Jesus reinigt unsre Seele

Im Gottesdienst wurde ein vierjähriger Junge getauft.

Predigt über Johannes 13, 1- 15: Die Fußwaschung

Sommerpredigt Wasser IV: Wasser reinigt
16.8.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche

Johannes 13, 1- 15

1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.
2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,
3 Jesus aber wusste, dass ihm ader Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging,
4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.
5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?
7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.
8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.
9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!
10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.
11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.
12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe?
13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch.
14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.
15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

Liebe Gemeinde.

Zu Weihnachten und am Geburtstag bekommen wir Geschenke, manchmal auch noch zu Ostern. Du, Leander, hast auch noch ganz schön viel von deinem alten Kindergarten geschenkt bekommen, als du da verabschiedest wurdest. Mit dem Jahrestag der Taufe ist das anders, da schenken wir uns normalerweise nichts. Wir feiern ihn ja auch nicht, und viele von euch wissen wahrscheinlich noch nicht einmal, wann ihrer überhaupt ist.

Dabei ist er eigentlich auch ein Feier- und Geschenketag, denn bei der Taufe geschieht etwas sehr schönes und großes, das für unser ganzes Leben wichtig ist: Jesus schenkt uns bei der Taufe nämlich seine Liebe und Hilfe, den Glauben und das Vertrauen, Vergebung und Kraft. Er tut für uns das, was er auch für seine Jünger getan hat, als er sich von ihnen verabschiedete. Wir haben die Geschichte eben gehört. Sie erzählt uns, wie er ihnen die Füße wusch.

Er tat das, bevor er das letzte Mal mit ihnen zusammen Abendbrot aß. Er wusste da bereits, dass er in der kommenden Nacht gefangen genommen und hingerichtet werden würde. „Er war zu der Gewissheit gelangt, dass seine Stunde gekommen war und er die Welt verlassen und zum Vater gehen sollte“, wie es heißt. (Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christine Nord, Frankfur a.M., 2003, S. 343f)  Und er hat die Fußwaschung ganz bewusst zu diesem Zeitpunkt gemacht. Er wollte seinen Jüngern noch einmal zeigen, dass er sie liebte, und er wollte ihnen damit auch ein Vorbild für ihren Dienst aneinander geben. Das erklärte er ihnen am Ende.

Aber vorher „erhob er sich vom Mahl, zog sein Gewand aus und legte sich ein Tuch um die Lenden wie ein Sklave. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Lendentuch abzutrocknen.“ (s.o.) So wird es hier beschrieben. Die Fußwaschung selbst war dabei nichts besonderes, das geschah damals immer, wenn man ein Haus betrat und sich zum Essen versammelte. Die Füße waren ja meistens staubig von der Reise, man ging normalerweise zu Fuß und trug nur Sandalen. Ein Sklave wusch den Gästen deshalb den Staub von den Füßen. Das war wie gesagt normal. Aber dass Jesus das jetzt tat, das war ungeheuerlich. Gerade im Johannesevangelium wird überall betont, dass er der Gottessohn ist, dem alles zu Füßen liegt. Und der verrichtete hier einen Sklavendienst!

Deshalb protestierte Petrus auch. Er konnte das nicht ertragen. Zweimal wehrte er sich dagegen, und zweimal musste Jesus ihm erklären, warum er das machte. Seine zweite Antwort war sogar eher eine Warnung: „Wenn ich dir nicht die Füße wasche, dann bekommst du nichts ab von dem, was ich bin“, sagte er. (s.o.) Er machte also deutlich, dass es nicht nur irgendein Liebesdienst war, den er hier ausübte, sondern die Fußwaschung war ein Gleichnis für das, was er den Menschen sowieso schenken wollte. Und das war in Wirklichkeit noch viel mehr. Denn es waren die Ewigkeit und die Liebe Gottes, und damit die Hoffnung und die Zuversicht. Wenn Petrus sich das also nicht gefallen gelassen hätte, wäre er nicht zu Gott und in den Himmel gekommen. Das hatte Jesus ihnen immer beigebracht, das war die ganze Zeit sein Thema gewesen, und die Jünger waren ihm deshalb auch nachgefolgt. Sie wollten dieses Geschenk von ihm haben. Mit der Fußwaschung zeigte Jesus ihnen nun, dass er ihnen das wirklich gab. Er hat nicht nur darüber gepredigt, sondern er machte es auch wahr. Am Ende verstand Petrus das dann schließlich und ließ es deshalb zu, dass Jesus ihm die Füße wusch.

Aber die Geschichte ist damit nicht zu Ende, es folgt noch eine zweite Erklärung von Jesus. Er sagte: „Als Herr und Lehrer habe ich euch die Füße gewaschen, und nun müsst ihr euch auch gegenseitig die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr genauso handelt wie ich.“ (s.o.) Er verpflichtete seine Jünger also zu Hilfsbereitschaft und zu selbstloser Liebe.

