Christus ist unser Lehrer

Predigt über 1. Korinther 2, 1- 10: Die Predigt des Apostels vom Gekreuzigten

2. Sonntag nach Epiphanias, 14.1.2018, 9.30 Uhr ,
L
utherkirche Kiel

1. Korinther 2, 1- 10

1 Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen.
2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.
3 Und ich war bei euch in Schwachheit und bin Furcht und mit großem Zittern;
4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft,
5 damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.
6 Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen.
7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit,
8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
9 Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«
10 Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.

Liebe Gemeinde.
Für viele Eltern scheint es eine Erziehungskatastrophe zu sein, wenn das Kind nicht auf dem Gymnasium landet. Die Anzahl der Jugendlichen auf Schulen, die zur Hochschulreife führen, ist deshalb in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Abiturzeugnisse erhalten inzwischen circa 40 Prozent der Schulabgänger; vor 20 Jahren waren es weniger als 30 Prozent. Das Abitur entwickelte sich zum begehrtesten Schulabschluss.
Denn Bildung und Wissen wird in unserer Gesellschaft großgeschrieben. So erwarten auch viele Firmen, dass ihre Mitarbeiter sich ständig fortbilden. Im Lehrerberuf ist dafür das Schlagwort vom „lebenslanges Lernen“ entstanden.
Und natürlich werden auch wir als Pastorinnen und kirchliche Mitarbeiter dazu angehalten, uns weiter zu bilden. Für die Nordkirche haben wir dafür z.B. das Pastoralkolleg in Ratzeburg. Da gibt es viele Angebote: eine Predigtwerkstatt, ein Kurs für inklusive Konfirmandenarbeit, ein Kolleg zur regenerativen Kirchenentwicklung, Studientage zur Trägerschaft von Kindertagesstätten usw.
Und das ist ja auch alles schön und gut. Es kann nicht Cschaden, wenn wir uns fortbilden und mental nicht stehen bleiben.
Aber war das eigentlich schon immer so? Wie sah es mit dem Fachwissen am Anfang der Kirche aus? Wie war Jesus, wie waren die Apostel ausgebildet? Auf jeden Fall haben sie keine Schule für Predigt, Mission oder soziale Fürsorge durchlaufen. Jesus war Zimmermann, Petrus und Andreas waren Fischer, Matthäus ein Zöllner, Judas ein Kaufmann, und von den anderen wissen wir nicht viel.
Nur der Apostel Paulus war vor seinem Wirken als Missionar einigermaßen kenntnisreich: In seiner Jugend wurde er zu einem Toralehrer ausgebildet und danach setzte er als Pharisäer das Studium der Schrift fort. Seine Briefe zeigen außerdem solide Kenntnisse der griechischen Rhetorik, er wusste etwas über Redeformen und Briefschemata.
Trotzdem grenzte auch er sich später von diesen Idealen und der griechischen Weisheit ab. Sein Auftreten scheint nicht besonders redegewandt gewesen zu sein, das lesen wir an einigen Stellen in seinen Briefen, so auch in dem Abschnitt, der heute unsere Epistel und unser Predigttext ist. Paulus schreibt dort: „Als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, […] ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern.“ Ihm fehlte also offensichtlich die Gabe der freien Rede, die bei den Griechen hoch angesehen war. Es gab dort sehr viel geschultere Leute, die die Kunst der Rhetorik beherrschten. Paulus konnte da nicht mithalten, und das wurde ihm offensichtlich vorgeworfen, denn er verteidigt sich hier.
Und dafür betont er, dass er an all diesen Künsten auch gar nicht interessiert ist. Denn was er zu verkünden hat, ist kein Wissen, sondern „das Geheimnis Gottes“, und damit meint er das Evangelium. „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.“
Das hatte die Korinther ja offensichtlich auch überzeugt. Immerhin hatte Paulus dort – wie in vielen anderen Orten – eine Gemeinde gegründet. In seiner Predigt muss also eine andere Kraft gelegen haben, als die der geschulten Ausdrucksweise. Und die benennt er hier auch: „Mein Wort und meine Predigt geschahen in Erweisung des Geistes und der Kraft.“ Gott selber war gegenwärtig, als Paulus predigte, und hat durch ihn gewirkt, so dass der Glaube der Korinther nicht auf „Menschenweisheit stand, sondern auf Gottes Kraft.“
