Die Einheit der verschiedenen Kirchen

Predigt über Apostelgeschichte 2, 22- 23. 32- 33. 36- 39:
Aus der Pfingstpredigt des Petrus

Pfingstmontag, 11.00 Uhr, St. Nikolaus
Ökumenischer Gottesdienst

Liebe Gemeinde.

Wenn Sie sich die Liste der christlichen Konfessionen ausdrucken, die bei Wikipedia im Internet zusammengestellt ist, kommen Sie auf 16 DinA-4 Seiten, und Sie können ungefähr 350 verschiedene Kirchen oder Gruppen zählen. Sie sind in neun große Traditionen eingeteilt, davon sind die ersten drei die Ostkirche, die katholische Kirche und die evangelische Kirche. Aber jede dieser großen Konfessionen hat jeweils viele Untergruppen.
Sie haben sich alle irgendwann durch Abspaltungen gebildet, denn es gab immer und überall Auseinandersetzungen über die Bräuche im Gottesdienst, die Kirchenordnung, Theologie und Frömmigkeit. Einige Kirchen sind auch durch geographische oder politische Entwicklungen entstanden. Dadurch ist die Vielfalt der christlichen Konfessionen so groß.
Als Gegenbewegung gibt es die Ökumene. Darunter versteht man die Bemühungen vieler Christen und Kirchen, die verschiedenen Konfessionen wenigstens wieder zum gemeinsamen Handeln zu führen. Man will von den Spaltungen absehen und die Einheit aller Christen betonen. Denn aus Liebe zu Jesus darf die Kirche niemals aufhören, sich um Versöhnung zu bemühen und für die Vergebung der Schuld ihrer Kinder und die der anderen zu beten. So hat es das Zweite vatikanische Konzil formuliert. Es heißt dort: „Miteinander können wir alle nur dem Herrn danken für die Wege der Einheit, die er uns geführt hat, und in demütigem Vertrauen einstimmen in sein Gebet: Lass uns eins werden, wie du mit dem Vater eins bist, damit die Welt glaube, dass er dich gesandt hat“.
Unser Gottesdienst heute ist dazu ein kleiner Beitrag, und es passt gut, dass wir ihn zu Pfingsten feiern. Denn das ist das Fest, an dem wir uns an die Anfänge der Kirche erinnern, an den Ursprung unseres Glaubens und damit an das, was uns bis heute vereint. Es ist der Geist Jesu Christi, der uns allen in gleicher Weise geschenkt wurde und unsere Kirchen und Gemeinden lebendig macht.
Der Bericht darüber steht am Anfang der Apostelgeschichte, und ein Teil daraus ist heute unser Predigttext. Er lautet folgender maßen:

Apostelgeschichte 2, 22- 23. 32- 33. 36- 39

22 Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst –
23 ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht.
32 Diesen Jesus hat Gott auferweckt, dafür sind wir alle Zeugen.
33 Nachdem er durch die rechte Hand Gottes erhöht worden war und vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen hatte, hat er ihn ausgegossen, wie ihr seht und hört.
36 Mit Gewissheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.
37 Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?
38 Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.
39 Denn euch und euren Kindern gilt die Verheißung und all denen in der Ferne, die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird.

