Jesus schenket Klarheit

Predigt über Johannes 16, 16- 23a: Trauer und Hoffnung bei jesu Abschied

3. Sonntag nach Ostern, Jubilate, 29.4.2023, 18.00 Uhr, Lutherkirche Kiel

Johannes 16, 16- 23a

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?
18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.
19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.
22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Liebe Gemeinde.

„Wie meinst du das?“ Diese Frage stellen wir, wenn jemand uns etwas sagt, das uns rätselhaft erscheint. Oft drückt sie auch aus, dass wir zwar ahnen, was der oder die andere uns mitteilen will, wir wollen es aber nicht hören oder nicht wahr haben. Solche Ankündigungen gibt es ja: „Ich will das so nicht mehr.“ gehört z.B. dazu, oder: „Ich werde dich verlassen“. Das stößt uns vor den Kopf, es überrascht und irritiert. Und wir fragen unwillkürlich: „Wie meinst du das?“

Den Jüngern ging es so, als sie das letzte Mal mit Jesus zusammen waren. Sie wussten nicht, dass „seine Stunde gekommen war“ (Joh. 13,1), Jesus dagegen hatte es erkannt. Im Johannesevangelium nehmen die Gespräche, die er deshalb mit seinen Jüngern führte, viel Raum ein. Drei Kapitel sind es, die die sogenannten Abschiedsreden enthalten. Danach beginnt die Passionsgeschichte. Das Ziel dieser Reden ist es, die Jünger vorzubereiten. Sie sollten wissen, was geschehen würde, es verstehen und bereifen. Jesus wollte sie auch trösten und beruhigen, ihnen Hoffnung machen und ihnen ihre Traurigkeit nehmen.

Doch das war nicht so einfach, denn sie wussten weder, dass er bald sterben sollte, noch konnten sie verstehen, wie er danach wiederkommen würde. Genau davon handelt der Abschnitt, den wir eben gehört haben. Er beginnt mit dem Satz: „Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.“ Wie sollten sie sich das vorstellen? Und was bedeutete „eine kleine Weile“? Im Kontext der Rede ist klar, dass die beiden „kurzen Zeiten“ die Spanne bis zum Tod Jesu und von da bis zu seiner Auferstehung meinen. Doch die Jünger begreifen das nicht und sind ratlos und niedergeschlagen.

Jesus merkt das und er weiß um ihren Kummer und ihre Hilflosigkeit. Deshalb will er ihnen sagen, dass es dabei nicht bleiben wird. Nach einer „kurzen Zeit“ wird ihre Trauer in Freude verwandelt werden. Das ist seine Verheißung, und er veranschaulicht sie mit einem Gleichnis: „Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.“ Die gebärende Frau erlebt auch einen Wechsel von Schmerz zum Glück. Und entsprechend der Mutter, die nach der Geburt ganz erfüllt ist, verheißt Jesus den Jüngern für sein Wiedersehen mit ihnen Freude. Er bringt sie ihnen, wenn er als Auferstandener zu ihnen kommt. In Überbietung des Gleichnisses wird die Freude der Jünger sogar bleibend sein, niemand wird sie ihnen rauben. Die ungläubige Welt wird machtlos dem gegenüber sein.

Und schließlich beseitigt diese unvergängliche Freude auch die Ratlosigkeit der Jünger. „An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.“ sagt Jesus zum Schluss. Die quälenden Ungewissheiten werden verstummen, an ihre Stelle tritt die Klarheit der Gegenwart Christi. Nach Ostern haben die Jünger das dann tatsächlich erlebt. Sie haben Jesus als Lebendigen getroffen und waren von seiner Auferstehung überzeugt und begeistert. „Das Alte war vergangen, alles war neu geworden.“ (2. Korinther 5,17b) Die Jünger waren voller Jubel und vermehrten sein Lob.

Auch uns kann es so ergehen, das ist hier die Botschaft: Wir können neu werden, Altes und Schweres hinter uns lassen, Kraft und Mut empfangen. Und das ist eine gute Nachricht, denn oft fehlt uns das alles. Wir haben häufig ebenso viele Fragen, wie die Jünger, Nöte und Probleme. „Wie meinst du das?“ „Wie soll ich das verstehen?“ „Welchen Sinn ergibt das?“ Das fragen wir, wenn etwas Vertrautes ins Wanken gerät und wir aus der Bahn geworfen werden. Und das geschieht immer wieder. Es gibt Entwicklungen, die wir uns nicht aussuchen und nicht steuern können. Sie entstehen auf unserem Lebensweg z.B. dadurch dass wir krank werden, einen Unfall haben, die Kräfte nachlassen. Oder unsere Mitmenschen tragen dazu bei. Sie wollen plötzlich etwas ganz anderes als wir, werden unzufrieden, üben Kritik und stoßen uns damit vor den Kopf. Das kann in der Familie geschehen, in der Partnerschaft, in der Berufswelt, in der Gemeinde. Auch die gesellschaftlichen Verhältnisse können eine Quelle von ungelösten Fragen sein, wenn sie sich verändern und alles schwieriger wird, was vorher einfach erschien. Das erleben wir gerade durch den Krieg in der Ukraine. Unsere Sicherheit gerät ins Wanken, der Wohlstand steht auf der Kippe, die Gefahr ist groß. Durch all das geraten wir in eine Krise, es macht uns Angst, und wir werden traurig. 

Natürlich suchen wir alle nach Antworten auf die Fragen, die entstehen. Wir denken nach, reden miteinander, lesen kluge Artikel und Abhandlungen. Forschung und Wissenschaft werden aktiv, Ärzte und Therapeutinnen sollen helfen. Auf gesellschaftlicher Ebene entstehen neue Gesetze, Theologen und Philosophinnen melden sich zu Wort, Soziologen und Finanzexperten. Alles wird in Gang gesetzt, damit wir Lösungen finden. Denn natürlich wollen wir, dass das Leiden aufhört. Ratlosigkeit ist kein guter Zustand, Unsicherheit kein gutes Gefühl. Wir wollen Ruhe und Freude, klare Perspektiven und Sicherheit. Oft gelingt uns das auch mit unseren menschlichen Methoden. Natürlich gibt die Medizin uns Antworten, die Psychologie, die Politik und die Wirtschaft, aber lange nicht immer.

Viele Fragen bleiben offen, sowohl im persönlichen Leben, als auch in der Gesellschaft. Unsere Denkgebäude und Bibliotheken sind begrenzt. Experten und Wissenschaftlerinnen helfen uns nur bis zu einem bestimmten Punkt. Viele Rätsel bleiben ungelöst. Das merken wir auch daran, dass es zu kaum eine Frage nur eine Antwort gibt. Ärztinnen können unterschiedliche Diagnosen und Therapievorschläge machen. In der Politik gibt es viele Meinungen und Standpunkte, es gibt lange Debatten und häufig Streit. Und auch die Wissenschaft liefert nicht immer eindeutige und klare Ergebnisse. Das haben wir während der Coronazeit gemerkt. Vieles ist Ansichtssache.

Woran sollen wir uns also halten? Ruhe und Zuversicht entstehen durch unsere menschlichen Methoden nicht unbedingt, im Gegenteil, oft verunsichern sie uns noch mehr. Um innerlich Klarheit und Gewissheit zu erlangen, brauchen wir noch mehr. Und genau das kann Jesus uns geben, denn bei ihm ist etwas grundlegend anders: Er errichtet kein neues Denkgebäude, keine Theorie und auch kein Gesetz, sondern er schenkt sich selbst. Er weist die Jünger auf seine Gegenwart hin, auf seinen Weg durch den Tod zum Leben, auf seine Macht und Liebe. Und er lädt sie ein, darauf zu vertrauen, an ihn zu glauben und sich an ihn zu hängen.  

Auch wir sollen und dürfen das. Jesus ist uns nahe, er lebt und regiert. Zu diesem Glauben sind wir eingeladen. Es ist deshalb gut, wenn wir nach ihm fragen, seine Güte empfangen und uns an ihm festhalten. Dann empfangen wir Antworten ganz anderer Art. Sie werden uns nicht über den Kopf gegeben, sondern im Leben, indem auch wir Jesus begegnen. Und sie bestehen nicht darin, dass wir plötzlich neue Erkenntnisse haben, sondern darin, dass das Fragen aufhört. Ein wohltuendes Schweigen tritt ein. Seele und Geist werden still. Anstatt nachzudenken oder zu reden, zu forschen und zu philosophieren, müssen wir also geduldig sein, warten und beten. Was uns durch den Glauben geschenkt wird, liegt auf einer ganz anderen Ebene und erfordert eine neue Einstellung, die Übung des Vertrauens und der Aufmerksamkeit, des Hörens und der Hingabe.  

Doch das zu praktizieren lohnt sich, und zwar mehr als alles andere, denn wir gewinnen dadurch etwas ganz Neues: Es entsteht eine Freude im Leid. Jesus schenkt uns keine irdischen Güter, keinen Wohlstand und auch nicht unbedingt Gesundheit. Das Leid wird nicht komplett beseitigt und durch Freude ersetzt, aber wir empfangen „himmlische Gaben“. Jesus ist kein Arzt und auch kein Politiker, sondern „der wahre Heiland“. So hat Cyriakus Schneegaß es 1598 in dem Lied formuliert „in dir ist Freude“. (EG 398,1) Jesus rettet uns aus allem, was uns schadet und macht uns frei. Unsere Seele kann aufatmen, unser Geist wird klar, wir empfangen Kraft und Zuversicht. Auch innere Ruhe und Frieden kehren ein. Die Probleme verblassen.

Es ist deshalb gut, wenn wir unser Leben auf seine Gegenwart bauen. Dann öffnet sich nicht nur die Enge unseres Denkens und Handelns, sondern auch die Begrenztheit des Lebens. Sogar der Tod und die Vergänglichkeit werden überwunden, denn jenseits unseres Horizontes erscheint die Ewigkeit. Und in ihrem Licht wird alles leicht und klar. Nichts kann uns von Jesus trennen, denn er ist für uns gestorben und auferstanden. Zinzendorf hat das in einem Osterlied so formuliert: „Der durch verschlossne Türen ging, wenn er den Frieden bringt, dem zweifelnden vor Augen steht und alle Angst bezwingt, der kann auch heut den Seinen nahn, wenn sie ihn gleich nicht sehn; sein freundlich Auge blickt sie an, das Herz kann‘s wohl verstehn.“ (Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, 2007, 336)

Wenn das geschieht, kann uns die Welt nichts mehr anhaben. Jesus kann alles verändern, keine Not ist für ihn zu groß. Wir haben also viel Grund, ihn „mit hellem Schalle zu ehren, zu jubilieren und zu triumphieren und seine Macht mit Herz und Mund zu lieben und zu loben.“ (EG 398,2)

Amen.

Er war einer von uns

Predigt über Lukas 22, 39- 46: Jesus in Gethsemane
Gründonnerstag, 6.4.2023, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Lukas 22, 29- 46

39 Und er ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger.
40 Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!
41 Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete
42 und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
43 Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
44 Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
45 Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit
46 und sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!

Liebe Gemeinde

In vielen Geschichten, Liedern und Gebeten kommen Engel vor. Wir sehen sie ebenfalls auf Bildern oder kennen sie als Figuren in Kirchen und Klöstern, im Freien oder in Wohnungen. Als solche verschenken wir sie auch gerne. Sie sind aus Holz geschnitzt, aus Draht geformt, aus Gips oder Ton, in groß oder klein gestaltet, zum Aufhängen oder Hinstellen oder in der Hand halten. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, denn es gibt sie auch nur dort, in unserer Phantasie. Einen echten lebendigen Engel hat noch niemand von uns gesehen oder angefasst. Sie haben etwas Märchenhaftes an sich.

