In Frieden zur Ruhe kommen

Predigt über Lukas 2, 22- 35: Der Lobgesang des Simeon
Vorabend vom Sonntag nach Weihnachten, 30.12.2023, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Lukas 2, 22- 35

22 Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn hinauf nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen,
23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn: »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«,
24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben«
25 Und siehe, ein Mensch war in Jerusalem mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war auf ihm.
26 Und ihm war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.
27 Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
31 das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,
32 ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.
34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass viele in Israel fallen und viele aufstehen, und ist bestimmt zu einem Zeichen, dem widersprochen wird –
35 und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden.

Liebe Gemeinde.

Worauf hoffen und vertrauen wir? Was trägt und erfüllt uns? Was macht uns Mut und gibt uns Trost? Wer durchbricht unsere Einsamkeit? Diese Fragen beschäftigen uns immer wieder, besonders, wenn wir auf einen Zeitabschnitt zurückblicken. Und das tun wir heute in mehrfacher Hinsicht: Wir sind am Ende des Tages angekommen, am Ende der Woche und auch am Ende des Jahres. Für einige von euch ist vielleicht sogar das Ende des Lebens bereits in Sicht und beschäftigt euch in Gedanken.

So ging es Simeon, einem alten Mann, der im Lukasevangelium in den sogenannten Kindheitserzählungen über Jesus erwähnt wird. Die Episode, um die es geht, schließt sich an die Geburtsgeschichte an und spielt im Tempel von Jerusalem. Das Gesetz des Moses schrieb vor, dass eine Frau 40 Tage nach der Geburt in den Tempel gehen sollte, um dort ein Opfer zu bringen. Sie galt dann wieder als rein, denn ihre Blutungen hatten mit Sicherheit aufgehört. Maria verhielt sich entsprechend und sie hatte ihr Kind dabei. Denn für einen Erstgeborenen galt, dass er gleichzeitig dem Herrn dargestellt werden sollte, d.h. er sollte in besonderer Weise zu Gott gehören.

Und dort im Tempel traf Maria Simeon, einen „gerechten und frommen“ alten Mann. Sein Leben lang wartete er auf „den Trost Israels“, den Retter, den die Propheten verheißen hatten. Er war ein „Träger des Heiligen Geistes“, also ein Prophet, der ganz nach den Weisungen Gottes für das persönliche Leben handelte. In einer Offenbarung war ihm mitgeteilt worden, dass er die Geburt des Messias noch erleben würde. Vom Geist geleitet kommt er nun an demselben Tag wie Maria in den Tempel und sieht, wie die Eltern das Kind an diese heilige Stätte bringen. Er nimmt es zärtlich auf die Arme und erlebt in diesem Augenblick die Erfüllung seiner Sehnsucht und Hoffnung, die ihn das Gotteslob anstimmen lässt. Voll Freude preist er Jesus mit einem Hymnus und segnet seine Eltern.

Er beginnt mir der Anrede „Herr“, damit meint er Gott, und erklärt seine Bereitschaft, nun zu sterben. Er kann jetzt „in Frieden fahren“, denn er hat das Ziel erreicht, das Gott für ihn vorgesehen hat. Seine Seele ist ruhig geworden, seine Sehnsucht ist gestillt. Er kann im Bewusstsein des Heils Abschied nehmen. Sein Leben ist nicht nutzlos gewesen, denn nun „sehen seine Augen das Licht, das die Heiden erleuchtet“, d.h. die ganze Welt erhellt.

Wir nennen sein Lied den „Lobgesang des Simeon, und es wird bis heute gesungen. Er ist z.B. in das Nachtgebet der Kirche eingegangen. Und wie es bei allen biblischen Gesängen üblich ist, gehört eine Antiphon dazu, ein Kehrvers, der am Anfang und am Ende gesungen wird. Er lautet für den Gesang des Simeon: „Bewahre uns, Herr, wenn wir wachen, behüte uns, wenn wir schlafen, auf dass wir wachen mit Christus und ruhen in Frieden.“ (EG 786.10) Es ist eine Bitte um Hilfe und Schutz während der Nacht. So wie Christus uns „bewahrt, wenn wir wachen„, möge er uns auch „im Schlaf behüten“ und uns „in Frieden ruhen“ lassen. Und das passt gut zu den Versen von Simeon. Er bekennt sich dazu, dass Christus das kann, und dass seine Seele dadurch still und zufrieden geworden ist. Wir sind eingeladen, es ihm gleich zu tun und uns immer, wenn etwas zu Ende geht, Christus anzuvertrauen.

