Frieden ist möglich

Predigt über Jesaja 2, 1- 5: In Zion finden alle Völker Heil und Frieden

8. Sonntag nach Trinitatis,  11.8.2019, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Jesaja 2, 1- 5

1 Dies ist’s, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat  über Juda und Jerusalem:
2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen,
3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
4 Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!

Liebe Gemeinde.

„50 Jahre nach Woodstock wollte einer der Veranstalter von damals das legendäre Festival wiederbeleben. Nun ist das Revival abgesagt. Doch die Idee passt in unsere Zeit, die von der Sehnsucht nach Vergangenem geprägt ist. Aber was bringt es, ständig zurückzuschauen?“ das fragt Kristian Teetz im Wochenendjournal der Kieler Nachrichten vom 3. August. Er stellt in seinem Artikel fest, dass „das Vergangene immer attraktiver wird.“ Viele Menschen blicken gern zurück, denn „Erinnerungen können sehr warme Emotionen wecken“. „Das Eintauchen in die Nostalgie ist wie das Einhüllen in eine bequeme Decke der guten alten Tage.“ Denn „das Gewesene ist bekannt, vertraut und verständlich“. Längst haben diesen Trend auch Firmen entdeckt. Sie stellen Produkte her, die „möglichst authentisch von Tradition und Vergangenheit erzählen“. Ein Soziologe sah den Grund für diese Entwicklung in der Angst vor der Zukunft: Menschen haben kein Vertrauen mehr, dass die Zukunft gut wird. Sie gehen davon aus, dass wir die Fähigkeit verloren haben, zerstörerische Ereignisse und Entwicklungen zu verhindern. Deshalb suchen sie Halt in der Vergangenheit. (KN 3.8.2019, Wochenendjournal, S. 1)

Dem Propheten Jesaja ging es da ganz anders. Er tat genau das Gegenteil, um sich gut zu fühlen, Mut zu fassen und Hoffnung zu schöpfen: Er schaute in die Zukunft und sah dort die Wiederherstellung des Paradieses. Wir haben seine Vision vorhin gehört.

Sie führt uns gleich am Anfang an das Ende der Tage. Dann wird die Natur umgewandelt, und der Berg, auf dem der Tempel in Jerusalem steht, der Zion, wird über alle anderen Berge erhöht. Er wird zum Wohnsitz Gottes und zum Mittelpunkt der Welt. Deshalb versteht es sich von selbst, dass alle Völker dahin strömen und wallfahren werden. Sie holen sich dort Belehrung, damit sie ein gottgemäßes Dasein führen. Sie wollen in den Wegen und Pfaden Gottes wandeln, d.h. den von Gott gewünschten Weg in ihrem Dasein einschlagen. Er wird ihnen in Wort und Weisung übermittelt.

Dabei bedeutet die Herrschaft Gottes nicht Unterdrückung oder Unfreiheit, sondern Friede und Gerechtigkeit. Gott wird eine gute Ordnung durchsetzen, indem er die Menschen zur Einsicht führt. Und dadurch geschieht dann das, wovon alle träumen: Es entsteht ein neuer Wille zum Frieden und ein konkretes den Frieden förderndes Handeln. Der Krieg wird unnötig. Waffen werden überflüssig und von den Bekehrten zur besseren Nutzung in Geräte landwirtschaftlicher Arbeit verwandelt. Der Friede der Urzeit ohne Mordwerkzeuge und Kriegshandwerk kehrt wieder.

Das beinhaltet die Vision, und sie ist ein großartiger Zukunftsentwurf. Er enthält die Hoffnung ewigen Friedens. „Schwerter zu Pflugscharen“, dieses Wort des Propheten ist inzwischen ja auch zu einer Redewendung geworden, die das Ziel des Völkerfriedens durch weltweite Abrüstung ausdrückt.

Die Friedensbewegung der DDR, die 1978 entstand, hat sich das deshalb als Symbol gegeben: Darauf schmiedet ein Mensch ein Schwert zu einem Pflug um. Das Ziel dieser Bewegung ist es, die Menschen zum Frieden zu erziehen. In vielen Kirchengemeinden entstanden damals staatskritische, unabhängige Friedensinitiativen. Der Grund dafür lag darin, dass die SED das Pflichtfach „Wehrerziehung“ an DDR-Schulen eingeführt hatte. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR entwickelte daraufhin ein Alternativprogramm.