Trotzdem sollten wir sie nicht unterschätzen, denn sie stehen für etwas, das es wirklich gibt: Für die Liebe und Gegenwart Gottes. Von ihr wie von den Engeln stellen wir uns gerne vor, dass sie uns immer umgibt. Gott und seine Engel behüten uns und sind für uns da. Unsichtbar sind sie um uns herum, das ist eine weit verbreitete Empfindung. Wir sehen die Engel zwar nicht mit den Augen, aber sie gehören zu den Urbildern der menschlichen Seele und unterstützen den Glauben.

So erwähnt auch der Evangelist Lukas in seinem Bericht über das Gebet Jesu in Gethsemane, dass „ihm ein Engel vom Himmel erschien und ihn stärkte.“ Wir haben die Geschichte eben gehört: Jesus war nach dem Abendmahl mit seinen Jüngern aus dem Haus gegangen, aus der Stadt, ins Tal hinunter, um auf den Ölberg zu steigen. Den Weg war er bereits öfters gegangen und kannte diesen Ort. Er hatte dort wohl schon übernachtet. Und seine Jünger folgten ihm.

Der Garten Gethsemane wird im Lukasevangelium nicht genannt, und es waren auch nicht nur drei Jünger, sondern die ganze Schar, die mit ihm ging. Aber diese Unterschiede zum Matthäus- und Markusevangelium sind nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, was Jesus am Ziel tat. Dort angekommen, forderte er die Jünger nämlich auf, zu beten, damit sie nicht „in Versuchung“ geraten.

Dann entfernte er sich, blieb aber in Reichweite und betete. Dabei sprach er Gott mit „Vater“ an, d.h. er fühlte sich ihm sehr nahe, und er thematisierte das Leiden, das auf ihn zukam. Er war zwar bereit, sich dahinein zu begeben, trotzdem bat er darum, verschont zu bleiben. Natürlich wollte er lieber leben, aber er war gehorsam. Dabei nahm er ein Bildwort aus dem Alten Testament auf: Er erwähnte den „Kelch“. Damit meinte er den Zornesbecher, der beim Gericht Gottes ausgeschüttet wird und zum Tode führt. So wird er im Alten Testament an mehreren Stellen erwähnt. Gott sollte ihn „von ihm nehmen“. Doch er fügte sich in den Willen Gottes.

Leicht fiel ihm das nicht. Deshalb „erschien ihm ein Engel“, der ihm Stärkung für den schweren Leidenskampf brachte. Jesus wollte und sollte die Todesangst überwinden. Natürlich hing er am Leben, d.h. er musste gegen sich selber kämpfen. Er stritt gegen das Festhalten am Leben. Jesus war also kein Held, sondern ein Mensch, der von sich aus den Tod nicht annehmen konnte, und der alle Kräfte mobilisieren musste, um ihn zu akzeptieren. Er war nicht wie ein Philosoph, der das alles einfach über sich ergehen ließ, ohne dabei unruhig oder ängstlich zu werden. Er war nicht abgeklärt und schwebte nicht über den Dingen. Das kommt auch mit dem Bild zum Ausdruck, dass ihm der Schweiß in großen, schweren Tropfen von der Stirn floss. Lukas vergleicht sie sogar mit Blutstropfen, d.h. der Kampf ging bis zum Äußersten.

Doch am Ende hat Jesus ihn gewonnen, er ist den Weg des Leidens gegangen. Nach diesem Gebet stand er als ein anderer da. Er erhob sich und ging zu den Jüngern. Sie waren eingeschlafen, d.h. sie waren der Aufforderung Jesu, selber auch zu beten, nicht nachgekommen. Deshalb wiederholte er diese Ermahnung. Mit seinem Verhalten hat er gezeigt, wie man beten kann, damit die Versuchung nicht übermenschlich wird. Auch die Jünger sollten lernen, ihr Schicksal aus Gottes Hand anzunehmen und denselben Weg wie Jesus zu gehen. Das ist die Botschaft, die in dieser Geschichte enthalten ist.

Und die ist auch für uns gut, denn wir befinden uns ebenfalls oft in schweren Situationen. Krankheiten und Konflikte, Ängste und Sorgen begleiten uns, und die Vergänglichkeit des Lebens spüren wir genauso. Keine und keiner von uns kann dem Tod entkommen. Er rückt von Tag zu Tag näher. Natürlich können wir den Gedanken daran verdrängen. Das ist auch ganz legitim, denn es hilft ja nicht, uns das ständig vor Augen zu halten. Aber er kommt von alleine immer wieder und flößt uns Furcht ein. Wir begegnen dem Tod in vielfältiger Weise, z.B. immer dann, wenn ein naher Angehöriger oder eine Angehörige stirbt, wenn wir vom Krieg und von Katastrophen hören, von Unfällen und Todesurteilen. Wir können dem Tod nicht entrinnen, das wissen wir. Deshalb ist es gut, wenn wir ein Verhalten einüben, bei dem wir ihn einbeziehen, und genau dazu lädt die Geschichte uns ein.

Sie ermahnt uns dazu, wach und nüchtern zu bleiben. Wir sollen uns an Gott halten und unser Schicksal annehmen. Es geht darum, die vielen negativen und beunruhigenden Gedanken abzulegen, uns nicht der Angst oder der Trauer auszuliefern, ohne die Realität zu verdrängen. Stattdessen sollen wir Jesus auf den Ölberg folgen und mit ihm wachen und beten. Denn dann gewinnen wir Kraft und Zuversicht auch im Leid und angesichts des Todes. Das Gebet führt uns zur Überwindung, denn wir öffnen uns damit für die Gegenwart Gottes. Dabei können wir dabei dasselbe Gebet sprechen, das auch Jesus gesprochen hat: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Es ist das Gebet der Hingabe und des Loslassens, und das kann uns weiterführen.

Vielleicht klingt das so ein bisschen nach Schicksalsergebenheit und Passivität. Aber das ist damit überhaupt nicht gemeint. Im Gegenteil, es geht um eine geistige Anstrengung: Wir liefern uns nicht der Hilflosigkeit aus, lassen unsere Angst los, pflegen keine Gedanken der Trauer und der Trübsal. Wir verscheuchen sie und ersetzen sie durch Gebet. All das steckt in dem ersten Teil des Gebetes Jesu: „Nicht mein Wille geschehe“. Und dann folgt der zweite Teil: „sondern dein Wille geschehe.“ Es ist ein Gebet, das Geduld bewirkt. Wir gewinnen Kraft, die uns hoffnungsvoll und zuversichtlich macht. Wir lassen die Liebe Gottes zu, die uns zur Überwindung führt.

Eine bewährte Praxis ist es, die Worte Jesu mit jedem Atemzug zu wiederholen: Beim Ausatmen beten wir „Mein Vater, nicht wie ich will“ und beim Einatmen „sondern wie du willst“. Auch mit anderen kurzen Gebetssätzen können wir uns in dieser Weise an Gott wenden, wie z.B. den Bitten „Herr, erbarme dich“, „O Herr, hilf“, „Stärke uns den Glauben“ oder „Dein Reich komme“. .

Und im Unterschied zu den Jüngern sprechen wir solche Gebete mit Jesus, in dem Glauben an seine Auferstehung. Die Jünger haben es nicht geschafft, wach zu bleiben, wir dagegen können es, denn wir dürfen davon ausgehen, dass Jesus für uns den Sieg errungen hat. Daran können wir Anteil haben. Wenn wir es regelmäßig praktizieren, verselbständigt sich das Gebet mit der Zeit, es wird „selbsttätig“ und prägt sich der Seele ein. Wir werden ruhiger, weil wir von innen her gehalten und erfüllt sind. Wir gewinnen neues, ewiges Leben. Das ist die Verheißung, die hinter der Ermahnung zum Wachen steht.

Wenn wir beten, ist Jesus also der „Engel, der vom Himmel erscheint und uns stärkt.“ Oft wünschen wir uns ja ein Ende des Leidens, der Tod soll verschwinden, Krankheiten und Nöte sollen aufhören. Wir stellen uns deshalb gerne vor, dass Engel sie von uns fernhalten, das Unheil verscheuchen und uns davor bewahren. Doch das geschieht so nicht, und es ist auch nicht die Aufgabe der Engel. Sie begleiten uns vielmehr und geben uns Kraft. Und genau das tut Jesus ebenfalls. Er ist der Engel, der wirklich lebt und bei uns ist. Wir müssen ihn nicht malen oder schnitzen, sondern nur an ihn glauben und uns ihm anvertrauen. Dann erleben wir seine Nähe und empfangen Zuversicht auch angesichts von Leid und Tod. Wir gewinnen Geduld und Hoffnung und werden gestärkt.

Es gibt ein schönes Buch mit Bildern des zeitgenössischen niederländischen Malers Rien Poortvliet, das den Titel trägt: „Er war einer von uns.“ Die Situationen, in denen Jesus war, sind darin sehr einfühlsam dargestellt und werden erlebbar gemacht, auch wie er angespuckt und zur Schau gestellt wurde, in Purpur gekleidet und mit Dornen gekrönt, verspottet und gegeißelt. Der Religionspädagoge Friedrich Meisinger hat dazu formuliert: „Alles Leid, das Menschen je gelitten, jeder Schmerz, der uns bekannt, schreckliche Angst, die uns begegnet, tiefe Verlassenheit, die wir verspürt. Es gibt nichts, was Jesus nicht erträgt, nichts, was Jesus nicht erleidet. Deshalb wird er uns verstehen wenn wir flehen, schreien, beten.“ (Rien Poortvliet, Friedrich Meisinger, Er war einer von uns, deutsche Ausgabe Kawohl Verlag, Wesel 2020, S. 99)

Lassen Sie uns das deshalb tun und regelmäßig der Aufforderung Jesu nachkommen: „Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt.“

Amen.

Lebt im Licht

Predigt über Epheser 5, 1- 9: Weisungen für das neue Leben

Donnerstag, 9.3.2023, zum 3. S. d. Passionszeit, Okuli, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Epheser 5, 1- 8

1 So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder
2 und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.
3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört.
4 Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung.
5 Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das sind Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
6 Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.
7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen.
8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts;
9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Liebe Gemeinde.

Es ist eine alte Tradition, in der Fastenzeit einmal auf irgendetwas zu verzichten, was uns sonst Spaß macht. Viele von uns machen da auch mit und leben „sieben Wochen ohne“. Es können Süßigkeiten sein, Alkohol oder Fernsehen. In den letzten Jahren wurden von der Kirche auch bestimmte Haltungen kritisch betrachtet, die wir einmal ändern können. In diesem Jahr ist das Motto z.B.: „Leuchten! – Sieben Wochen ohne Verzagtheit“. Wir wollen damit unsere Laster und negativen Gewohnheiten bekämpfen, wenigstens vorübergehend, und weniger weltlich und lustvoll sein, positiver und mutiger. Auch ernsthafter und innerlicher soll es zugehen. Wir besinnen uns auf das Wesentliche.

Deshalb lesen wir in dieser Zeit Abschnitte aus der Bibel, die uns dazu ermahnen. Der Predigttext aus dem Epheserbrief gehört auch dazu. Allerdings klingt der nun sehr ungemütlich, denn wir werden darin regelrecht unter Druck gesetzt und uns wird Angst gemacht: Wir sollen einen einwandfreien Lebenswandel führen, wie die Heiligen, sonst kommen wir nicht in den Himmel. Uns wird mit schlimmen Folgen gedroht, wenn wir nicht gehorchen: Gott verstößt uns dann und wendet sich gegen uns. Und das geht uns wahrscheinlich zu weit. So etwas wollen wir nicht hören. Wo sind denn da die Gnade und die Liebe Gottes? Das fragen wir uns. Die liturgische Konferenz unserer Kirche – das ist die Gruppe, die festlegt, was wir an den jeweiligen Sonntagen lesen – hat deshalb auch angeboten, diese Stelle aus dem Briefabschnitt wegzulassen, sie stehen in Klammern, und nur das Positive und Angenehme zu lesen, das wir gerne hören.

