Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder

Predigt über Apostelgeschichte 16, 23- 34: Paulus und Silas im Gefängnis

4. Sonntag nach Ostern, Kantate, 29.4.2018, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Apostelgeschichte 16, 23- 34

23 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen.
24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.
25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie.
26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab.
27 Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen.
28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier!
29 Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen.
30 Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?
31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!
32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren.
33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen
34 und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Liebe Gemeinde.

Bei unserem letzten Gemeindeausflug besuchten wir am Ende die Kirche von Broager, das ist ein kleiner Ort auf der dänischen Seite der Flensburger Förde, und das hat sich gelohnt. Denn diese Kirche ist nicht nur eine Sehenswürdigkeit, uns fiel beim Singen auch die wunderbare Akustik darin auf. So viele Personen waren wir gar nicht, trotzdem klangen unsere Lieder so, als wäre die ganze Kirche mit Menschen gefüllt. Da hat das Singen richtig Spaß gemacht.

Wie gut oder wie schlecht die Akustik in einem Raum ist, spielt ja oft eine große Rolle, gerade wenn es um Musik geht. Damit beschäftigt sich eine ganze Wissenschaft. Die ist mit dem Wort „Akustik“ auch gemeint. Es ist die Lehre vom Schall und seiner Ausbreitung. Sie umfasst sämtliche damit zusammenhängende Gesichtspunkte, wie die Entstehung vom Schall, seine Wahrnehmung durch das Gehör und seine Wirkung auf Menschen und Tiere usw.

In der Geschichte, die wir vorhin gehört haben, spielt das alles auch eine Rolle, denn da hat ein akustisches Phänomen eine großartige und spektakuläre Auswirkung: Es war der Gesang der Apostel Paulus und Silas im Gefängnis. Der muss stark gewesen sein, denn er durchdrang die Mauern, und alle Gefangenen hörten ihn. Er wurde zu einem öffentlichen Zeugnis für die große Kraft Gottes, die daraufhin alle Anwesenden erfahren haben, denn er rief Gottes Handeln auf den Plan: Es geschah ein Erdbeben, das sämtliche Türen des Gefängnisses aufsprengte und alle Fesseln abfallen ließ.

Natürlich handelt es sich bei diesem Ereignis um etwas anderes, als lediglich einen Schall mit einer bestimmten Wirkung. Ein Wunder geschieht, mit dem Gott seine Macht beweist. Dabei sind die Motive, die in der Erzählung vorkommen, für den Verfasser nicht neu. Das gibt es in der Bibel auch an anderen Stellen: Fromme Menschen werden unschuldig gefangen und eingekerkert und haben eigentlich einen Grund zum Klagen. Doch das tun sie nicht, sondern sie stimmen stattdessen ein Loblied an. So pries der gefangene Josef seinen Gott. Und „der ganze Fisch war voll Gesang“, (Klaus-Peter Hertzsch, Biblische Balladen zum Vorlesen, Stuttgart 1970) als Jona darin gefangen war. Genau dasselbe tun hier nun Paulus und Silas.

Vorweg geht ihre Verhaftung. Uns wird erzählt, dass sie „hart geschlagen“ und dann in das „innere Gefängnis geworfen“ wurden. Darunter muss man sich wohl so etwas wie ein unterirdisches Loch vorstellen, ohne Fenster, ohne Licht, kalt und feucht und stickig. Ihre Füße kamen in den Block, so dass sie sich kaum noch bewegen konnten.

Zu all dem war es gekommen weil sie einer Wahrsagerin den bösen Geist ausgetrieben hatten. Aus ihrer Sicht hatten sie ihr geholfen und etwas Gutes getan. Heute würden wir sagen, dass sie sie aus einem psychotischen Zustand befreit und sie geheilt hatten. Doch das gefiel nicht allen Beteiligten. Denn die Frau war eine Sklavin, und ihre Herren profitierten von ihrer Gabe des Wahrsagens. Sie nahmen Geld dafür ein. Und diese Männer waren natürlich erbost, als die Frau die Fähigkeit des Hellsehens plötzlich nicht mehr besaß. Ihre Geldquelle war versiegt. Und als sie mitkriegten, dass Paulus und Silas dahinter steckten, ließen sie die ins Gefängnis werfen. Es gelang ihnen mit Vorwänden und Lügen und Anheizen der Stimmung in der Stadt. Paulus und Silas saßen also unschuldig in diesem finsteren Loch. Geldgier, Machtwille, Lügen und Manipulation der anderen hatten sie dorthin gebracht.