Das sind Verse aus der Pfingstpredigt des Petrus. Nachdem er und die anderen Jünger den heiligen Geist empfangen hatten, „trat er auf und erhob seine Stimme“. Viele Menschen hörten ihn, vor allen Dingen natürlich Israeliten, denn sie waren in Jerusalem zum Pfingstfest zusammen gekommen. Ihnen galt die Predigt auch, das wird an der Anrede deutlich, mit der Petrus hier erneut einsetzt. Er hält ihnen vor, dass sie Jesus verworfen haben. Er war aber von Gott auserwählt, das konnte man an den Zeichen und Wundern erkennen, durch die Gott ihn ausgewiesen hatte. Sie hätten das Handeln Gottes durch Jesus also erkennen und an ihn glauben können. Stattdessen haben sie ihn dem Tod ausgeliefert. Das war zwar im Ratschluss Gottes auf geheimnisvolle Weise begründet, aber dadurch sind sie nicht freigesprochen. Sie haben ihre Augen vor der Gegenwart Gottes in Jesus verschlossen und sich damit dem Heil widersetzt. Das ist der erste Gedanke, den Petrus hier formuliert.
Doch er bleibt nicht bei diesem Vorwurf gegen das heillose Handeln, das sich gegen Gott gerichtet hat. Als zweites stellt das er das schöpferische Eingreifen Gottes dar, das sich als übermächtig erwiesen hat. Der Tod musste weichen. Er konnte Jesus nicht festhalten, sondern war gezwungen, ihn zum Leben freizugeben. Gott hat den Sieg über den Tod herbeigeführt, indem er „diesen Jesus auferweckt hat“. Das ist die zweite triumphierende Aussage, die Petrus hier macht.
Als drittes beschreibt er dann, wie Jesus anschließend von Gott erhöht wurde und den Geist ausgesandt hat. Jesus hat Anteil bekommen an der Herrschaft Gottes. Er ist Träger göttlicher Macht, und deshalb konnte er den Geist senden. Die Menschen empfangen ihn durch die Vermittlung Jesu.
Darum folgt als viertes der Ruf zur Umkehr: Wer gerettet werden will, muss an Jesus Christus glauben und sich das Geschehen seines Todes, seiner Auferstehung und Erhöhung aneignen.
Das ist der Inhalt der Pfingstpredigt des Petrus, und die traf die Zuhörer „mitten ins Herz“. Es war wie ein Stich, der durch ihr Innerstes hindurchging. Sie fragten deshalb gleich, was sie tun sollten, und Petrus erklärte es ihnen: Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, dem Sohn Gottes, kann durch Buße und den Vollzug der Taufe auf den Namen Jesu erfolgen. Dadurch entsteht eine heilbringende Beziehung zwischen Jesus und dem Glaubenden. Sie wirkt Vergebung und Empfang des Heiligen Geistes.
Die Geschichte geht dann so weiter, dass sich wirklich sehr viele taufen ließen, an die 3000 Menschen. Damit war die erste Gemeinde gegründet, die den Grundstein der Kirche bildet.
Und es ist gut, dass wir uns daran heute erinnern, denn das verlieren wir oft aus dem Blick. Wir gehören alle zur Kirche dazu, zu verschiedenen Konfessionen und Gemeinden, d.h. wir glauben an Jesus Christus und leben das auch. Doch was das im Innersten bedeutet, vergessen wir manchmal. Denn wir gehen oft in all den Dingen und Ereignissen auf, die es in unsren Gemeinden gibt. Wir besuchen Gottesdienste und Veranstaltungen, engagieren uns und bringen uns ein, treiben Theologie und Religionswissenschaft. Und häufig halten wir das alles für das Wesentliche, darin erschöpft sich unser Christsein.
Und deshalb kommt es zwangsläufig zu Unterscheidungen. Kein Mensch ist wie der andere, und so ist es auch verschiedenartig, wie wir unseren Glauben leben. Denn jeder und jede hat ihre Geschichte, ihre Prägung und ihre Theologie, und das betonen wir auch gerne. Die Unterschiede gewinnen an Bedeutung, wenn wir darin aufgehen, was wir als Christen alles so denken und veranstalten. Und so kommt es zwangsläufig zu Trennungen und Abspaltungen, denn so viele Menschen können sich unmöglich auf eine Form oder eine Denkweise einigen. Der Weg zur Einheit der Kirche kann deshalb auch nicht darin bestehen, dass wir darüber diskutieren, wie wir am besten den Gottesdienst feiern, die Kirche verstehen usw.
Wir müssen uns vielmehr auf den Ursprung besinnen und immer wieder den Geist Christi empfangen. Christus ist auferstanden, er sitzt zur Rechten Gottes und das heißt, er ist mitten unter uns. Er ruft uns jeden Tag zur Umkehr, d.h. zum Blick auf ihn. Er möchte, dass wir ihn erkennen und seine große Macht, dass wir Hoffnung haben angesichts des Todes und Mut zum Leben. Auch unser Herz muss immer wieder durchdrungen werden von seinem Geist, wir müssen uns im Innersten treffen und „verwunden“ lassen. Das ist das Entscheidende an unserem Glauben, da beginnt die Kirche und Einheit, nach der wir uns sehnen. Denn der Geist und die Kraft Christi ist einer. Es gilt, dass wir uns in der Mannigfaltigkeit des Lebens immer wieder auf diesen Einen gründen, ihn erfassen und in uns hineinlassen.
Damit beginnt die Ökumene, denn dann spielt es keine Rolle mehr, ob es drei oder 350 verschiedene Kirchen gibt, entscheidend ist etwas ganz anderes: Es ist die lebendige Gegenwart des Geistes Christi, der uns alle durchdringt und eint.