Und damit sagt Paulus, dass die Christen all das, was die Griechen und auch die Juden lernten und wussten, nicht brauchen. Um in dieser Welt zu bestehen, reicht Christus, der Gekreuzigte. In ihm allein liegt der Grund unseres Heils. Es gilt, sich ihm anzuvertrauen, ihm das Leben zu übergeben.
Paulus spricht bewusst von dem „Geheimnis Gottes“. Das griechische Wort, das dafür hier steht, ist „Mysterium“, und das benutzen wir auch. Es bezeichnet immer einen Vorgang oder ein Geschehen, das wir nicht wirklich begreifen können. Es entzieht sich dem Verstand. Mit unserem Wissen oder unserer Klugheit dringen wir da nicht ein. Wir werden vielmehr in ein Geheimnis hineingezogen, wenn wir uns ihm nähern, es ergreift uns und kann sich nur selber enthüllen. Wir müssen das nur geschehen lassen.
Weiter unten greift Paulus diesen Gedanken noch einmal mit einem Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja auf. Er beschreibt das „Geheimnis Gottes“ folgendermaßen: „»Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.“ Er sagt damit sehr deutlich, dass der Glaube keine Verstandessache ist. Es geht vielmehr um eine Offenbarung Gottes an diejenigen, die ihn lieben, und das heißt um einen Lebensvollzug. Wer an Jesus Christus glaubt, kann damit rechnen, dass er unerhörte Dinge erfährt. Er muss nicht viel wissen, klug und gebildet sein, sondern sich vor allem ganz auf Christus verlassen. Er ist das Licht und die Kraft, durch die wir die „Tiefen der Gottheit erforschen.“
Das ist hier die Botschaft des Paulus, und die ist immer noch wichtig. Auch wir sind eingeladen, uns an Christus zu wenden, wenn wir erkennen wollen, was wirklich zählt und wichtig ist. Unser Wohlergehen, unsere Freiheit und unser Weiterkommen hängen nicht von einem hohen Schulabschuss ab. Wir finden es nicht durch Wissen und Bildung, sondern in der Liebe Christi, im Vertrauen auf die Kraft Gottes und durch seinen Geist.
Die Frage ist allerdings, ob wir das überhaupt wollen und für richtig halten. Entziehen wir uns damit nicht der Verantwortung für die Welt und für unsere Mitmenschen? Was ändert sich denn in unserem Leben, in der Kirche, in der Gesellschaft, wenn wir nur noch auf Gott vertrauen? Was gewinnen wir? Und bleiben wir damit auch am „Ball der Zeit? Entwickeln wir uns weiter?
Das müssen wir uns fragen, und dabei ist es gut, wenn wir so ehrlich wie möglich sind und genau hingucken. Dazu können wir den Spieß einmal umdrehen und die Gegenfrage stellen: Wo kommen wir eigentlich hin, wenn wir immer nur mehr wissen wollen, reden, lernen und studieren? Ist das verantwortungsbewusst? Unser Bildungshunger hat ja auch viele Schattenseiten. Es fängt schon mit dem Wahn an, dass die Kinder alle am besten aufs Gymnasium gehen sollten. In der letzten Grundschulklasse entsteht dadurch ein großer Druck. Eltern und Kinder leiden und sind oft am Rand der Verzweiflung, dann nämlich, wenn ihr Kind den gewünschten Schritt in die höhere Schule eventuell nicht schafft. Der Übertritt in der vierten Klasse wird von Eltern oft als die „schlimmste Zeit ihres Lebens“ empfunden.
Und in der Kirche werden wir durch den Fortbildungseifer sehr kopflastig. Wir halten alles für machbar, und merken gar nicht, dass es in unserem Gemeinden und Einrichtungen immer weltlicher zugeht. Wir glauben mehr an unsere Fähigkeiten, als an die Kraft Christi, und das macht viele irgendwann krank. Sie sind ausgelaugt und arbeitsunfähig. In unserem Kirchenkreis sind davon tatsächlich einige Pastoren und Pastorinnen betroffen.
Wir müssen also ehrlicher Weise erkennen: Bei dem, was wir für erstrebenswert halten, verlieren wir das Bewusstsein dafür, dass der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht. Wir reduzieren unser Menschenbild und sehen nicht mehr die Ganzheit des Lebens. Unser Bewusstsein ist in weiten Strecken eingeschränkt und nicht in Kontakt mit der Wirklichkeit. Das müssen wir als erstes zugeben.
