Predigt über Kolosser 2, 12- 15
1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti, 24.4.2022, 9.30 und 11 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel
Kolosser 2, 12- 15: Christus hat den Schuldbrief getilgt
12 Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.
13 Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden.
14 Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.
15 Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.
Liebe Gemeinde.
Lügen haben gerade Hochkonjunktur. Die russische Führung macht es uns vor: Die Verbrechen, die sie begehen, werden einfach geleugnet. Die Wirklichkeit wird so dargestellt, wie es ihnen passt, es wird gelogen, was das Zeug hält. Denn natürlich können sie die Gräueltaten, die sie begehen, nicht zugeben. Dann wäre alles aus.
Das kennen wir auch aus dem persönlichen Leben: Wenn wir etwas falsch gemacht haben, versuchen wir erst einmal, es zu vertuschen. Das beginnt schon in der Kindheit. Ohne dass es uns jemand beibringt, wissen wir, wie man lügt: Schule schwänzen, bei der Klassenarbeit abschreiben, Geld aus dem Portemonnaie der Eltern entwenden – das alles wird zunächst einmal geleugnet. Später ist es vielleicht ein Ehebruch oder andere ungute Heimlichkeiten, die wir durch Lügen verbergen wollen. Wir denken, damit sind wir aus dem Schneider. Aber stimmt das?
Schon Aristoteles hat gesagt: „Einen Fehler durch eine Lüge zu verdecken heißt, einen Flecken durch ein Loch zu ersetzen.“ Es wird nur schlimmer durch die Lüge. Martin Luther hat das so ausgedrückt: „Die Lüge ist wie ein Schneeball: Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er.“
Trotzdem tun wir es, denn eine Schuld zuzugeben, hat unangenehme Konsequenzen. Je größer sie ist, umso schwerer wiegen die Folgen. Im politischen oder gesellschaftlichen Wesen gibt es auf jeden Fall einen Richterspruch und eine Strafe, und das wird normalerweise auch protokolliert. Wie das Urteil ausfällt, wird schriftlich festgehalten.
Seit Menschen Gedenken ist das so, auch schon in biblischen Zeiten. Paulus benutzt diesen Vorgang jedenfalls als ein Bild, um einen theologischen und geistlichen Zusammenhang deutlich zu machen. Wir haben das vorhin in der Epistellesung gehört, die heute unser Predigttext ist. Paulus sagt dort an einer Stelle: „Christus hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war.“ Dabei denkt er an eine handgeschriebene Urkunde, auf der vermerkt ist, welche Schulden ein Mensch hat, d.h. was er noch alles bezahlen muss. Und er benutzt das hier als ein Bild für das Gesetz Gottes mit seinen Forderungen, die der Mensch zu erfüllen hat, um gerecht zu sein. Christus hat diesen Schuldbrief öffentlich zerrissen und für ungültig erklärt, und zwar durch seinen Tod am Kreuz. Wer daran glaubt, wird nicht mehr durch das Gesetz belastet, er ist frei.
Das ist hier die Botschaft, und die ist wunderbar. Sie verheißt einen Neuanfang, der nun allerdings nicht durch Bezahlung oder Bestrafung möglich wird, sondern durch eine Schuldentilgung. Gott verzichtet auf seine Forderungen. Und wie großartig das ist, können wir uns gut vorstellen, wenn wir es mit einem Freispruch vergleichen, mit Vergebung und Versöhnung. Das Leben ändert sich von Grund auf, es kann ganz neu und schön werden. Die Lügen und das Vertuschen hören auf.
Die anderen Bilder, die Paulus in unserem Textabschnitt dafür benutzt, beschreiben deshalb genau das: Er redet von einem „neuen Leben“, das die Christen führen. „Christus hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden“, sagt er und damit meint er ein Leben, das von der Auferstehung geprägt ist. Christus ist darin gegenwärtig mit seiner Kraft und seiner Liebe. Sein Geist durchdringt das Denken und Fühlen, er schenkt Freiheit und Frieden. Denn er nimmt die Glaubenden immer wieder mit auf seinem Weg durch den Tod und die Hölle ins Leben und in die Freude.
