Predigt über Lukas 18, 31- 34: Die dritte Leidensankündigung
Sonntag vor der Passionszeit, Estomihi, 23.2.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel
Lukas 18, 31- 34
31 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,
33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.
34 Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
Liebe Gemeinde.
Die schwerste Botschaft, die es zu überbringen gibt, ist die Todesnachricht. Bei einem Gewaltverbrechen oder einem Unfall mit Todesfolge ist das die Aufgabe der Polizei. Es gehört natürlich zu ihrer Ausbildung, dafür das nötige Feingefühl zu entwickeln, trotzdem werden wir als Notfallseelsorger und Seelsorgerinnen oft gebeten, mitzukommen. Denn die Information ist für die Angehörigen ein Schock, niemand weiß, wie sie reagieren werden. Sie brauchen oft menschlichen Beistand oder psychologische Betreuung.
Ähnlich schwer ist es, wenn Ärzte in so einer Situation sind. Das geschieht sicher noch viel häufiger. Dabei müssen sie nicht nur Todesnachrichten überbringen, sondern oft schon vorher ankündigen, dass eine Krankheit nicht mehr heilbar ist, und der oder die Betroffene nur noch kurze Zeit zu leben hat. Auch das erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl.
Einem Kranken selbst sagt man es manchmal lieber gar nicht. Das ist dann natürlich unehrlich, aber es gibt Menschen, für die es besser ist, wenn sie nicht erfahren, dass sie bald sterben werden. Möglicherweise würden sie es sowieso nicht verstehen oder glauben.
So ging es jedenfalls den Jüngern Jesu. Sie waren zwar in der Rolle der Angehörigen, und Jesus war der, der bald sterben würde, aber das Unverständnis lag bei ihnen. Er wusste um die Realität und sah ihr ins Auge. Seine Jünger sollten es auch verstehen, und er hat dreimal versucht, sie in sein bevorstehendes Schicksal einzuweihen. So überliefern es die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas. Die dritte Vorhersage aus dem Lukasevangelium haben wir eben gehört.
Man kann sie unter die Überschrift stellen: „Jesu Weg zum Ziel“, denn so war es für ihn: Er war gefasst und hatte das Ende seines Weges auf der Erde klar im Blick. Er wusste, dass seine Feinde ihn umbringen wollten, und er eines gewaltsamen Todes sterben würde. Doch das erschreckte ihn nicht, weil er an die göttliche Bestimmung glaubte, die dahinter stand. Er ging davon aus, dass sich damit der Heilsplan Gottes erfüllte. Denn so hatten es bereits die Propheten vorhergesagt, und nun wurde diese Weissagung Wirklichkeit.
Darüber wollte er seine Jünger belehren und aufklären. Sie sollten hören, was ihm und damit auch ihnen bevorstand. Er weihte sie in sein Wissen ein.
Doch es gelang ihm nicht, sich verständlich zu machen. Sie begriffen nicht, wovon er redete und was er meinte. Sie wehrten sich gegen die furchtbare Nachricht und nahmen sie nicht auf, denn das konnten sie nicht verkraften. Sie sollten erkennen, dass seine Hinrichtung bevorstand, sie ihn also auf grausame Weise verlieren würden und dabei selber in Gefahr gerieten. Das lag außerhalb ihres Vorstellungsvermögens, sie wollten es einfach nicht erfassen.
Denn es war zu schlimm für sie. Drei Jahre lang waren sie mit ihm gegangen, hatten dafür alles aufgegeben, hatten ihm vertraut und geglaubt, dass er der Messias war, der alles ändern würde. Natürlich liebten sie ihn auch und hingen an ihm. Sie wollten ihn auf keinen Fall verlieren. Es ist völlig nachvollziehbar, dass sie die Todesnachricht ablehnten.
Wie es Jesus selber mit diesem Wissen ging, wird hier zwar nicht erwähnt, aber er schien nüchtern und innerlich gefestigt gewesen zu sein. Er beschreibt ja sehr genau, was ihn erwartete: Zuerst kommen seelische Qualen, Verspottung, Misshandlung und Verhöhnung. Dann folgen körperliche Grausamkeiten, wie die Geißelung und die Hinrichtung.
Davor hätte er eigentlich Angst bekommen und so schnell wie möglich weglaufen und sich verstecken müssen. Doch er tat genau das Gegenteil: Er begab sich in die Hände seiner Feinde und ging ihnen entgegen, nach Jerusalem, wo sie bereits auf ihn warteten. Fast scheint es so, als hatte er eine Todessehnsucht, doch das war nicht der Fall. Er beschwor seinen gewaltsamen Tod zwar herauf, aber er wusste, dass das nicht das Ende seines Auftrags sein würde. Deshalb konnte er so ruhig damit umgehen. Er sah weiter, über sich und seine Zeit auf Erden hinaus. Er glaubte an die Macht Gottes, die auch noch jenseits des Todes bleibt und wirkt. Gerade durch seinen Tod würde sie sich als wahr erweisen, und den Menschen den Weg in die Ewigkeit öffnen. Das waren sein Glaube und seine Einsicht, davon war er erfüllt und durchdrungen.
