Predigt über 1. Johannes 4, 16b- 21: Die Liebe Gottes und die Liebe zum Bruder
1. Sonntag nach Trinitatis, 29.5.2016, 11 Uhr
Jakobikirche Kiel
In dem Gottesdienst wurde ein kleines Kind getauft.
1. Johannes 4, 16b- 21
16b Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.
21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
Liebe Gemeinde.
Wofür leben Sie? Oder: Was ist für Sie das wichtigste im Leben? Auf diese Frage gibt bestimmt jeder und jede von uns eine andere Antwort. Bei dem einen stehen der Beruf an erster Stelle, und der damit zusammenhängende Erfolg. Bei der anderen ist es die Ehe und die Familie, Kinder und Enkelkinder. Es kann aber auch das Haus und der Garten sein, die Gemeinde, ein Hobby, Sport, Haustiere, Musik usw. Oder es dreht sich alles um die Gesundheit: Thema Nummer eins sind das eigene Wohlbefinden, Erholung und Urlaub. Vielleicht setzt sich ihr Lebensinhalt aber auch einfach nur aus den Terminen zusammen, die in Ihrem Kalender stehen. Verabredungen und Verpflichtungen sind dann das wichtigste, dem sich alles andere unterordnet.
Auf jeden Fall haben wir alle etwas, womit wir uns in erster Linie identifizieren, was uns ausmacht und unser Lebensgefühl bestimmt.
Und von so etwas handelt auch unsere Epistel von heute. Hier wird ebenfalls etwas genannt, das an erster Stelle stehen kann, und es wird uns empfohlen, das zu übernehmen. Allerdings ist das, worüber Johannes hier schreibt, anderer Natur, als die Dinge, die ich eben aufgezählt habe. Denn er redet nicht über irgendeine Sache, ein Vorhaben, einen Menschen oder eine Fähigkeit, er nennt schlicht und ergreifend die Liebe. Und die hat eine ganz andere Qualität als alle unsere Beziehungen, Hobbys oder Verpflichtungen.
Lassen Sie uns das zunächst verstehen und den Text dafür genauer betrachten. Es klingt beim ersten Hören vielleicht etwas verwegen oder anrüchig, wenn wir hören, die Liebe soll das wichtigste sein, aber natürlich ist hier nicht die erotische Liebe gemeint, ein ständiges Verliebt sein in einen anderen Menschen oder die sexuelle Anziehungskraft. Johannes meint vielmehr die Liebe, die von Gott kommt. „Gott hat uns zuerst geliebt.“ Das ist hier der entscheidende Satz, und d.h. die Liebe ist zunächst etwas, das uns verkündet und zugesagt wird, sie wird uns geschenkt. Wir müssen erst einmal also gar nichts tun oder verwirklichen. Wir werden geliebt, das sollen wir einfach nur annehmen, daran glauben und darauf vertrauen. Dazu werden wir eingeladen. Dann sind wir mit Gott verbunden, so wie er das will, dann ist unser Leben sinnvoll und erfüllt. So ist der Satz gemeint: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“
Dieses Lebenskonzept wird uns hier empfohlen, und es ist nicht schwer, dem zu folgen, denn Gott hat seine Liebe offenbart, und zwar in seinem Sohn Jesus Christus. Durch ihn haben wir die Liebe Gottes empfangen. Wir könnten das Wort „Liebe“ durch den Namen Jesus Christus ersetzen, dann wird uns hier gesagt: „Wer in Jesus Christus bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Wir haben durch den Glauben an Jesus Christus Gemeinschaft mit Gott, und das ist wie ein Sprung in die Liebe hinein. Sie wird in uns eingesenkt, sie findet im Glauben ihr Ziel und kann sich ausbreiten.
Und das ist wunderbar, denn sie rettet uns. Sie ist eine starke Kraft, die alle bösen und störenden Einflüsse vertreibt, wie z.B. die Furcht. Johannes sagt: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“ Die Liebe, die wir durch Jesus Christus haben, verschafft uns also eine ganz neue Grundlage und ein neues Lebensgefühl. Nöte und Konflikte lösen sich auf, sie mildert das Leid und nimmt den Druck aus unserem Leben.
Und das ist eine sehr schöne Botschaft, denn von all dem ist unser Dasein normaler Weise angefüllt. Wir denken zwar, alles ist gut, wenn das, wofür wir leben, uns gelingt, und wenn es erhalten bleibt, aber das ist ein Trugschluss. Denn gerade dadurch entstehen unsere Probleme.
Wenn unser Beruf z.B. an erster Stelle steht oder der Erfolg, dann sind wir immer unter Druck. Angst und Sorge gehen damit einher. Wir fühlen uns oft gestresst und überfordert. Ein Scheitern stürzt uns in eine tiefe Krise, Niederlagen verdüstern alles.
Sind es die Menschen in der Familie oder in der Gemeinde, um die sich alles dreht, dann lauern überall Konflikte und Spannungen. Denn unsere Partner, Kinder oder Freunde sind nicht immer so, wie wir sie gerne hätten. Sie haben ihre eigenen Ideen, behandeln uns manchmal ungerecht, sind gelegentlich rücksichtslos und egoistisch. Es kommt oft zum Streit und damit auch zu Trennungen. Und dann ist ebenfalls alles aus.
Und wenn die Gesundheit unser oberstes Ziel ist, dann sind das Leid und der Schmerz auch nie weit entfernt. Denn das Wohlbefinden lässt sich nicht durchgehend aufrecht erhalten. Vieles kann uns heimsuchen, und etliche Krankheiten sind unheilbar. Sie stürzen uns in die Verzweiflung, und lassen alles ausweglos erscheinen.