Und das alles beginnt mit der Taufe, bei der Gott an den Täuflingen handelt. Der Schöpfer hat sie bei der Taufe neu geschaffen. „Mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.“, so die Worte von Paulus
Mit dem Glauben an Jesus Christus und der Taufe geht also etwas Altes zu Ende und etwas Neues beginnt. Unser Leben mit all seinen Lasten und Schulden, mit seiner Gottesferne und seinen Verfehlungen wird beerdigt. Die Vergangenheit kann nicht mehr auferstehen, wir müssen die Fehler, die wir begangen haben, nicht mit uns herumschleppen oder verdecken. Sie müssen uns nicht ängstigen oder entmutigen, denn wir werden daraus befreit. Uns wird versprochen, dass Gott nichts von uns fordert, auch wenn wir tief in seiner Schuld stehen. Er verzichtet darauf und schenkt uns immer wieder einen Neuanfang.
Die Frage ist allerdings, warum er das Böse dann überhaupt erst zulässt? Wenn er es sowieso vergeben will, könnte er doch dafür sorgen, dass es gar nicht erst geschieht. Gerade jetzt, während des Krieges in der Ukraine, fragen wir uns das sicher manchmal: Warum hat er nicht alle Menschen gut gemacht, so dass niemand erst Böses tut? Es heißt doch in der Schöpfungsgeschichte: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ (1. Mose 1,27) Das könnte ja heißen, er schuf ihn gut und schön, ehrlich und liebevoll.
Aber so einfach ist es leider nicht. Denn in der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott steckt auch seine Fähigkeit zur freien Entscheidung. Als Gott den Menschen schuf, wollte er ein lebendiges Gegenüber, ein Wesen, das genauso selbständig und souverän denken und handeln kann wie er. Er befähigte den Menschen, Verantwortung zu übernehmen. Das wird an dem Auftrag deutlich, den er ihnen gab. Der lautet: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (1. Mose 1,28) Der Mensch steht also höher und ist mächtiger als ein Tier oder eine Pflanze. Er handelt nicht bloß nach seinem Instinkt, sondern er kann herrschen und lieben, hassen und begehren, genauso wie verzichten oder sich hingeben. Alles ist möglich, das Böse und das Gute.
Dabei möchte Gott natürlich, dass wir das Gute tun, und er hat auch nicht verheimlicht, worin es besteht. Wir kennen seinen Willen, er steht in der Bibel. Schon Noah hat ihn erfahren, aber später auch Abraham und vor allem Mose. Ihm hat er offenbart, wie er sich das Zusammenleben der Menschen vorstellt, indem er ihm die Zehn Gebote gab. Zusammengefasst lauten sie: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Lukas 10,27) Seitdem wir das wissen, erwartet Gott, dass die Menschen sich daran halten.
Das Problem liegt also nicht bei ihm, sondern bei uns. Mit der Frage, warum Gott das Böse zulässt, drücken wir uns gerne vor dieser Wahrheit, denn sie ist unbequem. Die Aufforderung an Gott, sich doch bitte zu rechtfertigen, entspringt dem Wunsch, irgendjemandem die Schuld für alles Schreckliche zu geben. Wir sind wütend, und richten diese Wut gegen Gott. Dabei ist uns gar nicht so ganz klar, wen oder was wir uns dabei überhaupt vorstellen. Wir entwerfen einfach im Geist eine ominöse, unsichtbare Instanz, der wir alles in die Schuhe können, und damit sind wir selber dann fein raus.
Das können wir natürlich tun – auch das gehört zu unserer Freiheit – aber es bringt ganz und gar nichts. Unsere Wut wird höchstens größer, der Groll setzt sich fest, denn eine Antwort bekommen wir nicht, und eine Lösung finden wir auf diesem Weg schon gar nicht.
