Predigt über Römer 13, 8- 14: Die Liebe als Erfüllung des Gesetzes
1. Sonntag im Advent, 29.11.2015, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel
Liebe Gemeinde.
„Die Hauptstadt der Unzucht und Laster“, so bezeichnete eine „treue Gruppe der Armee des Kalifats“ – wie die Terroristen sich selber nennen – Paris. Sie nannten damit den Grund für ihre Anschläge am 13. November, mit denen sie die ganze Welt erschüttert haben. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ hat sich zu den abscheulichen Taten bekannt, und wir sind alle erschrocken und aufgewühlt.
Es beunruhigt uns schon lange, was diese Menschen im Na-hen Osten treiben. Nun rückt der Krieg, den sie führen, immer näher. Es sind religiöse Fanatiker, die in verheerender Weise meinen, das Gute zu tun. Am liebsten würden sie die Welt von aller Sünde und allen Lastern befreien, und deshalb muss jeder sterben, der nicht ihren Vorstellungen von einem gottwohlgefälligen Leben entspricht.
Unserem Denken ist das fremd. Wir haben uns längst an uns-ren freizügigen Lebenswandel gewöhnt und genießen ihn. Die Vorstellungen der Islamisten sind für uns vollkommen rückständig und brutal.
In der Bibel finden wir allerdings Stellen, die erinnern uns an das, was die Islamisten sagen, denn sie verurteilen ebenfalls die Laster und die Unzucht. Der Apostel Paulus tut das z.B. mehrfach, so auch in dem Abschnitt aus dem Römerbrief, der heute unsere Epistel und unser Predigttext ist. Es heißt dort am Ende:
„So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht. Sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.“ (V.12b.13.14b)
Paulus hat also auch etwas gegen die Sittenlosigkeit. Er warnt vor dem Lustprinzip, vor einer Vergnügungssucht, die kein Maß mehr kennt. Deshalb erinnert uns seine Einstellung an die radikalen Fundamentalisten.
Was bei Paulus allerdings ganz anders ist, sind die Gründe, die dahinter stehen, und auch die Konsequenzen, die er da-raus zieht. Seine Motivation liegt in dem Erscheinen Jesu Christi und dem, was er für das Heil der Welt getan hat. Und die Antwort auf die Sünden der Welt ist nicht ein rücksichtslo-ses Morden, sondern genau das Gegenteil: Paulus ruft zur gegenseitigen Liebe auf. Den Versen, die ich eben zitiert habe, gehen folgende Worte vorweg: „Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ (V.8-10) Paulus erinnert uns also an das, was Jesus gelehrt und gelebt hat: an die göttliche Liebe.
Dabei spielt sowohl bei Jesus als auch bei Paulus die Vorstellung eine Rolle, dass diese Liebe in ihrer ganzen Fülle noch kommen wird. Beide erwarteten das Reich Gottes, das Ende dieser Welt und die Wiederkunft Christi. Es wird bald eine ganz neue Weltordnung geben, die von Liebe und Friede untereinander bestimmt ist. Daran glaubten sie, und von dieser Verheißung her sollten die Christen leben. Deshalb raten sie davon ab, sich in der jetzigen Welt oder an sie zu verlieren. Sie ist im Vergleich zu dem neuen das „alte Zeitalter“. Von dessen Gesetzmäßigkeiten sollen sich die Christen nicht bestimmen lassen.
Paulus drückt das so aus: „Und das tut, weil ihr die Zeit er-kennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.“ (V.11) Das ist ein schönes Bild, das Paulus mit dem nächsten Vers noch genauer beschreibt. Er sagt: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.“ (V.12a) Er vergleicht diese Zeit, in der wir uns befinden, mit dem Ende der Nacht und dem ganz frühen Morgen, wo die ersten Lichtstrahlen anbrechen, und man aufwacht, wo ein neuer Tag sich anmeldet und zu neuem Leben und neuen Taten ruft. So ist diese Zeit, in der wir leben, und das soll unser Bewusstsein bestimmen.
Und damit meint Paulus nicht einfach nur ein gewisses Verhalten, für das wir uns entscheiden können, sondern ein neues Sein. Das wird an einem weiteren Bild deutlich, das er für dieses neue Leben gebraucht. Er sagt am Ende: „Zieht an den Herrn Jesus Christus.“ (V. 14a) Wie die Kleidung, die wir tragen, soll Jesus für uns sein. Er ist die Hülle, die uns umgibt und an der wir zu erkennen sind. Wer die Christen erlebt, soll wahrnehmen, was sie ausmacht und erfüllt.
Und das ist etwas völlig anderes als religiöser Fanatismus. In drei Schritten können wir uns klar machen, was diese Worte für uns bedeuten.
Zunächst einmal ist für Paulus die neue Welt schon da. Jesus Christus hat mit seinem Tod und seiner Auferstehung das Reich Gottes geöffnet. Wir müssen es also nicht selber herstellen. Es hängt nicht an uns und unserer Aktivität, ob es kommt. Es muss niemand dafür bekämpft und schon gar nicht ermordet werden. Wir müssen uns innerlich vielmehr darauf einstellen. Es gibt in dieser alten Welt bereits eine neue Welt, die wir gewinnen und in der wir leben können.