Und damit sind auch wir angesprochen. Wir sollten uns die beiden Erklärungen ebenfalls zu Herzen nehmen. Dabei finde ich es allerdings wichtig, dass wir sie hintereinander beachten. Möglicherweise liegt uns die zweite Deutung nämlich näher: Dass wir als Christen hilfsbereit und liebevoll sein sollen, das wissen wir und das finden wir auch wichtig. Es ist ja auch relativ einfach, weil es eine klare Handlungsanweisung ist. Wir werden zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert. Uns wird gesagt, was wir tun sollen. Und über so etwas sind wir meistens froh. Es ist praktisch und verständlich. Außerdem ist es schön, anderen zu helfen, denn wir werden dadurch zu guten Menschen und finden viel Anerkennung. Wir sind mit uns selber zufrieden und haben ein gutes Gewissen. Wir können mit dem Beispiel Jesu also etwas anfangen.

Aber ganz so einfach ist das alles leider nicht, denn wir bekommen es gar nicht immer hin, wirklich gut und liebevoll zu sein. Wir schaffen es überhaupt nicht, immer alles richtig zu machen. Und das ist auch nicht der Sinn unseres Glaubens. Das zeigt uns diese Geschichte sehr schön. Jesus sagt uns hier, dass das erste, was im Glauben zählt, nicht unsre Taten sind. Es beginnt vielmehr damit, dass er etwas für uns tut. Unserem Dienst an den anderen geht der Dienst Jesu an uns vorweg. Den müssen wir uns erst einmal gefallen lassen und den dürfen wir auch nicht überspringen. Sonst wird unsere Nächstenliebe zur Werkgerechtigkeit, und die hat Jesus ganz bestimmt nicht gemeint. Wir sollen nicht einfach nur gute Werke tun, sondern erst einmal ein Geschenk von ihm empfangen, und zwar das Geschenk seiner Liebe und Barmherzigkeit.

Und das ist deshalb nicht ganz einfach, weil es Demut und Selbstüberwindung erfordert. Wir müssen dafür nämlich zugeben, dass wir im Leben Fehler machen, dass wir nicht immer optimal miteinander umgehen, nicht perfekt sind und manchmal versagen. Darin besteht hier die Schwierigkeit, denn das geht uns gegen den Strich. Unser Stolz will diesen nüchternen Blick auf unser Leben am liebsten verhindern. Wir müssen sozusagen auf den Boden kommen. Und das tut manchmal weh. Wir täuschen uns und die anderen ganz gerne über unsere Fehler und Schwächen hinweg. Wir überspringen diesen Punkt lieber. Denn so angenehm ist das nicht. Wir akzeptieren unsere schlechten Seiten eben nicht richtig.

Aber genau damit hat Jesus ein Ende gemacht. Er will nicht, dass wir erst einmal zu guten Menschen werden, sondern er liebt uns so, wie wir sind. Wir müssen uns vor ihm nicht schämen oder verstecken. Denn er nimmt uns auch mit unseren Fehlern an und wäscht den Dreck ab, den wir in unserer Seele haben. Das müssen wir uns einfach nur klar machen und uns gefallen lassen. Dann passiert das, was hier in der Geschichte vorkommt: Wir werden innerlich gereinigt, an Seele und Geist. Es beginnt damit, dass wir uns entspannen können. Die Anstrengung fällt von uns ab. Der Leistungsdruck verschwindet, und das tut gut. Wir werden ruhig und nüchtern. Wir werden plötzlich mit einer ganz anderen Kraft erfüllt, als unserer eigenen.

Die Taufe ist dafür ein sehr schönes Ritual. Es ist das Ereignis, bei dem Jesus uns seine Liebe schenkt, für unser ganzes Leben. Wir müssen sie nur empfangen. Anstatt selber aktiv zu werden, dürfen wir bei der Taufe passiv sein und uns etwas gefallen lassen. So wie die Jünger es auch waren, als Jesus ihnen die Füße wusch. Das Wasser der Taufe erinnert uns daran. Es ist ein Symbol für die Reinigung. Jesus „wäscht damit unsere Seele“, er vergibt uns alle Schuld und nimmt uns die Sünden ab.

Und daraus folgt dann das Zweite, nämlich dass wir so auch miteinander umgehen sollen. Die Nächstenliebe ist eine Wirkung der Liebe Jesu. Die Kraft und die Liebe, die wir durch Jesus empfangen, die können und sollen wir natürlich weitergeben. Sie prägt unser Miteinander. Es wäre ja auch widersinnig, wenn das nicht geschehen würde. Aber wir sollten die richtige Reihenfolge beachten, denn nur dann wird unsere Nächstenliebe so, wie Jesus es gemeint hat. Sie ist dann nicht das angestrengte Werk, das mich gerecht macht, sondern ein Ausdruck des Geschenkes, das ich bekommen habe. Sie kommt nicht aus dem Kopf oder dem Willen, sondern vom Herzen. Sie entspringt in unserem Inneren und fließt aus uns heraus.