Wenn wir die suchen, müssen wir anders fragen. Und da hilft uns nun unser Predigttext. Denn er sagt uns: Gott hat sehr wohl etwas getan. Er schaut nicht einfach nur zu, wie wir uns gegenseitig vernichten, sondern er hat einen Ausweg geschaffen. Es ist der Tod Jesu am Kreuz, mit dem er unsere Schuldurkunde zerrissen hat. Das ist hier das Bild oder auch das Gleichnis. So müssen wir die Aussage verstehen. Es bedeutet nicht, dass Christus unsere weltliche Rechtsprechung außer Kraft setzt, sondern macht wie gesagt einen theologischen Zusammenhang und einen geistlichen Vorgang deutlich: Es geht es in erster Linie um unser Verhältnis zu Gott: Wir sind seine Kinder, befreite Menschen, ganz gleich, wie schuldig wir geworden sind, wir werden vor dem Untergang bewahrt.
Und das heißt – was die Frage nach dem Bösen betrifft – Gott stoppt es zwar nicht rigoros und von oben herab, aber er kann und will das Böse im Leben jedes und jeder Einzelnen beenden, wir müssen es nur wollen. Es gibt einen Sieg, in den wir hineingenommen werden können. Was uns belastet, ist nicht die letzte Wirklichkeit, denn die wurde von Christus durchbrochen und überwunden. Wir müssen das nur glauben und darauf vertrauen.
Und das ist ein ganz individueller, innerlicher Weg, der uns persönlich zum Guten führt. Wir sind alle eingeladen, ihn zu gehen, „aufzuwachen und unseren Geist und Sinn zu ermuntern“. So hat der pietistische Liederdichter Lorenz Lorenzen aus Husum es 1700 in einem Osterlied ausgedrückt. Es liegt an uns selber, ob wir aus „dem Grab der Sünden aufstehen und ein neues Leben suchen.“ Der Glaube ist wie ein „Lauf“, bei dem unser „Herz sich gen Himmel hebt, wo Jesus ist.“ Wir müssen nur „suchen, was droben“ ist und „geistlich auferstehen.“ Dazu gehört es, dass wir eine Schuld eingestehen, wenn wir sie auf uns geladen haben, dass wir ehrlich mit uns selber und gegenüber anderen sind, reumütig und bußfertig. Das ist nicht immer ganz einfach, denn natürlich sind wir in allen möglichen Verhaltensmustern gefangen. Es kann wie ein „Streit“ in unserer Seele sein. Aber es lohnt sich, den „anzufangen“. Denn „weil Jesus überwunden“ hat, wird er auch in unserem Herzen die „Feinde überwinden“. Wir können „in ein neues Leben gehen und Gott im Glauben dienen.“ (EG 114,1.2.7.9)
Und damit beginnt bereits ein Stück des Reiches Gottes auf dieser Welt. Die Wut, die wir eventuell haben, verraucht, Fragen werden überwunden, Geist und Seele beruhigen sich. Denn wir stellen uns nicht einfach nur eine irrationale Macht vor, die alles regeln soll, wir wenden uns vielmehr der Realität des Auferstandenen zu. Im Leben eines Gläubigen oder einer Christin ist er gegenwärtig, und damit auch im Leben der Gemeinde und der Kirche. Sie ist die Gemeinschaft der Glaubenden und damit ein Ort, an dem die Gewalt und Macht des Todes und der Hölle gebannt ist.
Bill Clinton hat einmal gesagt: „Wir sollten niemals aus den Augen verlieren, dass der Weg zur Tyrannei mit der Zerstörung der Wahrheit beginnt.“ Der Krieg und das Böse fangen nicht erst an, wenn Waffen eingesetzt werden, er beginnt bereits mit der Geisteshaltung. So hat auch Gandhi das gesehen. Von ihm stammt der Satz: „Gutes kann niemals aus Lüge und Gewalt entstehen.“ Es kommt nur dann, wenn wir das Gegenteil beherzigen: Die Wahrheit und Friedfertigkeit. Und gerade an Gandhi wird deutlich, was für Kräfte von diesen Tugenden ausgehen. Sie können das Leben heil machen, Familien zusammenführen und Gesellschaften verändern. Lasst uns deshalb an den Sieg Christi glauben, der uns aus der „Macht und List Satans und aus des Todes Banden“ befreit hat.
Amen.