Wenn einem so etwas widerfährt, wird man natürlicherweise wütend. Auflehnung und Zorn, Angst, Traurigkeit und Weinen sind die naheliegenden Reaktionen. Aber das taucht hier an keiner Stelle auf. Die Apostel reagieren ganz anders. Anstatt zu klagen, vielleicht sogar vor Gott, fangen sie an zu singen. „Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Gott Loblieder“. So wird es hier erzählt. Und damit wird das Wunder eingeleitet. Gott selber tritt auf den Plan. Eine Macht, die stärker ist als all diese Ungerechtigkeiten, greift ein und ebnet den Gefangenen den Weg in die Freiheit.

Doch erstaunlicher Weise nutzen Paulus und Silas diese Möglichkeit gar nicht. Anstatt den Kerker so schnell möglich zu verlassen, kümmern sie sich zunächst um den Gefängniswärter. Der war bei diesem Geschehen von panischer Angst ergriffen worden und stand offensichtlich so unter Schock, dass er sich selber das Leben nehmen wollte. Davor bewahrt Paulus ihn hier. Er spricht zu ihm, beruhigt ihn und führt ihn zum Glauben an Jesus Christus. Die rettende und befreiende Kraft Gottes geht also noch weiter und greift um sich. Sie setzt sich in einer feindlichen Umwelt durch. Davon möchte diese Geschichte ein Zeugnis ablegen.

Aber beeindruckt uns das überhaupt? Klingt das nicht alles eher wie ein Märchen? Wir tun uns ja schwer mit den Wundergeschichten der Bibel, denn sie entsprechen nicht unseren Erfahrungen. Kein unschuldig Gefangener wird heutzutage so befreit. Und davon gibt es leider viele. Wir wünschen uns zwar, dass Gott einmal eingreift und alle Ungerechtigkeit beseitigt, aber das tut er nicht.

Was sollen wir mit der Geschichte also anfangen? Das müssen wir uns fragen, und dafür ist es gut, wenn wir ihre zentrale Botschaft herausfiltern: Es geht um die Offenbarung der Macht Gottes, die Türen öffnet und Fesseln löst. Die Geschichte erinnert damit an die Auferstehung Jesu, der sogar aus dem Grab befreit wurde und den Tod überwand. Die Freiheit, die hier verkündet wird, hat also einen anderen Charakter, als irdische Freiheit. Das wird auch daran erkennbar, das Paulus und Silas und die anderen Gefangenen gar nicht sofort weglaufen. Sie bleiben, wo sie sind, und bekehren erst einmal den Gefängniswärter, der ebenfalls von dem Wunder ergriffen wird. Er findet zum Glauben an den Auferstandenen und verliert seine Angst.

Lasst uns also fragen, wie wir dahin kommen können, und dafür ist es gut, wenn wir noch einmal etwas genauer darüber nachdenken, was Freiheit überhaupt ist.