Das können wir natürlich tun, dann wird es sehr viel einfacher, diesen Text zu verstehen. Er beginnt z.B. sehr schön. Gleich der erste Satz lautet: „So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder. Und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.“ Allem, wozu wir als Christen aufgefordert werden, geht also etwas vorweg: Wir sind Gottes geliebte Kinder. Das wird hier vorausgesetzt. Und das heißt: Er vergibt uns immer wieder, nimmt uns an und ist freundlich zu uns. Wir müssen uns den Himmel nicht verdienen. Die Ermahnung besteht lediglich darin, ihn jetzt schon in unser Leben hineinzulassen. Die Liebe Gottes soll unser Handeln prägen.

Es geht hier schon um den Willen Gottes, das lässt sich nicht übersehen, aber der ist kein Gesetz, sondern eine Kraft, die unser Leben gestalten kann. Was Gott uns geschenkt hat, soll unser Leben formen. Unser Leben soll ruhig und ausgeglichen sein, von Dank und Freude geprägt, Freiheit und Fröhlichkeit. Zum Schluss wird das noch mit einem sehr schönen Bild beschrieben. Paulus sagt am Ende: „Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Es geht also um Kraft und Licht, um Ordnung und Heil, um ein gelingendes und erlöstes Leben. Und das hören wir gerne, das verstehen wir und damit können wir etwas anfangen.

Trotzdem finde ich es unklug, die eher scharfen Worte ganz zu ignorieren, denn ob das Leben gelingt oder nicht, ist durchaus ein ernstes Thema. Oft ist das Licht nämlich nicht da. Das sollten wir zugeben. Unser Leben ist eher selten hell und voller Freude. Über weite Strecken ist es von Sorgen und Ängsten gekennzeichnet, von Verzagtheit oder Ärger, Krankheit und Schmerzen, oder auch von Konflikten und Spannungen. Das Leid nimmt einen großen Teil unseres Lebens ein und sucht uns immer wieder heim. Es geht also um die Frage, wie wir damit am besten umgehen. Was hilft uns und wie werden wir befreit?

Wir versuchen es oft selber, indem wir uns ablenken und zerstreuen. Wir suchen die Lösung im Vergnügen, bei anderen Menschen oder in der Psychologie. Wir veranstalten ganz viel, damit es uns gut geht. Doch obwohl einiges davon nicht schlecht ist, reicht es oft nicht. All diese weltlichen Methoden sind meistens nur Tropfen auf den heißen Stein, sie retten uns nicht, sind vergänglich und vieles davon ist letzten Endes nutzlos. Wir lenken uns damit zwar vorübergehend ab, aber nichts davon geht wirklich in die Tiefe. Irgendwann sind die Probleme wieder da, oder es kommen neue. Was wir uns unter dem „Reich Gottes“ vorstellen ist weit weg und scheint unerreichbar. Wir brauchen also gar keine biblische Drohung, mit der uns vor Augen gehalten wird, wie schwierig alles sein kann, weil das Leben selbst es uns zeigt. Oft wendet es sich gegen uns. Es ist deshalb gut, wenn wir noch auf etwas anderes achten, als die menschlichen Stimmen, und das kann die Stimme Gottes sein. Wenn wir sie überhören, gehen wir von selber unter und bleiben verloren. Das will unser Text uns sagen.

Deshalb ist es gar nicht so schlecht, wenn wir ihn doch ganz lesen. Wir werden aufgefordert, uns zu hinterfragen, und das kann durchaus heilsam sein. Auch wenn es nicht „Unzucht und Götzendienst“ ist, „Habsucht und Unreinheit“ wie Paulus es hier anprangert, so können wir die Gegenwart Gottes mit unserem Lebenswandel zudecken. Wir können unsere Ohren mit Lärm füllen und unseren Geist davon ablenken. Wir können mit unseren Bemühungen und Gewohnheiten verhindern, dass Gott an uns wirkt. Es ist eben nicht egal, wie wir unser Leben führen. Wenn die erlösende Kraft der Liebe Gottes darin vorkommen soll, dann müssen wir uns auch lieben lassen, dann müssen wir uns dafür öffnen und bereiten. Das steckt hier als Ermahnung dahinter.

Dabei ist das wichtigste die Danksagung. Sie soll an die Stelle von all dem anderen treten soll, und das heißt, dass ich mich einfach in die Hand Gottes lege, gerade wenn es mir nicht so gut geht. Anstatt mich anzustrengen oder abzulenken, kann ich mich daran erinnern, dass ich mich Gott verdanke. Ich kann mir vorstellen, dass er mich liebt und leitet, dass ich sein Kind bin. Dann nehme ich ihn ernst und lasse ihn in mein Leben hinein. Und dazu will Paulus uns hier einladen. Denn nur dann kann Gott auch an uns wirken. Aber das kann er dann endlich, und das ist heilsamer und befreiender als alles andere.

Paulus spricht ja von einem Licht, das heller ist, als unsere Finsternis. Und das ist ein sehr schönes Bild. Wir sehnen uns jetzt alle nach dem Frühling, nach Sonne und Wärme. Wir wollen endlich wieder auf dem Balkon oder im Garten oder im Park sitzen und uns mal bescheinen und wärmen lassen. Gerade die ersten warmen Sonnenstrahlen haben da einen ganz besonderen Wert. Sie machen uns froh und heiter, wir fühlen uns ganz neu belebt und gestärkt. Und so ist das hier auch gemeint: Wir sollen uns einfach einmal selber loslassen und uns dem Licht Gottes überlassen, uns ihm anvertrauen und ihm danken.

Dann tut er etwas, das können wir sofort merken. Er erfüllt unser Leben mit seiner Gegenwart und dadurch kommt es ganz von selber in Ordnung. Viele Probleme lösen sich auf. Wir machen uns nicht mehr so viele Sorgen, weil wir wissen, Gott sorgt für uns. Auch Spannungen und Konflikte verschwinden, weil wir gar nicht mehr so viel von den anderen Menschen wollen und erwarten. So wie Gott uns einfach sein lässt, so können wir auch andere sein lassen. Und wenn wir krank sind, dann wird uns plötzlich ganz viel Geduld geschenkt.

Leonard Cohen hat einmal gesungen: „There’s a crack in everything, that’s how the Light gets in”. Das heißt auf Deutsch: „Da ist ein Riss in allen Dingen, dadurch fällt das Licht hinein.“ Wir müssen die Brüche und Risse in unserem Leben also gar nicht krampfhaft flicken und schließen. Sie sind da und gehören dazu, und gerade durch sie kann das Licht Gottes in unser Leben hineinleuchten. Und das ist viel wirkungsvoller als alle unsere eigenen Erleichterungsversuche. Nicht mehr das Bemühen, uns selbst zu retten und zu erlösen, prägt dann unseren Lebenswandel, sondern wir sind erfüllt von der Liebe und dem Licht Christi.

Und dazu ist die Fastenzeit gedacht, dass wir uns darin üben. Wir können sie gut dazu nutzen, bei der Liebe Gottes mitzumachen und uns seinem Licht auszusetzen. Dann ist das, was wir tun, auch nicht nach sieben Wochen vorbei, sondern dieses Licht bleibt. Es begleitet uns auch durch den Rest des Jahres und macht uns gewiss, dass wir immer „Gottes geliebte Kinder“ sind.

Amen.

Die Bibel lehrt beten

Geistliche Impulse für das Gebet
16.2.2023

Es gibt viel Literatur über das Gebet. Seit Jahrhunderten schreiben Betende, wie sie es machen und was es dabei zu beachten gilt. Sie wollen andere einladen und anleiten, dasselbe zu tun, und ihre Bücher und Schriften werden gerne gelesen.

Auch in der Bibel steht schon, wie wir beten können. Wenn wir sie danach befragen, entdecken wir viele Geschichten, Aussagen, Gleichnisse und Sprüche, durch die wir erfahren, was beim Beten wichtig ist.

Hier sind vier Beispiele:

I. 1. Mose 12, 7: Gott einen Altar bauen

Da erschien der HERR Abram und sprach: »Ich werde dieses Land deinem Nachkommen geben!« Und Abram baute dort dem HERRN, der ihm erschienen war, einen Altar.

Die Abrahamerzählung stammt aus der Zeit, als das Volk Israel noch nicht sesshaft war und aus einzelnen Nomadenstämmen bestand. Es gab dementsprechend keinen zentralen Ort, an dem Gott angebetet wurde, sondern nur verschiedene Kultstätten. Gott band sich mehr an die Personen, die er berief und begleitete. Er lebte in den Geschichten, die mündlich überliefert wurden, und im Glauben an seine Gegenwart. Doch gerade deshalb markierten die Menschen auf ihren Wegen gern Orte, an denen Gott ihnen besonders begegnet war. Sie bauten dort jeweils einen Altar, d.h. sie schichteten Steine aufeinander, auf denen ein Opfer gebracht werden konnte. Ein geschlachtetes Tier wurde verbrannt, und der Rauch stieg zu Gott empor. Es galt als Sühne und als Gebet, als Dank und als Lobpreis. Die Orte, an denen diese Altäre standen, waren geheiligt, und jeder und jede später Vorbeiziehende wurde durch sie an Gott erinnert. Man konnte auch bewusst zurückkehren, um dort den Kultus zu vollziehen. Die Altäre standen unter freiem Himmel und waren Zeichen für die Gegenwart Gottes.

Gibt es auch für uns solche Orte? Haben wir Plätze oder Räume, die wir frei lassen für Gott? Wir können sie uns schaffen oder in der Natur suchen, Orte, die uns helfen, innerlich einzukehren, an denen wir zur Ruhe kommen, weil wir Gottes Nähe spüren. Wir gehen da gerne immer wieder hin, um allein zu sein und unsere Gedanken und Gefühle zu ordnen. Wir beten dort, weil es besser gelingt, als anderswo.   Das geht auch in der Wohnung, indem wir uns eine Gebetsecke einrichten. Wir respektieren damit, dass Gott auch bei uns wohnt, schaffen bewusst eine Stätte für ihn, die uns immer wieder an ihn erinnert, die uns zum Gebet einlädt und uns hilft, uns auf ihn zu besinnen. Gott kann dadurch gut in unserem Leben vorkommen. Wir geben ihm Raum und Zeit, halten ihm einen Platz in unserem Alltag frei und öffnen uns immer wieder für ihn. Wir schaffen damit Orte, die heilig sind und auf Gott hinweisen, und das tut uns allen gut.

II. 1. Könige 8, 12- 15. 20- 21. 27: Gott lässt sich nicht einsperren

12 Dann betete Salomo: »Der HERR hat gesagt, dass er im tiefsten Dunkel wohnen will. 13 Doch ich habe dir ein prachtvolles Haus gebaut, eine Wohnung, in der du nun für immer wohnen sollst!« 14 Dann wandte sich der König der ganzen Gemeinschaft der Israeliten zu, die vor ihm stand, segnete sie und sagte: 15 »Gepriesen sei der HERR, der Gott Israels, der sein Versprechen erfüllt hat, das er meinem Vater David gab.
20 Ich habe dieses Haus zur Ehre des HERRN, des Gottes Israels, gebaut.
21 Und ich habe darin einen Platz für die Lade geschaffen, welche die Tafeln des Bundes enthält, den der HERR mit unseren Vorfahren geschlossen hat, als er sie aus Ägypten herausführte.«
27 Aber wird Gott tatsächlich auf der Erde wohnen? Der höchste Himmel kann dich nicht fassen – wie viel weniger dieses Haus, das ich errichtet habe!

Salomo hatte gerade den Tempel errichtet, ein Projekt, das Gott zwar schon zu Zeiten seines Vaters David angekündigt hatte, das der aber noch nicht verwirklichen konnte. Er musste erst mal die Grenzen des Reiches sichern und einen stabilen Staat aufbauen.