Dieser Zusammenhang kommt auch sehr schön in dem Taufspruch von Leander zum Ausdruck. Er lautet: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Mk. 9,23) Das hat Jesus einmal zu einem Mann gesagt, dessen Sohn krank war. Er wollte, dass er wieder gesund wurde, und er glaubte, dass Jesus das tun konnte. Und so geschah es dann auch, der Junge wurde geheilt.

Und das heißt für uns: Wer sich an Jesus wendet, bekommt immer eine Antwort. Er muss nie aufgeben und kann jederzeit neu anfangen. Er bekommt Kraft für alle seine Vorhaben, er wird gesund und stark, zuversichtlich und ruhig. Und er wird mit Liebe für seine Mitmenschen erfüllt, das Leben kann gelingen.

Das alles wird dir, Leander, heute geschenkt. Und das ist etwas ganz Großes. Wir alle haben bei unsrer Taufe dieses Geschenk bekommen. Es lohnt sich also, dass wir uns taufen lassen, und dann jedes Jahr an diesen Tag denken und ihn feiern.

Amen.

 

Jesus gibt uns „mehr als alles“

Im heutigen Gottesdienst wurde eine Jugendliche getauft, nächsten Sonntag feiern wir die Taufe eines kleinen Jungen. Das hat mich auf eine Predigtreihe über Wassergeschichten aus der Bibel gebracht, denn Wasser spielt bei der Taufe ja eine Rolle. Es erinnert an vieles, auch daran, dass Jesus einmal gesagt hat: „Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten.“ Das sagt er in einem Gespräch mit einer Samariterin, die er einmal an einem Brunen traf. Die Geschichte steht im Johannesevangelium, und der Anfang daraus war heute der Predigttext.

Predigt über Johannes 4, 1- 14: Jesus und die Samariterin

Sommerpredigt Wasser III: Jesu ist das lebendige Wasser
9.8.2020, 9.30 Uhr Lutherkirche

Johannes 4, 1- 14

1 Als nun Jesus erfuhr, dass den Pharisäern zu Ohren gekommen war, dass er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes
2 – obwohl Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger –,
3 verließ er Judäa und ging wieder nach Galiläa.
4 Er musste aber durch Samarien reisen.
5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab.
6 Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde.
7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken!
8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen.
9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. –
10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser.
11 Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser?
12 Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh.
13 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten;
14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.

Liebe Gemeinde.

„Es muss im Leben mehr als alles geben“. So lautet der Titel eins Kinderbuches von dem amerikanischen Autor Maurice Sendak. 1962 hat er es geschrieben, und es enthält eine wunderbare Geschichte, in der wir uns alle wiederfinden können. Sie handelt von dem Hund namens Jennie, der buchstäblich „die Schnauze voll hat“. Eigentlich hatte Jennie alles, was ein Hund sich wünschen kann. Sie schlief auf einem runden Kissen im oberen und auf einem viereckigen im unteren Stockwerk. Sie hatte zwei Fenster, um nach draußen zu schauen, zwei Schüsseln für ihr Futter und vieles mehr. Auch hatte sie einen Herrn, der sie liebte. Doch das kümmerte Jennie wenig. Eines Nachts packte sie alles, was sie besaß, und blickte zum letzten Mal zum Fenster hinaus. Selbst die Topfpflanze konnte sie nicht daran hindern, fortzulaufen. „Du hast doch alles, was ein Hund sich wünscht. Warum läufst du dann fort?“ fragt sie. „Weil ich unzufrieden bin. Ich wünsche mir etwas, was ich nicht habe. Es muss im Leben noch mehr als alles geben.“ Antwortete Jennie und lief davon. (https://kulturbeschau.blogger.de/stories/1431724/)

Die Geschichte handelt also von der Unruhe des Herzens, und das ist eine Erfahrung, die wahrscheinlich jeder und jede irgendwann einmal macht: Wir könnten zufrieden sein mit dem, was wir haben, was wir uns leisten können, besonders wenn wir uns mit den Menschen dieser Erde vergleichen, die am Rande des Existenzminimums leben. Aber wir sind es nicht. Wir haben einen unstillbaren Durst nach etwas, das „mehr als alles“ ist.

Und das wusste auch Jesus. Ihm war klar, dass wir noch viel mehr zum Leben brauchen, als wir oft meinen. Das normale Wasser reicht nicht, um unseren Durst zu löschen. Mit diesem Bild erklärte er das einmal einer Frau, die er an einem Brunnen traf. Er unterhielt sich mit ihr über das „wahre Wasser des Lebens.“ Das Gespräch steht im Johannesevangelium, und wir haben den Anfang davon eben gehört.

Jesus kam in der Mittagshitze erschöpft bei diesem Brunnen an und setzte sich zum Ausruhen auf den Rand. Dann kam die Frau, um dort wie gewohnt Wasser zu schöpfen, und Jesus sprach sie an. Das war ungewöhnlich, und brachte die Frau in Verlegenheit. Denn die beiden waren allein dort, und diese Situation war aus zwei Gründen für beide schwierig: Erstens sprach – nach damaliger Sitte – ein jüdischer Mann nicht eine Frau an, und zweitens herrschte zwischen Juden und Samaritern Feindseligkeit. Jeglicher Kontakt war verboten.