Normalerweise verstehen wir darunter ja die Möglichkeit, alles tun zu können, was wir wollen. Wenn geschieht, was wir uns wünschen, niemand uns hindert oder einschränkt, dann fühlen wir uns frei. Und das erstreben wir auch. „Wir wollen Freiheit, um uns selbst zu finden, Freiheit, aus der man etwas machen kann. Freiheit, die auch noch offen ist für Träume, wo Baum und Blume Wurzeln schlagen kann.“ So dichtete es Ernst Hansen in dem Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“. (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, 1995, Nr. 623) Doch genau diese Zeilen haben auch einen kritischen Unterton: Der Dichter will sagen, dass wir das zwar wollen, aber es nicht so einfach finden. Im Gegenteil, gerade dieses Streben führt in ganz viele Zwänge. Es beginnt mit der Angst, ob es auch klappt. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt und wie viele Gefahren und Hürden uns erwarten. Es kann zu herben Enttäuschungen kommen. Andere Menschen verletzen uns, Krankheiten, Unfälle oder andere schlimme Ereignisse durchkreuzen unsere Träume und sie zerplatzen. Und selbst, wenn wir viel erreichen, bleibt die Furcht vor dem Verlust ein ständiger Begleiter. Außerdem bauen wir Mauern zwischen uns und anderen, es sind die Mauern unseres Egoismus. Das kommt in der nächsten Strophe des Liedes von Ernst Hansen zum Ausdruck, die lautet: „Und dennoch sind da Mauern zwischen Menschen, und nur durch Gitter sehen wir uns an. Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis und ist gebaut aus Steinen unsrer Angst.“ Das ist die eine Seite, die wir beachten müssen, wenn wir über Freiheit nachdenken.

Auf der anderen Seite fühlen sich lange nicht alle Gefangenen unfrei. Es gibt wunderbare Zeugnisse von Menschen, die gerade im Gefängnis zu einer großen Gelassenheit gefunden haben. Bonhoeffer ist für uns wahrscheinlich das berühmteste Beispiel. Er kannte während der Haft beides: Die „Unruhe und die Sehnsucht, den Zorn und die Ohnmacht, Müdigkeit und Leere“. Trotzdem bescheinigten ihm die anderen, dass er „gelassen und heiter und fest“ aus seiner Zelle träte, „wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.“ Sie sagten ihm oft, er „spräche mit seinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte er zu gebieten. Er trüge die Tage des Unglücks gleichmütig lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.“ So lauten seine eigenen Worte. (Widerstand und Ergebung, Gütersloher Verlagshaus, 18. Auflage 2005, S. 188) Er selber wusste nicht, ob er nun mehr das eine oder das andere war, aber er hat sich damit getröstet, dass Gott es wusste, und dem hat er sich anvertraut. Bis heute ist sein Zeugnis für viele Christen glaubensstärkend und inspirierend.

Etwas Ähnliches wissen wir von dem Jesuiten Franz Jalics. Er wurde 1927 in Budapest geboren und war lange als Dozent in Argentinien tätig. Während des Bürgerkrieges wurde er dort einmal vom Militär verschleppt und für fünf Monate festgehalten, weil er angeblich ein Terrorist war. Das war für ihn einerseits eine furchtbare Erfahrung. Andererseits haben gerade diese Wochen ihn sehr verändert, denn er hat im Gefängnis ständig gebetet. Er berichtet, dass Depressionen, die er vorher kannte, hinterher weg waren. Auch seine „Aggressivität war vollständig verschwunden und kam nie wieder zurück.“ Er schreibt: „Die Monate von Verschleppung, Gefangenschaft und Nähe des Todes, verbunden mit der ständigen Wiederholung des Namens Jesu, hatten in mir eine tiefgehende Läuterung bewirkt.“ In der Stille der Gefangenschaft hat sich eine Wandlung vollzogen. Sein „versklavtes Ich“ war befreit worden. Und aus diesem Erleben hat er anschließend „Kontemplative Exerzitien“ entwickelt. So lautet der Titel seines gleichnamigen Buches, das 1994 erstmals erschien. Es ist eine „Einführung in die kontemplative Lebenshaltung und in das Jesusgebet.“ (Echter Verlag Würzburg, 11. Auflage 2008, S. 174ff). Franz Jalics wurde einer der bedeutendsten geistlichen Begleiter für das sogenannte „Gebet der Ruhe“. Heute lebt er wieder in seiner Geburtsstadt Budapest und führt durch seine reichen Erfahrungen immer noch andere Menschen in die innere Freiheit.