Das war nun geschehen, und unter Salomo wurde die Verheißung war, dass in Jerusalem das Haus Gottes stehen würde. Es war ein gewaltiger Bau, dessen Errichtung mehrere Jahre gedauert hatte. Als er fertig war, kam die ganze Bevölkerung zusammen, und er wurde feierlich eingeweiht. In den Worten Salomos schwingt die Bedeutung und Größe dieser Stunde mit. Der Tempel bildete fortan das zentrale Heiligtum. Jeder Israelit pilgerte möglichst einmal im Jahr dorthin, denn man stellte sich vor, dass Gott selbst dort Wohnung genommen hatte, oder anders formuliert: dass er dort seinen „Namen wohnen ließ“. (V.29)

Und doch wussten alle, dass der Tempel nur ein schwacher Abglanz der eigentlichen Größe Gottes darstellte. Auch wer in den gewaltigsten Dimensionen denkt, kann Gott nicht begreifen. Gott widersteht jeder Einschränkung. Es gibt keinen Raum, der ihn fassen kann, denn er erfüllt die ganze Schöpfung. Eine gottfreie Zone ist undenkbar.

Man kann Gott also nicht einsperren, nicht in Kirchbauten und auch nicht in Gedanken oder Vorstellungen, Bekenntnissen oder Worten.

Und das heißt, dass wir es auch nicht versuchen sollten. Wenn wir beten, tun wir das gerne. Wir tragen ihm unser Anliegen vor, breiten unsere Wünsche vor ihm aus und hätten ihn am liebsten als unseren Diener. Doch das ist nicht biblisch, denn in der Bibel wird Gott als der Lebendige bezeugt, der sich nicht einfangen lässt. Nicht er dient den Menschen, sondern möchte, dass sie ihm dienen. Nicht sie sollen ihn ergreifen, sondern er ergreift und beruft, wen er möchte. Sein Wille ist maßgeblich, er lenkt und führt, segnet und heilt. Es gilt, dass wir uns das vor jedem Gebet bewusst machen und es mit dieser Einstellung vollziehen, nur dann wird es wirksam und tragfähig. 

III. Prediger 5, 1. 6: Nicht zu viele Worte

1 Lass dir keine unüberlegten Worte entschlüpfen, rede nicht unbedacht im Überschwang deiner Gefühle, wenn du zu Gott betest; denn Gott ist im Himmel und du bist hier auf der Erde. Deshalb geh sparsam mit deinen Worten um!
6 Denn wer sinnlosen Fantasien nachhängt, neigt zu unnützem Gerede. Du aber sollst Gott fürchten!

Der Prediger Salomo ist ein Weisheitslehrer, dem eine gewisse Durchschnittshaltung zu optimistisch und zu oberflächlich ist. Er stellt den Wert von Freude, Arbeit, Besitz und Macht in Frage, und auch die weit verbreitete Gewissheit, dass der Gerechte besteht, und der Gottlose vergeht, sieht er skeptisch. Nur eins zweifelt er nicht an, und das ist Gott als die gültige Wirklichkeit und als den Herrn, der alles in Händen hält. Gott bleibt der Herr aller Zeit und allen Zufalls. Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, der Mensch könne mit seinem Gebet Macht über ihn gewinnen. Er soll ihn vielmehr fürchten und ehren und sich ihm unterordnen. Das rät der Prediger seinen Schülern, und dazu gehört auch die Ermahnung, im Gebet nicht zu viele Worte zu machen.

Diesen Rat können wir gut befolgen, indem wir eine Gebetspraxis der Kirche anwenden, die sich „Herzensgebet“ nennt. Es besteht darin, dass wir immer einen Satz wiederholen, wie z.B. den: „Herr, Jesus Christus, erbarme dich meiner“, und ihn mit unseren Atem verbinden: Beim Einatmen rufen wir zu ihm, beim Ausatmen bitten wir um sein Erbarmen. Wir atmen zu ihm hin und von ihm her und lassen uns mit jedem Atemzug von seinem Erbarmen durchströmen. Wir vermeiden damit „sinnlose Fantasien und unnützes Gerede“. Wenn wir uns dafür ungefähr 20 Minuten Zeit nehmen, lassen die Gedanken nach und unser Geist kommt zur Ruhe. Wichtig ist allerdings, dass wir das nicht als Übung verstehen, bei wir unsere Konzentrationsfähigkeit trainieren. Wir werden sicher zwischendurch abschweifen und den Faden verlieren. Wenn wir das merken, ist es ratsam, die Hinwendung zu Christus und die Bitte um Erbarmen einfach wieder aufzunehmen. Sie ist etwas Gegenwärtiges und wiederholt sich sowieso in jedem Augenblick. Wir kommen zu Christus, so wie wir sind, mit allem, was zu uns gehört. Das sind auch unsere Gedanken und Gefühle. Mit ihnen vertrauen wir uns ihm an und stellen uns in seine Gegenwart. Auf diese Weise wird unser Gebet einfach und wirkungsvoll.

IV. Lukas 18, 1- 8: Beständiges Beten

1 Eines Tages zeigte Jesus seinen Jüngern durch ein Gleichnis, wie wichtig es ist, beständig zu beten und nicht aufzugeben. 2 »In einer Stadt lebte ein Richter«, sagte er. »Es war ein harter, gottloser Mann, der den Menschen mit Verachtung begegnete. 3 Eine Witwe aus der Stadt sprach immer wieder bei ihm vor und forderte ihr Recht gegenüber jemandem, der ihr unrecht getan hatte. 4 Der Richter ging eine Weile über ihre Klagen hinweg, doch irgendwann wurde er ihrer müde. ›Ich fürchte weder Gott noch Menschen‹, dachte er, 5 ›aber diese Frau raubt mir den Verstand. Ich will zusehen, dass sie ihr Recht bekommt, damit sie mich mit ihren ständigen Anträgen verschont.‹« 6 Und der Herr sagte: »Aus dem Handeln dieses ungerechten Richters sollt ihr etwas lernen: 7 Wenn selbst er schließlich ein gerechtes Urteil fällte – wird Gott da nicht seinen Auserwählten, die ihn Tag und Nacht anflehen, ihr Recht verschaffen? Wird er sie vertrösten? 8 Ich sage euch, er wird ihnen Recht verschaffen, und zwar schnell! Doch wenn der Menschensohn wiederkommt, wie viele wird er dann vorfinden, die solch einen Glauben haben?«

In dem Gleichnis spricht eine Witwe bei einem Richter vor, weil er ihr in einem Rechtsstreit helfen soll. Zuerst hat er keine Lust dazu, doch schließlich verhilft er ihr zum Recht. Er will nicht länger durch ihr Kommen belästigt werden. Mit diesem Gleichnis will Jesus sagen: Gott ist anders als dieser Richter. Er hilft den Menschen, die zu ihm beten, viel eher. Er hat Geduld, handelt nicht willkürlich oder rücksichtslos, sondern langmütig und freundlich. Die Menschen müssen nur unablässig zu ihm beten.

Leider deckt sich das nicht mit unseren Erfahrungen. Wir senden viele Gebete zu Gott, die er nicht zu hören scheint. Doch es geht Jesus auch nicht um ein beharrliches Bestehen auf unseren Wünschen, sondern um ein immerwährendes Gebet angesichts des nahen Endes der Welt. Jesus sorgt sich um die ewige Rettung der Menschen. Sie sollen im Vertrauen auf Gott durchhalten. Der wiederkommende Christus wird auf Erden Menschen suchen, die wachen und beten.

Diese Ermahnung sollten wir ernstnehmen, und dabei kann die Witwe ein Vorbild für uns sein, denn sie hat eine Hoffnung gegen alle Vernunft, sie gibt nicht auf und lässt den Kopf nicht hängen. Sie sucht unermüdlich den Kontakt zu dem Richter und glaubt daran, dass er in Wirklichkeit gut ist. Und auch der Richter verdeutlicht vieles von dem, was wir von Gott erwarten können, wenn wir beten: Er hat ein Einsehen, lässt sich bewegen, hört zu und greift zum Schluss ein.

Das können wir ebenso erleben, wenn wir mit Ausdauer und Geduld zu Gott beten, denn wir sind dadurch im Gespräch mit Gott und kommen in Berührung mit der Ewigkeit. Und das gibt unserem Leben einen tiefen Halt und einen Ausblick, der uns zuversichtlich macht. Wir werden stark und getröstet. Unsere Wünsche und Erwartungen werden kleiner und unbedeutender. Und selbst der Tod wiegt nicht mehr so schwer. Es entsteht eine neue Ordnung in unserem Denken, Ruhe kehrt ein. Es ist deshalb gut, wenn wir so viel und so oft wie möglich wachen und beten und nach Gott Ausschau halten.

Öffnet euer Herz für das Wort Gottes

Predigt über Lukas 8, 4- 15: Vom vierfachen Ackerfeld
12.2.2023, 2. Sonntag vor der Fastenzeit, Sexagesimae
Gethsemanekloster Riechenberg

Lukas 8, 4- 15

4 Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:
5 Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf.
6 Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.
7 Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s.
8 Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!
9 Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute.
10 Er aber sprach: Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.
11 Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes.
12 Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.
13 Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeit lang glauben sie und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.
14 Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht.
15 Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

„Herr, öffne mir die Herzenstür,
zieh mein Herz durch dein Wort zu dir,
lass mich dein Wort bewahren rein,
lass mich dein Kind und Erbe sein.“ (EG 197,1)

So dichtete der Dozent und spätere Superintendent in Halle Johann Olearius 1671. Er hat zahlreiche Gesänge für den Gottesdienst geschrieben. Auch diese Bitte um die richtige innere Einstellung beim Hören des Wortes Gottes gehört dazu. Wir können sie leicht nachsprechen oder singen, denn durch die Reime prägen sie sich gut ein. Und es ist ein schönes Bild, das er hier beschreibt: Er stellt sich vor, dass unser Herz eine Tür hat, durch die Jesus mit seinem Wort einziehen kann. Und er weiß: Nur wenn das geschieht, wird es wirksam und fällt auf „fruchtbaren Boden“.

Das ist ein Bild aus dem Gleichnis Jesu, das wir eben gehört haben, mit dem Jesus dasselbe zum Ausdruck bringt. Es ist eine Geschichte aus dem Alltag der Bauern. Der Sachverhalt war aber allgemein bekannt: Wenn ein Sämann damals ausging, um seinen Samen zu säen, gab es viel Misserfolg. Ein Teil der Saat landete z.B. auf dem Weg. Damit ist der Trampelpfad gemeint, der quer durch das Feld und auch am Rand verlief, damit überhaupt gesät werden konnte. Was auf diesen Pfad fiel – und das ließ sich nicht vermeiden – , wurde nach dem Aufkeimen gleich zertreten oder von den Vögeln aufgepickt. Es war für die Ernte verloren.

Genauso verhielt es sich mit der Saat, die auf Felsboden fiel, der nur von einer dünnen Erdschicht bedeckt war. Diesem Boden fehlte die Feuchtigkeit, die das Gekeimte zum Reifen bringt. Beim Aussäen wurden auch diese Flächen mit bedacht, doch es wurde kein reifes Korn daraus.

Und der dritte Fall des Misserfolges beschreibt den mit Dornen zusammen aufgehenden Samen, der erstickt wird. Mit den Dornen ist mehrjähriges, unterirdisch ausdauerndes, stacheliges Unkraut gemeint, das dem Getreide seinen Lebensraum nimmt.

Nur der Same, der in feuchten und freien Mutterboden fällt, bringt endlich Frucht. Das wird ganz knapp berichtet, aber die Freude über die gelungene Aussaat wird doch festgehalten und mit der großen Zahl der Körner bei der Ernte beschrieben. Ein Same trug „hundertfältige Frucht“, das ist etwa das Maximum dessen, was ein Weizenkorn hervorbringen kann.