Darauf wies die Frau Jesus zunächst hin, doch er ignorierte das. Er wollte mit ihr sprechen und eröffnete den Dialog mit der Bitte um Wasser. Dabei ging es ihm von Anfang an um das, was er ihr – und damit allen Menschen – geben kann. Er nannte es geheimnisvoll „lebendiges Wasser“. Die Bitte war also nur ein Vorwand, um dieses Symbol einzuführen.

Das merkte die Frau allerdings nicht, sie wunderte sich nur über diesen Fremden und missverstand ihn. Natürlich dachte sie daran, dass er das frische Quellwasser meinte. Warum war er dann aber ohne Schöpfgerät gekommen? Sie redeten aneinander vorbei, denn Jesus verstand unter „lebendigem Wasser“ etwas anderes, das einen tieferen Sinn hat. Er sagte: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“

Um diese Botschaft ging es ihm, und sie bedeutet: „Ich kann dir etwas schenken, das ewig bleibt. Du wirst keinen Durst mehr haben, wenn du das empfängst.“ Jesus sprach von einem Wasser, das im Inneren des Menschen zu einer Quelle wird, die zum ewigen Leben sprudelt.

Und das dürfen wir auch auf uns beziehen: Wenn wir an ihn glauben, wird unser Lebensdurst und unsere Sehnsucht nach der Ewigkeit gestillt. Wir müssen nicht auf noch mehr oder etwas Besseres warten. Es gilt vielmehr, in vollen Zügen das aufzunehmen, was Jesus uns gibt. Er kann uns ganz erfüllen, und dadurch können wir selber zu einer Quelle lebendigen Wassers werden.

Doch was bedeutet das nun? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst bewusst machen, wie wir meistens leben, und wovon unser Verhalten geprägt ist. Es ist oft so ähnlich wie bei dem kleinen Hund Jennie, der zwar alles hatte, aber noch mehr wollte. So geht es uns auch. Obwohl wir viel haben, begehren wir fast immer noch mehr. Wir haben Bedürfnisse, die wir befriedigen möchten, und das versuchen wir dann. Wir meinen, dass wir etwas unbedingt haben müssen, wenn wir glücklich sein wollen. Deshalb konsumieren und reisen wir, verdienen Geld, treffen Menschen, feiern Partys, lesen Bücher usw. Wir denken, „unser Durst wird gelöscht“, wenn wir das alles machen.

Das ist der Punkt, an den Jesus mit seinem Vergleich anknüpft. Er sagt, dass wir von dem natürlichen Wasser immer wieder trinken müssen, und damit stellt er das normale Begehren in Frage. Er macht auf die Nachteile aufmerksam, die alles Materielle und Menschliche, alles Weltliche und Irdische hat. Und darüber lohnt es sich einmal nachzudenken. Es stimmt nämlich, dass wir nie ganz zufrieden sind, wenn wir nur das suchen und haben wollen. Wir brauchen davon immer mehr, das Begehren hört nie auf.

Ein zweites Problem besteht darin, dass alles Irdische irgendwann vergeht. Was wir in unserem Leben erreichen oder aufbauen, kann wieder zerbrechen, nichts hält ewig. Und dazu gehören nicht nur Dinge, sondern auch Beziehungen, Freundschaften und Ehen. Ebenso Fähigkeiten, Ideen und Pläne, Gedanken und Vorstellungen. Alles, was wir aus uns selber heraus schaffen, kann kaputt gehen. Das ist das zweite Problem.

Und die dritte Schwierigkeit besteht darin, dass das Trachten nach den Dingen anstrengend ist, es kostet Kraft und Geld und laugt uns aus. Irgendwann sind wir davon erschöpft und müde.

Es lohnt sich also, das Wasser zu trinken, das Jesus uns gibt, denn es stillt unseren Durst wirklich, es vergeht nicht und schenkt uns Kraft. Doch wie geht das nun? Welche Folgen hat das für unsere Lebensführung und für unser Handeln? Das müssen wir uns als letztes fragen.

Und dazu ist es gar nicht schlecht, wenn wir uns noch einmal den kleinen Hund in Erinnerung rufen. Er hat sich auf den Weg gemacht und alles hinter sich gelassen, was ihn bis dahin gebunden hat. Er hat Abschied genommen und sein bequemes zu Hause verlassen. Und das können wir bildlich verstehen: Auch wir müssen uns aufmachen.

Wenn wir Jesus wirklich in uns aufnehmen wollen, ist es wichtig, dass wir all die anderen Quellen einmal verlassen. Wir wollen ja etwas Größeres und Bleibendes gewinnen, und dazu müssen wir das Kleinere und Vergängliche gelegentlich bei Seite lassen, es ignorieren und daran sozusagen vorbeigehen.