Es gibt deshalb auch ein Abendlied, das seinen Hymnus enthält: „Christe, du bist der helle Tag“. (EG 469) Nach dem Abendmahl singen wir es ebenfalls gerne mit dem Text: „Im Frieden dein, o Herre mein, lass ziehn mich meine Straße.“ (EG 222) Und Luther dichtete nach seinen Worten ein Lied, das im Gesangbuch zu der Rubrik gehört, „Sterben und ewiges Leben“. Es beginnt mit der Zeile: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin in Gotts Wille; getrost ist mir mein Herz und Sinn, sanft und stille.“ (EG 519)

Und zu all diesen Situationen passt das Lied tatsächlich sehr gut. Ich erwähnte am Anfang, dass wir heute an vier Dinge denken, die zu Ende gehen: der Tag, die Woche, das Jahr und das Leben. Lasst uns diese Begebenheiten noch einmal durchgehen und fragen, wie das Lied des Simeon darauf eingeht.

Das erste ist der Abend, das Ende des Tages. Da kommt irgendwann die Müdigkeit. Tagsüber waren wir aktiv, haben gearbeitet, Menschen getroffen, geredet, gelacht oder geweint. Nun kommen die Stunden, in denen wir uns ausruhen dürfen. Das ist schön, wir freuen uns darüber und entspannen uns.

Doch nicht immer gelingt uns das. Oft nehmen wir das Erlebte mit in den Abend und in die Nacht, und manchmal sind es Dinge, die uns umtreiben und am Einschlafen hindern. Die Dunkelheit ist nicht nur um uns herum, sie ist auch in uns und bedrängt uns vielleicht.

Dann ist es gut, wenn wir uns daran erinnern, dass es ein Licht gibt, das selbst „die Heiden erleuchtet“. Besonders am Abend kann uns das trösten, denn es relativiert unsere persönlichen Nöte, es dringt durch jede Finsternis, ist universal und scheint überall. Es wurde uns mit dem Kind Jesus geschenkt, und es tut gut, wenn auch wir dieses Kind im Geist an uns drücken, bevor wir uns schlafen legen, wenn wir es umarmen und seine Liebe empfangen. Dann werden unsere Probleme kleiner und unsere Seele ruhig.

Aber auch am Ende der Woche kann das Lied des Simeon uns etwas sagen. Jede Woche hat einen Rhythmus, sie besteht aus vielen Tagen, jeder hat seinen eigenen Charakter. Oft wiederholen sich bestimmte Geschehnisse Woche für Woche, manchmal passieren auch unvorhergesehene Dinge. Es gibt Hohes und Tiefes, einiges gefällt uns gut, anderes sind eher Pflichten. Schönes und Schweres ist dabei, es ist uns etwas gelungen, anderes nicht.

Am Wochenende dürfen wir von all dem ausruhen, so wie Gott es nach der Erschaffung der Welt tat. „Er ruhte von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.“ heißt es am Ende der Schöpfungsgeschichte. (1. Mose 2,2) Das sollen auch wir, und es hilft, wenn wir uns fragen: Habe ich in der vergangenen Woche „den Heiland gesehen“? Habe ich mir bewusst gemacht, dass Gott da ist? Wenn es noch nicht geschehen ist, ist jetzt der Augenblick dafür gekommen, damit auch wir am Ende der Woche singen können: „Meine Augen haben den Heiland gesehen.“ Das ist das zweite, wozu das Lied uns einlädt.

Und drittens ist heute das Ende des Jahres ganz nah, morgen ist der letzte Tag. Da halten wir ganz bewusst Rückschau: Wir haben die Feste gefeiert, die jedes Jahr wieder kommen, hatten Geburtstag, sind durch die verschiedenen Jahreszeiten gegangen usw. Unser Lebensweg wird uns bewusst. Und natürlich denken wir in dem Zusammenhang auch an all die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, die sich zugetragen haben. Vieles davon beunruhigt uns, es ist bedrohlich und schrecklich.

Da ist es gut, wenn wir daran glauben können, dass es das „Heil für die Völker“ gibt, besonders „für Israel“, wie Simeon bekennt. Wir sollten nicht nur auf das Schlimme schauen, sondern auch auf das Gute, und Gott trotz allem loben und ihm danken. Was auch immer in der Welt und in unserem Leben geschieht, er ist da und meint es gut mit uns. Das Leid entsteht fast ausschließlich dadurch, dass die Menschen das vergessen und es missachten. Doch zu denen müssen wir nicht gehören. Wir können uns unter den Willen Gottes beugen, seine Macht anerkennen und ihn ehren. Auch dazu lädt der Lobgesang des Simeon uns ein.