Wir wollen uns für den Heiligen Geist Christi deshalb jetzt öffnen und ihn in unser Herz einziehen lassen. Wir werden still, und jeder und jede hat Zeit für sich selber.
Sie sind eingeladen, sich daran zu erinnern, wie es in Ihrem Leben war, als Sie zum Glauben kamen. Und wie haben Sie den Weg in die Gemeinde gefunden?
Sie können an diese Erfahrungen anknüpfen, um neu zu spüren, dass der Geist Christi immer noch lebendig ist und uns alle in Bewegung setzt.
Amen.


Nach der Predigt bestand die Möglichkeit, über die Fragen nachzudenken.

Dann haben wir uns  gegenseitig Anteil an unseren Gedanken gegeben. Vier Teilnehmende hatten ein persönliches Bekenntnis vorbereitet. Es waren Antworten auf folgende Fragen:
1. Wie der Glaube in mir erwachte
2. Wie ich zur Gemeinde kam
3. Was ich in der Gemeinde tue
4. Was ich in der Ökumene tue

Anschließend wurden alle eingeladen, zu einer oder mehrerer der vier Fragen ebenfalls ein persönliches Bekenntnis zu formulieren und es auf eine Karte zu schreiben. Die Karten hatten bewusst die Farbe und Form eines Ziegelsteins und wurden in den Umriss einer Kirche eingefügt.  Auf diese Weise wurde versinnbildlicht, dass sich die Kirche aus uns allen mit unseren verschiedenen Wegen und Erfahrungen zusammensetzt.

Über die Vorherbestimmung

Predigt über Römer 8, 26- 30:
Die Gewissheit des Heils

6. Sonntag nach Ostern, Exaudi, 1.6.2014, 11.00 Uhr
Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Schwache Schüler bleiben im Unterricht zurück, es sei denn sie bekommen Nachhilfe. In Mathematik ist das oft so. Das ist für viele ein schweres und fremdes Fach. Sie brauchen einen privaten Lehrer, der ihnen zusätzlichen Unterricht gibt, damit sie den Stoff wirklich verstehen und in der Schule folgen können. Meistens sind die Eltern dahinterher, weil sie ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder gut sind. Es ist ihnen auch etwas wert: Sie müssen die Nachhilfestunden normalerweise ja bezahlen. Unmittelbar vor einer Klassenarbeit werden sie oft besonders intensiv, denn dann wird alles noch einmal durchgegangen und geübt. Viele schaffen es deshalb auch, einigermaßen gute Zensuren zu erzielen.
Einfacher wäre es natürlich, wenn die Schüler sich von ihrem Nachhilfelehrer vertreten lassen könnten, und so manche wünschen sich das sicher auch heimlich. Doch das geht nicht, sie sollen schließlich selber zeigen, was sie können, und müssen ihre Leistungen eigenständig erbringen. Sich vertreten zu lassen, wäre in diesem Fall völlig unsinnig.
Beim Gebet ist das anders, jedenfalls behauptet Paulus das. Wenn wir dazu selber zu schwach sind, bekommen wir ebenfalls Nachhilfe, im Unterschied zur Schule kostet sie allerdings nichts, und wir werden im Ernstfall vertreten. Es ist der „Geist Christi, der unserer Schwachheit aufhilft und vor Gott für uns einspringt“. So steht es im Römerbrief im achten Kapitel. Ein Abschnitt daraus ist heute unser Predigttext, es sind die Verse 26 bis 30. Sie lauten folgendermaßen:

Römer 8, 26- 30

26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.
27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.
28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.
30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Lassen Sie uns zunächst versuchen, diesen Text zu verstehen. Es ist wie gesagt ein Abschnitt aus dem achten Kapitel des Römerbriefes, und das handelt vom „Leben im Geist“ und der „Gewissheit des Heils“. Paulus beschreibt das hier sehr ausführlich, weil er die Christen trösten will.
Der Hintergrund seiner Ausführungen ist nämlich das Leid und der Tod, unter dem alle Menschen, ja die ganze Schöpfung, gefangen ist. Sie sehnt sich nach ihrer Erlösung, „seufzt und ängstigt sich“, und mit ihr zusammen alle Christen. Sie sind längst noch nicht endgültig frei von der Vergänglichkeit und damit von Angst und Unsicherheit. Sie fühlen sich genauso schwach und beladen wie alle anderen. Oft wissen sie noch nicht einmal, was und wie sie beten sollen. Sie erkennen nicht, was wahr und richtig ist, was Gott hören will und von ihnen möchte. Sie verfallen immer wieder in Sünde und Schuld und werden Gott nicht gerecht. Das erwähnt Paulus in den vorhergehenden Versen.
Trotzdem dürfen sie sich des Heils gewiss sein, das ist hier die Botschaft. Denn es gibt jemanden, der für sie da ist: Der Geist kommt den Glaubenden in ihrer Schwachheit zu Hilfe. Damit meint Paulus den Geist Christi. Er wirkt in allen, die an ihn glauben, gibt ihnen Kraft und hilft ihnen auf, und zwar umsonst, sie müssen nichts dafür bezahlen. Und dann vertritt er sie sogar noch vor Gott. Er kennt die rechten Gebete und kann aussprechen, was keinem Menschen möglich ist. Deshalb dürfen die Glaubenden gewiss sein, dass Gott sie versteht. Durch den Geist Christi dringen ihre Gebete an Gottes Ohr, sie können darauf vertrauen, dass er sich ihnen zuwendet, sie befreit und rettet.
Paulus begründet das – wie gesagt – mit dem Beistand des Geistes Christi, doch dann setzt er noch ein Argument und einen Gedanken oben drauf, und zwar spricht er von dem „Ratschluss Gottes“, nach dem die Glaubenden zum Heil „berufen“ sind. Sie sind von vorne herein „ausersehen“ und „vorherbestimmt“, „gerecht gemacht“ und „verherrlicht“. Gott hat vor aller Zeit und Welt bereits seine Gnadenwahl getroffen. Und das ist der tiefste und sicherste Grund der Heilsgewissheit: Noch ehe sie zum Glauben fähig waren, hat Gott die Glaubenden aus freier Gnade heraus ausgesucht und dazu prädestiniert, „dem Bild seines Sohnes gleich zu werden“, d.h. mit ihm aufzuerstehen und ewig zu leben.
Den Christen kann also nichts mehr passieren, sie können bei keiner Prüfung, die ihnen auferlegt wird, durchfallen. Selbst der Tod hat für sie seine Schrecken verloren, denn sie gehen darin nicht unter. Sie werden von der Hand Gottes immer und überall aufgefangen.
Und das dürfen wir ruhig auf uns anwenden. Wir gehören zu den Auserwählten dazu, das will Paulus all seinen Lesern und Leserinnen sagen. Wir müssen uns keine Sorgen machen, brauchen keine Angst zu haben, dass Gott uns eventuell abweist. Denn er hat selber ein Interesse an uns. Bevor wir zu ihm beten, hat er längst die Initiative ergriffen und uns zu seinem Eigentum gemacht. Er will uns, er ist uns ganz nah, und wir dürfen mit ihm zusammen sein. Wir gehören zu den Heiligen, die er im Leben hier auf der Erde begleitet, die nach dem Tod auferstehen und am Ende der Welt in seine Herrlichkeit eingehen. Nichts kann uns von ihm trennen, weder Angst noch Schuld, weder Schwachheit noch Sünde.