Es gibt eine große Heilige aus dem 16. Jahrhundert, Teresa von Avila, die in vielen Schriften sehr schön dargestellt hat, wie wir Jesus in uns aufnehmen können. Sie hat dafür auch oft das Bild vom Wasser benutzt. An einer Stelle sagt sie: „Alle Ratschläge, die ich euch in diesem Buch gegeben habe, zielen auf einen einzigen Punkt: dass wir uns von allem gelöst ganz dem Schöpfer schenken und unseren Willen in den seinen fügen. Dann wird der Weg kurz, auf dem wir zum Quell lebendigen Wassers gelangen. Aber nur der wird daraus trinken, der seinen Willen so ganz dem Herrn übergibt, dass dieser ihn gänzlich mit dem seinen in Übereinstimmung bringen kann.“ (Teresa von Avila, „Ich bin ein Weib – und obendrein kein Gutes“, ein Portrait der Heiligen in ihren Texten, ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Erika Lorenz, Freiburg i. Br. 1989, S. 79)

Es geht also darum, dass wir uns Gott hingeben. Wir müssen aufhören, uns selber glücklich machen zu wollen. Und dazu gehört es, dass wir all das, was uns fehlt, zunächst einmal akzeptieren, unseren inneren Durst aushalten, ohne ihn gleich mit etwas Vergänglichem zu stillen. Es gehört zu unserem Leben, dass wir nie genug haben, dass wir oft nicht richtig klar kommen, dass vieles zerbricht, und dass wir leiden. Wir wollen das immer so schnell wie möglich beenden, aber das ist nicht der richtige Weg. Wir müssen die Brüchigkeit des Lebens aushalten, ja dazu sagen und auf uns nehmen, was das Leben uns schickt.

Nur dann sind wir offen für das, was Jesus uns gibt. Denn dann können wir innerlich zu ihm gehen, zu ihm rufen und um seine Hilfe bitten. Sie ist sofort da, wir müssen uns um nichts mehr bemühen. Es ist nichts weiter nötig, als dass wir ihn anrufen und uns von ihm lieben lassen.

Wenn Leiden über uns kommen, können wir sagen: „Gib mir Kraft, sie zu tragen.“ Sind es Krankheiten, Enttäuschungen oder Verletzungen, können wir beten: „Hier bin ich, Jesus, ich halte das jetzt aus und versuche nicht, es abzustellen. Denn du hast dich für uns alle, also auch für mich, Gott hingegeben.“ Wir müssen dann nicht darauf warten, dass er uns erfüllt. In demselben Moment, in dem wir uns ihm anvertrauen, wird „unser Durst ganz gelöscht“. Dann brauchen wir wirklich nicht mehr, kein anderes Ding, keinen Menschen und keine Idee. Jesus erfüllt unser Inneres mit seiner Liebe, so dass sie in uns sprudelt.

Die tiefen Schichten in unserer Seele werden angerührt, wir bekommen Leben und Kraft. Wir werden gelassen und mit Geduld und Freude erfüllt. Wir sind ganz von selber zufrieden und glücklich, auch im Leid, auch dann, wenn wir das eine oder andere, was die Welt so bietet, vielleicht nicht haben, und sich nicht alle unser Wünsche erfüllen. Denn Jesus stillt unseren Durst ganz.

Das Wichtigste und Größte, das „mehr als alles“ ist, können wir uns nicht verdienen und auch nicht selber herstellen. Wir können es uns nur von Jesus schenken lassen und dankbar annehmen.

Amen.

 

Der Herr wird für euch streiten

Predigt über 2. Mose 14: Das Wunder am Schilfmeer

Sommerpredigt Wasser II, 2.8.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

In vier Gottesdiensten in diesem Sommer geht es um Geschichten aus der Bibel, in denen Wasser vorkommt. Das letzte Mal haben wir eine gelesen, in der es positiv besetzt war: Es rettet Leben und gibt uns Kraft.  (2. Mose 14, 1- 7) Viele andere Erzählungen in der Bibel handeln aber von genau dem Gegenteil. Sie beschreiben, dass man im Wasser auch untergehen kann. Eine der Bekanntesten ist in diesem Zusammenhang wohl die vom Durchzug der Israeliten durchs Schilfmeer. Sie waren aus Ägypten aufgebrochen, und eigentlich hatte der Pharao sie auch ziehen lassen. Aber dann überlegte er es sich anders und verfolgte sie mit seinen Soldaten. Am Schilfmeer holte er sie ein, und da geschah dann das Wunder und die Katastrophe: Gott spaltete das Meer in zwei Hälften, sodass die Israeliten hindurch ziehen konnten, aber über den Ägyptern schloss sich das Meer wieder, und das ganze Heer ertrank. Für uns klingt das zwar furchtbar, aber in der Geschichte Israels und in seinem Glauben war das das zentrale Ereignis der Rettung durch Gott.