Dann klingen die Aussagen von Paulus schon ganz anders. Wir merken: sie sind nicht verantwortungslos, sondern nehmen den ganzen Menschen in den Blick. Wir müssen nicht alles wissen, wir dürfen auch mal krank und schwach sein, es ist nicht schlimm, wenn wir unscheinbar sind und nicht alles schaffen. Im Gegenteil, genau durch diese Menschen erweist Gott seine Macht. Denn sie haben in Christus einen, der sie liebt und sich ihnen zuwendet. Er ist bei ihnen und erfüllt sie mit seinem Geist. Durch Jesus ist das „Geheimnis Gottes“ in diese Welt gekommen, und das ist viel größer, als alles, was wir durch unsere wissenschaftlichen Künste erfassen können. Er wirkt weiter und verleiht unserem Leben eine tiefe Erfüllung.
Und damit das geschehen kann, sollten wir uns in ganz anderen Fähigkeiten schulen, gerade, wenn wir in der Kirche mitarbeiten. Es ist wichtig, dass wir vom Geist Christi erfasst werden, auf ihn vertrauen und uns ihm hingeben. Dafür gibt es in den Fortbildungsprogrammen kaum Kurse. Sie werden eher in Klöstern abgehalten, als in Seminaren, dort, wo bereits Menschen leben, die hauptsächlich ihre innere Aufmerksamkeit trainieren, sich im Schweigen und Zulassen üben. Wir brauchen, um das umzusetzen, was Paulus meint, überwiegend Räume und Zeiten der Stille und des Gebetes.
Darüber stand im Journal der Kieler Nachrichten vom 6. Januar ein sehr schöner Artikel. Der freie Autor Bert Strebe vertritt dort dieselbe Meinung – dass wir mehr Stille brauchen – und erwähnt am Anfang eine Studie, die 2014 an der Universität von Virginia durchgeführt wurde. Er schreibt: „Die Probanden mussten ihre Handys abgeben und wurden aufgefordert, eine Viertelstunde lang in einem leeren Raum auf einem Stuhl zu sitzen. Nichts weiter. 15 Minuten sitzen, denken, schweigen. Ergebnis: die meisten fanden es schwer, die Stille und die eigenen Assoziationen auszuhalten.“ Sie wären dem gern ausgewichen.
Und das ist ein Merkmal unserer Zeit. Normalerweise umgeben uns viele Geräusche, „Unruhe und Rastlosigkeit begleiten uns.“ Dabei ist es erwiesen, dass die Stille „die kognitiven Leistungen verbessert, dass Besinnung und Konzentration auf sich selber helfen, Ängste zu überwinden. Zwei Minuten Stille senken den Blutdruck, zwei Stunden Stille steigern die Fähigkeit, neue Ideen zu entwickeln, kreativ zu sein.“ So der besagte Artikel. Dabei war dort nicht von Religiosität oder Glaube die Rede, sondern nur von neuropsychologischen Erkenntnissen aus der Hirnforschung.
Umso mehr sollten wir als Christen uns das zu Herzen nehmen. Für uns kann die Stille noch viel mehr beinhalten. Sie bietet uns die Möglichkeit, in das „Geheimnis Gottes“ einzudringen. Denn wir setzen uns nicht einfach nur hin und tun nichts, wir empfangen dabei vielmehr das Geschenk, das Gott uns durch Jesus Christus gemacht hat. Das Schweigen kann dazu dienen, unseren Verstand einmal zur Ruhe kommen zu lassen und von unseren weltlichen Zielen Abstand zu nehmen. Jesus Christus ist selber diesen Weg gegangen, in aller Konsequenz. Bis in den Tod hat er sich selber losgelassen und sich Gott anvertraut. Und am Ende wurde ihm genau dadurch neues Leben geschenkt. Er ist von den Toten auferstanden und lebt heute noch. Deshalb kann er unseren Geist erleuchten, d.h. uns Klarheit und die richtige Erkenntnis geben. Er kann unseren Lebenswandel fördern, uns ruhig uns ausgeglichen machen. Er lässt unser Leben gelingen und setzt schöpferische Kräfte frei. Denn wir werden durch ihn geheilt. Wir werden gestärkt und befreit und gewinnen die ewige Erlösung. Wenn wir uns ihm anvertrauen, entziehen wir uns also nicht der Verantwortung, wir werden ihr vielmehr gerecht.
Und das ist ebenfalls ein lebenslanger Weg, ein Prozess, der nie aufhört. Wir bleiben durch das Vertrauen auf Jesus innerlich nicht stehen, sondern entwickeln uns stetig weiter. Es gibt sogar kaum eine Übung, bei der unser Geist und unsere Seele mehr gefordert werden, denn wir lassen immer wieder Altes los, überkommene Ideen und Gewohnheiten, wir werden offen und bleiben ganz von selber nah an den Fragen der Zeit. Und das wichtigste ist: wir werden vom Geist Gottes erfüllt. Das „Geheimnis Gottes“ bleibt lebendig, wir lassen eine Wirklichkeit zu, die tiefer geht als alle weltlichen Vorgänge, und sorgen dafür, dass die Kraft des Geistes das Dunkel der Welt durchdringt.
Lassen Sie uns deshalb getrost unser Leben ganz in die Hand Christi legen.