Und das Letzte, das ich anfangs erwähnt habe, ist das Ende unseres Lebens. Wir werden alle älter, es lässt sich nicht aufhalten. Wenn wir jung sind, macht es uns nichts aus, da sind wir gespannt und voller Pläne. Im Alter ändert sich das, denn da werden wir schwächer, unsere Lebenskreise werden kleiner, und wir sind irgendwann auf Hilfe angewiesen. Das ist nicht leicht, es macht uns Angst und vielleicht so ein bisschen bitter.

Deshalb ist es gut, wenn wir wie Simeon loslassen und Abschied nehmen. Er beginnt sein Lied mit dem Satz: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“ Er ist bereit, zu sterben, denn er weiß, er hat das Ziel nicht verfehlt. Das Licht, das er erblickt, verheißt ihm auch: Nach dem Tod kommt noch mehr, das Schönste liegt noch vor mir. In dem Kind Jesus leuchtet die Ewigkeit auf, und die wirft ihre Strahlen bereits auf seinen Weg. Sie leuchtet von vorne und macht ihm den Abschied leicht.

All das enthält das Lied des Simeon, und deshalb ist es – wie gesagt – bis heute in unserer Tradition lebendig: als sogenanntes Canticum, d.h. als Neutestamentlicher Gesang im Nachtgebet, als Lied am Abend, nach dem Abendmahl und beim Sterben. Dabei kann man diese Lieder ruhig auch bei anderen Gelegenheiten singen. So enthält das eine zwar eine Strophe, die sich auf das Abendmahl bezieht, aber das kann man auch bildlich verstehen. Sie lautet: „Mir armen Gast bereitet hast das reiche Mahl der Gnaden. Das Lebensbrot stillt Hungers Not, heilt meiner Seele Schaden. Ob solchem Gut jauchzt Sinn und Mut mit alln, die du geladen.“ (EG 222,2). Auch wenn wir nicht gerade das Abendmahl gefeiert haben, können wir dafür trotzdem danken, denn das „Lebensbrot“ gibt es immer. Der Ausdruck kann ein Gleichnis dafür sein, dass Gott unseren inneren „Hunger“ stillen und „unsere Seele heilen“ möchte. Und das tut er auf vielerlei Weisen, das Abendmahl ist nur eine davon. Gott „schenkt uns seine Gnade“ ebenso im Gottesdienst, beim Gebet, in Begegnungen und besonderen Momenten. Er wartet zu jeder Zeit auf uns und „lädt uns ein“, in seine Gegenwart zu treten. Lasst uns darüber „jauchzen“ und seine „Freundlichkeit verkünden“, im Leben und im Sterben.

Amen.

Wir sind Kinder Gottes

Predigt über Galater 4, 4- 7: Befreiung zur Gotteskindschaft

Heiligabend, 24.12.2023, 17 Uhr, Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

„Morgen, Kinder, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun. Welch ein Jubel, welch ein Leben wird in unserm Hause sein. Einmal werden wir noch wach, heißa, dann ist Weihnachtstag.“

Das haben Sie gestern vielleicht gesungen oder zumindest gedacht, und heute ist es soweit. Das Fest ist da und die Freude ist groß, so wie auch „im vor’gen Jahr es am Weihnachtsabend war.“ „Die Stube glänzt von der großen Lichterzahl“, wir singen Lieder und hören die Glocken.  

Aber ist es wirklich alles so wunderschön, hell und fröhlich, wie das Lied es beschreibt? Wir wünschen uns das zwar, bereiten alles vor und tun, was wir können, damit das Fest gelingt. Aber so ganz einfach ist es ja nicht, dass die Weihnachtsfreude auch wirklich kommt. Kindern fällt das leichter, als uns Erwachsenen, und so ein bisschen sehnen wir zu Weihnachten auch in unsere Kindheit zurück. Wir würden gerne noch einmal Kinder sein. 

Und das ist möglich, es wird uns Weihnachten sogar verheißen. Unser Predigttext handelt davon. Er steht im Brief des Paulus an die Galater im 4. Kapitel und lautet folgendermaßen:

Galater 4,4- 7

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Paulus schreibt das den Menschen in der Gegend Galatien, das liegt in der heutigen Türkei. Er war dort als Missionar tätig gewesen, und viele Menschen hatten die Botschaft angenommen, dass Gott durch Jesus Christus gekommen war und allen seine Liebe schenkte. Paulus hatte mit ihnen, den Bekehrten, eine Gemeinde gegründet und war dann weitergereist.