2. Mose 14 in Auszügen

13,20 Die Israeliten zogen aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
14,5b Als das dem König von Ägypten angesagt wurde, sprach er: Warum haben wir die Israeliten ziehen lassen, sodass sie uns nicht mehr dienen?
7 Und er nahm sechshundert auserlesene Wagen mit Kämpfern auf jedem Wagen.
9a Und die Ägypter jagten ihnen nach mit Rossen, Wagen und ihren Männern.
10 Und die Israeliten fürchteten sich sehr und schrien zu dem HERRN.
13 Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der HERR heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wiedersehen.
14 Der HERR wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein.
19b Und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sie
20 und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels. Und dort war die Wolke finster und hier erleuchtete sie die Nacht, und so kamen die Heere die ganze Nacht einander nicht näher.
21a Und der Herr ließ das Meer zurückweichen.
22 Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken.
24 Als nun die Zeit der Morgenwache kam, schaute der HERR auf das Heer der Ägypter aus der Feuersäule und der Wolke und brachte einen Schrecken über ihr Heer.
25b Da sprachen die Ägypter: Lasst uns fliehen vor Israel; der HERR streitet für sie wider Ägypten.
27 und das Meer kam gegen Morgen wieder in sein Bett, und die Ägypter flohen ihm entgegen. So stürzte der HERR sie mitten ins Meer.
30 So errettete der HERR an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand. Und sie sahen die Ägypter tot am Ufer des Meeres liegen.
31 So sah Israel die mächtige Hand, mit der der HERR an den Ägyptern gehandelt hatte. Und das Volk fürchtete den HERRN und sie glaubten ihm und seinem Knecht Mose.

Liebe Gemeinde.

Ihr kennt sicher alle das Wort „Gospel“. Es „ist Englisch und heißt auf Deutsch: ,Die gute Nachricht‘. Es setzt sich zusammen aus dem altenglischen Wort gōd, das heißt gut, und spel, auf Deutsch: Erzählung.“ (wikipedia) Dabei steht dieses Wort nicht nur für das geschriebene Evangelium, sondern auch für eine ganz bestimmte Musik. Sie ist in den afroamerikanischen Gemeinden während der Sklavenzeit entstanden und enthält Jazz- und Blueseinflüsse. Die Texte in den Liedern, die wir auch „Spirituals“ nennen, handeln vom Loben, Danken und von der Hoffnung, die aus dem Glauben an Gott entspringt. Der allgemeine Klang der Gospelmusik ist also positiv, optimistisch und fröhlich. Doch diese Fröhlichkeit ist nicht oberflächlich, sondern sie entstammt den tiefen Leiderfahrungen aus der Sklavenzeit.

Und genau das macht diese Musik so inspirierend und attraktiv. Die Gospels haben sich seit ihrer Entstehung weit verbreitet und werden bis heute gesungen. Es gibt überall Gospelchöre, und auch in unserem Gesangbuch finden wir das eine oder andere Lied aus dieser Richtung. Teilweise wurden sie sogar ins Deutsche übersetzt, wie z.B. „Komm, sag es allen weiter.“ (EG 225)

Und sicher kennen viele von euch auch das Lied: „When Israel was in Egypt’s land“. Es beschreibt die Sehnsucht der Israeliten nach Freiheit und die zähe Auseinandersetzung zwischen Mose und dem Pharao, die dem Auszug voranging. Die Sklaven haben sich darin wiedegefunden, weil sie in derselben Situation waren, wie die Israeliten in Ägypten, und weil sie sich ebenfalls leidenschaftlich die Befreiung wünschten. Außerdem glaubten auch sie an einen starken Gott. Die gefangenen Afrikaner klagten ihm ihr Leid und trauten ihm dasselbe Handeln zu wie damals. Das war ihre Hoffnung, und die haben sie besungen und bezeugt.

Wir haben die Geschichte von dem Auszug der Israeliten aus Ägypten eben gehört. Es war allerdings nicht der ganze Text aus der Bibel, der davon berichtet, der ist in Wirklichkeit doppelt so lang. Aber es gibt darin so viele Wiederholungen und auch einige Ungereimtheiten, dass es ein bisschen ermüdend ist, wenn man es alles hört. Man kann auch davon ausgehen, dass hier verschiedene Erzählungen zu einer zusammengefügt wurden. So ist das ganz oft im Alten Testament. In einer Geschichte melden sich oft mehrere Stimmen zu Wort. Wir haben jetzt z.B. nicht gelesen, dass Gott „das Herz des Pharao verhärtete“. (Vers 4) Seine Motivation, die Israeliten zu verfolgen, war einfach nur der Ärger darüber, dass er sie hatte ziehen lassen, und dass sie ihm nicht mehr dienten. Er dachte, die hole ich leicht ein.

