Tut Buße!

Predigt über Jona 3, 1- 10: Jonas Predigt und Ninive Buße

2. Sonntag nach Trinitatis, 26.6.2022, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Jona 3

1 Und es geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona:
2 Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!
3 Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der HERR gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß.
4 Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.
5 Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und bließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an.
6 Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche
7 und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe Nahrung zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen;
8 und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und zu Gott rufen mit Macht. Und ein jeder bekehre sich von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände!
9 Wer weiß? aVielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.
10 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie asich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.

Liebe Gemeinde.

Der christliche Ruf zur Buße begann mit Johannes dem Täufer. Jesus rief dann ebenfalls zur Umkehr, und das wurde im Urchristentum fortgesetzt. Der Grund war die nahende Gottesherrschaft, die auch Paulus betonte. Schon sehr früh entstand in diesem Zusammenhang das Amt des Bindens und Lösens.
In der Alten Kirche setzte sich die Vollmacht dieses kirchlichen Amtes durch und es entstand eine öffentliche Bußpraxis.
Im Mittelalter wurde die private Buße wichtiger und mit ihr die Zurechtweisung der Einzelnen. 1215 wurde sie zum Sakrament erklärt, das für jeden Christen und jede Christin heilsnotwendig ist.
Luther sah das etwas anders. Die Buße war für ihn kein Sakrament und nicht an das Priesteramt gebunden. Er betonte, dass die wahre Buße dem Glauben entspringen muss.
In der Neuzeit verlor die Buße allgemein an Bedeutung. Sie ist heutzutage nur noch ein einzelner Akt im christlichen Leben und im Bereich der Seelsorge und Spiritualität angesiedelt. ––

Das war jetzt ein kurzer Überblick über die Geschichte der Buße und Beichte im Christentum.

Aber es gibt sie aber natürlich auch außerhalb des Neuen Testamentes und der Kirche: Wir haben vorhin eine Geschichte aus dem Alten Testament gehört, die davon erzählt. Es ist die Bußpredigt des Propheten Jona an die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt Ninive und ihre Folgen.

Ninive war die Hauptstadt des assyrischen Reiches, deren „Bosheit zu Gott herauf gedrungen war“, wie es am Anfang des Jonabuches heißt. (Jona 1, 2) Der Prophet erhält deshalb den Befehl, dorthin zu gehen und gegen ihre Sünde zu predigen. Das wollte er zuerst nicht, denn die Stadt lag außerhalb Israels, und er hatte Angst vor dem Auftrag, aber Gott setzte sich durch und Jona kam nach einem Umweg dort an.

In der großen Stadt, in die er sich einen Tagesmarsch weit hineinbegeben hat, verkündet er dann seine Gerichtsdrohung: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.“ Danach verlässt er die Stadt und wartet an einem Ort östlich von ihr das Eintreffen seiner Drohung ab. (Jona 4,5) Aber es kommt anders, als er es sich denkt und wünscht. (Jona 4, 1-4) Seine Predigt bewirkt die Umkehr und Buße der Niniviten. Darüber wird sehr ausführlich berichtet: Sie glauben an Gott und tun Buße, indem sie von sich aus ein Fasten ausrufen und sich in das Bußgewand aus Sackleinwand kleiden. Und als der König von der Sache erfährt, vertauscht er nicht bloß für sich selbst seinen Thron mit dem Aschehaufen und seinen Königsmantel mit dem Bußkleid, sondern er ordnet durch ein amtliches Edikt eine allgemeine Bußfeier an, in die selbst das Vieh als zur Hausgemeinschaft gehörig mit eingeschlossen wird. Dabei lässt er es nicht nur bei den kultischen Bußriten bewenden, sondern die Buße soll wirkliche Besserung des Wandels, Abkehr von Frevel und Sünde im Gefolge haben. Das Motiv ist die Hoffnung auf die Gnade Gottes, die am Schluss des königlichen Erlasses zum Ausdruck kommt mit den Worten: „Wer weiß? Vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.“ Die Leute erkennen zwar, dass sie Gott nicht zwingen können, von dem angekündigten Gericht abzulassen, aber sie hoffen, dass die göttliche Vergebung als ein unverdientes Geschenk zu ihnen kommt. Und diese Hoffnung wird erfüllt: Gott lässt die reuigen Sünder nicht fallen und sieht von der Strafe ab: „Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.“

So endet die Geschichte und sie besagt: Es ist kein Volk und kein Mensch so schlecht, dass ihm die Möglichkeit, Gottes Wort zu hören und sich zu Gott zu bekehren, dauerhaft verschlossen bliebe. Gottes Gnade und Barmherzigkeit kennt keine Grenzen, sie ist nicht gebunden an das Volk Israel, sondern wird da wirksam, wo Menschen in aufrichtiger Reue und Buße nach ihr verlangen.

