Jesus schenket Klarheit

Predigt über Johannes 16, 16- 23a: Trauer und Hoffnung bei jesu Abschied

3. Sonntag nach Ostern, Jubilate, 29.4.2023, 18.00 Uhr, Lutherkirche Kiel

Johannes 16, 16- 23a

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Liebe Gemeinde.

„Wie meinst du das?“ Diese Frage stellen wir, wenn jemand uns etwas sagt, das uns rätselhaft erscheint. Oft drückt sie auch aus, dass wir zwar ahnen, was der oder die andere uns mitteilen will, wir wollen es aber nicht hören oder nicht wahr haben. Solche Ankündigungen gibt es ja: „Ich will das so nicht mehr.“ gehört z.B. dazu, oder: „Ich werde dich verlassen“. Das stößt uns vor den Kopf, es überrascht und irritiert. Und wir fragen unwillkürlich: „Wie meinst du das?“

Den Jüngern ging es so, als sie das letzte Mal mit Jesus zusammen waren. Sie wussten nicht, dass „seine Stunde gekommen war“ (Joh. 13,1), Jesus dagegen hatte es erkannt. Im Johannesevangelium nehmen die Gespräche, die er deshalb mit seinen Jüngern führte, viel Raum ein. Drei Kapitel sind es, die die sogenannten Abschiedsreden enthalten. Danach beginnt die Passionsgeschichte. Das Ziel dieser Reden ist es, die Jünger vorzubereiten. Sie sollten wissen, was geschehen würde, es verstehen und bereifen. Jesus wollte sie auch trösten und beruhigen, ihnen Hoffnung machen und ihnen ihre Traurigkeit nehmen.

Doch das war nicht so einfach, denn sie wussten weder, dass er bald sterben sollte, noch konnten sie verstehen, wie er danach wiederkommen würde. Genau davon handelt der Abschnitt, den wir eben gehört haben. Er beginnt mit dem Satz: „Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.“ Wie sollten sie sich das vorstellen? Und was bedeutete „eine kleine Weile“? Im Kontext der Rede ist klar, dass die beiden „kurzen Zeiten“ die Spanne bis zum Tod Jesu und von da bis zu seiner Auferstehung meinen. Doch die Jünger begreifen das nicht und sind ratlos und niedergeschlagen.

Jesus merkt das und er weiß um ihren Kummer und ihre Hilflosigkeit. Deshalb will er ihnen sagen, dass es dabei nicht bleiben wird. Nach einer „kurzen Zeit“ wird ihre Trauer in Freude verwandelt werden. Das ist seine Verheißung, und er veranschaulicht sie mit einem Gleichnis: „Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.“ Die gebärende Frau erlebt auch einen Wechsel von Schmerz zum Glück. Und entsprechend der Mutter, die nach der Geburt ganz erfüllt ist, verheißt Jesus den Jüngern für sein Wiedersehen mit ihnen Freude. Er bringt sie ihnen, wenn er als Auferstandener zu ihnen kommt. In Überbietung des Gleichnisses wird die Freude der Jünger sogar bleibend sein, niemand wird sie ihnen rauben. Die ungläubige Welt wird machtlos dem gegenüber sein.

Und schließlich beseitigt diese unvergängliche Freude auch die Ratlosigkeit der Jünger. „An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.“ sagt Jesus zum Schluss. Die quälenden Ungewissheiten werden verstummen, an ihre Stelle tritt die Klarheit der Gegenwart Christi. Nach Ostern haben die Jünger das dann tatsächlich erlebt. Sie haben Jesus als Lebendigen getroffen und waren von seiner Auferstehung überzeugt und begeistert. „Das Alte war vergangen, alles war neu geworden.“ (2. Korinther 5,17b) Die Jünger waren voller Jubel und vermehrten sein Lob.

