Predigt über Lukas 2, 1- 20: Jesu Geburt
Heiligabend, 24.12.2022, 17 Uhr, Lutherkirche Kiel
Lukas 2, 1- 20
1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.
6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Liebe Gemeinde.
„Die Geschichte von Jesus gibt Mut“. So lautete die Überschrift eines Artikels in den Kieler Nachrichten vom 26. November über eine 89-jährige Bürgerin der Stadt, Astrid Ettinger. Es sind ihre eigenen Worte, und sie hat das schon als Kind so empfunden: Jedes Jahr war sie aufs Neue von der Krippe fasziniert, die ihre Eltern unter dem Tannenbaum aufbauten, von all den Figuren, besonders von Maria und dem Jesuskind. Im Laufe ihres Lebens hat sie dann Krippen gesammelt. Sie sind in diesem Jahr in der Heilandskirche in der Saabrückenstraße ausgestellt. Astrid Ettinger hofft, dass „die Menschen durch die Krippen auf andere Gedanken kommen“. Wenn sie selber die Figuren anschaut, fühlt sie sich sofort in Kindertage zurückversetzt und die Weihnachtsgeschichte wird für sie ganz lebendig.
Deshalb gibt es sie auch, die Krippendarstellungen. Die älteste stammt aus dem Jahr 1289. Anfangs wurde die Geburt Christi nur mithilfe der Heiligen Familie sowie Ochse und Esel dargestellt. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen die Heiligen Drei Könige, Hirten, Schafe, Stallungen sowie der Stern von Bethlehem samt Verkündigungsengel dazu.
Und das ist schön, denn all die Menschen und Tiere in der Geschichte haben eine bestimmte Rolle, die etwas über die Bedeutung von Weihnachten aussagt. Die wichtigste Person ist dabei natürlich das Kind in der Krippe, es bildet den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Der Grund dafür ist, dass Gott in diesem Kind erschienen ist. So lautet die Botschaft des Engels, so glauben es Maria und Joseph, die Hirten und Könige und alle anderen, die die Krippe besuchen.
Und das ist eine revolutionäre Botschaft, denn eigentlich müsste es doch ganz anders aussehen, wenn Gott auf die Erde kommt. Die Menschen haben es sich bis dahin auch anders vorgestellt. Sie glaubten durchaus daran, dass Gott eines Tages erscheint, denn das hatten die Propheten vorausgesagt. Aber in ihren Verheißungen war von einer wunderbaren Offenbarung Gottes die Rede, bei dem er seine Macht und Herrlichkeit demonstriert, Frieden und Gerechtigkeit bringt und alles neu macht. Auch der Evangelist Lukas kannte diese Erwartungen.
Doch gerade deshalb hat er seine Geschichte so erzählt, wie wir sie kennen. Ganz bewusst hat er das genaue Gegenbild entworfen: Es gibt niemanden, der schwächer und kleiner ist als ein neugeborenes Kind. Dazu ist das Kind in seiner Erzählung nicht in einem Palast zur Welt gekommen, sondern als seine Eltern unterwegs waren. Und seine erste Nacht hat es nicht in einem weichen, warmen Bettchen verbracht, sondern in einem Futtertrog, der in einem zugigen Stall stand. Doch genau da ist Gott erschienen. Niedriger und weniger aufsehenerregend geht es kaum. Dazu passen auch die ersten Besucher, die Hirten. Das waren keine Würdenträger, sondern einfache Leute.
So erzählt Lukas es, und das tut er wie gesagt bewusst. Er verkündet damit die Botschaft: Gott kommt klein in die Welt, und damit kommt er zu den Kleinen, zu den Schwachen und Unbedeutenden, zu uns allen. Wenn wir Menschen mit ihm zusammen sein wollen, müssen wir nicht zu Gott aufsteigen, sondern er wird niedrig. Er sucht sich nicht das Große und Strahlende, sondern das Schwache und Belanglose. Und dadurch erlöst er uns. Denn es bedeutet, dass wir nicht großartig sein müssen, wenn es uns gut gehen soll. Unser Leben gelingt nicht dadurch, dass wir erfolgreich sind, leistungsstark und anerkannt.