Die Geschichte ist deshalb ein sehr schönes Beispiel für die Gültigkeit des Heilandsrufes Jesu, der heute unser Wochenspruch ist: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Mt. 11,28) Jesus ist gekommen, um Sünder und Sünderinnen zu retten und selig zu machen. Wer zu ihm umkehrt, wird seine Gnade erfahren und das Geschenk der Vergebung bekommen, genauso wie damals die Niniviten.

Das klingt zunächst ganz schön, aber geht es uns damit wirklich gut? Das Thema hat ja eine sehr dunkle und schwere Seite. Wer will sich schon mit seinen Sünden beschäftigen? Der Ruf zur Umkehr appelliert an unser schlechtes Gewissen, an Schichten in unserer Seele, die wir lieber verbergen. Er ist ungemütlich und macht Angst. Wir stellen uns dabei einen Gott vor, der leicht zornig wird, uns ständig ermahnt und von dessen Gnade wir abhängig sind. Und dieses Gottesbild lehnen wir ab, davon wollen wir nichts wissen. Wenn er so ist, leben wir lieber ohne ihn.

Aber ist das wirklich gut? Und ist das Thema Buße und Umkehr tatsächlich so düster? Lasst uns darüber noch einmal etwas gründlicher nachdenken.

Wir geraten ja durchaus in Schuld, bewusst oder unbewusst, nach unserem Willen oder gegen ihn: Von vielen Verhaltensweisen, die wir uns bei unserer Art zu leben, angewöhnt haben, wissen wir ganz genau, dass sie nicht gut sind: Wir zerstören das Klima durch unseren hohen Energieverbrauch, befördern das Artensterben durch die Versiegelung der Landschaft, lassen Menschen in ärmeren Ländern für uns zu Hungerlöhnen arbeiten, usw. Die Liste der kollektiven Schuldzusammenhänge, in die wir verflochten sind, ist lang. Als Einzelne können wir uns da nicht heraushalten, und es entsteht ein Gefühl der Ohnmacht. Wenn wir ehrlich sind, lastet ständig ein Druck auf uns. Man kann natürlich versuchen, von der Schuld abzulenken, wegsehen, so tun, als hätte man sie vergessen, oder sich einreden, es sei alles nicht so schlimm. Das machen wir auch, indem wir uns die unausweichlichen Zusammenhänge erklären, uns dafür entschuldigen oder unser Verhalten rechtfertigen. Aber das geht immer nur für kurze Zeit, und plötzlich steht einem alles wieder vor Augen. Letzten Endes werden wir damit nicht fertig. Wie ein Schatten ist die Schuld uns immer wieder auf den Fersen, und das können wir irgendwann auch nicht mehr aushalten.

Es ist deshalb gut, dass es doch noch eine andere Möglichkeit gibt, daraus zu entkommen, und die wird uns in der Buße und Beichte vorgeschlagen. Gott bietet uns darin den Zuspruch der Vergebung an. Wir müssen uns nur zu ihm hinwenden und auf sein befreiendes Wort hören. Dann kann wieder Hoffnung aufkommen. „Die Beichte gibt Raum für alles, was ein Menschenleben ausmacht, auch das Dunkel, das Versteckte, das Bedrohliche; und sie gibt Raum dafür, dass es überwunden und abgelegt wird.“ (Lutherische Agende III.3, die Beichte, Hrg. Kirchenleitung der VELKD, Ausgabe 1993, S. 7f) Sie ist ein Teil des Evangeliums.