Und die finden wir tatsächlich nicht dort, wo alles geschieht, was wir wollen, sondern da, wo wir unser Wollen loslassen, in der Meditation, und wenn äußerlich gerade einmal nicht mehr viel passiert. Es gibt Menschen, die dafür ja sogar freiwillig hinter Mauern gehen. Sie wählen den Weg der Abgeschiedenheit eines Klosters, um ihr Leben ganz dem Gebet und dem Lobpreis Gottes zu widmen. Denn sie wissen: Gott erweist seine Macht gerade da, wo wir mit unseren menschlichen Möglichkeiten an eine Grenze stoßen und auf unsere Selbstverwirklichung verzichten.

Genau das haben Paulus und Silas erlebt. Und daran glaubten sie auch schon, bevor das Erdbeben geschah. Deshalb haben sie gesungen und Gott gelobt.

Und das ist immer noch ein guter Weg, um in die Freiheit geführt zu werden, denn das wirkt sich aus. Wenn wir singen, wird zuerst die Stimme laut, wir hören das Lied mit unseren Ohren, aber zudem breitet der Schall sich aus. Er erfasst unsere Seele und sprengt die Mauern, die uns umgeben. Unser Geist öffnet sich, Fesseln werden gelöst und wir sind frei. Und auch andere nehmen ihn wahr, kommen herzu und erleben die Größe Gottes.

Lasst uns deshalb jetzt ein kraftvolles Lied singen, in dem die Macht Jesu beschrieben wird: „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude.“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 66)

Amen.

Der Herr macht lebendig

Predigt über 1. Samuel 2, 1- 2. 6- 8a: Der Lobgesang der Hanna

Ostersonntag, 1.4.2018, 9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

1. Samuel 2, 1- 2. 6- 8a

1 Und Hanna betete und sprach:
Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN,
mein Haupt ist erhöht in dem HERRN.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.
2 Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner,
und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
6 Der HERR tötet und macht lebendig,
führt hinab zu den Toten und wieder herauf.
7 Der HERR macht arm und macht reich;
er erniedrigt und erhöht.
8 Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche,
dass er ihn setze unter die Fürsten
und den Thron der Ehre erben lasse.

Liebe Gemeinde.

Es gibt in Deutschland 1,5 bis 2 Millionen Paare, deren Wunsch nach einem Kind unerfüllt bleibt. Sie wollen eins, doch es klappt nicht, und darunter leiden sie oft erheblich. Die Lebensplanung droht zu scheitern, und der Sinn des Lebens verschwindet ebenso. Dazu kommen Vorurteile, mit denen sie konfrontiert sind, wie etwa, dass sie krank oder egoistisch sind. Bei jedem misslungenen Versuch, schwanger zu werden nehmen der Stress, die Enttäuschung und auch die Traurigkeit zu.

Es gibt deshalb viele Hilfen für die Betroffenen. Hier in Kiel ist z.B. das „Kinderwunschzentrum“ der Uniklinik ein Angebot, aus diesem Leiden herauszukommen. Es möchte den Eltern „helfen, ihr Glück zu finden“. Ständig werden die Methoden in Diagnostik und Therapie verbessert. Dazu kommt eine persönliche Betreuung, in der auch emotionale und intime Fragen einer Paarbeziehung besprochen werden. Das Zentrum blickt bereits auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurück, und es ist nicht das einzige in Deutschland. Auch in anderen Arztpraxen, bei Hebammen, im Internet und vielen weiteren Foren gibt es Hilfsangebote.

Den Frauen in biblischen Zeiten ging es in dieser Beziehung anders. Sie machten meistens Gott dafür verantwortlich, wenn sie kinderlos blieben, bzw. wenn sie dann doch schwanger wurden. Gott hat die Macht, den Mutterleib zu schließen oder zu öffnen, das war der Glaube. Er kann also auch die Unfruchtbare „zu Ehren bringen, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird“, wie es in Psalm 113 heißt. Und es gibt mehrere Geschichten über Frauen, die unerwartet schwanger wurden.