Doch nicht lange nach seinem Wirken waren Leute in die Gemeinde eingedrungen, die behaupteten, dass der Glaube an Jesus allein doch nicht ausreichte. Sie ermahnten die Menschen, auch weiterhin das jüdische Gesetz einzuhalten, sonst würde Gott sie nicht lieben.  

Paulus hörte davon, und es ärgerte ihn. Er schrieb deshalb seinen Brief, in dem er auf diese Fragen einging. Das Thema kommt auch in unserem Abschnitt vor. Paulus sagt da: Jesus Christus hat die, „die unter dem Gesetz waren, erlöst.“ Die Menschen sollten keine Knechte Gottes mehr sein, sondern seine Kinder. Sie sind frei vom Gesetz geworden, weil seine Liebe in Jesus Christus erschienen ist. Wer an ihn glaubt, wird selber ein Kind Gottes, und zwar völlig umsonst. Er muss überhaupt nichts dazu tun, es wird ihm einfach geschenkt. Gott nimmt jeden und jede, die an Jesus Christus glaubt, aus Gnaden an. Keiner muss mehr etwas leisten, um ihm gerecht zu werden.

Der Geist Christi wirkt vielmehr in denen, die Kinder Gottes geworden sind, und lässt sie frei vor Gott treten. Das verspricht Paulus den Galatern mit den Worten: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: ,Abba, lieber Vater.’“ „Abba“ heißt so viel wie „Papa“. Im Judentum war es völlig unüblich, Gott so anzureden, das traute sich niemand. Aber Paulus hat das von Jesus übernommen, und der tat es ganz bewusst, um zu zeigen, dass Gott uns nahe ist. Wir dürfen ihn alle so nennen. Christen und Christinnen dürfen vor Gott treten wie Kinder vor ihren Vater. Das Verhältnis ist von Liebe und Vertrauen geprägt. Seitdem Gott seinen Sohn gesandt hat, hat sich also etwas zwischen ihm und den Menschen geändert. Alle, die an ihn glauben, sind seine Söhne und Töchter geworden. 

Das ist die Weihnachtsbotschaft, und sie enthält die Verheißung, dass wir durchaus so etwas erleben können, wie die Kinder, Freude und Unbeschwertheit, Freiheit und Sorglosigkeit.

Doch wie geht das nun? Den Kindern ist es vielleicht möglich, aber wie ist es mit uns Erwachsenen? Wir denken ja viel mehr nach, wissen auch mehr und hören täglich schlimme Nachrichten. Der Spiegel hat auf die Titelseite seiner Jahres-chronik die Schlagwörter geschrieben: „Kriege, Klima, künstliche Intelligenz“. Und darunter steht: „Die Welt im Wandel“. Damit ist fast schon alles gesagt, auf jeden Fall sind es die Themen, die uns wirklich beunruhigen. Sie machen uns Angst und verunsichern uns. Können wir überhaupt unbeschwert Weihnachten feiern, angesichts all dieser Bedrohungen? Wie verhalten wir uns am besten?

Mir sind dazu weitere Wörter eingefallen, die mit dem Buchstaben „K“ beginnen. Die einen „krakeelen, kleben und kämpfen“, andere setzen auf „Kerzen, Kekse und Kuscheln“. Es gibt jedenfalls ganz verschiedene Wege und Methoden, auf die Probleme der Zeit zu reagieren. Wir können aktiv werden, protestieren und uns einmischen. Eine andere Möglichkeit ist es, Augen und Ohren zu verschließen, die Probleme zu ignorieren und sich ins Private zurückzuziehen. Dazwischen gibt es natürlich noch weitere Methoden, wie wir mit dem Leben und der Welt am besten fertig werden. Es gibt da viele Ideen und Wege, und die sind auch legitim und gut. Wir dürfen rebellieren, es uns einfach gemütlich machen oder was auch immer. Jeder und jede ist frei, das zu tun, was ihm oder ihr am meisten liegt.

Doch wie passt die Weihnachtsbotschaft da nun rein? Sie scheint gegen all das irgendwie zu verblassen, sie kommt uns schwach und unbedeutend vor.

Aber ist sie das wirklich? Auch sie handelt von etwas, das mit „K“ beginnt, und zwar von einem „Kind“ in einer „Krippe“, das noch ganz „klein“ war. Und dieses Kind ist kein gewöhnliches, sondern der Sohn Gottes. Was uns zu Weihnachten verkündet wird, liegt demnach auf einer ganz anderen Ebene, es durchbricht unser herkömmliches Denken und Handeln. Das gilt es, zu erfassen, und das heißt, wir müssen uns auf einen bestimmten inneren Vorgang einlassen. Paulus nennt ihn das „Wirken des Geistes Jesu“. Der kann in uns beten, d.h. er öffnet uns für eine tiefere Dimension. Und am besten empfangen wir ihn, wenn wir vieles von dem, was Kinder noch haben, bewusst einüben und wieder gewinnen.