Und das Wunder selbst wird auch auf verschiedene Weise beschrieben. In der oben stehenden Version, wird nur gesagt, dass „der Herr das Meer zurückweichen ließ“. Andere Erzähler berichten, dass Mose seinen Stab hob und das Meer teilte. (Vers 16) Es ist aber auch noch von einem Ostwind die Rede (Vers 21), der das Meer zur Seite schob. Das sind wahrscheinlich andere Überlieferungen. Und genauso wird das Untergehen der Ägypter verschieden begründet. Wir haben gehört, dass sie erschrocken und verwirrt waren und ins Meer hineinliefen. An anderer Stelle wird gesagt, dass ihre Räder ins Stocken gerieten, und sie so den Wasserfluten nicht mehr entkommen konnten. (Vers 25)

Es ist also ziemlich eindeutig, dass mehrere Überlieferungen zu Grunde liegen, und man sieht daran, dass die Geschichte immer wieder erzählt wurde. Ich sagte ja auch schon, dass die Rettung am Schilfmeer ein ganz entscheidendes Ereignis für die Israeliten war. Ihr Urbekenntnis, das überall im Alten Testament auftaucht, lautet: „Jahwe hat Israel aus Ägypten herausgeführt.“ Das ist wie eine Formel, die bei ganz vielen Gelegenheiten wiederholt wurde. Wir finden sie in den Psalmen, bei den Propheten und in der Geschichtsschreibung. Und der Kern dieses Themas ist das Wunder am Schilfmeer. Wahrscheinlich sind die Erzählungen darüber sogar jünger, als die Urformel. Sie sind erst im Nachhinein entstanden. Man wollte damit das kurze Bekenntnis theologisch entfalten und deutlich machen, was wirklich geschehen ist. Man erinnerte sich an eine entscheidende Kriegstat Jahwes, und das galt als so eine Art Garantie: Es war eine unverbrüchliche Bürgschaft dafür, dass Gott sein Heil für Israel durchsetzen würde. Das war sein Wille, und das war der Glaube Israels.

Es fällt nämlich auf, dass in allen Erzähltraditionen Gott der allein Handelnde ist. Israel steht tatenlos daneben und lässt seine Macht zu. Und die setzt sich ohne Lärm oder Getöse durch. Gott handelt wortlos und Israel lässt es schweigend und vertrauensvoll geschehen. Der Satz, mit dem das zum Ausdruck kommt, lautet: „Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein.“ Gott verherrlicht sich hier also selbst ohne Mitwirken des Menschen. Nur der Glaube Israels wird betont, denn um den ging es. Der sollte begründet werden. Deshalb endet die Erzählung mit dem Satz: „Und das Volk fürchtete den Herrn und sie glaubten ihm und seinem Knecht.“

Aber wie geht es uns damit? Wir kennen die Geschichte sicher alle, aber führt sie auch uns zum Glauben an Gottes Macht und an sein Heil? Wir sind ja schließlich keine Israeliten und haben die Ägypter genauso im Blick. Die sind nicht gerettet worden, sondern grausam ertrunken. Dieser Gott, von dem hier die Rede ist, ist gar nicht nur gut, sondern er hat auch ei­ne sehr brutale Seite. Und deshalb entstehen für uns erst ein­mal Fragen, wenn wir die Geschichte hören: Was ist das für ein Gott? Wie kann er so etwas tun? Und wollen wir daran überhaupt glauben? Das ist das, was uns beschäftigt.

Und so geht es uns mit dem gesamten Alten Testament. Überall und immer sollen die Feinde sterben und tun es auch. Das wird erzählt, das wünschen sich die Psalmbeter und das verheißen die Propheten. Gott wirkt in der Geschichte, er rettet die Einen und vernichtet die Anderen.

Und das machen wir so nicht mehr mit. Wir haben ein ganz anderes Weltbild. Toleranz steht für uns ganz oben. Wir wün­schen unseren Feinden nicht den Untergang, sondern wollen Frieden für alle. Daran glauben wir, das soll Gott bewirken. Und das ist auch gut so. Zum Glück haben sich unsere Vorstellungen von einem gerechten Gott verändert.

Bloß eine Sache übersehen wir dabei leicht: Es ist noch nicht so weit, dass Gottes gute Macht sich ganz durchgesetzt hat. Den Kampf gegen das Böse gibt es nach wie vor. Unsere Welt ist nicht friedlich. Es gibt die Ungerechtigkeit, den Terror und den Krieg, Rassismus und Diskriminierung. Das Heil Gottes hat noch nicht die ganze Welt erfasst. Diese Tatsache dürfen wir nicht übersehen. Wir stehen nach wie vor in einem Kampf. Das müssen wir erkennen. Wir verharmlosen mit unserer Toleranz auch manchmal die Schärfe der Auseinandersetzungen. Wollen wir gegen Rechtsextreme tolerant sein? Gegen fanatische Fundamentalisten? Gegen grausame Diktatoren und totalitäre Regierungen? Es gibt sie ja leider in vielen Ländern, und das das ist beunruhigend. Wir dürfen das nicht verharmlosen.

