sollten?
Dann würde doch die Gesellschaft zusammenbrechen, das ist ein Einwand, den ich oft höre. Die vielen Aufgaben, die das Zusammenleben regeln und erst möglich machen, könnten nicht mehr bewältigt werden. Ganz zu schweigen davon, dass die Fortpflanzung gefährdet wäre. Außerdem ist es uns viel zu unbequem, so wollen wir nicht leben, und die meisten könnten es wahrscheinlich auch nicht.
Aber das ist auch nicht nötig, um die Geschichte in unser Leben zu übertragen. Wir müssen es nicht genauso machen, wie Simon und seine Gefährten, und äußerlich „alles stehen und liegen lassen“. Die Erzählung enthält eine Botschaft, die noch tiefer geht, als eine äußere Veränderung. Sie will uns im Inneren treffen und uns dort in Bewegung setzen.
Und dazu gehört, dass wir erkennen: So schön, wie wir meinen, ist unser Leben gar nicht so. Oftmals ist es ganz von alleine unbequem und ungemütlich, anstrengend und unsicher. Bei dem Ratsuchenden im Internet z.B. waren der Job und die Freundin weg, und er hatte Schulden. Andere Menschen, Armut oder eine Krankheit können alles durcheinander bringen, was wir erreicht haben. Das sogenannte etablierte Leben, der Wohlstand und die Familie reichen nicht, damit das Leben gelingt und es uns gut geht. Es gibt unzählige Probleme, die wir im Laufe unsres Lebens bewältigen müssen, und das ist manchmal gar nicht so einfach. Es hilft auch nicht, einfach abzuhauen, wenn alles schrecklich wird. Das hat unser Ratsuchender durchaus zu hören bekommen. Es ging ihm bloß so wie vielen, dass er nicht mehr wusste, was er tun sollte.
Und genau in diese Situation hinein kann die Geschichte uns etwas sagen. Sie kann uns in die Freiheit führen und uns retten. Denn sie lädt zum Glauben ein. Wir sollen Jesus als Herrn und Erlöser annehmen. Und das beginnt auch bei uns damit, dass er zu uns kommt, weil er uns kennt. Die Welt und das Leben erschöpfen sich nicht im Diesseits. Es gibt nicht nur unsre Aufgaben und unser Miteinander, sondern Jesus ist mitten unter uns und steigt zu uns ins Boot. Das kann ein Bild für unser Leben sein. Jesus betritt es, und mit ihm kommt Gott. Und der wirkt in unserem Leben, er schenkt uns das, was wir brauchen, denn er schenkt sich selber in Hülle und Fülle. Es gilt zu erkennen, dass wir unser Leben von ihm haben, dass wir nicht uns selber gehören, sondern da sind, weil er es möchte. Er kennt uns und will uns begegnen. Auch wir sollten deshalb vor Gott niederfallen, uns für ihn öffnen und auf seine Stimme hören.
Denn er spricht mit uns genauso wie mit Simon. Er will, dass auch wir für ihn leben, ihn in die Mitte treten lassen und ihm nachfolgen. Er ruft uns unaufhörlich mit liebender und eindringlicher Stimme. Wir müssen sie nur einmal beachten. Dann relativiert sich plötzlich alles andre, und es erscheint in einem neuen Licht. Wir erkennen, was wirklich zählt. Die Probleme werden kleiner und verlieren ihre Macht.
Und wir verstehen uns selber plötzlich neu. Wir spüren, dass wir „sündige Menschen“ sind. Das klingt uns vielleicht etwas zu negativ, aber es heißt zunächst einmal nur, dass es zu einer Selbsterkenntnis kommt, zu einem Blick nach innen, weg von der Situation oder den anderen Menschen. Oft meinen wir ja, dass die Schuld haben. Der Ratsuchende aus dem Internet machte wahrscheinlich seine Freundin und seinen Chef für das Elend verantwortlich, in das er geraten war. Und weil er sie nicht ändern konnte, war er der Verzweiflung nahe. Entscheidend wäre es für ihn, den eigenen Anteil an den Problemen zu erkennen, denn ganz oft haben sie etwas mit uns selber zu tun: Wir halten gern etwas fest, das uns nicht guttut. Das können Verhaltensmuster sein, Erwartungen, Gedanken und Ideen. Wir verschwenden viel Lebenszeit, indem wir uns „bezaubern und betören“  lassen, wie es in einem Lied von Gerhard Tersteegen heißt. (EG 392,1) Und das ist gefährlich für unsre Seele. Wir finden keinen Trost und keine Ruhe, bleiben gefangen und werden nicht frei. Wir sind hilflos und verloren und gehen in die Irre. Das ist hier gemeint, wenn Simon sich als „sündigen Menschen“ bezeichnet.