Amen.

Christus ist unsere Weisheit

Predigt über 1. Kor. 1, 26- 31: Die Weisheit der Welt ist Torheit vor Gott

1. Sonntag nach Epiphanias, 7.1.2018, 11 Uhr, Jakobikirche Kiel

1. Korinther 1, 26- 31

26 Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen.
27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;
28 und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist,
29 damit sich kein Mensch vor Gott rühme.
30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,
31 damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«

Liebe Gemeinde.
In der Werbung tauchen zum allergrößten Teil nur schöne Menschen auf: Sie sind jung und schlank, haben strahlend weiße Zähne und volle Haare, sind erfolgreich und attraktiv. Wir sehen sie im Fernsehen und im Internet, oder in gedruckter Form auf Plakaten und Prospekten. Und dafür wird meistens Hochglanzpapier verwendet, denn das macht mehr her als gewöhnliches Papier.
Dabei werben diese Menschen meistens gar nicht für Schönheit, sondern für irgendein Produkt, das wir kaufen sollen: Autos, Reisen, Versicherungen, Getränke usw. Sie vermitteln uns, dass das Leben so gut wird, wie sie es ausstrahlen, wenn wir das alles kaufen und besitzen.
Und damit stellt die Werbung Werte in die Welt, nach denen wir bewusst oder unbewusst streben. Irgendwie denken wir, dass wir tatsächlich so sein müssen, damit das Leben gelingt. Wir wollen deshalb am liebsten klug und schön sein, einen guten Schulabschluss erreichen, im Beruf Erfolg haben und möglichst viel Geld verdienen.
Was nun die Kirche betrifft, so meinen viele Mitarbeiter und Funktionsträgerinnen, dass auch wir am besten mit solchen Bildern und auf Hochglanzpapier auf uns aufmerksam machen sollten. Wir müssen mithalten und uns einladend präsentieren, sonst kommt bald niemand mehr. Wir dürfen nicht zu altmodisch oder unscheinbar wirken. Dieses Bild haben ja leider viele Menschen von der Kirche, und dem gilt es entgegenzuwirken. So sieht man nicht selten auch in Gemeindebriefen und auf Internetseiten der Kirche dieselben schönen Bilder, strahlendes Lächeln, bunte und farbenfrohe Dinge.
Ich finde das auch nicht unbedingt schlecht. Wir machen das in unseren Gemienden ja ebenfalls. Aber ist das eigentlich biblisch? Und entsprechen diese Bilder der Realität? Ist Kirche so, und ist es das, was wir durch den Glauben gewinnen?
In dem Abschnitt aus dem Korintherbrief, den wir vorhin gehört haben, verneint Paulus das ganz eindeutig, und darüber müssen wir nachdenken. Er sagt: „Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, […] und was schwach ist vor der Welt, […] und das Geringe vor der Welt und das Verachtete, […] das, was nichts ist, […]“ Für Paulus setzt sich die Kirche nicht aus Menschen zusammen, die klug und schön sind oder bewundert werden. Im Gegenteil, Gott will all das gerade entkräften und abschaffen.
Paulus sagt: „[…] damit er die Weisen zuschanden mache; […und] was stark ist; […] damit sich kein Mensch vor Gott rühme, […] damit er zunichte mache, was etwas ist.“ So gehen die Sätze jeweils weiter. Was wir für gut halten, wird von Gott also herab gewürdigt und beschämt.
Denn es gibt nur einen, der stark und vollkommen ist, und das ist Jesus Christus. Er wurde für uns „von Gott gemacht […] zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.“ Wenn wir glauben, sind wir „in“ ihm, „damit [gilt:] »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«“
Das schreibt Paulus den Korinthern, und damit bezieht er Front gegenüber Werten, die auch damals schon die Gesellschaft bestimmten, und mit denen sich seine Gemeindeglieder auseinandersetzten.
Denn zu der jungen christlichen Gemeinde gehörten hauptsächlich Menschen aus den ärmeren, unteren Schichten, auch Sklaven waren dabei. Sie hatten viele Fragen, die sich aus der Konfrontation mit ihrer Umwelt ergaben. Die bestand aus zwei großen geistig-religiösen Welten, die damals die Menschheit prägten: die Juden und die Griechen.