Zu ihnen gehörte auch Hanna, deren Loblied wir vorhin gehört haben. Ihr Mutterschoß galt als „verwelkt“ oder „vertrocknet“. Sie bekam keine Kinder. Darüber war sie sehr traurig, obwohl ihr Mann sie liebte und trotzdem zu ihr hielt. (1. Samuel 1) Nur von seiner zweiten Frau – so etwas war damals erlaubt – wurde sie „gekränkt und gereizt“, den die bekam Kinder. Die Geschichte erzählt nun, wie Hanna eines Tages im Tempel betete und dem Herrn ein Gelübde machte: Sie bat Gott darum, sie anzusehen, an sie zu denken, ihr Elend zu beenden und ihr einen Sohn zu schenken. Sie versprach, dass sie ihn dann „dem HERRN geben würde sein Leben lang“.

Und diese Bitte hat Gott erfüllt. Er hat ihren Schoß zum Leben erweckt und sie fruchtbar gemacht. Hanna wurde schwanger und gebar einen Sohn. Sie nannte ihn Samuel und hielt ihr Versprechen: Als er entwöhnt war, brachte sie ihn in den Tempel, „weil er vom HERRN erbeten war“ (1. Samuel 1, 28). Dort wuchs er unter der Obhut des Priesters auf. Er wurde ein heiliger Mann und ein großer Prophet, der später die ersten Könige Saul und David salbte.

Für Hanna war das Geschenk Gottes wie eine Auferstehung von den Toten. Die Unfruchtbare gebar neues Leben und hatte Teil an der Schöpferkraft Gottes. Das kommt in ihrem Lied zum Ausdruck, und deshalb lesen wir es heute, am Tag der Auferstehung Jesu Christi. Der entscheidende Vers lautet: „Der HERR tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf.“

Hinter dieser Aussage steht eine ganz bestimmte Vorstellung der Israeliten. Sie gehen davon aus, dass es unter der Erde ein Reich der Schatten gibt, einen tiefer gelegenen Ort, an dem alle Tätigkeit aufhört, und wo Gott nicht mehr gepriesen wird. Die Toten kommen dorthin und warten bis zum jüngsten Tag auf ihre Befreiung. Das hebräische Wort für dieses Totenreich lautet „Scheol“. Im Alten Testament ist oft davon die Rede, dass Gott die Menschen dort hinab bringt, sie hinabsteigen lässt, weil sie gesündigt haben.

Den Glauben, dass Gott die Toten dort vor dem jüngsten Tag auch wieder herausholt, den finden wir im Alten Testament jedoch nur selten. Hanna singt das, denn das war ihre Erfahrung: Gott lässt die Toten auch wieder aufsteigen, er führt sie aus dem Scheol herauf. So hat Hanna ihr Schicksal erlebt, und auch anderen ergeht es ihrer Meinung nach ähnlich. Sie nennt noch zwei weitere Beispiele: Gott macht arm und wieder reich, er erniedrigt und erhöht. „Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche“, singt sie. Denn so hat sie sich gefühlt. Diese wunderbare Wende hat Gott ihr geschenkt.

Deshalb ist sie überglücklich, damit fängt ihr Lied ja an: In der Seele und im Geist ist sie erfüllt mit Freude und Jubel. Sie kann wieder aufrecht gehen und ihr Gesicht zeigen. Sie kann ohne Furcht von Gott erzählen. Alle sollen ihre Worte vernehmen. Denn sie ist davon überzeugt, dass sie ihr Glück Gott zu verdanken hat. Er ist der Mächtigste im Himmel und auf Erden, in der Tiefe und in der Höhe. Das ist das Lied der Hanna, und es bezeugt sehr schön den Glauben an die Auferstehung.

Und das ist gut, denn wir fragen uns heutzutage, worin der bestehen kann. Wir sind zwar Christen, und eigentlich ist Ostern unser zentrales Fest, aber inzwischen können viele damit nichts mehr anfangen. Sie können sich nicht vorstellen, was da am Ostermorgen wirklich geschah. Ist Jesus tatsächlich von den Toten auferweckt worden? Dagegen gibt es viele Einwände: Das kann doch nicht sein und wirkt fast so ein bisschen gruselig. Und was soll diese Botschaft überhaupt? Sie passt nicht in unser neuzeitliches, aufgeklärtes Denken. Selbst Umschreibungen, wie etwa die, dass „das Leben gesiegt hat“, helfen uns nicht, denn davon merken wir nichts.