Die Jünger dagegen konnten das nicht verstehen, seine Rede blieb für sie rätselhaft. „Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.“ So steht es am Ende des Textabschnittes.
Und damit sind sie uns sehr nah. Das können wir uns gut vorstellen. Möglicherweise geht es uns sogar ganz ähnlich. Wir wissen zwar, dass Jesus gekreuzigt wurde, aber leicht fällt uns dieses Wissen nicht. Es ist unbehaglich und anstößig. Und das war schon immer so. Von Anfang an war das Kreuz ein Ärgernis, über das auch die Christen nachdenken mussten. Bis heute versucht die Theologie, es einzuordnen, und es gibt viele verschiedene Ansätze dafür.
Der geläufigste ist, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist. Der Apostel Paulus hat diese Theorie als erster formuliert. In den Evangelien liegt der Schwerpunkt anders. Da machen die Leidensankündigungen – von denen uns heute eine vorliegt – deutlich, was der Tod Jesu bedeutet, und zwar werden wir mit ihnen in die Nachfolge gerufen. D.h. wir sollen Jesus in sein Leiden und in den Tod folgen, um dann auch mit ihm aufzuerstehen und zu neuem Leben zu erwachen. Der Christ und die Christin werden eingeladen, sich auf den Weg zu machen und mit ihm zu gehen. Dann können auch sie erfahren, dass die Macht Gottes weit über den Tod hinausgeht. Wir werden zur Leidensbereitschaft herausgefordert, um an der Auferstehung teil zu haben.
Aber wollen wir das? Ist das für uns nicht genauso hart? Wir wollen den Tod und das Leiden nicht, es schreckt uns ab und verstört uns. Es geht uns nicht anders als den Jüngern. Gewaltsame Vorfälle sind dabei besonders entsetzlich. Wir hören ja fast täglich davon. Meistens geschehen sie in anderen Ländern, doch jetzt ist es auch bei uns passiert: Neun Menschen mussten in Hanau sterben, weil ein Einzelner es so wollte. Wie können wir da ruhig und fest bleiben? Es löst Angst und Schrecken aus.
Deshalb wird der Vorfall in den Medien und in der Politik ausführlich behandelt. Es gibt inzwischen sehr viele gute und hilfreiche Äußerungen und Aktionen dazu. Ich möchte all die Bekundungen jetzt nicht wiederholen, und hinzuzufügen gibt es dem auch kaum noch etwas.
Die Frage, die sich in unserem Zusammenhang stellt, ist auch hauptsächlich die: Wie geht es jetzt den Angehörigen der Opfer? Sie sind ja am meisten betroffen und sind in schweres Leid geraten. Deshalb gibt es auch eine Opferbeauftragte, die ihnen mit ihrem Team hilft, die vielen Gefühle und Gedanken zu verarbeiten, Trauer und Wut, Angst und Entsetzen. Der Gedanke, so ein Schicksal einfach hinzunehmen oder es möglicherweise sogar freiwillig zu wählen, kommt uns auf diesem Hintergrund völlig abwegig, ja sogar zynisch vor. Das kann doch nicht die Antwort auf Terror und Krieg, Gewalt und Morden sein!
Doch so dürfen wir den Weg Jesu und seinen Ruf in die Nachfolge auch nicht verstehen. Er will nicht, dass wir taten- oder gedankenlos zusehen, wenn etwas Schlimmes passiert. Der Schreck und die Verstörung gehören dazu. Wir sollen nur realistisch sein und uns nichts vormachen. Es gilt zu erkennen, dass das Leben oft genau so grausam ist. Auch wenn uns keine Terroranschläge treffen, geht es uns nicht immer gut. Wir müssen vieles erleiden und ertragen, und am Ende steht auf jeden Fall der Tod, da führt kein Weg auf der Welt drum herum. Jesus möchte von uns Nüchternheit und Ehrlichkeit gegenüber diesen Tatsachen. Wir verdrängen das ja lieber, verschließen unsere Augen und beschäftigen uns nicht damit. Doch damit werden wir dem Leben nicht gerecht. Wir versuchen, etwas auszuklammern, das sich nicht ausklammern lässt. Und das ist nicht ratsam. Denn irgendwann holt es uns ein, und dann haben wir keine Möglichkeit, damit umzugehen. Angst überfällt uns, Unruhe und möglicherweise Verzweiflung. Wir wissen nicht weiter, sind ratlos und aufgeschmissen. Deshalb ist es so schwer, eine Todesnachricht zu empfangen. Sie tut sehr weh.