Das ist zunächst einmal ihr Vertrauen. Kinder stellen zwar auch Fragen und wollen vieles wissen, aber wenn sie eine Antwort bekommen, glauben sie auch, dass sie wahr ist. Sie sind offen und unbefangen und nehmen sie an. Und das wäre das Erste, was wir wieder lernen müssten, jedenfalls in unserer Beziehung zu Gott: Dass wir ihm vertrauen und an ihn glauben. Damit durchbrechen wir sowohl die Privatheit als auch den Aktivismus. Wir lassen uns in unserer Seele anrühren und bewegen, wir empfangen etwas und lassen es wirken. Wichtig ist also, dass wir „klein werden“ und uns in die Gegenwart Gottes stellen.

Und damit sind wir auch schon bei der zweiten Eigenschaft, die Kinder haben: Es ist ihre Nähe zum Augenblick. Natürlich wissen sie, dass es gestern und morgen gibt, aber eine klare Vorstellung von den Zeiträumen haben sie nicht. Was jetzt geschieht, das ist interessant. Und auch das müssen wir wieder lernen. Wir sind mit unseren Gedanken oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft, sehnen uns zurück oder denken an das, was wir demnächst zu tun haben. Doch damit verpassen wir das, was jetzt ist, und dazu gehört auch die Liebe Gottes. Sie war nicht gestern da oder kommt morgen, sondern jetzt. Ganz gleich, was wir gerade zu tun haben, was uns umtreibt oder belastet, es gilt, jetzt darauf zu achten, dass wir von Gott geliebt sind. Gottes Liebe ist keine Geschichte von früher und auch Programm, bei dem wir mehrere Punkte abhaken. Sie ist vielmehr eine Kraft. Und die können wir auch spüren. Wir müssen nur verstehen, dass sie immer ganz nah ist.

Und das geht am besten, wenn wir zu ihm rufen wie Kinder zu ihren Eltern. Das ist ein dritter Punkt, der das Kindsein bestimmt: Kinder brauchen ihre Eltern, sie sind von ihnen abhängig und haben eine lebendige Beziehung zu ihnen. Sie rufen ihre Eltern, wenn sie Hilfe brauchen, reden mit ihnen und werden von ihnen ins Leben geführt. Und so ist es auch mit Gott: Er hört uns, wenn wir zu ihm rufen und will uns helfen. Dabei brauchen wir nicht viele Worte. Das kurze Gebet „Abba, lieber Vater“ reicht schon. Wenn wir es immer wiederholen, merken wir, dass es unseren Geist weit macht und uns mit etwas ganz Neuem erfüllt. Wir werden in die Nähe und Liebe Gottes hineingezogen und von ihm geführt.

Es gibt dazu einige schöne Verse von Angelus Silesius. Das war ein deutscher Lyriker, Theologe und Arzt. Er hieß mit bürgerlichem Namen Johannes Scheffler und lebte im 17. Jahrhundert. Einige Lieder in unserem Gesangbuch sind von ihm. Darin geht es hauptsächlich um die Liebe zwischen Gott und Mensch. Das war für ihn das wichtigste Thema. Sie kommt auch in seinen kurzen religiösen Gedichten vor, die der Mystik nahestehen. Mehrere Male hat er darin zum Ausdruck gebracht, dass wir uns dem Kindsein wieder annähern müssen, wenn wir Gott näherkommen wollen. So sagte er:

„Weil sich die Gottheit hat in Kindheit mir erzeiget, bin ich der Kindheit und der Gottheit gleich geneiget.
Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein, wo Gottes Kinder sind, die Tür ist gar zu klein.
Christ, so du kannst ein Kind von ganzem Herzen werden, so ist das Himmelreich schon deine hier auf Erden.“

Lassen Sie uns das beherzigen, dann erleben wir eine ganz große Freude und Freiheit, so wie die Kinder uns das zu Weihnachten vormachen. Lassen Sie uns das Vertrauen üben, gegenwärtig und wach sein und zu Gott rufen. Er zieht dann mit seinem Geist in uns ein und macht uns zu seinen Söhnen und Töchtern. Wir werden ganz tief angerührt und machen die wunderbare Erfahrung, dass Gott wirklich da ist und uns seine Liebe schenkt.

Amen.