Die Juden glaubten an die Macht und Größe Gottes. Sie stellten sich ihn kraftvoll und gewaltig vor, stark und gerecht. Sie unterwarfen sich ihm und lebten nach seinem Willen. Die Griechen setzten alles auf die Weisheit. Sie schulten ihre Urteilskraft und ihre Einsicht, suchten Erkenntnis und Klugheit. Sie wollten die Welt verstehen und die Wahrheit erfahren. Damit antworteten beide Gruppierungen auf die großen Fragen der Menschheit. Sie boten einen Ausweg aus Leiden und Sterben an und hofften auf ein Ende von Not und Tod. Sie glaubten daran, dass der Mensch schön und gut werden kann, gerecht und wohlhabend, und hatten dafür die entsprechenden Programme.
Die Christen konnten da nicht mithalten. Sie hatten vergleichsweise wenig, denn sie verließen sich hauptsächlich auf das Kreuz Jesu. Sie glaubten an die heilende Kraft des Sterbens und Auferstehens Jesu, und das war etwas ganz anderes. Für die Juden und Griechen war es sogar ein Ärgernis. Beide Gruppen konnten mit dem Kreuz nichts anfangen, denn es stand im krassen Gegensatz zu dem, woran sie glaubten und worauf sie setzten. Es glänzte nicht und war in ihren Augen ein Symbol des Scheiterns. Deshalb war die Botschaft vom Kreuz für sie eine große Torheit. Sie hielten die Christen für dumm und einfältig.
Das ist wie gesagt der Hintergrund dessen, was Paulus hier schreibt, und es ist immer noch wichtig. Wer an Jesus Christus glaubt, verzichtet darauf, aus eigener Kraft zu glänzen oder groß herauszukommen. Er benutzt in erster Linie nicht seinen Verstand, sondern verlässt sich ganz auf Christus, in dem alle „Weisheit“ liegt, der die „Gerechtigkeit“ bringt, uns zur „Heiligung“ führt und uns „erlöst“. Er ist das Licht und die Kraft, von der wir leben. Nur durch ihn wird das Leben gut.
Das ist die Botschaft, und es ist gut, wenn wir uns die zu Herzen nehmen. Auch wir sind eingeladen, uns an Christus zu wenden, wenn wir Erlösung suchen. Wir können das wahre Glück, unsere Rettung und Gerechtigkeit nicht selber herstellen, weder mit Gehorsam noch mit Klugheit, weder mit Geld noch mit Schönheit.
Und das ist immer noch eine Provokation. Es entspricht unserem Denken genauso wenig wie dem der Juden oder Griechen. Wer bei uns schwach und klein ist, krank oder arm, fühlt sich automatisch schlecht und minderwertig. Denn er wird schnell an den Rand gedrängt, ist überflüssig und ungebeten. Geringschätzung oder sogar Anfeindung sind an der Tagesordnung, Gleichgültigkeit und Abneigung.
Aber Gott will uns genau dann, wenn es uns so geht. Dann beachtet er uns mehr, als zu jeder anderen Zeit. Denn er fragt gar nicht nach unserer Stärke oder Klugheit, sondern gerade nach unserer Schwäche, nach unseren Fehlern und Niederlagen. Dann kann er nämlich an uns handeln. Dann können seine Gnade und Liebe in unserem Leben groß werden. Wir müssen ihm nur vertrauen und an die erlösende Kraft des Kreuzes Christi glauben.
Die Frage ist allerdings, ob wir das überhaupt wollen. Die Aussagen von Paulus provozieren auch uns. Selbst viele Christen halten das für lebensfeindlich. Wenn wir nur von der Gnade Gottes leben, sind wir ja abhängig und klein. Das ist ihr Argument. Wir sind Gott ausgeliefert und werden unselbständig. Und das Kreuz ist in der Tat kein besonders ästhetisches Symbol. Da hängt ein sterbender und gequälter Mensch. Schön ist das nicht. Es wirkt abstoßend und kein bisschen einladend. Die weltliche Lebensweise scheint in vieler Hinsicht überlegener und gesünder zu sein. So denken auch in der Kirche nicht wenige. Es gibt deshalb wie gesagt Überlegungen, uns ein andres Image zu geben. Sollten wir nicht mehr auf die schönen Seiten des Glaubens hinweisen, der Kirche ein bisschen Glanz verleihen und mehr strahlen? Das fragen sich viele, und diese Fragen sind auch berechtigt. Lassen Sie uns deshalb darüber nachdenken.
Dabei sollten wir allerdings so ehrlich wie möglich sein und genau hingucken. Das meiste von dem, was in der Werbung vorkommt, ist nämlich pures Blendwerk. Uns werden dort Illusionen vermittelt, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Die ist ganz anders.