Doch es gibt einen Weg, wie sich dieser Schmerz abschwächen kann. Und zwar ist es wichtig, dass wir uns selber spüren und uns klar machen, was alles in uns vorgeht, wenn wir mit dem Tod in Berührung kommen. Es ist nämlich gar nicht nur die schlimme Erfahrung, die uns quält, sondern auch das, was dadurch in unserer Seele geschieht: Wir hadern und lehnen uns auf, und das zermürbt uns. Es gibt negative Kräfte, die uns von innen verzehren und zerstören wollen. Das müssen wir erkennen und uns dagegen wehren. Es ist nicht zwingend, dass wir uns diesen Kräften ausliefern, wir können ihnen etwas entgegensetzen.
Es beginnt damit, dass wir still werden und gar nichts mehr tun oder denken, allerdings ohne unsere Augen zu verschließen. Wir wenden uns nicht von der Realität ab, sondern wenden uns Gott zu. Er ist die größere Realität, und wir sagen und geben ihm, was uns beschwert. Er kann von uns nehmen, was uns nieder drückt, daran gilt es, zu glauben. Das ist zwar wie ein Sterben, aber es tut gut. Wir nehmen unseren eigenen Tod damit ein Stück weit vorweg, jedoch mit einem „Ja“, und dadurch lässt der Schmerz nach.
Wir haben vorhin das Lied gesungen: „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165). Es beginnt in den ersten beiden Strophen mit der Vorstellung von Gottes Thron und der Aufforderung zur Anbetung. Das ist schön, und wir singen es gerne. Die dritte Strophe ist dagegen sehr unbeliebt und wird oft weggelassen. Sie beginnt mit dem Satz: „Wir entsagen willig allen Eitelkeiten, aller Erdenlust und Freuden.“ Das ist uns fremd und passt nicht in unser Lebensgefühl. Aber es ist eine sehr sinnvolle Vorgehensweise, die auch in der Leidensankündigung Jesu zum Ausdruck kommt: Es ist gut, wenn wir die Oberflächlichkeit bei Seite legen und annehmen, dass das Leben nicht nur lustvoll und unterhaltsam ist.
Stattdessen sind wir eingeladen, unseren „Willen, Seele, Leib und Leben Gott zum Eigentum zu geben.“ So geht die Strophe aus dem genannten Lied weiter. Und das ist wichtig. Denn daran wird deutlich, dass wir weder zu einem heldenhaften Verzicht noch zum Stumpfsinn oder zur Gelichgültigkeit aufgefordert werden. Wir dürfen vielmehr wissen und glauben, dass wir nicht allein sind. Wir können und sollen auf Jesus blicken und uns seinen Weg und sein Leiden vorstellen. Er geht dann mit uns und steht uns bei. Jesus führt uns durch die Dunkelheit. Und das gilt in allen Situationen, die dunkel und schwer sind, die wir nicht verstehen und die uns aufwühlen. Wir sind auf jeden Fall bei ihm geborgen. Er umgibt uns mit seiner Liebe und lässt uns teilhaben an seiner Überwindung.
Natürlich geschieht das nicht in einem Augenblick. Es ist manchmal ein langer Weg, den wir gehen müssen, bevor es nach einer schlimmen Erfahrung wieder hell in uns und um uns herum wird. Aber es gibt diesen Weg, und es geht darum, dass wir ihn einschlagen. Dann behalten wir auf jeden Fall eine Hoffnung. Mit der Zeit weicht die Verzweiflung, und das Herz wird ruhig, auch angesichts von Tod und Schrecken. Jesus hat das Reich Gottes gebracht und die Ewigkeit für uns geöffnet. Leiden und sterben, Gewalt und Terror haben nicht das letzte Wort. Es gibt vielmehr eine Wirklichkeit jenseits des irdischen Lebens. Gottes Macht ist größer als alles, der Tod kann sie nicht auslöschen. Das hat Jesus verkündigt, dafür hat er gelebt, dafür ist er gestorben und auferstanden. Er führt uns den Weg zu Gott, den Weg durch die Zeit in die Ewigkeit.
Seine Botschaft war die schönste, die es gibt, denn sie ist eine Antwort auf alle unsere Fragen und Nöte. Sie löst keinen Schock aus, sondern bringt Ruhe und Freude. Er selber ist der Beistand, den wir brauchen. Er heilt unsere Seele und verheißt uns Leben. Es tut deshalb gut, wenn wir ihn empfangen, an ihn glauben und darauf vertrauen, dass sein Weg auch für uns der beste ist.
Lasst uns deshalb singen:
„Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt! Wir gehn an unsers Meisters Hand und unser Herr geht mit.“ (EG 394)
Amen.