Ganz neu war das nicht. Nach 1945 hatten die Kirchen erkannt, dass Aufrüstung keine Antwort auf die Konflikte in der Menschheit sein kann. So verfasste Papst Johannes XXIII. 1963 die Enzyklika Pacem in terris, die sich erstmals an „alle Menschen guten Willens“ richtete und u.a. forderte, „dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; dass ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; dass Atomwaffen verboten werden; und dass endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen.“

Und natürlich verstehen wir es auch heutzutage noch als unsere christliche Pflicht, für den Frieden einzutreten und „Schwerter zu Pflugscharen“ zu machen. Es gibt die Friedensbewegung zum Glück immer noch, Christen und Christinnen erheben ihre Stimme für den Frieden und beten dafür.

Doch sind wir damit erfolgreich? Ist es nicht unrealistisch, sich die Vision des Propheten zu eigen zu machen? In der Qualität unterscheidet sie sich doch gar nicht so sehr von der Nostalgie: Beides scheinen nur Träume zu sein: Denn die Vergangenheit lässt sich nicht wiederholen, und die Zukunft lässt sich nicht so gestalten, wie wir es uns vorstellen. Wir erleben gerade, wie das Wettrüsten offensichtlich von Neuem beginnt. Es scheint aussichtslos zu sein, die Menschen zum Frieden erziehen zu wollen. Appelle verhallen, Menschen guten Willens werden überhört, sie reiben sich auf und erreichen am Ende nichts. Weder der Blick in die Vergangenheit noch der in die Zukunft scheint zu helfen. Und auch unsere Gebete scheinen wirkungslos zu sein.

Was sollen wir also tun? Das müssen wir uns fragen, und dabei kann uns der Prophet Jesaja durchaus helfen. Was er hier entwirft, ist nämlich nicht nur Utopie. Als Christen glauben wir vielmehr, dass Jesus Christus diese Vision zum Teil wahr gemacht hat. Alle Prophezeiungen im Alten Testament, die von einem Retter und dem ewigen Reich Gottes handeln, haben sich in ihm erfüllt. Das ist die Botschaft des Neuen Testamentes. Denn er ist direkt von Gott gekommen. Er ist der Sohn Gottes, der die Menschheit erlöst. Er hat den vollkommenen Frieden gelebt und weitergegeben. In seinen Abschiedsreden hat er gesagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Das Reich des Friedens ist also mit Jesus Christus angebrochen, das glauben und bekennen wir.

Und das ist als erstes wichtig, wenn wir danach fragen, was wir als Christen tun können: Das Entscheidende ist bereits getan: Durch Jesus Christus ist eine neue Realität da, es hat sich etwas in der Welt verändert, wir müssen nicht verzagen oder mutlos werden. Wir müssen nur an Jesus Christus glauben und mit seiner Kraft rechnen.

Das ist der zweite Schritt, der sich aus seiner Gegenwart ergibt. Jeder und jede einzelne ist aufgefordert, Jesus Christus nachzufolgen und ihm etwas zuzutrauen. Wir denken viel zu oft, dass wir mit unserer eigenen Kraft das Gute tun müssen. Wenn wir uns nur genügend anstrengen, wird es schon gelingen, das predigen viele und versuchen möglichst viel zu tun.

Doch damit hat sich eine neue Art der Werkgerechtigkeit in unseren Glauben eingeschlichen, ein moralisches Leistungsdenken, ein erhobener Zeigefinger. Und das ist nicht nur problematisch, sondern sogar hinderlich, denn er verstellt uns den Blick auf Christus. Die Moralappelle stehen uns im Wege und entsprechen auch nicht dem Evangelium. Das befreit uns gerade von dem Versuch, uns selbst erlösen zu müssen. Uns wird zugesagt, dass wir nicht alles hinbekommen müssen. Wir dürfen uns eingestehen, dass unsere Kraft oft nur sehr gering ist. Immer wieder scheitern wir mit unseren Ideen und Vorstellungen, aber das macht nichts. Denn wir können zu Jesus Christus beten und auf ihn vertrauen.