Und dafür gibt es in unserer Kirche sogar eine Form, eine Agende, in der Vorschläge für die Gestaltung von Beichtgottesdiensten und der Einzelbeichte zusammengestellt sind. Denn Luther hat das wie gesagt nicht abgelehnt. Er hielt viel von der persönlichen Beichte, auch wenn er sie nicht zum Sakrament erklärt hat. So sagte er einmal in einer Predigt: „Die heimliche Beichte will ich von niemandem nehmen lassen und wollte sie nicht um der ganzen Welt Schätze geben, denn ich weiß, was Stärke und Trost sie mir gegeben hat. Ich wäre längst vom Teufel überwunden und abgewürgt worden, wenn mich diese Beichte nicht erhalten hätte“. (Sermon. Gepredigt am Sonnabend vor Reminscere 1522. WA 10,III, 63,23ff) Luther hat erlebt: Das Aussprechen des Verborgenen im Vertrauen erleichtert. Und noch viel wichtiger ist dabei: Es erfolgt immer ein Freispruch durch eine andere Person. Für Luther musste das nicht der Priester sein. Er fand, dass alle Christen von ihrem Herrn den Auftrag haben, sich gegenseitig anzuhören und mit der Vergebung durch Christus einander zu trösten. Jede Christin kann einem anderen Christen die Vergebung zusprechen, und das wirkt befreiend. Wir werden herausgelöst aus der zermürbenden Spannung zwischen dem, was wir sein wollen und dem, was wirklich ist. Die Bedrängnis nimmt ab.

Und das liegt daran, dass Schuld nicht nur ein unangenehmes, negatives Gefühl oder eine moralische Verfehlung ist. Die Bibel sieht dahinter vielmehr die Sünde, und die ist noch mehr: Sie kommt erst in der Begegnung mit Gott ans Licht und stört die Beziehung zu ihm. Und sie hat Auswirkungen, denn sie beeinträchtigt ebenso unser Verhältnis zu uns selbst und unsere Beziehung zu anderen Menschen. Deshalb gibt es in der Bibel Geschichten wie die von Jona. Sie macht die Notwendigkeit deutlich, persönliche und gesellschaftliche Schuldzusammenhänge zu erkennen, sie einzugrenzen und nach Möglichkeit zu lösen. Gleichzeitig stellt sie klar, dass diese Schuldzusammenhänge letzten Endes erst dann bewältigt werden, wenn der Mensch zuvor mit Gott ins Reine gekommen ist.

Und genau das geschieht in der Beichte: „Der Mensch erkennt die Schuld, die er veranlasst hat oder in die die Verhältnisse ihn verstrickt haben, er bereut und bekennt sie. Sie wird ihm daraufhin im Auftrag des Herrn und in seinem Namen vergeben. Wo das geschieht, werden Selbstrechtfertigung und Entschuldigungen überflüssig. Sie werden von der Wahrheit Gottes überführt und von seiner Vergebung überholt. Der Mensch wird frei. Er kann sich den Aufgaben seines Lebens mit neuem Mut und neuer Zuversicht zuwenden.“ So steht es in den Erläuterungen der Beichtagende. (s.o., S.11) Und weiter heißt es dort: „Die Beichte ist demnach keine beklemmende Angelegenheit, sondern Ausdruck der ,Freiheit eines Christenmenschen‘. […] Entsprechend hat die Reformation geraten: Ein Mensch soll in der Beichte […] seine Sünden einfach Gott vor die Füße legen und ihn um sein Erbarmen bitten.“ (S.12) Dann wird sie ihm vergeben. „Gott wird das Übel, das er uns angekündigt hatte, bereuen, und es nicht tun.“ Vielmehr wird das Evangelium von der Gnade Gottes und dem Geschenk der Vergebung lebendig und wirksam.

Lasst uns deshalb freudig „zu Jesus Christus kommen, Buße tun und mit ihm leben ewiglich“ (EG 234,1.7)

Amen.

Das Leben im Geist

Predigt über Römer 8, 1.2.10.11: Der Geist macht frei und lebendig
Pfingstsonntag, 5.6. 2022, 9.30 Uhr Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Wir blicken immer mal gern zurück und erinnern uns an besondere Ereignisse in unserem Leben, je älter wir werden, umso häufiger. Es ist bei allen von uns hoffentlich viel Schönes dabei, aber das ist sicher nicht das Einzige. Es gibt auch Trauriges und Schweres in unserer Vergangenheit, denn unser Leben verläuft nicht glatt: Wir werden von anderen Menschen enttäuscht, erleiden Misserfolge und machen Fehler. Und gerade das Letzte, unsere Mangelhaftigkeit und Schuld, kann uns am Ende des Lebens zu schaffen machen.