Normalerweise verschließen wir davor gerne die Augen. Doch in der Gegenwart Jesu können wir es zulassen, denn es macht nichts. Jesus liebt uns trotzdem, er will jeden und jede einzelne von uns, so wie wir sind. Wir müssen seine Liebe nur annehmen, vor ihm niederfallen und uns dann für ihn entscheiden.
Um diesen letzten Schritt zu gehen, ist es ratsam, wenn wir hinter uns lassen, was uns gefangen hält. Und das sind nicht die äußere Situation oder andere Menschen, es ist vielmehr unser eigener Anteil an dem, was uns zu schaffen macht. Er besteht wie gesagt aus Wünschen und Vorstellungen, aber auch aus dem, was dabei in unserer Seele vorgeht, wenn sie nicht erfüllt werden. Neid oder Ärger entstehen dann, Trauer, Wut oder Bitterkeit beherrschen uns. Wir werden von Angst und Sorgen geplagt. Meistens erkennen wir das nicht richtig, weil es uns vertraut geworden ist. Im Angesicht Jesu durchschauen wir dagegen unsre Verhaltensmuster. Wir verstehen die „Bande“, die uns gefangen halten (EG 392,3), und es gilt, sie abzulegen, von ihnen abzulassen, aus dem auszusteigen, was unsere Seele in Unruhe versetzt.
Und das geht genauso wie bei Simon nur ganz oder gar nicht. Es fordert wirklich unsre Entscheidung, ein klares Bekenntnis. Die Liebe und die Kraft Jesu können nur dann in unserem Leben wirken, wenn wir anderen Kräften Einhalt gebieten, wenn wir nicht unserem eigenen Willen folgen, sondern ganz auf Jesus vertrauen und uns ihm hingeben.
Und das ist letzten Endes nichts, was wir sollen, sondern etwas was wir dürfen. Der Ruf Jesu ist ein rettender Ruf, und es ist ein erlösender Schritt, darauf zu hören. Er führt uns aus dem Elend in eine ganz große Freiheit. Das Leben verändert sich, denn es gelten plötzlich neue Regeln, eine neue Lehre. Nicht mehr die vielen Stimmen, die uns verführen wollen, geben den Ton an, sondern die eine Stimme der Barmherzigkeit. Sie heilt uns von innen her und öffnet ganz neue Möglichkeiten des Denkens und Handelns. Unser Lebensgefühl verändert sich, und damit auch unser Verhalten und unser Miteinander. Wir werden barmherziger und ruhiger, wir gewinnen einen festen Halt, die Angst verschwindet, die Trauer weicht, und es kehrt Freude ein. Wir können zuhören und helfen, verstehen und lieben. Der Mensch aus dem Internet, der nur noch abhauen wollte, findet bestimmt einen neuen Job und eine neue Freundin, und dann kann er irgendwann auch seine Schulden bezahlen. Äußerlich muss er nicht „alles stehen und liegen lassen“, aber innerlich ist das oft ein notwendiger Schritt.
Und der ist schon ähnlich wie eine Flucht: Wir lassen das Alte hinter uns und es öffnet sich vor uns ein Weg. Wir finden eine neue Heimat. Unser Herz wird „in Ewigkeit frei“, wie es in dem Lied heißt, das ich schon erwähnte (EG 392,5). Der Unterschied zu einer Flucht, die wie gezwungener Maßen antreten, ist allerdings der, dass wir es freiwillig tun, weil wir etwas Größeres und Schöneres entdeckt haben. Wir folgen der Stimme und dem Wink Jesu und „lassen dafür alles andere stehen und liegen“. Amen.