Und das heißt als Zweites, dass wir nicht die anderen, sondern uns selber ändern müssen. Es geht um unser Bewusstsein und die Frage nach den Prioritäten in unserem Leben. Dabei predigt Paulus hier keine Moral und kein Gesetz. Das sagt er ja selber. Er zählt einzelne Gebote auf und betont, dass es um die nicht geht. Er will uns also nichts vorschreiben, sondern nur ermahnen. Und zwar sollen wir einmal nach dem fragen, was das Wichtigste und was gut für uns ist.
Es gibt zerstörerische Kräfte, nicht nur außerhalb von uns selbst, sondern auch in unserem Inneren. Ein zügelloses Le-ben tut niemandem gut. Es ist rücksichtslos und egoistisch und führt oft zu Ungerechtigkeit. Es kann auch krank machen, und glücklich werden wir dadurch ebenfalls nicht. Denn so ein Leben nach dem Lustprinzip ist von Erwartungen und Wünschen geprägt, und die gehen oft nicht in Erfüllung. Es bleibt immer irgendetwas zu wünschen übrig. Die Menschen z.B., mit denen wir zusammenleben, sind nicht so, wie wir sie gern hätten. Wir setzen uns gegenseitig nur unter Druck. Und so verdüstern sich unsre Seele und unser Miteinander eher, als dass das Leben schön wird. Nicht umsonst vergleicht Paulus dieses Verhalten mit der Nacht. Es ist demnach gut, wenn wir uns an etwas anderem orientieren, als an unseren Leidenschaften. Dazu lädt Paulus uns hier ein. Das ist der zweite Punkt.
Und drittens nennt er eine ganz konkrete Alternative: Es ist die Liebe, denn in ihr „wird das ganze Gesetz erfüllt“. Sie ist die neue Dimension, die uns die Richtung weist. Sie ist wie ein „neuer Tag“ mit neuem Licht. Wir sollen uns für sie öffnen und bereithalten. Dann wird unser Leben schöner und heller. Und das heißt, dass wir einmal nicht zuerst nach unseren eigenen Bedürfnissen fragen, sondern nach denen der anderen, dass wir ihre Nöte beachten, ihre Fehler akzeptieren, für sie da sind und ihnen helfen. Das ist nicht so einfach, denn dazu gehört es, dass wir von unseren Erwartungen Abstand nehmen. Wir müssen uns einmal ganz bewusst von unserem Wollen verabschieden und selbstlos werden.
Aber es lohnt sich, denn wir lassen uns stattdessen ja von der Liebe Jesu leiten, und dabei wendet er sich uns zu. In seiner Gegenwart bekommen wir alles, wonach wir uns sehnen. Un-sere eigenen Bedürfnisse müssen wir plötzlich gar nicht mehr so ernst nehmen. Wir können uns davon lösen, weil wir uns ganz tief geliebt und gesehen wissen. Und so werden wir dazu befreit, einander wirklich zu lieben. Konflikte und Spannungen lösen sich auf. Wir können uns an den anderen Menschen freuen und sind dankbar, dass es sie gibt. Die Liebe macht unser Herz weich und froh. Sie bringt Licht und Wärme in unser aller Leben.
Und das ist das beste Mittel gegen die Nacht der Sünde, ge-gen den Terrorismus und die Angst davor. Danach sehnt sich auch jeder. Nicht umsonst hatte nach den Terroranschlägen in Paris ein kleines Gespräch zwischen einem Kind und seinem Vater, das sie vor einem Reporter führten und das im Internet veröffentlicht wurde, bereits mehr als 400.000 Zuschauer:
Das Kind hatte Angst und dachte, dass sie nun umziehen müssten. Darauf sagte der Vater: „Wir müssen nicht umziehen. Frankreich ist unser Zuhause.“ Doch sein Sohn ließ sich nicht beirren: „Aber sie haben doch Waffen. Und sie können auf uns schießen, weil sie doch so böse sind.“ „Sie haben vielleicht Waffen, aber wir haben Blumen. Schau dir die Leute an, sie alle legen Blumen nieder. Damit kämpfen sie gegen Waffen.“ „Sie beschützen uns mit Blumen?“ „Genau.“ Und auf die Nachfrage des Reporters sagte der Junge: „Jetzt fühle ich mich besser!“
Die Liebe ist stärker als der Terror, diese Botschaft enthält das Gespräch. Und dazu können wir beitragen. Wir können nicht die ganze Welt verändern, aber wir können dafür sorgen, dass es hier und da heller wird. Dann kommt Christus in die Welt und ist gegenwärtig. Lassen Sie uns die Ermahnungen des Paulus also ernst nehmen und „aufstehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt nahe“. Lassen Sie uns „ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“.
Amen.