Auch uns kann es so ergehen, das ist hier die Botschaft: Wir können neu werden, Altes und Schweres hinter uns lassen, Kraft und Mut empfangen. Und das ist eine gute Nachricht, denn oft fehlt uns das alles. Wir haben häufig ebenso viele Fragen, wie die Jünger, Nöte und Probleme. „Wie meinst du das?“ „Wie soll ich das verstehen?“ „Welchen Sinn ergibt das?“ Das fragen wir, wenn etwas Vertrautes ins Wanken gerät und wir aus der Bahn geworfen werden. Und das geschieht immer wieder. Es gibt Entwicklungen, die wir uns nicht aussuchen und nicht steuern können. Sie entstehen auf unserem Lebensweg z.B. dadurch dass wir krank werden, einen Unfall haben, die Kräfte nachlassen. Oder unsere Mitmenschen tragen dazu bei. Sie wollen plötzlich etwas ganz anderes als wir, werden unzufrieden, üben Kritik und stoßen uns damit vor den Kopf. Das kann in der Familie geschehen, in der Partnerschaft, in der Berufswelt, in der Gemeinde. Auch die gesellschaftlichen Verhältnisse können eine Quelle von ungelösten Fragen sein, wenn sie sich verändern und alles schwieriger wird, was vorher einfach erschien. Das erleben wir gerade durch den Krieg in der Ukraine. Unsere Sicherheit gerät ins Wanken, der Wohlstand steht auf der Kippe, die Gefahr ist groß. Durch all das geraten wir in eine Krise, es macht uns Angst, und wir werden traurig. 

Natürlich suchen wir alle nach Antworten auf die Fragen, die entstehen. Wir denken nach, reden miteinander, lesen kluge Artikel und Abhandlungen. Forschung und Wissenschaft werden aktiv, Ärzte und Therapeutinnen sollen helfen. Auf gesellschaftlicher Ebene entstehen neue Gesetze, Theologen und Philosophinnen melden sich zu Wort, Soziologen und Finanzexperten. Alles wird in Gang gesetzt, damit wir Lösungen finden. Denn natürlich wollen wir, dass das Leiden aufhört. Ratlosigkeit ist kein guter Zustand, Unsicherheit kein gutes Gefühl. Wir wollen Ruhe und Freude, klare Perspektiven und Sicherheit. Oft gelingt uns das auch mit unseren menschlichen Methoden. Natürlich gibt die Medizin uns Antworten, die Psychologie, die Politik und die Wirtschaft, aber lange nicht immer.

Viele Fragen bleiben offen, sowohl im persönlichen Leben, als auch in der Gesellschaft. Unsere Denkgebäude und Bibliotheken sind begrenzt. Experten und Wissenschaftlerinnen helfen uns nur bis zu einem bestimmten Punkt. Viele Rätsel bleiben ungelöst. Das merken wir auch daran, dass es zu kaum eine Frage nur eine Antwort gibt. Ärztinnen können unterschiedliche Diagnosen und Therapievorschläge machen. In der Politik gibt es viele Meinungen und Standpunkte, es gibt lange Debatten und häufig Streit. Und auch die Wissenschaft liefert nicht immer eindeutige und klare Ergebnisse. Das haben wir während der Coronazeit gemerkt. Vieles ist Ansichtssache.

Woran sollen wir uns also halten? Ruhe und Zuversicht entstehen durch unsere menschlichen Methoden nicht unbedingt, im Gegenteil, oft verunsichern sie uns noch mehr. Um innerlich Klarheit und Gewissheit zu erlangen, brauchen wir noch mehr. Und genau das kann Jesus uns geben, denn bei ihm ist etwas grundlegend anders: Er errichtet kein neues Denkgebäude, keine Theorie und auch kein Gesetz, sondern er schenkt sich selbst. Er weist die Jünger auf seine Gegenwart hin, auf seinen Weg durch den Tod zum Leben, auf seine Macht und Liebe. Und er lädt sie ein, darauf zu vertrauen, an ihn zu glauben und sich an ihn zu hängen.  

Auch wir sollen und dürfen das. Jesus ist uns nahe, er lebt und regiert. Zu diesem Glauben sind wir eingeladen. Es ist deshalb gut, wenn wir nach ihm fragen, seine Güte empfangen und uns an ihm festhalten. Dann empfangen wir Antworten ganz anderer Art. Sie werden uns nicht über den Kopf gegeben, sondern im Leben, indem auch wir Jesus begegnen. Und sie bestehen nicht darin, dass wir plötzlich neue Erkenntnisse haben, sondern darin, dass das Fragen aufhört. Ein wohltuendes Schweigen tritt ein. Seele und Geist werden still. Anstatt nachzudenken oder zu reden, zu forschen und zu philosophieren, müssen wir also geduldig sein, warten und beten. Was uns durch den Glauben geschenkt wird, liegt auf einer ganz anderen Ebene und erfordert eine neue Einstellung, die Übung des Vertrauens und der Aufmerksamkeit, des Hörens und der Hingabe.  