So habe ich Menschen getroffen, die im Sterben lagen und es damit schwer hatten, weil ihr Gewissen mit irgendetwas belastet war. Ebenfalls habe ich erlebt, dass Freunde nach vielen Jahren plötzlich das Bedürfnis hatten, sich bei mir für etwas zu entschuldigen, das tatsächlich nicht so nett gewesen war. Ich hatte es ihnen längst verziehen, aber es tat natürlich gut, die Sache endgültig aus der Welt zu schaffen.

Doch was sollen wir tun, wenn der Mensch, den wir verletzt haben, nicht mehr lebt? Dann ist es schwer, die Schuld loszuwerden, weil wir mit ihm nicht mehr darüber reden können. Wir verdammen uns möglicherweise für das, was wir getan haben, und unsere Sünde quält uns.

Dieses Erleben kannte auch Paulus. Er hatte ja keine reine Weste, denn vor seiner Bekehrung zu Jesus Christus hatte er Christen und Christinnen verfolgt und ausgeliefert. Auch bei vielen von ihnen konnte er sich nicht mehr entschuldigen, weil sie hingerichtet worden waren.

Auf diesem Hintergrund können wir gut verstehen, was für eine große Erleichterung es für ihn war, zu glauben, dass ihm alle seine Sünden durch Christus vergeben worden waren. Im Römerbrief beschreibt er diesen Vorgang ausführlich: Der Brief handelt von der Rechtfertigung allein aus Glauben, und der Höhepunkt ist das Kapitel acht. Es beginnt mit den Worten:

Römer 8, 1. 2. 10. 11:
„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“
In Vers zehn und elf heißt es dann weiter:
„Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.
Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch ist, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“

Das ist heute unser Predigttext. Das Kapitel, in dem er steht trägt in der Lutherbibel die Überschrift: „Das Leben im Geist.“ Paulus kommt darin auf die Macht zu sprechen, die die Freiheit und den Frieden des Glaubens zur Wirkung bringt. Diese Freiheit hatte er wie gesagt in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt. Er schreibt darin etwas über das neue Leben als Frieden mit Gott in Bedrängnis, als Rettung aus der Sünde durch die Taufe und als Freiheit von der Gefangenschaft im Gesetz. Im achten Kapitel setzt er diese Gedanken nun auf einer anderen Ebene fort: Er führt den Heiligen Geist ein. Wer „in ihm ist“ d.h. „in Jesus Christus“, hat „Leben und Friede“: Die Macht des Geistes Jesu Christi öffnet den Weg in die Freiheit zu einem Leben in Gerechtigkeit. Deshalb gibt es „keine Verdammnis für dich, der du in Jesus Christus lebst – er hat dich freigemacht!“ So lautet die Zusage von Paulus.

Dieser Ausdruck „keine Verdammnis“ zeigt, dass es um Letztes geht, um die Gültigkeit des Lebens, um das Urteil der Ewigkeit und ein großes Lebendigmachen. Paulus wechselt deshalb bewusst in die direkte Anrede, in das „du“, denn es kann nur geschehen, wenn die Angesprochenen ganz dabei sind und sich darauf einlassen.

Dabei ist der „Geist des Lebens“ in Jesus Christus die lebendige Macht, die aus der Sendung Jesu Christi durch Gott entstanden ist. Der Gottessohn kam in unsere Bedingungen und erfuhr am eigenen Leib alles, was zum Menschsein dazu gehört, auch die Sünde. Aber er ließ sich nicht auf ihren Sog ein, obwohl die Sünde gerade an ihm mit aller Macht zog. Sie brachte ihm schließlich Leid und sogar den Tod. Aber in der Auferstehung wurde dieser Tod zum Sieg. Die Herrschaft der Sünde ist durch den Opfergang Christi und seine Auferweckung zerbrochen worden. Gottes Wille kommt wieder zu seinem Recht und weist uns den Weg zum Leben. Und diese neue Möglichkeit wird uns „im Geist“ vermittelt.