Das ist der Gedanke, mit dem Paulus uns endgültig Gewissheit verschaffen möchte, dass wir gerettet sind. Es ist die sogenannte Prädestinationslehre, die er hier formuliert, die Lehre von der Vorherbestimmung. Wir finden sie an mehreren Stellen in seinen Briefen.
Aber gefällt sie uns auch? Theologen aller Zeiten haben sich darüber unendlich viele Gedanken gemacht. Denn sowie wir das hören, tauchen unsere Fragen auf. Die erste ist die nach den nicht Auserwählten, die muss es dann ja auch geben, und wir fangen an zu spekulieren, wer das wohl ist, und warum sie nicht dazu gehören. Und wie sollen die leben? Sie haben nie eine Chance! Sie können nichts dafür, und werden einfach so von Gott missachtet und fallen gelassen. Das ist doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die wir auf keinen Fall akzeptieren. An so einen Gott wollen wir nicht glauben. Das ist das erste Problem, das hier auftaucht.
Und es gibt noch eine Frage. Selbst wenn wir die Auserwählung trotzdem anerkennen, besteht ein anderer Einwand darin, dass wir uns dann ja nicht mehr anstrengen müssen, um im Leben und vor Gott zu bestehen. Wenn wir gar nicht selber dafür verantwortlich sind, ob wir nun gerettet werden oder nicht, dann müssen wir uns auch um nichts mehr bemühen. Alles ist Schicksal, und damit ist es ganz egal, was wir tun. Jede Moral ist sinnlos. Wir können leben, wie wir wollen. Das klingt im ersten Moment vielleicht ganz attraktiv, aber auch der Gedanke entspricht nicht unseren Vorstellungen.
Viele Leute lehnen die Lehre von der Vorherbestimmung deshalb ab. Und weil Paulus sie formuliert hat, schließen sie ihn in ihre Aversion gleich mit ein. Sie wollen mit Paulus nichts zu tun haben, seine Gedanken sind zu schrecklich und zu fremd.
Aber ist es eine Lösung, Paulus zur Seite zu legen und seine Briefe einfach nicht mehr zu lesen? Wenn wir das tun, könnten wir die ganze christliche Theologie eigentlich gleich mit beerdigen. Alles, worüber sich die Christen jemals Gedanken gemacht haben, gehört dann in den Papierkorb, denn ohne Paulus gäbe es nichts davon. Er ist der Begründer unserer Lehre, weil er sich als erster mit allen Fragen auseinandergesetzt hat, die der christliche Glaube aufwirft: mit der jüdischen und der griechischen Tradition, mit Fragen des Gottesdienstes und der Sakramente. Wir finden bei ihm Überlegungen zur rechten Lebensführung, zum Grund unserer Hoffnung und zum Ursprung der Liebe. Er hat über Vergebung und Auferstehung nachgedacht, über Tod und Leben.
Es wäre demnach dumm, ihn einfach bei Seite zu schieben. Wir sollten ihn ernst nehmen und damit auch seine Aussagen zur Prädestination. Es lohnt es sich durchaus, ihm einmal zuzuhören und seinen Gedankengang nachzuvollziehen.
Was die erste Frage betrifft, die nach den nicht Auserwählten, so geht sie z.B. völlig an seiner Absicht vorbei. An die denkt er hier nicht und deshalb sagt er dazu nichts. Er weiß, dass das nicht geht. Wir finden dazu keine Lösung. Natürlich können wir darüber spekulieren, wer nun dazu gehört und warum, aber es ist müßig. Gott allein kennt die Antwort, doch er behält sie für sich. Das einzige Ergebnis unseres Fragens ist ein unsinniges Kopfzerbrechen. Es ist wie eine Falle, in die wir tappen, denn wir landen in einer gedanklichen Sackgasse, wir geraten in düsteres Grübeln. Das können wir natürlich wählen, aber die Botschaft, die Paulus hier formuliert, verfehlen wir dadurch.
Wir müssen uns also entscheiden, welchen Gedankengängen wir folgen, in welche Richtung wir unser Bewusstsein lenken wollen.