Das ist das Gleichnis, und dem folgt noch eine Deutung: Der Same und das Wort Gottes werden gleichgesetzt. Mit den Samenkörnern verhält es sich wie mit der Anrede Gottes an den Menschen, die ganz unterschiedlich damit umgehen. Selbst wenn sie es hören, heißt das noch lange nicht, dass sie auch daran glauben und dadurch gerettet werden. Es kann sein, dass der Teufel es wieder aus ihren Herzen reißt. Andere nehmen das Wort zwar an, aber die Wirkung ist zeitlich begrenzt. Die Begeisterung hält nicht lange, weil anderes interessanter und vielversprechender zu sein scheint. Die Dritten sind diejenigen, die das Wort ebenfalls annehmen, aber dann wird die Botschaft von Sorgen, Reichtum und Lüsten der Welt erstickt. Nur einige hören das Wort Gottes so, dass sie es auch in ihrem Herzen bewahren, es reifen und gedeihen lassen, so dass es dann im Laufe der Zeit zur Frucht kommt.

Und natürlich möchte Jesus, dass seine Hörer zu den Letzten gehören. Er fordert dazu auf, dass wir uns für das Wort Gottes öffnen, damit leben und es in uns wirken lassen. Wir müssen darauf achten, dass wir uns das Wort nicht rauben lassen, nicht bei der Anfangsbegeisterung stehen bleiben und uns von den irdischen Schwierigkeiten oder Freuden nicht ablenken lassen. 

Denn das Wort Gottes ist nicht einfach nur eine gesprochene Rede oder eine geschriebene Abhandlung. Oft gehen wir damit ja so um: Wir hören oder lesen es, aber dann denken wir darüber nach, ordnen es ein, analysieren es. Vielleicht vergessen wir es auch schnell wieder, es geht in den vielen anderen Dingen, die wir aufnehmen, unter.

Das liegt natürlich auch daran, dass es oft nicht ganz einfach ist, das Wort Gottes zu verstehen. Es steht in der Bibel, und die ist für uns in weiten Teilen fremdartig, widersprüchlich und manchmal auch ärgerlich. Bei vielen Stellen wissen wir gar nicht, was wir damit anfangen sollen, oder lehnen sie von vorne herein ab. Das hat auch Martin Luther erlebt.

Aber er hat sich davon nicht beirren lassen. Er sagte dazu einmal: „Ich lese die Bibel, wie ich meinen Apfelbaum ernte: Ich schüttle ihn, und was runterkommt und reif ist, das nehme ich. Das andere lasse ich noch hängen.“ Und an einer anderen Stelle hat er bemerkt: „Ist ein dunkler Spruch in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewisslich dieselbe Wahrheit dahinter, die an anderer Stelle hell und klar zu verstehen ist.“ Er hat sich also nicht darauf versteift, dass einiges schwer zu verstehen war, und es deshalb abgelehnt, sondern er hat abgewartet, bis es sich ihm erschloss. Er war davon überzeugt, dass das Wort Gottes in Wirklichkeit ganz nah war und ihm jederzeit begegnen konnte. Er hat sicher auch die Erfahrung gemacht, dass Gott nicht nur durch die Heilige Schrift zu ihm sprach. Er tat es in vielfältiger Weise.

Und das können auch wir erleben. Die Predigt ist z.B. dafür da, Gottes Wort verständlich zu machen. Es kann aber auch bei der Lektüre eines anderen geistlichen Textes zu uns kommen, in Gesprächen oder Erlebnissen, im Gottesdienst und in der Andacht, in der Stille und beim Gebet. Es ist überall lebendig, und deshalb ist es wichtig, dass wir unseres „Herzens Tür öffnen“. Wir müssen innerlich hören, und damit rechnen, dass etwas in uns verändert wird, und zwar zum Guten.

Das Wort Gottes möchte immer heilsam wirken. Jesus Christus kommt darin zu uns, mit seiner Gnade und seinem Erbarmen. Er sucht uns und will uns retten. Er liebt uns und schenkt uns sich selber. Wir sind nicht mehr allein, wenn sein Wort uns erreicht, wir werden getröstet und gestärkt, aufgefangen und ermutigt. Jesus „zieht unser Herz durch sein Wort zu sich selber“ und macht uns zu seinen „Kindern und Erben“.

Es ist deshalb gut, wenn wir nicht nur hinhören, sondern gleichzeitig wachsam und aufmerksam sind. Auch das Gehorchen gehört dazu, die Bereitschaft, uns in Bewegung zu setzen und uns heilen zu lassen.

Wenn das geschieht, fällt Gottes Wort auf fruchtbaren Boden und kann in der Tiefe unserer Seele wirken. Wir können mit Johann Olearius bekennen:

„Dein Wort bewegt des Herzens Grund,
dein Wort macht Leib und Seel gesund,
dein Wort ist’s, das mein Herz erfreut,
dein Wort gibt Trost und Seligkeit.“
(EG 197,2)

Amen.

Mit Gott Neuland betreten

Predigt über Lukas 4, 16- 21: Jesu Predigt in Nazareth
Neujahr, 1.1.2023, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Lukas 4, 16- 21

16 Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen.
17 Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht (Jesaja 61,1-2):
16 Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen.
17 Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht (Jesaja 61,1-2):
18 »Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen,
19 zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.«
20 Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn.
21 Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.

Liebe Gemeinde.

Kennt ihr den Rentnergruß? Er lautet: „Keine Zeit! Keine Zeit!“

Ironisch nennt man den Ruhestand ja auch manchmal „Unruhestand“. Denn es gibt tatsächlich viele Rentnerinnen und Pensionäre, die immer unterwegs sind, einen vollen Terminkalender haben, Verpflichtungen eingehen und irgendwo weiterarbeiten, ehrenamtlich oder auch hauptamtlich.

Denn das gehört zum menschlichen Leben, dass wir so lange es geht, aktiv sind. Wir wollen gerne nützlich sein, uns bewegen, andere Menschen treffen, etwas erleben usw. Was wir tun und leisten ist ein wichtiger Teil unserer Identität. Wir setzen uns Ziele und gestalten unser Leben.

Am Anfang eines neuen Jahres denken wir darüber gerne einmal nach. Wir fragen uns, was uns wichtig ist und wo es lang gehen soll. Denn neben den Verpflichtungen, an denen sich nichts ändern lässt, haben wir auch Gewohnheiten, über die wir durchaus entscheiden können. Das ist nicht nur im Ruhestand so. Wir können frei wählen, was wir essen, wie wir mit unseren Kräften umgehen wollen, welchen Menschen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, was wir lesen usw. Am Jahresanfang nehmen wir uns deshalb gerne vor, einmal etwas Neues auszuprobieren, „Neuland zu betreten“.

Doch wie geht das eigentlich am besten? Mit den guten Vorsätzen ist das ja so eine Sache. Sie sind zwar gut, aber oft auch anstrengend. Wir wollen etwas verändern, scheitern aber an unsrem schwachen Willen und einer fehlenden Entschlusskraft. Nach ein oder zwei Monaten ist oft alles wie gehabt. Schnell reißen alte Unsitten wieder ein. Wir können zwar planen, aber wir haben die Zukunft nicht in der Hand. Wir brauchen noch mehr, als unsere guten Vorsätze, und genau davon handelt unser Evangelium.

Es enthält die Antrittspredigt Jesu. Seine öffentliche Wirksamkeit begann mit einem Besuch in der Synagoge seines Heimatortes Nazareth. Er war dort bekannt und wusste, wie man sich in einem Gottesdienst verhält. So hatte er als männlicher Jude das Recht, eine Prophetenlesung zu übernehmen. Das nahm er in Anspruch und meldete sich dafür. Man reichte ihm das Jesajabuch und daraus las er die Verheißung eines zukünftigen Messias: „Die Gefangenen werden entlassen, die Blinden werden sehen und die Zerbrochenen befreit.“ Der Prophet Jesaja bezieht sich mit dieser Verheißung auf ein Gesetz aus dem Buch Mose, nach dem es alle fünfzig Jahre ein sogenanntes Erlassjahr geben soll. Es lautet: „Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt eine Freilassung ausrufen im Lande für alle, die darin wohnen; es soll ein Erlassjahr für euch sein. Da soll ein jeder bei euch wieder zu seiner Habe und zu seiner Sippe kommen.“ (3. Mose 25,10)

Diese Schriftstelle und auch das Prophetenwort kannten die Zuhörer Jesu, nun warteten sie gespannt auf seine Auslegung. Und er erklärte ihnen: Was sie gehört haben, geht mit ihm in Erfüllung, und zwar „heute“, im Augenblick des Hörens, als Zuspruch. Er selber, Jesus ist der von den Propheten Verheißene. Das war seine Botschaft.

Doch diese Erklärung lehnten die Menschen in Nazareth ab. Dafür kannten sie ihn zu gut, er war ja einer von ihnen gewesen. Wütend jagten sie ihn am Ende des Gottesdienstes aus der Stadt und wollten ihn einen Abhang hinunterstürzen. Doch dazu kam es nicht. Wie durch ein Wunder ging Jesus „mitten durch sie hinweg“. (Lk. 4,30) Erreicht hat er in Nazareth allerdings nichts, denn die Menschen dort haben sich ihm gegenüber verweigert.

Und damit steht die Frage im Raum, was wir denn tun. Wie reagieren wir auf seine Worte? Sicher nicht so krass, wie die Nazarener, aber ganz einfach ist seine Aussage auch für uns nicht. Wir wollen gar kein „Erlass- oder Gnadenjahr“, wie Luther übersetzt hat, denn mit „Gnade“ verbinden wir nicht nur positive Gedanken und Gefühle. Wenn wir Gnade empfangen, ist es ja vollkommen uninteressant, was wir können oder leisten. Unsere Fähigkeiten und Eigenschaften spielen keine Rolle. Wir sind passiv und bestimmen nicht mehr selber, was geschieht. Bedeutet das nicht Stillstand? Wo bleibt die eigene Verantwortung für unser Handeln? Ist es nicht völlig sinnlos, sich Ziele zu setzen, wenn am Ende doch jemand anders über unser Ergehen entscheidet? Und verleitet es nicht zu Trägheit, sich einfach nur auf die Gnade zu verlassen?

Die persönlichen Fähigkeiten, Kraft und Kreativität, all das zählt bei uns mehr. Damit bauen wir unser Leben auf, gestalten es und nehmen uns etwas vor. Ideen und Wünsche setzen uns Bewegung. Und wir finden es auch gerecht, wenn jemand für seine Vergehen bestraft und möglicher Weise eingesperrt wird. Jeder muss die Folgen seines Handelns und seiner Entscheidungen tragen. Dieses Denken bestimmt unsere Lebensführung und unsere Gesellschaft. Die Verheißung eines „Gnadenjahres“ passt da irgendwie nicht hinein.

Doch so schnell sollten wir sie nicht abtun. Es ist sinnvoller, einmal genau nachzufragen, was hier gemeint ist, und dabei hilft es, wenn wir das griechische Wort, das hier für „Gnadenjahr“ steht, unter die Lupe nehmen. Wörtlich kann man nämlich übersetzen: „ein Jahr des Empfangens, des Zulassens oder Annehmens“. Es ist also ein „angenehmes Jahr“, in dem es uns gut geht.

Und das ist eine vielversprechende Ankündigung, die keineswegs zum Stillstand und zur Müdigkeit führt, denn genau das brauchen wir, wenn unser Leben gelingen soll. So einfach lassen sich unsere guten Vorsätze ja wie gesagt nicht verwirklichen. Es gibt viele Hinderungsgründe, von innen und von außen. Welche das sind, können wir uns gut klar machen, wenn wir die schlechten Zustände, die Jesus aufzählt, einmal im übertragenen Sinn verstehen. Er erwähnt Armut und Gefangenschaft, Blindheit und Gebrochenheit. Und das kennen wir bildlich gesehen alle.

So sind wir vielleicht nicht unbedingt materiell arm, aber es gibt ja auch eine Armut an Freude oder Liebe. Unser Leben ist dann irgendwie leer, wir sehnen uns nach mehr Mitmenschlichkeit und Zuwendung, fühlen uns einsam und verlassen. Und das raubt uns die Kraft und macht uns schwach.