Es gibt den Tod und viel Elend. Das Leben setzt sich lange nicht überall durch, auch dann nicht, wenn wir an an Jesus Christus glauben. Ein unerfüllter Kinderwunsch ist dafür nur ein Beispiel. Dazu gibt es noch viele andere Ereignisse, die uns an der Macht Christi zweifeln lassen, weil sie unsere Lebensplanung durchkreuzen, uns ins Leiden stürzen und uns unglücklich machen. Ehen gehen auseinander, Konflikte machen uns zu schaffen, Angehörige sterben usw. Da hilft es auch nicht, wenn uns verkündet wird, dass Jesus auferstanden ist und den Tod überwunden hat. Es klingt wie ein Märchen aus fernen Zeiten, das mit unserem Leben nichts zu tun hat.

Doch das muss nicht so bleiben. Es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen der Botschaft von der Auferstehung und unserem Leben heute. Sie hat nach wie vor Gültigkeit und ist wahr, wir müssen nur anders da heran gehen, als mit unserem Verstand oder unseren Erfahrungen.

Und zwar ist es gut, wenn wir zunächst in unser Leben schauen und uns klar machen, worin die tiefste Ursache für all unsere Wünsche liegt. Letzten Endes sehnen wir uns ja immer nach irgendetwas. Wenn ein Wunsch erfüllt ist, kommt meistens schon der nächste. Ganz ruhig und zufrieden sind nie. Ist das lang ersehnte Kind z.B. da, ist meistens noch lange nicht alles gut, sondern dann kommen neue, ganz andere Probleme. Viele Eltern fühlen sich am Anfang überfordert, denn ein Säugling verlangt ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie müssen Opfer bringen. Und wenn die Kinder dann älter werden, läuft es nur selten nach dem Wunsch von Mutter und Vater. Spätestens in der Pubertät kommen Schwierigkeiten, denn die Kinder gehen ihre eigenen Wege. Die Eltern müssen sie loslassen. Und leider bleibt so mancher Konflikt, der dabei entsteht, ein Leben lang da und überschattet das Verhältnis dauerhaft.

Der Wunsch nach Glück und Ruhe, nach Zufriedenheit und Geborgenheit, menschlicher Nähe und Liebe ist also keinesfalls weg, wenn wir versuchen, all das selber herzustellen. Er wird nie ganz erfüllt, ganz gleich, was wir machen. Und das müssen wir ernst nehmen. Uns werden zwar viele Angebote gemacht, wie wir heutzutage unsere Fragen beantworten und unsere Probleme lösen können, aber sie gehen meiner Meinung nach nicht an die Wurzeln. Natürlich helfen die Ratgeber, Bücher, Internetseiten, Therapeuten und Philosophen, denn sie alle denken darüber nach, wie unsere Sehnsucht nach Glück gestillt werden kann. Viele Antworten, die wir dort finden, sind durchaus brauchbar. Trotzdem sollten wir tiefer bohren und den Wunsch nach Ruhe und Glück einmal an sich – als solchen – betrachten.

Ich denke nämlich, dass sich darin letzten Endes die Sehnsucht nach Gott verbirgt. Unser tiefstes Verlangen bleibt oft ungestillt, weil wir auf noch viel mehr angelegt sind, als nur auf das irdische Dasein. Wir stecken in dem Dilemma, dass wir hier auf der Erde leben und eines Tages sterben werden. Alles vergeht, und deshalb kann es uns nicht genügen. Denn in Wirklichkeit sind wir für die Ewigkeit geschaffen. „Gott hat uns zu sich hin geschaffen“, wie Augustin gesagt hat, „und ruhelos ist unser Herz, bis es Ruhe findet in ihm.“ Wir sollten deshalb die letzte Erfüllung von vorne herein bei Gott suchen. Nur er kann uns eine Antwort auf die tiefsten Fragen geben, die wir haben, weil sie immer über dieses Leben hinaus gehen. Alles andere verfliegt irgendwann, nichts lässt sich festhalten, und auch das Leid wird deshalb nicht aufhören.