Das denken wir ja oft und wollen es am liebsten auch. Jeder und jede von uns trägt den Wunsch in sich, irgendwie ein bedeutungsvolles Leben zu führen. Wir wollen gut sein, beachtet, gelobt und geliebt werden. Wir bewundern deshalb die, die das schaffen: Filmstars, Sängerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen, die bahnbrechende Dinge herausbekommen, großartige Sportler, Schriftstellerinnen, deren Bücher zu Bestsellern werden, Regierende, die dem Wohl der Menschheit dienen, Philosophen, die uns die Welt erklären, und Heilige. Sie gelten in unseren Augen etwas und sind unsere Vorbilder. Wir verehren sie, weil wir ihnen viel verdanken. Der Applaus ist ihnen sicher. Und heimlich wünschen wir uns das alle, jedenfalls so ein bisschen: etwas Ruhm und Erfolg wäre doch ganz schön.
Doch leider gehören die meisten von uns einfach nur zum Durchschnitt. Wir sind nicht bedeutend, fallen nicht auf, haben Fehler und Schwächen, und sehen ganz normal aus. Wir sind keine Lichtgestalten. Es kann sogar sein, dass unser Leben eher dunkel ist, dass uns etwas belastet und Kummer macht. Wir leiden unter unserer Situation, sind unzufrieden, traurig und ängstlich. Anstatt großartig zu sein, kommen wir oft noch nicht einmal richtig mit unserem Leben klar.
Doch wir sollten uns nicht allzu sehr blenden lassen. Natürlich haben auch die berühmten Menschen Probleme. Der Erfolg ist oft nur äußerlich. Der schöne Schein kann trügen, denn er hat auch Schattenseiten. Es wird oft sogar bekannt, dass gerade große Stars Drogen nehmen, unter dem Leistungsdruck oder Depressionen leiden, ihre Partner und Partnerinnen häufig wechseln und sich letzten Endes einsam fühlen. Ganz zu schweigen von den vielen Neidern, der ständigen Öffentlichkeit, Intrigen und Verleumdungen. Das Leid verschont niemanden, und Scheinwerfer reichen nicht, um es zu vertreiben.
Doch genau deshalb ist Jesus gekommen, und die Weihnachtsgeschichte will uns sagen: Du musst nicht verzweifeln, selbst wenn du ganz unten bist. Denn genau da findet Gott dich und will dir begegnen. Du musst nicht alles hinbekommen und dich schon gar nicht mit irgendetwas Großem rühmen. Rühm dich einfach nur deiner Kleinheit und Schwäche und vertrau auf das Kind Jesus. Dann wirst du mit seiner Liebe beschenkt und in seine Gnade eingehüllt, und das wird dich froh und frei machen.
Es gibt eine Heilige, die genau das betont hat. Sie hieß Therese Martin und lebte am Ende des 19. Jahrhunderts in einem Kloster in der Normandie, in dem Ort Lisieux. Sie wurde nur 24 Jahre alt und war lange krank. Aber in ihrem kurzen Leben hat sie ein starkes Glaubenszeugnis abgelegt. Es gibt viele Briefe und Aufzeichnungen von ihr, die deutlich machen, dass gerade ihre Kleinheit und Verborgenheit zum Wesen ihres Lebens und ihrer Lehre gehörte. Sie sprach vom „kleinen Weg“ und verschrieb sich bewusst dem Jesuskind. Ihr Ordensname lautete auf ihren eigenen Wunsch hin „Therese vom Kinde Jesus“. In der kirchlichen Tradition wird sie auch die „kleine Therese“ genannt, und zwar in Abgrenzung zur „großen Therese“.