Und „gefangen“ sind wir auch alle, in Beziehungen und Abhängigkeiten. Andere Menschen machen oft mit uns, was sie wollen. Wir können uns nicht lösen, sind in Umstände eingebunden, die uns festhalten. Und das lässt sich nicht so einfach verändern.

Genauso können wir „Blindheit“ im weiteren Sinne verstehen. Dann bedeutet sie, dass wir den Weg nicht mehr erkennen. Die Ziele verblassen, das Leben verfinstert sich, wir sind von Dunkelheit umgeben.

Und unter dem „Zerbrechen“ verstand sicher auch schon der Prophet alles, was im Leben schief läuft: Wir sind nicht immer gesund und fröhlich, aktiv und motiviert. Vieles zerbricht und zerrinnt im Laufe der Zeit. Wir liegen immer wieder am Boden.

Wenn wir unseren Text so verstehen, klingt er plötzlich ganz anders, und die Verheißung eines „Gnadenjahres“ gewinnt auch für uns eine Bedeutung. Es ist dann das Jahr, das wir bewusst nicht selber gestalten. Es wird uns vielmehr geschenkt. Wir lassen uns etwas gefallen. Nicht Ziele oder Inhalte stehen im Vordergrund, sondern das Vertrauen und die Offenheit. Wir geben uns hin und glauben. Und das ist keineswegs faul oder träge, sondern es fordert eine innere Aktivität, ein Schauen in eine andere Richtung, aufwachen und aufmerken, und zwar auf den, der da ist, gestern, heute und in Ewigkeit: Jesus Christus.

Er möchte „der Fels sein, auf dem wir stehen, der Führer, dem wir trauen, der Stab, an dem wir gehen, das Brot, von dem wir leben, der Quell, an dem wir ruhen, das Ziel, das wir erstreben.“ So hat Cornelius Friedrich Adolf Krummacher es 1857 in dem Lied formuliert. „Stern, auf den ich schaue.“ (EG 407) Es gilt also, dass wir die Liebe Jesu annehmen und uns von ihm führen lassen. Wir müssen nicht alles selber hinbekommen, nicht immer aktiv und leistungsfähig sein, stark und motiviert. In seiner Gegenwart hat auch das Versagen Raum, die Schwachheit und das Leid, Einsamkeit und Trauer. Alles, was zum Leben gehört, darf vorkommen, wir dürfen sein, wer wir wirklich sind. Denn so werden wir angenommen und geliebt. In einem „Gnadenjahr“ steht das im Vordergrund.

Und das wirkt sich beruhigend und heilend aus. Wir werden erfüllt und gestärkt, von innen her gehalten und aufgebaut. Ein Gnadenjahr ist immer auch ein Jahr der seelischen Ruhe und der Zuversicht. Wir werden durch die Gnade innerlich befreit. Abhängigkeiten lösen sich auf, weil wir nicht mehr so viel erwarten. Wir können loslassen und uns entspannen. Alte Muster verschwinden, und vieles ändert sich. All das beinhaltet das „Gnadenjahr“, und das ist eine wunderbare Perspektive. Es lohnt sich, wenn wir uns am Anfang des Jahres dafür entscheiden und uns das vornehmen. Dann kann Jesus uns Kraft und Mut geben und unsere Lasten tragen.

Und das geht nicht nur, wenn der Ruhestand beginnt. Auch mit einem vollen Terminkalender, vielen Aufgaben und Verpflichtungen gibt es immer noch Möglichkeiten, Zeiten der Ruhe unterzubringen. Wir haben Freiräume, die wir nutzen können, um uns auf Jesus zu verlassen. Wir müssen uns nur dafür entscheiden.

Natürlich ist der Ruhestand dafür eine wunderbare Gelegenheit. Was vorher nur zwischendurch möglich ist, kann nun die Hauptaufgabe sein. Viele von euch haben schon lange diese Möglichkeit, weil sie bereits in diese Lebensphase eingetreten sind. Für mich beginnt er heute, und ich finde es sehr schön, dass das Wort „Ruhe“ darin vorkommt. Die Mütter und Väter des Gebetslebens und der Frömmigkeit sprechen gerne von der „Ruhe des Geistes und der Seele“. Sie tritt ein, wenn wir uns auf Gott verlassen und seine Gnade annehmen. Dann „stehen wir in der Ruhe“, und das tut uns allen gut. Wenn wir darauf achten, aus der Ruhe heraus zu handeln und zu leben, gelingt uns vieles besser. Wir merken von selber, was wichtig ist und wo es lang gehen soll, wie wir unsere Kräfte am besten einteilen, welche Menschen wir lieben wollen und welche Einflüsse auf uns wirken sollen. „Mit Gott betreten wir Neuland“ und gehen getrost unseren Weg.

Amen.

Uns ist ein Kind geboren!

Predigt über Lukas 2, 1- 20: Jesu Geburt
Heiligabend, 24.12.2022, 17 Uhr, Lutherkirche Kiel

Lukas 2, 1- 20

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.
6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Liebe Gemeinde.

„Die Geschichte von Jesus gibt Mut“. So lautete die Überschrift eines Artikels in den Kieler Nachrichten vom 26. November über eine 89-jährige Bürgerin der Stadt, Astrid Ettinger. Es sind ihre eigenen Worte, und sie hat das schon als Kind so empfunden: Jedes Jahr war sie aufs Neue von der Krippe fasziniert, die ihre Eltern unter dem Tannenbaum aufbauten, von all den Figuren, besonders von Maria und dem Jesuskind. Im Laufe ihres Lebens hat sie dann Krippen gesammelt. Sie sind in diesem Jahr in der Heilandskirche in der Saabrückenstraße ausgestellt. Astrid Ettinger hofft, dass „die Menschen durch die Krippen auf andere Gedanken kommen“. Wenn sie selber die Figuren anschaut, fühlt sie sich sofort in Kindertage zurückversetzt und die Weihnachtsgeschichte wird für sie ganz lebendig.

Deshalb gibt es sie auch, die Krippendarstellungen. Die älteste stammt aus dem Jahr 1289. Anfangs wurde die Geburt Christi nur mithilfe der Heiligen Familie sowie Ochse und Esel dargestellt. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen die Heiligen Drei Könige, Hirten, Schafe, Stallungen sowie der Stern von Bethlehem samt Verkündigungsengel dazu.

Und das ist schön, denn all die Menschen und Tiere in der Geschichte haben eine bestimmte Rolle, die etwas über die Bedeutung von Weihnachten aussagt. Die wichtigste Person ist dabei natürlich das Kind in der Krippe, es bildet den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Der Grund dafür ist, dass Gott in diesem Kind erschienen ist. So lautet die Botschaft des Engels, so glauben es Maria und Joseph, die Hirten und Könige und alle anderen, die die Krippe besuchen.

Und das ist eine revolutionäre Botschaft, denn eigentlich müsste es doch ganz anders aussehen, wenn Gott auf die Erde kommt. Die Menschen haben es sich bis dahin auch anders vorgestellt. Sie glaubten durchaus daran, dass Gott eines Tages erscheint, denn das hatten die Propheten vorausgesagt. Aber in ihren Verheißungen war von einer wunderbaren Offenbarung Gottes die Rede, bei dem er seine Macht und Herrlichkeit demonstriert, Frieden und Gerechtigkeit bringt und alles neu macht. Auch der Evangelist Lukas kannte diese Erwartungen.

Doch gerade deshalb hat er seine Geschichte so erzählt, wie wir sie kennen. Ganz bewusst hat er das genaue Gegenbild entworfen: Es gibt niemanden, der schwächer und kleiner ist als ein neugeborenes Kind. Dazu ist das Kind in seiner Erzählung nicht in einem Palast zur Welt gekommen, sondern als seine Eltern unterwegs waren. Und seine erste Nacht hat es nicht in einem weichen, warmen Bettchen verbracht, sondern in einem Futtertrog, der in einem zugigen Stall stand. Doch genau da ist Gott erschienen. Niedriger und weniger aufsehenerregend geht es kaum. Dazu passen auch die ersten Besucher, die Hirten. Das waren keine Würdenträger, sondern einfache Leute.

So erzählt Lukas es, und das tut er wie gesagt bewusst. Er verkündet damit die Botschaft: Gott kommt klein in die Welt, und damit kommt er zu den Kleinen, zu den Schwachen und Unbedeutenden, zu uns allen. Wenn wir Menschen mit ihm zusammen sein wollen, müssen wir nicht zu Gott aufsteigen, sondern er wird niedrig. Er sucht sich nicht das Große und Strahlende, sondern das Schwache und Belanglose. Und dadurch erlöst er uns. Denn es bedeutet, dass wir nicht großartig sein müssen, wenn es uns gut gehen soll. Unser Leben gelingt nicht dadurch, dass wir erfolgreich sind, leistungsstark und anerkannt.

Das denken wir ja oft und wollen es am liebsten auch. Jeder und jede von uns trägt den Wunsch in sich, irgendwie ein bedeutungsvolles Leben zu führen. Wir wollen gut sein, beachtet, gelobt und geliebt werden. Wir bewundern deshalb die, die das schaffen: Filmstars, Sängerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen, die bahnbrechende Dinge herausbekommen, großartige Sportler, Schriftstellerinnen, deren Bücher zu Bestsellern werden, Regierende, die dem Wohl der Menschheit dienen, Philosophen, die uns die Welt erklären, und Heilige. Sie gelten in unseren Augen etwas und sind unsere Vorbilder. Wir verehren sie, weil wir ihnen viel verdanken. Der Applaus ist ihnen sicher. Und heimlich wünschen wir uns das alle, jedenfalls so ein bisschen: etwas Ruhm und Erfolg wäre doch ganz schön.

Doch leider gehören die meisten von uns einfach nur zum Durchschnitt. Wir sind nicht bedeutend, fallen nicht auf, haben Fehler und Schwächen, und sehen ganz normal aus. Wir sind keine Lichtgestalten. Es kann sogar sein, dass unser Leben eher dunkel ist, dass uns etwas belastet und Kummer macht. Wir leiden unter unserer Situation, sind unzufrieden, traurig und ängstlich. Anstatt großartig zu sein, kommen wir oft noch nicht einmal richtig mit unserem Leben klar.

Doch wir sollten uns nicht allzu sehr blenden lassen. Natürlich haben auch die berühmten Menschen Probleme. Der Erfolg ist oft nur äußerlich. Der schöne Schein kann trügen, denn er hat auch Schattenseiten. Es wird oft sogar bekannt, dass gerade große Stars Drogen nehmen, unter dem Leistungsdruck oder Depressionen leiden, ihre Partner und Partnerinnen häufig wechseln und sich letzten Endes einsam fühlen. Ganz zu schweigen von den vielen Neidern, der ständigen Öffentlichkeit, Intrigen und Verleumdungen. Das Leid verschont niemanden, und Scheinwerfer reichen nicht, um es zu vertreiben.

Doch genau deshalb ist Jesus gekommen, und die Weihnachtsgeschichte will uns sagen: Du musst nicht verzweifeln, selbst wenn du ganz unten bist. Denn genau da findet Gott dich und will dir begegnen. Du musst nicht alles hinbekommen und dich schon gar nicht mit irgendetwas Großem rühmen. Rühm dich einfach nur deiner Kleinheit und Schwäche und vertrau auf das Kind Jesus. Dann wirst du mit seiner Liebe beschenkt und in seine Gnade eingehüllt, und das wird dich froh und frei machen.

Es gibt eine Heilige, die genau das betont hat. Sie hieß Therese Martin und lebte am Ende des 19. Jahrhunderts in einem Kloster in der Normandie, in dem Ort Lisieux. Sie wurde nur 24 Jahre alt und war lange krank. Aber in ihrem kurzen Leben hat sie ein starkes Glaubenszeugnis abgelegt. Es gibt viele Briefe und Aufzeichnungen von ihr, die deutlich machen, dass gerade ihre Kleinheit und Verborgenheit zum Wesen ihres Lebens und ihrer Lehre gehörte. Sie sprach vom „kleinen Weg“ und verschrieb sich bewusst dem Jesuskind. Ihr Ordensname lautete auf ihren eigenen Wunsch hin „Therese vom Kinde Jesus“. In der kirchlichen Tradition wird sie auch die „kleine Therese“ genannt, und zwar in Abgrenzung zur „großen Therese“.