Doch das zu praktizieren lohnt sich, und zwar mehr als alles andere, denn wir gewinnen dadurch etwas ganz Neues: Es entsteht eine Freude im Leid. Jesus schenkt uns keine irdischen Güter, keinen Wohlstand und auch nicht unbedingt Gesundheit. Das Leid wird nicht komplett beseitigt und durch Freude ersetzt, aber wir empfangen „himmlische Gaben“. Jesus ist kein Arzt und auch kein Politiker, sondern „der wahre Heiland“. So hat Cyriakus Schneegaß es 1598 in dem Lied formuliert „in dir ist Freude“. (EG 398,1) Jesus rettet uns aus allem, was uns schadet und macht uns frei. Unsere Seele kann aufatmen, unser Geist wird klar, wir empfangen Kraft und Zuversicht. Auch innere Ruhe und Frieden kehren ein. Die Probleme verblassen.

Es ist deshalb gut, wenn wir unser Leben auf seine Gegenwart bauen. Dann öffnet sich nicht nur die Enge unseres Denkens und Handelns, sondern auch die Begrenztheit des Lebens. Sogar der Tod und die Vergänglichkeit werden überwunden, denn jenseits unseres Horizontes erscheint die Ewigkeit. Und in ihrem Licht wird alles leicht und klar. Nichts kann uns von Jesus trennen, denn er ist für uns gestorben und auferstanden. Zinzendorf hat das in einem Osterlied so formuliert: „Der durch verschlossne Türen ging, wenn er den Frieden bringt, dem zweifelnden vor Augen steht und alle Angst bezwingt, der kann auch heut den Seinen nahn, wenn sie ihn gleich nicht sehn; sein freundlich Auge blickt sie an, das Herz kann‘s wohl verstehn.“ (Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, 2007, 336)

Wenn das geschieht, kann uns die Welt nichts mehr anhaben. Jesus kann alles verändern, keine Not ist für ihn zu groß. Wir haben also viel Grund, ihn „mit hellem Schalle zu ehren, zu jubilieren und zu triumphieren und seine Macht mit Herz und Mund zu lieben und zu loben.“ (EG 398,2)

Amen.

Er war einer von uns

Predigt über Lukas 22, 39- 46: Jesus in Gethsemane
Gründonnerstag, 6.4.2023, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Lukas 22, 29- 46

39 Und er ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger.
40 Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!
41 Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete
42 und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
43 Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
44 Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
45 Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit
46 und sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!

Liebe Gemeinde

In vielen Geschichten, Liedern und Gebeten kommen Engel vor. Wir sehen sie ebenfalls auf Bildern oder kennen sie als Figuren in Kirchen und Klöstern, im Freien oder in Wohnungen. Als solche verschenken wir sie auch gerne. Sie sind aus Holz geschnitzt, aus Draht geformt, aus Gips oder Ton, in groß oder klein gestaltet, zum Aufhängen oder Hinstellen oder in der Hand halten. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, denn es gibt sie auch nur dort, in unserer Phantasie. Einen echten lebendigen Engel hat noch niemand von uns gesehen oder angefasst. Sie haben etwas Märchenhaftes an sich.

Trotzdem sollten wir sie nicht unterschätzen, denn sie stehen für etwas, das es wirklich gibt: Für die Liebe und Gegenwart Gottes. Von ihr wie von den Engeln stellen wir uns gerne vor, dass sie uns immer umgibt. Gott und seine Engel behüten uns und sind für uns da. Unsichtbar sind sie um uns herum, das ist eine weit verbreitete Empfindung. Wir sehen die Engel zwar nicht mit den Augen, aber sie gehören zu den Urbildern der menschlichen Seele und unterstützen den Glauben.

So erwähnt auch der Evangelist Lukas in seinem Bericht über das Gebet Jesu in Gethsemane, dass „ihm ein Engel vom Himmel erschien und ihn stärkte.“ Wir haben die Geschichte eben gehört: Jesus war nach dem Abendmahl mit seinen Jüngern aus dem Haus gegangen, aus der Stadt, ins Tal hinunter, um auf den Ölberg zu steigen. Den Weg war er bereits öfters gegangen und kannte diesen Ort. Er hatte dort wohl schon übernachtet. Und seine Jünger folgten ihm.