Hinter all diesen Bildern steht ja das Bewusstsein, leistungsstark zu sein, und das hat viele Schattenseiten. Es setzt uns unter Druck und kann uns krank machen. Nicht umsonst gibt es in unseren modernen Gesellschaften unzählige Menschen, die an psychischen Störungen leiden: Burnout, Depressionen, Angstzustände, die Liste ist lang. In Wirklichkeit ist das Erfolgsdenken lebensfeindlich, denn die Ziele, die wir meinen erreichen zu müssen, sind meistens weit entfernt. Das Scheitern ist eine ständige Gefahr, und Leid und Not werden dadurch nicht abgeschafft. Sie werden nur ausgeblendet oder verdrängt. Für die Niederlage oder den Verfall hat die Werbung keine Lösungen, und das Sterben kommt erst recht nicht darin vor. Das Bild, das dort vom Leben vermittelt wird, ist also sehr unzureichend.
Es schließt auch von vorne herein einen großen Teil der Menschen aus, denn viele kommen darin nicht vor, die Armen und Hungernden, die Unterdrückten und Kranken, Obdachlose, Asylbewerber, alle, die nur geringe bis gar keine Chancen in unserer Gesellschaft haben. Ihnen wird nichts geboten, sie fallen unten durch und bleiben am Boden.
Das müssen wir ehrlicher Weise erkennen: Was wir für schön und erstrebenswert halten, geht an der Realität vorbei. Unser Bewusstsein ist in weiten Strecken von Träumen und Täuschungen bestimmt, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Das müssen wir als erstes zugeben.
Dann klingen die Aussagen von Paulus schon ganz anders. Wir merken: sie sind nicht gegen das Leben gerichtet, sondern wenden sich der ganzen Realität zu. Wir müssen nicht alles allein hinkriegen, wir dürfen auch mal krank werden, es ist nicht schlimm, wenn wir scheitern oder arm sind, „töricht, schwach, gering und verachtet“. Im Gegenteil, genau diese Menschen hat „Gott erwählt“. Denn sie haben in Christus einen, der sie liebt und sich ihnen zuwendet. Er ist bei ihnen und richtet sie auf. Durch Jesus ist ein noch viel helleres Licht in diese Welt gekommen, als durch unsere künstlichen Lichter. Er strahlt in jedes Dunkel hinein und verleiht unserem Leben einen ganz besonderen Glanz.
Es wäre deshalb gut, wenn wir uns anderen Werten zuwenden. Nicht Klugheit oder Schönheit sollten zählen, sondern Bescheidenheit und Demut. Denn nur auf diesem Weg finden wir, was Gott uns durch Jesus Christus geschenkt hat, wenn wir unser natürliches Wollen und Streben immer wieder hinterfragen und von Ideen und Plänen Abschied nehmen. Jesus Christus ist selber diesen Weg gegangen, in aller Konsequenz. Bis in den Tod hat er sich selber losgelassen und sich Gott anvertraut. Und am Ende wurde ihm genau dadurch neues Leben geschenkt. Er ist von den Toten auferstanden und lebt heute noch. Deshalb kann er uns das, was Paulus hier aufzählt, schenken:
Er kann unseren Geist erleuchten, d.h. uns Klarheit und die richtige Erkenntnis geben. Durch ihn wissen wir, was gut und was schlecht für uns ist.
Außerdem kann er uns rechtfertigen, d.h. vor Gott gerecht machen. Gott nimmt uns durch ihn an und vergibt uns immer wieder.
Er kann uns heiligen, d.h. unseren Lebenswandel fördern, uns ruhig uns ausgeglichen machen. Er lässt unser Leben gelingen.
Und als letztes werden wir durch ihn erlöst: Wir werden gestärkt und befreit und gewinnen das ewige Heil.
Deshalb gilt: Wenn wir uns „rühmen wollen, dann sollen wir uns seiner rühmen“. Das ist das wichtigste für die Kirche.
Natürlich ist es nicht schlecht, wenn sie sich in den weltlichen Medien vernünftig präsentiert, aber das ist nicht das entscheidende. Sie braucht vor allen Dingen Menschen, durch die der Glanz Christi hindurch strahlt. Sie sind auf eine ganz besondere Art und Weise schön und attraktiv. Denn sie sind erfüllt von Liebe und Hoffnung. Sie wissen um das ewige Licht. Und diese Schönheit, dieses Wissen ist größer als alle menschliche Weisheit oder Macht.
Amen.