Die gab es ebenfalls, es war die Spanierin Theresa von Avila, die im 16. Jahrhundert gelebt hat. Sie war klug und belesen, hatte eine große geistliche Kraft und eine starke Ausstrahlung. Sie reformierte den Orden, zu dem sie gehörte, den Karmel, verfasste Schriften über den mystischen Weg und wurde später zur Kirchenlehrerin erklärt. Die kleine Therese bewunderte sie und trug ja auch denselben Namen, aber sie verkörperte etwas ganz anderes. Sie legte Zeugnis von der Botschaft ab, die alles umwälzt, nämlich dass Gott das Bedeutungslose liebt und nichts anderes möchte, als dass wir ihn auch lieben. Sie sagte einmal: „Die Heiligkeit besteht nicht in dieser oder jener Übung. Sie gründet in einer Verfassung unseres Herzens, die uns demütig und klein macht in den Armen Gottes, eingedenk unserer Schwachheit bis zur Kühnheit vertrauend auf seine Güte als Vater.“ (Ernst Guttinger, Nur die Liebe zählt, Die Mission der Theresia Martin, ein Weg für alle, Leutesdorf am Rhein 1978, S. 20) Therese von Lisieux zeigt uns den Weg der Hingabe an die Liebe Gottes, die uns im Kinde Jesus geschenkt wurde. Wir müssen nichts leisten, brauchen keine Macht und keinen Erfolg, damit unser Leben gelingt. Es reicht, wenn wir unsere Kleinheit annehmen, wie die Hirten zu dem Kind in der Krippe eilen und uns für seine Gegenwart öffnen.

Dann „kommen wir wirklich auf andere Gedanken“, wie Astrid Ettinger sagt. Die Weihnachtsgeschichte „gibt uns Mut“ und richtet uns auf. Und das Schöne ist: All das bleibt nicht bei uns, sondern wirkt sich auf unser Miteinander aus. Wir werden auch gegenüber unseren Mitmenschen liebevoller und aufmerksamer, friedlicher und gütiger. Nicht nur die Gottesliebe wird lebendig, sondern auch die Nächstenliebe.

Lasst uns deshalb dieses Kind anbeten und lieben. Es ist zwar klein, hat aber Großes bewirkt, denn es ist aus dem Himmel zu uns gekommen und kann uns trösten und erfreuen. Das alles kommt sehr schön in einemChoral zum Ausdruck. Den Text hat ein Zeitgenosse von Johann Sebastian Bach gedichtet, Valentin Thilo der Jüngere, und es heißt: „O Jesulein süß, o Jesulein mild!“. Die Verkleinerung des Namens Jesu und die beiden Adjektive „süß“ und „mild“ wirken möglicherweise etwas kitschig und unpassend für den Sohn des Allerhöchsten, selbst als er noch ein Baby war. Aber er hat den Willen Gottes verwirklicht, seinen Zorn gestillt und uns Sünder angenommen. Das bekennt der Dichter in seinem Lied. Wenn wir es singen, können wir uns dem Kind Jesus hingeben und ihm unser Leben anbefehlen.

Amen.

1. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Deines Vaters Willen hast du erfüllt,
bist kommen aus dem Himmelreich,
uns armen Menschen worden gleich.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!

2. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Deins Vaters Zorn hast du gestillt,
du zahlst für uns all unser Schuld
und bringet uns in deins Vaters Huld.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!

3. Jesulein süß, o Jesulein mild!
Mit Freuden hast du die Welt erfüllt.
Du kommst herab vons Himmels Saal
Und tröstest und in dem Jammertal.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!

4. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Sei unser Schirm und unser Schild,
wir bitten durch dein Geburt im Stall,
beschütz uns all vor Sündenfall.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!

5. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Du bist der Lieb ein Webenbild.
Zünd an in uns der Liebe Flamm,
dass wir dich lieben allzusamm.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!

6. O Jesulein süß, o Jesulein mild!
Hilf, dass wir tun alls, was du willt,
was unser ist, ist alles dein,
ach lass uns dir befohlen sein.
O Jesulein süß, o Jesulein mild!

Freuet euch!

Predigt über Philipper 4, 4- 7: Mahnung zur Freude im Herrn

4. Sonntag im Advent, 18.12.2022, Lutherkirche Kiel

Philipper 4, 4- 7

4 Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!
5 Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe!
6 Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!
7 Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Liebe Gemeinde.

Seine letzte Adventszeit und damit auch das Weihnachtsfest verbrachte Dietrich Bonhoeffer im Gestapo-Bunker in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, das war 1944. Seine Lage war aussichtslos, und das wusste er auch. Deshalb war ihm bestimmt nicht nach Feiern und schon gar nicht nach Freude zu Mute. Er suchte stattdessen nach einer Einstellung, die sich nicht mehr an das Leben klammerte, sondern vom Glauben an die Ewigkeit geprägt war, und das ist ihm auch gelungen. Wir können das seinen Briefen entnehmen, die er aus dem Gefängnis heraus an seinen Freund Eberhard Bethge schrieb. Sie sind 1951 in dem Buch „Widerstand und Ergebung“ veröffentlicht worden. Und darin findet sich auch das Lied, das wir alle kennen: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ (EG 65,1) Bonhoeffer wusste sich bei Gott geborgen, und so konnte er sich im Geiste mit seinen Lieben verbinden. Er sah vor seinem inneren Auge den Kerzenschein und empfand die stille Freude, die Gott uns im Glauben schenkt.

Er wurde damit dem Aufruf des Apostels Paulus aus dem Philipperbrief gerecht, den wir eben schon gehört haben. „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ Das ist der Wochenspruch, der in der Epistel von heute steht. Sie ist auch unser Predigttext: Wir sollen uns also freuen. Gleich zweimal ermahnt der Apostel die Philipper dazu.

Doch welche Freude meint er eigentlich? Wir verstehen darunter ja meistens etwas, das wir ausrichten können, indem wir schöne Dinge unternehmen, mit anderen Menschen zusammenkommen, Spaß und Unterhaltung haben. Ein fröhliches Weihnachtsfest, das wir organisieren, würde auch dazu gehören.

Aber Paulus spricht hier von einer ganz anderen Freude. Er meint nicht das irdische Vergnügen, denn in der Stimmung war er selber genauso wenig wie Dietrich Bonhoeffer. Wie dieser befand Paulus sich in Gefangenschaft, als er den Brief an die Philipper schrieb, und er wusste nicht, wie sie ausgehen würde. Das Gerichtsurteil stand noch bevor, darauf wartete er gerade, und das konnte durchaus ein Todesurteil sein. Er hatte also allen Grund zur Sorge und zur Angst, und die Philipper teilten das mit ihm.

Auf diesem Hintergrund wird klar, was für eine Freude Paulus hier meint. Es ist eine Freude, die unabhängig ist von der äußeren Situation und von innen kommt. Es die Freude im Leid, die sich gerade in der Trübsal bewährt. Von ihr sollen die Philipper sich bestimmen und erfüllen lassen. Sie wird von Christus bewirkt, der nahe ist. Damit begründet Paulus die Freude. Er war davon überzeugt, dass Christus wiederkommen wird, dass er bereits vor der Tür steht und allem Leid ein Ende macht. Deshalb folgt auch der Aufruf zur Sorglosigkeit: Der helle Schein des kommenden Christus leuchtet in das Dunkel der Gegenwart und vertreibt alle Angst. Die Christen müssen sich nicht fürchten, sie sollen stattdessen beten und Gott danken.

Dann wird Gott mit seiner Macht in den Herzen der Menschen das Heil schaffen. Das kommt mit dem letzten Satz zum Ausdruck: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Es geht also bei der Freude, zu der Paulus aufruft, um die Hoffnung und die Gewissheit der Gegenwart Christi. Aus ihr entspringen Güte und Frieden. Paulus lädt zur Gemeinschaft und einer engen Verbundenheit mit Christus ein. Mit ihm und durch ihn sollen wir leben.

Was Paulus verkündet, hat also das nichts mit Veranstaltungen oder Festen, Spaß oder Vergnügen zu tun. Die Freude, an die er denkt, liegt tiefer und ist dauerhafter. Sie kann uns durch die Entbehrung hindurch tragen, uns im Leiden erhalten bleiben und uns von innen her heil und frei machen. Es geht um Fülle und Freude in einem ganz tiefen Sinn. Dietrich Bonhoeffer hat sie erfahren, und will dazu einladen. Lasst uns deshalb fragen, wie seine Briefe und Gedichte aus dem Gefängnis uns trösten und ermutigen können, wie auch wir diese tiefe und umfassende, ewige Freude empfangen, die Jesus uns gibt, worin sie besteht und wie sie sich auswirkt.

Dafür ist es gut, wenn wir uns zunächst bewusst machen, wie es nicht geht, wie wir es aber oft versuchen. Ich erwähnte ja schon, dass wir die Freude gerne selber organisieren wollen. Das Weihnachtsfest ist dafür ein schönes Beispiel. Da erwarten wir Friede und Harmonie in der Familie, Fröhlichkeit und Aufmerksamkeit füreinander, Geborgenheit, Wärme und Licht. Und wir tun viel dafür, damit all das eintritt. Aber gelingt uns das auch? Wir sind gerade zu Weihnachten oft gar nicht so entspannt, wie wir es eigentlich gerne sein wollen. Und es bleiben immer Wünsche offen, egal wie sehr wir uns anstrengen. Das liegt hauptsächlich an unserem Umgang miteinander. Häufig finden wir die anderen nicht so nett und aufmerksam, wie wir es möchten. Sie haben eigene Themen, die uns gar nicht interessieren, sind zu schweigsam oder zu laut. Alles Mögliche kann die Harmonie stören. Erst recht traurig ist es, wenn wirklich das Schicksal in einer Familie zuschlägt, jemand kurz vor dem Fest stirbt oder einen Unfall hat. Dann ist alles verdorben, und wir können nicht mehr richtig feiern.

Wir merken also gerade am Weihnachtsfest unseren Mangel und unsere Freudlosigkeit und leiden darunter. Wir merken wie ist schwer es ist, die Freude zu organisieren und herzustellen. Das sollten wir uns bewusst machen und es uns auch eingestehen, denn genau deshalb ist Jesus gekommen. Er will dagegen etwas tun, und nur er allein kann es wirklich. Wir müssen es nur von ihm auch erwarten. Wir sollen seine Freude empfangen, und das geht ganz anders, als durch unsere üblichen Festvorbereitungen.

Mir sind drei Merkmale eingefallen, die die Freude an Christus auszeichnen: Als erstes müssen wir beachten, dass wir sie nicht machen können, sie wird uns geschenkt, und das heißt, dass wir Raum für ihn schaffen müssen, ihn kommen und handeln lassen. Wir müssen uns an ihn wenden und in unserem Herzen Platz für ihn machen. Dazu gehört es, dass wir nicht mehr versuchen, das Leid und den Mangel abzuschaffen, sondern ruhig werden und ja zu unserem Leben sagen, auch zu den anderen Menschen. Wir sollten sie annehmen wie sie sind, und nichts von ihnen erwarten. Dann kann Jesus uns trösten und erfreuen.

Als zweites müssen wir wissen, dass die Freude, die Jesus bringt, eher eine stille Freude ist. Es geht dabei nicht laut zu, wie bei einem Fest oder einer Party. Wir werden vielmehr leise, Güte und Wohlwollen ziehen in uns ein, Bescheidenheit und Nachsicht. Und das sind ganz große Gaben, nach denen wir uns in Wirklichkeit auch sehnen. Sie sorgen wirklich für ein gutes und friedliches Miteinander.