Der Garten Gethsemane wird im Lukasevangelium nicht genannt, und es waren auch nicht nur drei Jünger, sondern die ganze Schar, die mit ihm ging. Aber diese Unterschiede zum Matthäus- und Markusevangelium sind nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, was Jesus am Ziel tat. Dort angekommen, forderte er die Jünger nämlich auf, zu beten, damit sie nicht „in Versuchung“ geraten.

Dann entfernte er sich, blieb aber in Reichweite und betete. Dabei sprach er Gott mit „Vater“ an, d.h. er fühlte sich ihm sehr nahe, und er thematisierte das Leiden, das auf ihn zukam. Er war zwar bereit, sich dahinein zu begeben, trotzdem bat er darum, verschont zu bleiben. Natürlich wollte er lieber leben, aber er war gehorsam. Dabei nahm er ein Bildwort aus dem Alten Testament auf: Er erwähnte den „Kelch“. Damit meinte er den Zornesbecher, der beim Gericht Gottes ausgeschüttet wird und zum Tode führt. So wird er im Alten Testament an mehreren Stellen erwähnt. Gott sollte ihn „von ihm nehmen“. Doch er fügte sich in den Willen Gottes.

Leicht fiel ihm das nicht. Deshalb „erschien ihm ein Engel“, der ihm Stärkung für den schweren Leidenskampf brachte. Jesus wollte und sollte die Todesangst überwinden. Natürlich hing er am Leben, d.h. er musste gegen sich selber kämpfen. Er stritt gegen das Festhalten am Leben. Jesus war also kein Held, sondern ein Mensch, der von sich aus den Tod nicht annehmen konnte, und der alle Kräfte mobilisieren musste, um ihn zu akzeptieren. Er war nicht wie ein Philosoph, der das alles einfach über sich ergehen ließ, ohne dabei unruhig oder ängstlich zu werden. Er war nicht abgeklärt und schwebte nicht über den Dingen. Das kommt auch mit dem Bild zum Ausdruck, dass ihm der Schweiß in großen, schweren Tropfen von der Stirn floss. Lukas vergleicht sie sogar mit Blutstropfen, d.h. der Kampf ging bis zum Äußersten.

Doch am Ende hat Jesus ihn gewonnen, er ist den Weg des Leidens gegangen. Nach diesem Gebet stand er als ein anderer da. Er erhob sich und ging zu den Jüngern. Sie waren eingeschlafen, d.h. sie waren der Aufforderung Jesu, selber auch zu beten, nicht nachgekommen. Deshalb wiederholte er diese Ermahnung. Mit seinem Verhalten hat er gezeigt, wie man beten kann, damit die Versuchung nicht übermenschlich wird. Auch die Jünger sollten lernen, ihr Schicksal aus Gottes Hand anzunehmen und denselben Weg wie Jesus zu gehen. Das ist die Botschaft, die in dieser Geschichte enthalten ist.

Und die ist auch für uns gut, denn wir befinden uns ebenfalls oft in schweren Situationen. Krankheiten und Konflikte, Ängste und Sorgen begleiten uns, und die Vergänglichkeit des Lebens spüren wir genauso. Keine und keiner von uns kann dem Tod entkommen. Er rückt von Tag zu Tag näher. Natürlich können wir den Gedanken daran verdrängen. Das ist auch ganz legitim, denn es hilft ja nicht, uns das ständig vor Augen zu halten. Aber er kommt von alleine immer wieder und flößt uns Furcht ein. Wir begegnen dem Tod in vielfältiger Weise, z.B. immer dann, wenn ein naher Angehöriger oder eine Angehörige stirbt, wenn wir vom Krieg und von Katastrophen hören, von Unfällen und Todesurteilen. Wir können dem Tod nicht entrinnen, das wissen wir. Deshalb ist es gut, wenn wir ein Verhalten einüben, bei dem wir ihn einbeziehen, und genau dazu lädt die Geschichte uns ein.

Sie ermahnt uns dazu, wach und nüchtern zu bleiben. Wir sollen uns an Gott halten und unser Schicksal annehmen. Es geht darum, die vielen negativen und beunruhigenden Gedanken abzulegen, uns nicht der Angst oder der Trauer auszuliefern, ohne die Realität zu verdrängen. Stattdessen sollen wir Jesus auf den Ölberg folgen und mit ihm wachen und beten. Denn dann gewinnen wir Kraft und Zuversicht auch im Leid und angesichts des Todes. Das Gebet führt uns zur Überwindung, denn wir öffnen uns damit für die Gegenwart Gottes. Dabei können wir dabei dasselbe Gebet sprechen, das auch Jesus gesprochen hat: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Es ist das Gebet der Hingabe und des Loslassens, und das kann uns weiterführen.