Wir müssen vielmehr sehen: Es gibt auch heute noch das Gegeneinander von Gut und Böse, und wir müssen uns entscheiden, wo wir stehen wollen. Die Bibel lädt uns ein, uns klar auf die Seite des Guten zu stellen und daran zu glauben. Und sie will uns dazu nicht nur auffordern, sondern verkündet uns gleichzeitig, woher wir dafür unsere Zuversicht nehmen können, was wir dem Bösen entgegensetzen können. Auch unsere Geschichte enthält diese Botschaft. Sie erzählt uns, woher wir die Hoffnung nehmen können, dass das Böse einmal besiegt werden wird. Sie enthält ein starkes Bekenntnis, denn es kommt ein mächtiger Gott darin vor. Die Schilderung von dem Wunder am Schilfmeer bezeugt: Gott ist letzten Endes stärker als das Böse und er wird eines Tages siegen.

Als Christen dürfen wir das erst recht glauben. Denn in Chris­tus hat Gott seine Macht ein für alle Mal erwiesen. Er hat ihn von den Toten auferweckt, und das ist ein stärkeres Ereignis als alles, was vorher dagewesen ist. Die früheren Taten Gottes weisen aber darauf hin und können verdeutlichen, wie Gott handelt. So kann auch das Wunder am Schilfmeer dafür ein Symbol sein. Das Meer steht dann für den Tod, aus dem die Israeliten auf wunderbare Weise gerettet wurden. Und das kann Gott wirklich tun. Seine Macht ist stärker als der Tod, und es ist gut, daran zu glauben. Denn nur dieser Glaube kann unsere Hoffnung unerschütterlich machen. Nur wenn wir uns daran festhalten, können wir in den Schrecken, die uns umgeben, zuversichtlich bleiben. Das schützt und trägt uns. Und dazu will uns die Geschichte einladen.

Oft halten wir uns ja lieber an anderen Dingen fest. An einer Idee vielleicht, an der Phantasie von einer besseren Welt. Und oft glauben wir auch lieber an unsere eigenen Möglichkeiten. Wir kämpfen für das Gute. Aber dieser Kampf ist oft vergeb­lich, wenn er nicht noch viel tiefer gegründet ist. Unsere Ideen zerbrechen nicht selten an der Wirklichkeit, sie halten nicht. Und dann zerplatzen unsere Träume. Wir werden nüchtern und geben auf.

Vielleicht müssen wir auch erst an diesen Punkt kommen, um uns wirklich an Gott zu halten. Erst wenn wir merken, dass wir nichts mehr tun können, erwacht in uns der Glaube an Gottes Möglichkeiten. Es ist das „Stille werden“, von dem in der Geschichte die Rede ist. Damit fängt der Glaube an. Und dass daraus wirklich eine feste Zuversicht entstehen kann, dafür gibt es viele Beispiele.

Die Schwarzen in Amerika konnten nicht umsonst viel mehr mit dem Alten Testament anfangen, als wir. Sie haben sich in den Geschichten über Israel wiedergefunden und daraus Lieder gemacht. Für die Sklaven war der Durchzug der Israeliten durchs Schilfmeer eine mutmachende Geschichte. Genauso würde Gott auch sie einst befreien. Sie lebten in Gefangenschaft, aber sie glaubten an einen Gott, der sie da herausführen würde. Und so ist es dann ja auch geschehen. Zu Ende ist dieser Kampf um Freiheit noch nicht, das haben wir gerade in den letzten Wochen wieder erlebt. Der Rassismus ist leider überall präsent. Aber es ist gut, dass es eine starke Gegenbewegung gibt, und der Slogan: „Black lives matter“ in vielen Ländern laut bezeugt und gelebt wird.

Denn die Hoffnung auf eine bessere Welt hat einen berechtigten Grund. Wir dürfen daran glauben, dass Gott so, wie er Israel aus Ägypten herausgeführt hat, eines Tages das Heil in der Welt durchsetzen wird. Das ist sein Wille, und der ist stark und mächtig und wird zuletzt auch geschehen.

Das Lied „When Israel was in Egypt‘s land“ bezeugt das. Es steht übrigens auch im Evangelischen Gesangbuch, und zwar im Anhang der Ausgabe für die Landeskirche in Württemberg. (Nr. 603) Da findet sich zusätzlich eine deutsche Übersetzung. Der Schriftsteller und Afrika-Forscher Janheinz Jahn hat sie 1962 geschrieben, und sie lautet folgendermaßen:

1. Als Israel in Ägypten war, –
– lass mein Volk doch ziehn!
das Joch nicht zu ertragen war –
– lass mein Volk doch ziehn!
Kehrvers
Geh hin, Moses, geh ins Ägypterland,

sag König Pharao:
Lass mein Volk doch ziehn!
2. »Gott will’s«, sprach Moses vor dem Thron,
– lass mein Volk doch ziehn!
»sonst töt ich deinen ersten Sohn«
– lass mein Volk doch ziehn!
3. »Genug der Knechtschaft, Last und Fron«,
– lass mein Volk doch ziehn!
»lass ziehn es mit Ägyptens Lohn«
– lass mein Volk doch ziehn!
4. Und Gott wies Mose Weg und Zeit,
– lass mein Volk doch ziehn!
dass er sein Volk zur Freiheit leit’
– lass mein Volk doch ziehn.

Amen.