Und das dritte Merkmal dieser Freude ist, dass sie uns ganz erfüllt. Da bleibt keine Enttäuschung oder Unzufriedenheit zurück, denn anders als unsere Mitmenschen schenkt Jesus uns seine ganze Aufmerksamkeit oder mehr noch: Er schenkt sich selber und das ewige Leben. Und das ist das, was wir uns in Wirklichkeit auch wünschen. Wenn wir es empfangen, werden wir deshalb gelassen, unserer Erwartungen an die anderen verlieren ihre Bedeutung. Wir sind entspannt und guter Dinge, fröhlich und offen.

Unsere Hauptaufgabe in dieser Zeit besteht also gar nicht darin, dass wir das Weihnachtsfest so gut es geht vorbereiten, sondern darin, dass wir diese Freude empfangen. Und dafür sollten wir Gelegenheiten schaffen. Wir können uns für jeden Tag eine kurze Zeit der Stille und des Gebetes vornehmen, in der wir uns Christus anvertrauen und seine Liebe annehmen.

Das tat auch Dietrich Bonhoeffer, und so konnte er getrost bleiben, selbst als er am 7. Februar 1945 in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar eingeliefert wurde. Am 9. April wurde er noch einmal verlegt, in das KZ Flossenbrügg bei Weiden in der Oberpfalz. Dort wurde er dann zusammen mit andern Widerstandskämpfern hingerichtet. Er starb durch die Gewalt der Nazis, und das war grausam und ungerecht. Trotzdem oder gerade deshalb ist sein Glaubenszeugnis bis heute lebendig geblieben, und wir können mit ihm bekennen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (EG 65,7) Dann kann es hell werden in unseren Herzen und in unseren Häusern, und das Weihnachtsfest wird gelingen. Amen.

„Wachen ist unser Dienst“

Predigt über Markus 13, 31- 37: Mahnung zur Wachsamkeit

Letzter Sonntag im Kirchenjahr, 20.11.2022, Lutherkirche Kiel

Markus 13, 31- 37

31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.
32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.
33 Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
34 Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen:
35 so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen,
36 damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt.
37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Liebe Gemeinde.

Die Temperaturen sind gesunken, es hat gefroren und die ersten Schneeflocken sind gefallen. Die Blätter fallen schon lange, die Bäume sind kahl geworden, die Natur legt sich zur Ruhe. Viele Dichter und Dichterinnen haben die Stimmung und das Erleben dieser Jahreszeit in Poesie ausgedrückt, so auch Rainer Maria Rilke (1875- 1926). Von ihm gibt es mehrere Herbstgedichte, wie z.B. dieses:

„Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: Es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Das klingt melancholisch und tröstlich zugleich, denn einerseits drückt Rilke aus, dass wir alle sterben müssen, andererseits glaubt er, dass wir gleichzeitig aufgefangen werden. Der Dichter sieht das Fallen der Blätter und die Vergänglichkeit des Lebens, aber parallel dazu spürt er die Hand des Ewigen, der alles hält.

Und so ist es auch in der Bibel. Wir haben zwei Lesungen gehört, die vom Ende der Welt handeln und dazu eine neue Welt verheißen. So enthält das Evangelium von heute den letzten Teil der Endzeitrede Jesu. Er spricht darin von den letzten Ereignissen vor dem Weltuntergang: Kriege, Hungersnöte und Erdbeben bilden den „Anfang der Wehen“, wie er sagt. Dann kommt eine große Drangsal, wie sie vorher noch nicht da gewesen ist. Eine kosmische Katastrophe wird alles vernichten. Doch am Ende wird Christus wieder kommen. Das ist der Höhepunkt, auf den alles zuläuft.

Zum Schluss seiner Ausführungen ermahnt Jesus seine Jünger, dafür bereit zu sein, sie sollen wachen und aufpassen, damit sie bei diesem Ereignis zu denen gehören, die gerettet werden. Sie müssen sich bewähren, eigentlich auch schon vorher. Ihr ganzes Leben soll von diesem Ende her geprägt sein, denn der Zeitpunkt, zu dem es eintritt, ist ungewiss. Darum geht es in diesem letzten Abschnitt, der die Mahnung zur Wachsamkeit enthält.

Dafür erzählt Jesus noch ein Gleichnis: Es ist wie bei einem Hausherrn, der auf Reisen ist. Er hat sein Haus dem Personal überlassen, damit sie in seiner Abwesenheit seine Geschäfte führen und für Ordnung sorgen. Natürlich sind sie ihm Rechenschaft schuldig, wenn er wieder kommt. Da sie aber nicht wissen, wann das sein wird, müssen sie dafür immer bereit sein. Die Bücher müssen jeden Tag stimmen, das Haus muss aufgeräumt sein, es muss Frieden und Ordnung herrschen.

Genauso versteht Jesus die Wachsamkeit der Christen: Die ungewisse Zukunft soll ihr Bewusstsein schärfen und zur Aufmerksamkeit für das Zeitgeschehen führen. Sie müssen jederzeit bereit sein, Rechenschaft abzulegen, und dürfen auch das Leiden nicht scheuen. Am wichtigsten aber sind das Vertrauen und der Glaube, dass Gott der Herr der Geschichte bleibt und in der Endphase die Dinge ordnet.

Um diese Grundhaltung geht es hier. Und die ist auch für uns wichtig. Wir rechnen zwar nicht unbedingt mit dem nahen Ende der Welt, aber wir wissen, dass jeder und jede einzelne irgendwann „fallen“ und sterben wird. Es ist noch nicht lange her, dass viele von uns das gerade erlebt haben. Und sie sind deshalb traurig. Es ist deshalb gut, an etwas zu glauben, das über unser Leben und diese Welt hinausgeht. Es kann uns trösten, wenn wir unseren inneren Blick auf den großen Horizont der Ewigkeit richten und ihn in das gegenwärtige Leben einbeziehen. Dazu lädt Jesus uns hier ein.

Aber was heißt das nun? Wie sollen wir unser Leben führen, damit das wahr wird und uns wirklich beruhigt? Lasst uns darüber nachdenken und uns einzelne Regungen der Seele bewusst machen. Es gibt vier Vorgänge in unserem Inneren, die uns oft bestimmen: Das Verlangen, die Furcht, der Schmerz und die Freude. Hinter dieser Aufzählung steht ein kurzes Wort von Theresa von Avila, einer spanischen Nonne aus dem 16. Jahrhundert (1515- 1582). Sie wusste viel über die Seele und das Gebet und sie schrieb einmal:

„Dein Verlangen sei, Gott zu schauen,
deine Furcht, ihn zu verlieren,
dein Schmerz, ihn noch nicht zu genießen,
deine Freude, dass er dich zu sich führen kann.
Dann wirst du in großem Frieden leben.“

Mich bewegt dieses Wort, seit dem ich es kenne, denn es beschreibt sehr schön, wie sich die Seele auf Gott einstellen kann: Wir müssen dafür unser Verlangen, unsere Furcht, unseren Schmerz und unsere Freude auf ihn beziehen. Das tut gut und schenkt uns einen tiefen Frieden. Denn diese Regungen beunruhigen uns normalerweise, manchmal zerreißen sie uns innerlich sogar.

Beginnen wir mit dem Verlangen: Es geht meistens in eine andere Richtung. Wir wollen immer alles Mögliche: Wer viel arbeitet, wünscht sich mehr Freizeit, die Einsame sehnt sich nach Gemeinschaft, der Arme möchte mehr Geld, die Kranke Gesundheit, der Traurige Trost usw. Unsere Wünsche sind vielfältig und mächtig. Sie haben uns manchmal im Griff, und das fühlt sich gar nicht gut an. Meistens leiden wir unter ihnen, denn sie werden nur so selten erfüllt. Wir bleiben in ganz vieler Hinsicht unglücklich und unzufrieden.

Deshalb tut es gut, anstatt all dieser vielen Dinge einmal nur nach Einem zu verlangen, danach nämlich, Gott zu schauen. Dann wird alles andere plötzlich kleiner und unbedeutender. Denn dann richten wir uns nach dem Größten aus, und das hebt unseren Geist empor. Das Verlangen nach diesem oder jenem verliert seine Macht.

Genauso ist es mit der Furcht, die kennen wir auch alle. Wir fürchten uns vor dem Krieg und vor anderen Menschen, vor den eigenen Schwächen, vor dem Älterwerden und dem Tod. Die Furcht macht uns normalerweise klein und schwach. Sie nimmt uns unsere Lebenskraft.

Anders ist, wenn unsere größte Furcht darin besteht, Gott zu verlieren. Denn dann merken wir, dass er im Leben eigentlich das Entscheidende ist. Die anderen Ängste verblassen ihm gegenüber.

Die dritte Empfindung, die in unserem Wort genannt wird, ist der Schmerz. Auch vor dem bleiben wir nicht verschont. Er entsteht durch Trauer, Enttäuschung, Verletzungen und Krankheit. Wenn er da ist, bestimmt er unser ganzes Leben. Doch auch das ändert sich, wenn unser größter Schmerz darin besteht, „Gott noch nicht zu genießen“. Uns wird bewusst, dass er uns in Wirklichkeit fehlt. Wir leben viel zu oft so, als bräuchten wir ihn nicht. Und das sollte uns weh tun, das sollte unser Schmerz sein, denn der lässt sich merkwürdigerweise ertragen. Es ist ein süßer Schmerz, der nichts mit Krankheit oder Trauer zu tun hat, sondern uns wach und lebendig macht.

Denn es gibt eine Lösung, eine Antwort auf unser Verlangen, unsere Furcht und unseren Schmerz. Gott selber hat sie uns gegeben, denn er kommt und ist schon da und will uns zu sich führen. Es muss nicht so bleiben, wie es ist, dass wir nur nach ihm verlangen, uns sorgen, ihn zu verlieren, oder es weh tut, dass er nicht da ist. Das kann sich alles ändern, und zwar ohne unser Zutun. Denn Gott selber will, dass das alles aufhört, und dass es uns gut geht. Er kommt uns deshalb entgegen und schenkt uns seine Liebe und Nähe. Und das löst eine tiefe Freude aus. Sie entzündet sich nicht an vergänglichen Dingen, sondern ist umfassend und erfüllend. Deshalb endet das Gedicht Theresas von Avila auch mit der Verheißung eines großen inneren Friedens. Der kennzeichnet ein Leben, das von Gott bestimmt ist.

Es ist deshalb gut, wenn wir wachen und beten, und zwar so viel und so oft wie möglich. Wir tun das nicht nur für uns, sondern auch für die Welt. Sie braucht Menschen, die nicht dem Lärm und der Unrast erliegen, sondern gelassen das Fallen der Blätter anschauen können, und die das Sterben und die Vergänglichkeit nicht beunruhigt.

Eine Nonne, ihr Name ist Silja Walter (1919- 2011), hat das einmal sehr schön formuliert mit ihrem „Gebet des Klosters am Rand der Stadt“. Es lautet folgendermaßen:

„Jemand muss zuhause sein, Herr, wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten, unten am Fluss vor der Stadt.
Jemand muss nach dir Ausschau halten, Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst?
Jemand muss wachen, unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden.
Herr, du kommst ja doch in der Nacht, wie ein Dieb.
Wachen ist unser Dienst.
Wachen. Auch für die Welt. Sie ist oft so leichtsinnig,
läuft draußen herum und nachts ist sie auch nicht zuhause.
Denkt sie daran, dass du kommst?
Dass du ihr Herr bist und sicher kommst?
Jemand muss es glauben,
zuhause sein um Mitternacht,
um dir das Tor zu öffnen
und dich einzulassen, wo du immer kommst.
Herr, und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen, ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten und singen.
Dein Leiden, deinen Tod mit aushalten und daraus leben.
Das muss immer jemand tun mit allen andern und für sie.
Und jemand muss singen,
Herr, wenn du kommst!
Das ist unser Dienst:
Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust, die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist und wunderbar, wie keiner.“

Amen.