Vielleicht klingt das so ein bisschen nach Schicksalsergebenheit und Passivität. Aber das ist damit überhaupt nicht gemeint. Im Gegenteil, es geht um eine geistige Anstrengung: Wir liefern uns nicht der Hilflosigkeit aus, lassen unsere Angst los, pflegen keine Gedanken der Trauer und der Trübsal. Wir verscheuchen sie und ersetzen sie durch Gebet. All das steckt in dem ersten Teil des Gebetes Jesu: „Nicht mein Wille geschehe“. Und dann folgt der zweite Teil: „sondern dein Wille geschehe.“ Es ist ein Gebet, das Geduld bewirkt. Wir gewinnen Kraft, die uns hoffnungsvoll und zuversichtlich macht. Wir lassen die Liebe Gottes zu, die uns zur Überwindung führt.

Eine bewährte Praxis ist es, die Worte Jesu mit jedem Atemzug zu wiederholen: Beim Ausatmen beten wir „Mein Vater, nicht wie ich will“ und beim Einatmen „sondern wie du willst“. Auch mit anderen kurzen Gebetssätzen können wir uns in dieser Weise an Gott wenden, wie z.B. den Bitten „Herr, erbarme dich“, „O Herr, hilf“, „Stärke uns den Glauben“ oder „Dein Reich komme“. .

Und im Unterschied zu den Jüngern sprechen wir solche Gebete mit Jesus, in dem Glauben an seine Auferstehung. Die Jünger haben es nicht geschafft, wach zu bleiben, wir dagegen können es, denn wir dürfen davon ausgehen, dass Jesus für uns den Sieg errungen hat. Daran können wir Anteil haben. Wenn wir es regelmäßig praktizieren, verselbständigt sich das Gebet mit der Zeit, es wird „selbsttätig“ und prägt sich der Seele ein. Wir werden ruhiger, weil wir von innen her gehalten und erfüllt sind. Wir gewinnen neues, ewiges Leben. Das ist die Verheißung, die hinter der Ermahnung zum Wachen steht.

Wenn wir beten, ist Jesus also der „Engel, der vom Himmel erscheint und uns stärkt.“ Oft wünschen wir uns ja ein Ende des Leidens, der Tod soll verschwinden, Krankheiten und Nöte sollen aufhören. Wir stellen uns deshalb gerne vor, dass Engel sie von uns fernhalten, das Unheil verscheuchen und uns davor bewahren. Doch das geschieht so nicht, und es ist auch nicht die Aufgabe der Engel. Sie begleiten uns vielmehr und geben uns Kraft. Und genau das tut Jesus ebenfalls. Er ist der Engel, der wirklich lebt und bei uns ist. Wir müssen ihn nicht malen oder schnitzen, sondern nur an ihn glauben und uns ihm anvertrauen. Dann erleben wir seine Nähe und empfangen Zuversicht auch angesichts von Leid und Tod. Wir gewinnen Geduld und Hoffnung und werden gestärkt.

Es gibt ein schönes Buch mit Bildern des zeitgenössischen niederländischen Malers Rien Poortvliet, das den Titel trägt: „Er war einer von uns.“ Die Situationen, in denen Jesus war, sind darin sehr einfühlsam dargestellt und werden erlebbar gemacht, auch wie er angespuckt und zur Schau gestellt wurde, in Purpur gekleidet und mit Dornen gekrönt, verspottet und gegeißelt. Der Religionspädagoge Friedrich Meisinger hat dazu formuliert: „Alles Leid, das Menschen je gelitten, jeder Schmerz, der uns bekannt, schreckliche Angst, die uns begegnet, tiefe Verlassenheit, die wir verspürt. Es gibt nichts, was Jesus nicht erträgt, nichts, was Jesus nicht erleidet. Deshalb wird er uns verstehen wenn wir flehen, schreien, beten.“ (Rien Poortvliet, Friedrich Meisinger, Er war einer von uns, deutsche Ausgabe Kawohl Verlag, Wesel 2020, S. 99)

Lassen Sie uns das deshalb tun und regelmäßig der Aufforderung Jesu nachkommen: „Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt.“

Amen.