Auf dem Weg zur Ewigkeit

Predigt über Josua 1, 1- 9:  Vorbereitung für den Einzug in das verheißene Land

Neujahr, 1.1.2018, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Josua 1, 1- 9

1 Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener:
2 Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe.
3 Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe.
4 Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein.
5 Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.
6 Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe.
7 Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst.
8 Und lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten.
9 Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Liebe Gemeinde.
Am Jahresanfang schauen wir gern nach vorn, denn ein neues Jahr liegt nun vor uns. Wir richten unser Bewusstsein auf das, was kommen wird. Wir wissen zwar nicht, was es sein mag, aber wir haben eine Vorstellung davon. In der Phantasie malen wir es uns aus, denn wir haben Pläne und Wünsche. Auch unsere Erfahrungen spielen eine Rolle. Sie prägen das Bild von der Zukunft, das wir uns machen.
Es ist so ähnlich wie am Anfang einer Wanderung. Auf der Karte oder in einem Buch wird uns gesagt, wo der Weg lang geht und wie er beschaffen ist. Wir können das also ungefähr abschätzen.
Trotzdem bleibt natürlich eine Unsicherheit da, denn was wirklich kommen wird, wissen wir nicht. Es gibt viele Gefahren und Unwägbarkeiten. Ereignisse, die wir nicht vorhersehen, können eintreten: Wir werden vielleicht krank; die Menschen, mit denen wir zusammen leben oder arbeiten, verhalten sich anders, als wir es uns vorstellen usw. Deshalb mischt sich in den Jahresanfang auch immer eine gewisse Sorge, vielleicht sogar Angst.
So ist es gut, dass wir aus der Bibel heute den Zuspruch Gottes hören:
„Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.“
Das sagte Gott zu Josua, den er zum Nachfolger von Mose auserwählt hatte. Die Worte stehen in dem Abschnitt aus dem Alten Testament, den wir vorhin gehört haben, und das ist Josuas Beauftragung und Zurüstung. Er hatte die große Aufgabe, das Volk Israel in das gelobte Land zu führen und dieses einzunehmen. Er kannte es nicht, es war Neuland für ihn. Sein Fuß hatte es noch nicht betreten, und natürlich gab es dort Feinde und Hindernisse. Wie sollte er damit fertig werden? Die Verantwortung war groß, und wahrscheinlich hatte er Angst davor. Gott traute ihm zwar etwas zu, aber wie sollte er das schaffen? Das fragte er sich, und Gott wusste das. Er sprach ihm deshalb Mut zu und versicherte ihm seinen Beistand. „Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein.“ Das waren weitere Versprechen. D.h. Gott wird ihn nie verlassen, immer bei ihm sein, nicht von seiner Seite weichen und ihm bei allem helfen, was er tun muss.
Gott erinnerte Josua außerdem daran, dass es schon lange sein Plan und Vorhaben war, den Israeliten dieses Land zu geben. Deshalb sollte er sich nur an Gott halten, an seine Gebote und Gesetze, und ihm treu bleiben. „Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten.“ Das ist die Verheißung.
Und die können wir auch auf uns beziehen. Ein neues Jahr ist wie gesagt so etwas Ähnliches wie Neuland, ein Zeitraum, den Gott uns gibt, und den wir zu betreten haben. Wir kennen ihn noch nicht, und so ist es gut, dass Gott uns verspricht, bei uns zu sein.
Die Frage ist allerdings, ob wir das auch glauben. Spricht unsere Erfahrung nicht dagegen? Wir sind doch gar nicht immer geschützt. Wir haben oft das Gefühl, dass Gott uns allein lässt und gar nichts tut. Wir müssen deshalb darüber nachdenken, wie dieser Zuspruch gemeint ist, und wie er seine Kraft entfalten kann. Wie können wir das, was die Bibel uns hier sagt, selber erleben?
Auf diese Frage suchen wir eine Antwort, und die gibt es auch. In drei Schritten können wir uns klar machen, wie wir den Zuspruch Gottes in unserem Leben erfahren können.
Zunächst einmal müssen wir begreifen, dass Gottes Schutz nicht darin besteht, dass uns gar nichts Schweres oder Schlimmes mehr widerfährt. Denn nicht nur das neue Jahr ist wie eine Wanderung, unser ganzes Leben ist ein Weg, auf dem wir ständig weitergehen. Und weitergehen bedeutet zwangsläufig, dass wir immer wieder Abschied nehmen müssen und leiden. Wir können nirgends bleiben, müssen Entscheidungen treffen und vieles loslassen: Menschen, die wir lieb haben, werden älter oder sterben. An den Orten, in denen wir wohnen, regt sich Widerstand, und wir müssen sie verlassen. Aufgaben, die uns erfüllt haben, sind erledigt, Krankheiten oder Alterserscheinungen machen uns selber das Leben schwer. Es ist oft nicht leicht, das alles anzunehmen. Es schmerzt und macht uns traurig. Manchmal fühlt es sich sogar wie ein Sterben an. Aber so ist das Leben, es ist ein Weg, und der ist oft rau. Wie bei einer Wanderung kann es ungemütlich werden, Wind und Wetter machen uns zu schaffen, der Boden ist manchmal steinig. Da kann und wird auch Gott nichts dran ändern, sondern das mutet er uns zu. In dieses Leben hat er uns hineingestellt, in diese Zeit, und damit in die Vergänglichkeit und den ständigen Wandel.