Die gab es ebenfalls, es war die Spanierin Theresa von Avila, die im 16. Jahrhundert gelebt hat. Sie war klug und belesen, hatte eine große geistliche Kraft und eine starke Ausstrahlung. Sie reformierte den Orden, zu dem sie gehörte, den Karmel, verfasste Schriften über den mystischen Weg und wurde später zur Kirchenlehrerin erklärt. Die kleine Therese bewunderte sie und trug ja auch denselben Namen, aber sie verkörperte etwas ganz anderes. Sie legte Zeugnis von der Botschaft ab, die alles umwälzt, nämlich dass Gott das Bedeutungslose liebt und nichts anderes möchte, als dass wir ihn auch lieben. Sie sagte einmal: „Die Heiligkeit besteht nicht in dieser oder jener Übung. Sie gründet in einer Verfassung unseres Herzens, die uns demütig und klein macht in den Armen Gottes, eingedenk unserer Schwachheit bis zur Kühnheit vertrauend auf seine Güte als Vater.“ (Ernst Guttinger, Nur die Liebe zählt, Die Mission der Theresia Martin, ein Weg für alle, Leutesdorf am Rhein 1978, S. 20) Therese von Lisieux zeigt uns den Weg der Hingabe an die Liebe Gottes, die uns im Kinde Jesus geschenkt wurde. Wir müssen nichts leisten, brauchen keine Macht und keinen Erfolg, damit unser Leben gelingt. Es reicht, wenn wir unsere Kleinheit annehmen, wie die Hirten zu dem Kind in der Krippe eilen und uns für seine Gegenwart öffnen.
Dann „kommen wir wirklich auf andere Gedanken“, wie Astrid Ettinger sagt. Die Weihnachtsgeschichte „gibt uns Mut“ und richtet uns auf. Und das Schöne ist: All das bleibt nicht bei uns, sondern wirkt sich auf unser Miteinander aus. Wir werden auch gegenüber unseren Mitmenschen liebevoller und aufmerksamer, friedlicher und gütiger. Nicht nur die Gottesliebe wird lebendig, sondern auch die Nächstenliebe.
Lasst uns deshalb dieses Kind anbeten und lieben. Es ist zwar klein, hat aber Großes bewirkt, denn es ist aus dem Himmel zu uns gekommen und kann uns trösten und erfreuen. Das alles kommt sehr schön in einemChoral zum Ausdruck. Den Text hat ein Zeitgenosse von Johann Sebastian Bach gedichtet, Valentin Thilo der Jüngere, und es heißt: „O Jesulein süß, o Jesulein mild!“. Die Verkleinerung des Namens Jesu und die beiden Adjektive „süß“ und „mild“ wirken möglicherweise etwas kitschig und unpassend für den Sohn des Allerhöchsten, selbst als er noch ein Baby war. Aber er hat den Willen Gottes verwirklicht, seinen Zorn gestillt und uns Sünder angenommen. Das bekennt der Dichter in seinem Lied. Wenn wir es singen, können wir uns dem Kind Jesus hingeben und ihm unser Leben anbefehlen.
Amen.
1. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Deines Vaters Willen hast du erfüllt,
bist kommen aus dem Himmelreich,
uns armen Menschen worden gleich.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!
2. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Deins Vaters Zorn hast du gestillt,
du zahlst für uns all unser Schuld
und bringet uns in deins Vaters Huld.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!
3. Jesulein süß, o Jesulein mild!
Mit Freuden hast du die Welt erfüllt.
Du kommst herab vons Himmels Saal
Und tröstest und in dem Jammertal.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!
4. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Sei unser Schirm und unser Schild,
wir bitten durch dein Geburt im Stall,
beschütz uns all vor Sündenfall.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!
5. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Du bist der Lieb ein Webenbild.
Zünd an in uns der Liebe Flamm,
dass wir dich lieben allzusamm.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!
6. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Hilf, dass wir tun alls, was du willt,
was unser ist, ist alles dein,
ach lass uns dir befohlen sein.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!