Vielleicht klingt das jetzt ebenfalls nach einem Traum von einer besseren Welt oder einer Flucht in Vergangenes. Doch so ist der Glaube nicht gemeint. Er orientiert sich an einer Realität und wir bekommen durch ihn eine ganz neue Kraft. Wenn wir von ganzem Herzen auf Christus vertrauen, werden wir mit Zuversicht und Mut ausgerüstet. Jesus hilft uns, ein gottgemäßes Dasein führen. Er lässt uns auf den Wegen und Pfaden Gottes wandeln, denn wir haben nicht nur sein Wort und seine Weisung, sondern auch seine Liebe und Gnade. Der Friede beginnt also durch ihn, durch den Glauben und bei jedem und jeder Einzelnen von uns. Er entsteht von innen heraus. Das ist das Zweite, das wir beachten müssen.

Und das heißt als Drittes, dass weder das Gestern noch das Morgen entscheidend ist, sondern in erster Linie das Jetzt. Und um das zu erleben, bedarf es nun doch eines gewissen Trainings. Es ist die Übung der Achtsamkeit auf den Augenblick. Jeder Mensch hat dazu die Fähigkeit und kann Momente ungeteilter Aufmerksamkeit erleben. Dazu gehört es, dass wir Sinneseindrücke bewusst wahrnehmen, unser Denken steuern, uns selber spüren und unser Handeln kontrollieren.

Dabei ist das Trainingsfeld unser Alltag und unser nächstes Umfeld. Wir können die Achtsamkeit bei der Erfüllung unserer Aufgaben üben und gegenüber den Personen die wir treffen. Es gilt, ihnen mit Liebe zu begegnen und die Dinge, die uns beschäftigen, ungeteilt und mit ganzem Herzen zu verrichten. Das ist nicht ganz einfach. Wir sind lieber in der Vergangenheit oder in der Zukunft, weil uns die Gegenwart eben oft nicht gefällt. Aber es lohnt sich, wenn wir sie trotzdem bewusst wahrnehmen und akzeptieren.

Jeder und jede kann das regelmäßig üben, denn es ist ein Talent, das in uns allen wohnt. Wir müssen es nur weiterentwickeln. Man kann es mit dem Erlernen anderer Fähigkeiten vergleichen, wie etwa dem Spielen eines Musikinstruments oder einem körperlichen Training. Es bedeutet, immer wieder zu versuchen, im Hier und Jetzt zu sein. Dadurch entsteht eine innere Balance, mit der Mutlosigkeit oder Ungeduld verschwinden.

Es gibt dazu eine schöne Anekdote aus einem Zenkloster:
»Einige Schüler fragen ihren Zen-Meister, warum er so zufrieden und glücklich ist. Der Zen-Meister antwortet: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich liebe, dann liebe ich …” „Das tun wir auch“, antworteten seine Schüler, „aber was machst Du darüber hinaus?” fragten Sie erneut. Der Meister erwiderte: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich … ”  Wieder sagten seine Schüler: „Aber das tun wir doch auch Meister!” Er aber sagte zu seinen Schülern: „Nein – wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann lauft ihr schon, wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.”«

Diese Geschichte und die damit verbundene Schule kommen zwar aus der fernöstlichen Religion, aber wir können sie gut auch in unseren Glauben übertragen und die Übung der Achtsamkeit als Christen praktizieren. Es sollte kein Problem sein, denn Christus ist ja da, und zwar jetzt. Jetzt will er uns begegnen und mit seinem Geist erfüllen. Selbst wenn uns der Augenblick nicht gefällt, so können wir ihn durch seine Anwesenheit mit einer wohlwollenden und offenen Haltung annehmen und aushalten, zusammen mit dem ganzen damit verbundenen Erleben. Das ist der dritte Schritt.

Und der verändert die Welt durchaus. Denn je mehr Menschen das tun und auf diese Weise ruhig werden, umso mehr Frieden ist da. Es entsteht Klarheit in den Gedanken, und der Einsatz für das Wohl anderer weitet sich aus. Das Licht Christi kann scheinen, es wird heller und besser in unserer Welt. Frieden wird möglich.

Lasst uns deshalb weder im Gestern schwelgen noch uns Utopien hingeben. Lasst uns vielmehr in das Licht schauen, das jetzt leuchtet, und beherzigen, was schon Meister Eckhart erkannt hat:
„Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenüber steht, und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.“

Amen.