In der Frömmigkeit des 18. und 19. Jahrhunderts spielte dieses Thema eine große Rolle. In vielen Liedern, Briefen und Predigten aus dieser Zeit ist davon die Rede, dass das irdische Leben von vorne herein wie ein Pilgern ist, dass wir Wanderer zur Ewigkeit sind und in der Welt nur Gäste und Fremdlinge. Und das ist gar keine schlechte Vorstellung, denn dadurch relativiert sich alles, was wir in der Zeitspanne, die uns gegeben wird, erleben, sowohl das Schöne als auch das Leidvolle. Wir bewerten es anders. Die Dinge, die uns zu schaffen machen, wiegen nicht mehr so schwer, wir können eher loslassen.
Gerhard Tersteegen, ein Dichter und Mystiker aus dem 18. Jahrhundert hat das in seinen Liedern oft zum Ausdruck gebracht. Eins davon ist ein regelrechtes Pilgerlied (Evangelisches Gesangbuch Nr. 393). Wir haben vorhin ein paar Strophen daraus gesungen. Es beginnt mit der Aufforderung: „Kommt, Kinder, lasst uns gehen.“ Und in Strophe vier sagt er, dass es sogar besser ist, das Gepäck von vorne herein leichter zu machen. Es heißt dort: „Viel sammeln halten handeln macht unsern Gang nur schwer. Wir reisen abgeschieden, mit wenigem zufrieden.“ Das gilt es zu beherzigen. Es ist der erste Schritt, der dazu führt, dass wir geschützt sind. Denn durch dieses Bewusstsein halten wir von vorne herein weniger fest und bleiben nicht stehen. Wir können Verluste und Veränderungen viel besser annehmen. Wir erwarten gar nicht mehr, dass es gemütlich ist.
Der zweite Schritt ist dann das Hören auf Gottes Wort, bzw. der Aufblick auf Jesus. Das kommt auch in unserem Text vor, denn dazu wird Josua ausdrücklich aufgefordert. Gott sagt zu ihm: „Lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht.“ Josua wird also zum Studium des Wortes Gottes aufgefordert und zum Gehorsam gegenüber Gott. Wenn er die Weisungen, die darin enthalten sind, beachtet, wird er Erfolg haben. Dann wird er Mut und Vertrauen gewinnen.
Und das gilt auch für uns. Es gibt in allem Wandel einen, der bleibt, wie er ist, und das ist Gott. Er ist nicht der Zeit unterworfen, sein Wort trägt den Charakter der Ewigkeit, und es ist in Jesus Christus Mensch geworden. Das glauben wir, und damit haben wir es sogar noch besser als Josua: Jesus Christus ist bei uns, er geht mit uns und führt uns durch alles Raue hindurch. Wir müssen nur auf ihn schauen und ihm vertrauen.
Das kommt in den Liedern, die ich erwähnte, ebenfalls zum Ausdruck. Da wird Jesus als der besungen, der uns den Weg zeigt, uns einen festen Grund gibt und uns mit allem versorgt, was wir brauchen. Und dieser Glaube wird gern mit Bildern aus der Pilgerschaft ausgemalt.
So dichtete Cornelius Krummacher 1857: „Stern, auf den ich schaue, Fels, auf dem ich steh, Führer, dem ich traue, Stab, an dem ich geh, Brot, von dem ich lebe, Quell, an dem ich ruh, Ziel, das ich erstrebe, alles, Herr, bist du.“ (EG 407,1) Der Dichter besingt damit die Gegenwart Jesu, seine Fürsorge und Hilfe, die durch nichts aufgehoben wird. Von ihm kommen deshalb immer wieder die Kraft und der Mut, die wir für unseren Weg brauchen.
Durch die Nähe Jesu bewahrheitet sich also die Zusage Gottes, uns „nicht zu verlassen“. Er verschont uns zwar nicht vor allem Leid, aber er ist da, und das ist ein großer Trost. Er trägt unsere Lasten mit und sorgt dafür, dass wir in allem Schweren unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsre Liebe behalten. Und auf die kommt es an. Wir brauchen auf unserer Pilgerfahrt durch das Leben vor allem diese inneren Güter.
Dann erreichen wir auch das Ziel, und das ist der dritte und letzte Schritt. In den Liedern, die wir heute singen, wird es wunderbar beschrieben. Von Gerhard Tersteegen ist z.B. auch die schöne Strophe:
„Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit. O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.“ (EG 481,5) Wir wandern nicht nur durch die Zeit, nein, wir kommen auch an ein Ziel, das weit über dieses Zeit hinausweist.
Keiner und keine weiß, wie es dort ist, aber wir können hier schon einen Vorgeschmack bekommen, und zwar wenn wir uns ganz auf den Augenblick konzentrieren, auf das Hier und Jetzt. Und das ist im Glauben möglich. Denn das Aufblicken auf Jesus und das Hören auf das Wort Gottes sollen wir uns nicht vornehmen. Wir sollen das nicht morgen oder nächste Woche tun, sondern jetzt, in diesem Moment, und dann mit jedem Atemzug aufs Neue. So ist das gemeint. Der Glaube umfängt immer die Gegenwart und lässt uns darin genug haben.
Und wenn das geschieht, dann sind wir plötzlich ganz frei und unbeschwert. Wir vergessen, was hinter uns liegt und haben keine Angst mehr vor der Zukunft. Und so stell ich mir die Ewigkeit vor: Da gibt es kein Gestern und kein Morgen, sondern die Zeit ist aufgehoben, und wir sind nur noch da.
Wenn wir die Zusage Gottes an Josua und an uns so hören und umsetzen, dann werden wir wirklich „getrost und unverzagt. Wir lassen uns nicht grauen und entsetzen uns nicht.“ Alle Beklemmungen weichen; jede Unruhe und Sorge wird von uns genommen; unsere Gehemmtheit wird geheilt; die Angst verschwindet; Verspannungen und Verkrampfungen lösen sich. Dann kann das neue Jahr ruhig kommen, wir gehen voller Vertrauen da hinein.
Es ist deshalb gut, wenn wir gerade am Anfang eines neuen Jahres mit Otto Riethmüller beten:
„Schließ auf, Herr, über Kampf und Sorgen das Friedenstor der Ewigkeit. In deiner Burg sind wir geborgen, durch dich gestärkt, zum Dienst bereit.“ (aus: „Nun gib uns Pilgern aus der Quelle“, EG, Ausgabe Württemberg, Nr. 579, Str.4)
Amen.