Lassen Sie uns deshalb einmal die andere Möglichkeit ausprobieren und der Absicht von Paulus nachgehen. Vielleicht lohnt es sich ja. Auf jeden Fall will er uns allen die Gewissheit geben, dass wir gerettet sind, dass Gott uns längst zuvor gekommen ist, wenn wir an ihn glauben. Und das ist ja eine sehr Mut machende Botschaft.
Für Paulus heißt das auch mitnichten, dass wir damit aller Verantwortung entledigt werden. Das war der zweite kritische Einwand, über den wir nachdenken müssen, dass es völlig egal ist, wie wir leben, wenn sowieso alles vorherbestimmt ist. Das ist es nämlich keineswegs. Denn mit dem Hören dieser Botschaft geht die Aufforderung einher, unsere Bestimmung auch zu erkennen, zu begreifen, dass Gott uns wirklich will, und dem gemäß zu leben.
Das ist gar nicht so einfach und schon gar nicht selbstverständlich, denn normaler Weise sind wir weit von diesem Bewusstsein entfernt. Es ist ja eine Anfrage an unsere Autonomie. Am liebsten wollen wir doch selber bestimmen, wo es lang geht, uns selber retten und unseren eigenen Ideen folgen. Wir denken uns gerne allein aus, wer wir sein und was wir aus unserem Leben machen wollen. Das soll niemand anders für uns tun. Wir sind lieber selbstbestimmt als vorherbestimmt.
Und genau das wird hier in Frage gestellt, an dem Punkt werden wir herausgefordert und in die Verantwortung gerufen: Wir sollen erkennen, das Gott uns zuvor berufen hat und wir seine Kinder sind. Wir würden damit viel vergebliche Mühe und Unruhe abstreifen. Die machen wir uns nämlich mit unserer Autonomie. Wir können es erheblich einfacher haben, wenn wir nur begreifen, dass der Allmächtige unser Leben von vorneherein in der Hand hat. Das ist eine unerhörte und befreiende Botschaft: Wir kommen bei Gott vor, gehören in seinen Plan, und sind eingeladen, unser Leben dieser großartigen Zusage zu widmen, sie zu verstehen und unsere Bestimmung zu entdecken.
Darin liegt die Verantwortung, die wir als Christen haben, und die bedeutet ganz viel. Sie hat eine starke Wirkung. Denn wenn wir das versuchen, verändert sich unser Bewusstsein und damit unser ganzes Leben. Wir fragen ja viel weiter und suchen tiefer, als wenn wir nur unseren eigenen Ideen folgen. Wir werden aus der Enge unser Gedanken herausgeführt und in den Plan Gottes eingeweiht. Wir merken, wir müssen uns nicht selber erfinden und schon gar nicht retten. Wir müssen weder groß noch stark sein, weil Gott uns zu sich emporhebt. Der Geist Christi zieht in uns ein und vertritt uns, und dadurch gewinnen wir eine große Freiheit und Gelassenheit. Das Leben wird leichter und schöner, heiterer und freudiger. Es ist so, als wenn Nachhilfeunterricht nichts kostet und wir auch noch von unserem Nachhilfelehrer in der entscheidenden Situation vertreten werden.
Und natürlich wirkt sich das auch auf unseren Alltag und unser Miteinander aus, es verändert unsere Moral, die geht mitnichten verloren. Denn weil uns umsonst geholfen wird, können wir das auch tun. Es gibt viele Situationen, in denen wir aus der christlichen Freiheit und Liebe heraus anderen unseren Dienst anbieten können.
Zum Glück geschieht das ja auch. Nicht jede Dienstleistung kostet Geld, weil es Menschen gibt, die sie ehrenamtlich verrichten. Dazu gehört z.B. auch unentgeltliche Nachhilfe. Die wird durchaus in unserer Stadt für benachteiligte Kinder von Freiwilligen organisiert und angeboten. Und das ist gut, so wie jeder ehrenamtliche Einsatz. Er kann widerspiegeln, was wir von Gott empfangen haben.
Es ist also entscheidend und folgenschwer, dass wir immer wieder den Geist Christi empfangen, ihn in uns beten lassen und unserer Bestimmung gemäß leben, dass wir von Gott geliebt und in alle Ewigkeit gerettet sind.
Amen.