Christus schenkt uns Einheit

Predigt über Johannes 6, 30- 35: Jesus ist das Brot des Lebens

7. Sonntag nach Trinitatis
4.8.2019, 9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Einige Bauern in Schleswig-Holstein haben den Weizen bereits geerntet, denn sie wollten es noch vor dem nächsten Regen schaffen, der ja jetzt auch gekommen ist. Sie haben Glück gehabt und alles richtig gemacht. Die Ernte ist eingefahren und kann verkauft werden. Und wir wissen, wie es nun weitergeht: Das Korn wird zu Mehl gemahlen, und aus dem wird dann Brot gebacken. Diesen Vorgang kennen wir alle. Aus vielen Ähren wird ein Brot, und es ist ein langer Prozess, der dazu gehört. Er führt über das Ernten, das Dreschen und Mahlen bis zum Backen des Brotes, das wir dann verzehren, und das uns ernährt.

Ein solcher Vorgang steht oft hinter dem, was wir zu uns nehmen oder herstellen, es gibt etliche Beispiele: So wird aus vielen Trauben ein Wein, aus vielen Steinen ein Haus, aus vielen Wörtern eine Rede usw.

Auch im sozialen Bereich ereignet sich etwas Entsprechendes: Aus vielen Menschen wird eine Gemeinschaft, aus vielen Gläubigen eine Kirche. Das wünschen wir uns zumindest.

Doch gerade hier ist es nicht so einfach machbar. Wir scheitern immer wieder daran und bekommen die Einheit nicht hin. Dabei gehört sie zum Leben wie die Nahrung, wir brauchen einander und wir brauchen den Frieden, um zu überleben.

Das wusste auch Jesus, und er ist gekommen, um uns zu helfen: Er kann den Hunger genauso stillen wie die Sehnsucht nach Liebe und Einheit. In dem Evangelium von heute (Johannes 6, 1- 15) und in der anschließenden Rede Jesu wird das sehr schön dargestellt.

Zunächst wird uns hier von einer wunderbaren Brotvermehrung erzählt, die Jesus einmal möglich gemacht hat. Er war von vielen Menschen umlagert worden, hatte zu ihnen gesprochen und sie am Abend alle gespeist. Das bisschen Essen, das da war, hatte er von einem Kind genommen und auf wunderbare Weise vermehrt. Aus fünf Gerstenbroten und zwei Fischen wurde genug, um 5000 Menschen satt zu machen. Sie konnten essen, so viel sie wollten. Es war sogar noch mehr als nötig da. Zum Schluss blieben zwölf Körbe mit Brocken von Brot übrig.

Leider zogen die Beteiligten aus diesem Wunder dann allerdings die falschen Schlüsse. Sie wollten Jesus daraufhin zum König machen, weil sie davon ausgingen, dass er immer alle Menschen mit genug Nahrung versorgen konnte. Doch das war ein Irrtum. Brot, das die Menschen satt macht, war für ihn nicht das wichtigste. Deshalb hielt er am nächsten Tag eine lange Rede, in der er vom Brot im übertragenen Sinn sprach. Es ist seine Rede über das wahre „Brot des Lebens“. Und daraus ist ein Abschnitt heute unser Predigttext. Er lautet folgendermaßen:

Johannes 6, 30- 35

30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du?
31 Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.«
32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
33 Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.
34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.
35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Jesus sagt hier also, dass er in Wirklichkeit nicht den irdischen, leiblichen Hunger stillen will, sondern den Hunger nach Leben überhaupt. Dieser Aussage war ein Gespräch vorweg gegangen. Er hatte die Menschen zum Glauben an sich selber aufgefordert und von einer „Speise, die da bleibt zum ewigen Leben“ (Joh. 6, 27) gesprochen. Ansatzweise hatten sie das auch verstanden.

Doch dann wollten sie ein Zeichen haben, dass er wirklich von Gott gesandt war, und verlangten von ihm eine Wiederholung des Mannawunders in der Wüste. Das war für sie „Brot vom Himmel“. Damit meinten auch sie durchaus mehr, als normales Brot. Hinter ihrer Forderung steht die uralte tiefe Sehnsucht nach einer himmlischen Nahrung, die göttliche Kraft spendet. Die Menschen baten Jesus also um ein Wunderbrot, ohne zu wissen, wie es aussehen und beschaffen sein mochte. Und auf diese Bitte hin antwortete Jesus ihnen: „Ich bin das Bot des Lebens.“ Wonach sie fragten, war da: Es ist er selber. Das heißt, er schenkt den Menschen das Leben in seiner ganzen Fülle.