Auf diesem Hintergrund gewinnt die Botschaft von der Auferstehung ihre Bedeutung. Denn damit hat Gott uns eine Antwort gegeben, die alles einschließt, auch das Sterben und den Tod, das Leid und die Sehnsucht. Wir müssen uns nur darauf einlassen.

Es ist deshalb gut, wenn wir mit allem, was uns bewegt und was wir uns wünschen, zunächst zu Gott gehen, so wie Hanna das gemacht hat. Sie hat ihr Herz vor ihm ausgeschüttet, und ihr Glück bestand nicht nur darin, dass sie schwanger wurde. Sie preist Gott hauptsächlich dafür, dass er sie überhaupt gehört hat. Sie hat in der Beziehung zu Gott ihr Glück gefunden. Deshalb hat sie ihr Kind auch ihm geschenkt. Sie hat es nicht als ihr Eigentum betrachtet, sondern es in die Obhut des Priesters gegeben, als es entwöhnt war. Sie zeigt uns also, dass sie im Glauben und im Gebet ihre wahre Ruhe gefunden hat.

Und das kann auch uns so gehen, denn Gottes Macht ist grenzenlos, das wird uns zu Ostern verkündet. Die Auferstehung Jesu ist kein historisches Ereignis, sie geschieht vielmehr immer wieder und zwar da, wo Menschen sich darauf verlassen, dass Jesus lebt. In seiner Gegenwart können wir ruhig werden. Er schenkt uns eine Erfüllung und Hoffnung, die weiter geht, als alles andere. Wir können Ostern nicht mit dem Verstand begreifen, aber wir können von Ostern her leben. „Denke daran, was der Allmächtige kann, der dir mit Liebe begegnet.“ So fordert uns Joachim Neander mit dem Lied „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ (Evangelischesw Gesangbuch Nr. 317) zum Glauben auf. Wenn wir tun, was er sagt, merken wir, dass die Botschaft von der Auferstehung wahr ist.

Denn es geschieht etwas in uns und in unserem Leben. Alles, was nicht Gott ist, wird nämlich zweitrangig. Wir erkennen die Grenzen unserer Möglichkeiten und können sie annehmen, und wunderbarer Weise ergibt sich durch dieses Bewusstsein vieles von allein. Wir erfahren, dass uns plötzlich auch bei irdischen Problemen geholfen wird, ohne dass wir viel dafür tun. Es kann z.B. sein, dass Eltern, die sich immer ein Kind wünschten, es erst dann bekamen, nachdem sie diesen Wunsch losgelassen hatten. Im Nachhinein merken sie, dass sie sich selber im Weg gestanden hatten. Die Fixierung auf dieses eine Problem hatte alles verhindert. Sie waren verspannt und unbeweglich geworden. Erst nachdem sie diese Haltung aufgegeben hatten, konnte das neue Leben entstehen. Und so ist es in vielen anderen Situationen auch. Wenn wir unsere Wünsche loslassen und uns entspannen, werden wir plötzlich geführt. Und das geht am besten im Vertrauen auf Gott und seine lebensschaffende Kraft, wenn wir uns ihm hingeben und uns für seine Gegenwart öffnen. Dann kommen seine Möglichkeiten zum Zuge, und er kann an uns handeln: Er „erhält uns, verleiht uns Gesundheit und geht freundlich mit uns um“. Wir können die Erfahrung machen, dass „der gnädige Gott seine Flügel über uns ausbreitet“. Das bezeugen alle Menschen, die auf Gott und die Auferstehung Jesu Christi vertraut haben. Nicht umsonst ist das Lied, aus dem auch dieser Satz stammt, eins der bekanntesten Kirchenlieder geworden und es ist schön, wenn wir Gott damit immer wieder für seine Allmacht und Schöpferkraft loben.

Amen.