Das sind drei Beispiele für die Probleme, die das Leben mit sich bringt. Es gibt noch unzählige andere mehr, und sie entstehen alle dadurch, dass etwas zeitlich Begrenztes und menschliches an oberster Stelle in unserem Leben steht, etwas Unvollkommenes und Vorübergehendes. Wir entscheiden uns am liebsten für Inhalte, die in Wirklichkeit brüchig und vergänglich sind. Wenn wir gerettet werden wollen, müssten wir das also erkennen und ändern, und genau da kann die Liebe uns hinführen. Sie hat eine heilende und erlösende Kraft, die das Leid mildert und den Schmerz erträglich macht. Wir müssen sie nur an oberste Stelle setzen, und das heißt, vor allem anderen nach Gott suchen und uns Jesus Christus anvertrauen.
Die Frage ist allerdings, ob wir das wollen. Das klingt ja eventuell so, als ob wir nun auf alles andere verzichten müssen. Sollen wir nur noch an Gott denken und ganz religiös werden? Das ist für die meisten von uns wahrscheinlich keine besonders attraktive Vorstellung.
Aber so ist das auch nicht gemeint. Es geht hier nicht um eine radikale Frömmigkeit, geschweige denn um Weltabwendung oder irgendeinen Verzicht. Es geht vielmehr darum, dass wir unsere Prioritäten neu ordnen. Wir müssen unsere Lebensinhalte nicht abschaffen, aber es ist ratsam, sie zu relativieren, ihnen ihre alles überragende Bedeutung zu nehmen und sie immer wieder innerlich loszulassen. Wir müssen nicht allem absagen, was die Welt uns bietet, aber es gilt, die Wichtigkeit der Dinge anders einzustufen: Ganz oben auf der Liste unserer Lebensinhalte sollte nicht irgendetwas Menschliches oder vergängliches stehen, sondern etwas dauerhaftes, eine bleibende und rettende Kraft. Und genau das ist die Liebe, und zwar die Liebe, die Gott uns schenkt, mit der er uns begegnet. Auf sie können wir uns immer verlassen, sie ist immer da. Und sie verhilft uns zu einem ganz anderen Lebensgefühl. Sie verändert unser Bewusstsein und kann uns retten und befreien.
Wir müssen uns das nur einmal in den Bereichen vorstellen, deren problematische Seite wir uns bewusst gemacht haben. Das waren als erstes der Beruf und unsre Aufgaben. Wenn wir ihn mit Liebe ausfüllen, verschwinden der Erfolgsdruck, die Angst und die Sorgen, denn wir fühlen uns auf jeden Fall geliebt und anerkannt. Durch ein Scheitern bricht nicht gleich unser ganzes Leben zusammen. Wir erkennen immer einen Weg, auf dem es weiter gehen kann. Wenn eine Veränderung nötig ist, dann macht uns das nichts aus.
Und auch bei Konflikten in der Familie kann die Liebe uns helfen. Sie befreit uns von unsren Erwartungen. Es stört uns nicht, wenn unsere Mitmenschen anders denken als wir. Selbst wenn sie einmal unfair sind, verletzen sie uns damit nicht so schnell. Es kommt nicht sofort zum Streit, geschweige denn zur Trennung. Durch die Liebe versuchen wir vielmehr, die anderen zu verstehen. Es kann uns gelingen, uns in sie hineinzuversetzen, sie anzunehmen und sie so zu lieben, wie sie sind.
Und das dritte Beispiel war die Gesundheit. Sie kann uns wie gesagt abhandenkommen, aber wenn wir die Liebe haben, fallen wir dadurch nicht gleich in die Verzweiflung. Wir werden fähig zum Leiden, denn es bleibt immer etwas da, das uns trägt und tröstet. Das Wohlbefinden hängt nicht davon ab, wie lange wir noch leben und was wir alles können. Denn wir wissen von der ewigen Liebe Gottes, die selbst im Sterben noch bei uns ist.
So vertreibt die Liebe tatsächlich alles, was unser Leben belastet, wir müssen uns nur für sie entscheiden.
Und dafür ist eine Taufe eine wunderbare Gelegenheit. Jakob wird sich heute zwar noch nicht selber zum Glauben an Jesus Christus bekennen, denn er ist noch lange nicht „religionsmündig“, aber seine Eltern wollen ihm eine Grundlage geben, auf die er später aufbauen kann. Sie wollen ihn mit Jesus Christus verbinden und ihn unter den Segen Gottes stellen. Und Sie haben bewusst den christlichen Glauben gewählt, damit die Liebe das Vorzeichen in seinem Leben wird.
Wo es lang gehen wird, wissen wir jetzt noch nicht. Natürlich wird auch Jakob Hobbys und Fähigkeiten entwickeln, die ihm wichtig sind, aber was alles kommen wird, ist unklar. Auf jeden Fall wünschen Sie ihm ein zufriedenes und erfülltes Leben, es soll sinnvoll und schön sein.
Und genau dafür ist es gut, wenn Sie immer wieder die Liebe an erste Stelle stellen, die Liebe, die Gott Ihnen durch Jesus Christus schenkt. Durch Sie kann Jakob diese Liebe selber entdecken, und dann ist er gut ausgerüstet. Selbst wenn einmal etwas schief geht, bleibt er zuversichtlich und gelassen. Denn er bekommt damit eine Kraft, mit der das Leben gelingen kann. Dazu will Jesus Christus ihn befreien. Es ist deshalb gut, wenn Sie ihn ihm heute anvertrauen und sein Leben ganz in seine liebende Hand legen.
Amen.