Das ist hier die Botschaft und die gilt auch für uns: Jesus gibt uns Leben und Glück, er sättigt uns ganz und stillt alle unsere Sehnsüchte. Wenn er bei uns ist, haben wir genug.

Doch was heißt das nun konkret? Wie wird er zum Brot des Lebens? Und steckt in dem Bild auch die Vorstellung, dass wir ihn essen sollen?

Über diese Fragen lasst uns noch einmal nachdenken und uns zunächst klar machen, was wir alles zum Leben brauchen. Das ist nämlich in der Tat mehr, als nur Nahrung und Kleidung. Das wissen wir auch. Der Apostel Paulus hat einmal sehr schön gesagt, was wir noch nötig haben, mit dem berühmten Vers: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei.“ (1. Korinther 13, 13) Um dieser Tugenden oder Kräfte willen ist Jesus gekommen. Er kann unser Verlangen danach stillen, wir müssen nur auf ihn hören und uns auf ihn einlassen.

Damit sind wir bereits bei dem ersten, das in dem Vers angesprochen wird, dem Glauben. Es ist das Vertrauen auf Jesus Christus, mit dem wir uns für ihn öffnen. Oft steht als Symbol für den Glauben das Kreuz. Es erinnert uns an den Tod und an das Leid, das Jesus auf sich genommen hat, und das heißt, er ist auch dann noch gegenwärtig, wenn wir leiden und sterben. Er ist uns ganz nahe gekommen und für uns da. Wir müssen nur in Beziehung zu ihm treten, uns auf ihn gründen und mit seiner Kraft rechnen.

Daraus entsteht dann ganz von selber das Zweite, nämlich die Hoffnung. Sie lässt uns nach vorne schauen, sie verschafft uns immer einen Ausblick und gibt uns Halt. Deshalb ist ihr Symbol der Anker. Mit der Hoffnung werfen wir ihn praktisch aus und machen uns an der Zuversicht fest. Wir bleiben optimistisch und gewinnen Mut.

Und das Dritte ist die Liebe. Sie wird uns ebenfalls durch Jesus Christus geschenkt und entsteht da, wo wir an ihn glauben und auf ihn hoffen. Seine Aussage „Ich bin das Brot des Lebens“ ist dafür ein sehr schönes Bild. Es besagt, dass er sich uns schenkt und mit seiner Liebe in uns einziehen möchte. Zudem ist die Tatsache, dass das Brot aus vielen Ähren zusammengesetzt, ein wunderbares Symbol für Einheit und Gemeinschaft.

Und daran können wir uns besonders beim Abendmahl erinnern. Ich bin vor etlichen Jahren regelmäßig in einer kleinen christlichen Communität zum Gottesdienst gegangen. Es war die „Cella“ des sogenannten „Ordo Pacis“, einer evangelischen Schwesternschaft, die für den Frieden lebt und betet. Im Vorbereitungsgebet für das Abendmahl wurde immer gesagt: „Wie aus den vielen Ähren ein Brot geworden ist, so führe auch uns zusammen. Sammle deine Kirche aus den Enden der Erde und mach sie eins in dir.“ So in etwa lautete das Gebet, und ich fand das immer sehr schön und anschaulich. Das Brot, das wir beim Abendmahl essen, kann uns wirklich zeigen, wie aus Vielem Eins geworden ist, und uns an die Liebe und den Frieden erinnern. Es ist „Brot des Lebens“, Christus selber, der uns neu mit Glaube, Hoffnung und Liebe ausrüsten und uns einen möchte.

Doch verstehen wir das Abendmahl eigentlich alle so? Trauriger weise ist gerade die Frage nach dem Abendmahlsverständnis die Hauptursache für die Spaltungen in der Christenheit: So sagen die Katholiken, das Brot ist der Leib Christi, und der Wein ist das Blut Christi. Er ist darin real präsent, und nach dem Empfang bleibt er es auch. Die Lutheraner sagen zwar auch, dass Brot und Wein Leib und Blut Christi sind, aber nur in dem Augenblick, in dem der Gläubige es empfängt. Danach sind die Elemente wieder „schlicht“ Brot und Wein. Und die Reformierten streiten die sogenannte „Realpräsenz“ ganz ab. Sie verstehen das Abendmahl als ein Zeichen und eine Erinnerung an Christus und betonen die Gemeinschaft, die wir dabei untereinander haben. Luther und Zwingli haben sich darüber am Ende sogar entzweit.

Und diese Zerwürfnisse sind immer noch nicht aufgehoben. Bis heute verbietet die katholische Kirche ihren Mitgliedern, an einer Abendmahlsfeier bei den Protestanten teilzunehmen, und wir dürfen es bei ihnen eigentlich auch nicht. Zwischen den Lutheranern und den Reformierten ist es zwar nicht ganz so schlimm, sie haben durchaus Abendmahlsgemeinschaft, aber zu Diskussionen führt diese Frage immer noch, und oft regen sich die einen über die anderen auf. Dabei sind gerade das Essen des Brotes und das Trinken des Weines im Namen Christi als Zeichen der Einheit untereinander gemeint. Wir tun es zum „Gedächtnis an Christus“, wie es in den Einsetzungsworten heißt, und das heißt in seiner Gegenwart und mit seiner Liebe. Leider scheint es sehr schwer zu sein, das auch umzusetzen.

Aber ist es das eigentlich wirklich? Können wir uns nicht bewusst auf einen Prozess einlassen, der zu Einheit führt? Es ist doch gar nicht so entscheidend, was wir denken, wenn wir zum Tisch des Herrn gehen. Ich schließe mich mit meinem Verständnis des Abendmahls zwar Luther an, aber über andere Auffassungen rege ich mich nicht mehr auf. Wir können doch einfach zusammenkommen und erleben, was dabei geschieht. Das ist ohnehin genauso unterschiedlich, wie wir alle sowieso sind. Und das Schöne an der gemeinsamen Feier ist es ja gerade, dass wir keine Theologie betreiben, uns nicht unterhalten und nicht streiten, sondern zusammenkommen und gemeinsam etwas erfahren.

In einem Abendmahlsgebet in unserer heutigen Agende heißt es dazu wunderbar: „Christus nimmt das Brot, er dankt und teilt es. Es ist so einfach und lässt doch das Geheimnis seines Wesens aufleuchten. Weil er aus der Fülle Gottes lebt, hält er nicht fest. Er gibt das Brot denen, die Hunger leiden, er schenkt sich selber darin, er spart sein Leben nicht auf. Ihn selbst empfangen wir, wenn wir an seinem Tisch […] das Brot des Lebens teilen, und in seiner Nähe hoffen wir auf eine verwandelte Welt, in der wir miteinander leben als Schwestern und Brüder. […] Christus ist das Brot des Lebens. Seine Güte reicht für alle!“ (Passion und Ostern, Agende für evangelisch-lutherische Kirchen  und Gemeinden, Band II, Teilband 1, Hrg. Kirchenleitung der VELKD, Hannover, 2011, S. 64)

An diesem Gebet wird sehr schön deutlich, dass das Abendmahl keine Streitfrage, sondern ein Geschehen ist. Es geht dabei weder um die Kirche noch um ein Dogma, sondern um Jesus Christus und seine Liebe. Er ist auf geheimnisvolle Weise gegenwärtig, darin sind wir uns alle einig. Wie wir uns diese Gegenwart im Einzelnen vorstellen, kann in den Hintergrund treten. Denn er bewirkt das, was wir uns wünschen: Er schenkt sich selber und zieht in uns ein, mit seiner Liebe und seiner Kraft. Wir empfangen ihn, wir sind mit ihm zusammen und dürfen ihm etwas zutrauen. Dann macht er aus den Vielen eine Einheit und es entsteht, was wir zum Leben brauchen: Frieden und Gemeinschaft.

Es ist deshalb gut, wenn wir immer wieder so zusammenkommen. Lasst uns dabei „nie vergessen“, dass wir „Schwestern und Brüder“ Jesu sind und als solche „von einem Brot essen, und aus einem Kelch trinken.“ Lasst uns „in Frieden beieinander wohnen, Gebeugte stärken und die Schwachen schonen, und so „den letzten heiligen Willen des Herrn erfüllen.“ Ja, „dazu müsse seine Lieb uns dringen.“ Möge er selber „dieses große Werk vollbringen, dass unter einem Hirten eine Herde aus allen werde.“ (EG 221)

Amen.