Das sagt uns unser Text, und er ist damit ein Zuspruch und eine Ermahnung zugleich: Uns wird der Geist des Lebens zugesprochen, den wir durch Jesus Christus haben. Aber wir müssen auch darauf achten, dass wir wirklich „in ihm“ sind. Das ist die Ermahnung: Was uns geschenkt wurde, muss berührt und entfacht werden. Sonst bleibt es in uns ruhen, ohne dass es sich entfaltet. Der Glaube muss in uns wach werden, damit wir nicht in die weltliche Gesinnung zurückfallen, uns z.B. selber verdammen und nichts entschuldigen, denn das hätte tödliche Konsequenzen. Vor diesem Abgrund will uns der Heilige Geist bewahren. Er ist wie ein Funke, den der Wind zum Feuer entfacht, das dann zu einer Energiequelle in uns wird. Es setzt Kräfte frei, die das Leben stärken wollen. Sie bringen Freiheit gegenüber der Sünde, Hoffnung und Zuversicht.

Paulus will uns sagen: Ihr könnt der Gesetzmäßigkeit des Geistes folgen, auch wenn ihr noch in dieser Welt unter den Bedingungen der Sünde und des Todes lebt. Ihr habt die Freiheit, euch für das zu entscheiden, was durch den Glauben in euch liegt. Lebt, was ihr seid! Lernt eine eigene Gesinnung und übt euch darin. Unterscheidet euch von dem, was üblich ist, indem ihr die herabziehenden Trends der Sünde nicht mitmacht. Der Funke Christi sucht Herzen, in denen er brennen kann, damit das Leben siegt. Auch wenn die äußere Gestalt kümmerlich wird, ja selbst wenn sie stirbt, kann uns der Geist immer wieder neu entzünden.

Und das ist gerade im Alter gut zu wissen. Wenn wir zurückblicken, sollten wir daran glauben und uns dafür öffnen. Nicht die vielen einzelnen Ereignisse sind wichtig, seien sie nun schön oder schwer, sondern dass „Jesus unsere Freude ist.“ Dafür sollen wir uns entscheiden.

Und das heißt, dass wir unsere Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Natürlich können wir uns mit unseren Sünden beschäftigen und über alle unsere Fehler und Mängel traurig sein. Wir können uns an den Abgrund stellen und hineinstarren. Jeder und jede kennt diese Kräfte, die uns verschlingen wollen. Gerade wenn wir etwas bereuen und uns dafür nicht mehr entschuldigen können, zehren sie an uns und quälen uns.

Und auch andere negative Kräfte können uns bestimmen. Es gibt vieles, das uns herunterziehen kann: Traurigkeit und Angst, Einsamkeit und Kummer, Sorgen und Trübsal. Doch das müssen wir nicht zulassen, denn diese Kräfte sind nicht die einzige Realität, die unser Leben bestimmt. Das fühlt sich zwar so an, wenn wir darein versinken, aber es gibt auch noch eine andere Macht, für die wir uns öffnen können. Es ist die Macht des Heiligen Geistes. Sie kann die trüben Gedanken verscheuchen und uns von innen her aufrichten, wir müssen nur in sie eintreten, d.h. im Geist Jesu leben.

Es gibt eine fünfstimmige Motette von Johann Sebastian Bach, die diesen Zusammenhang sehr schön deutlich macht. Er hat sie zu dem Choral geschrieben „Jesu, meine Freude“. (BWV 227). Der Text dieses Kirchenliedes ist von dem Dichter Johann Franck und die Melodie von dem Komponisten Johann Crüger. 1653 ist es entstanden und es bildet das Grundgerüst der Motette von Bach. Das Besondere an diesem Werk ist nun, dass Bach zwischen die sechs Strophen des Chorals jeweils eine Stelle aus dem Römerbrief gesetzt hat, und zwar aus Kapitel acht, und es sind genau die Verse, die wir heute bedenken. Dadurch kommt der Zuspruchscharakter sowohl des Liedes als auch der Worte von Paulus sehr schön zur Geltung. Bach komponierte die Motette vermutlich für eine Begräbnis- oder Gedächtnisfeier, denn musikalisch ist sie im Ton einer Trauermusik gehalten. Der Text vermittelt die Abkehr von den weltlichen Dingen und lädt dazu ein, sich dem Geist Jesu zuzuwenden, der über alle Traurigkeit triumphiert.

In der ersten Strophe heißt es: „Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, […] außer dir soll mir auf Erden nichts sonst Liebers werden.“ Auf sie folgt der Zuspruch von Paulus: „Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.“ Damit wird sehr schön deutlich, dass wir nur dann ruhig werden, wenn wir uns mit unserer Sehnsucht nach Erlösung ganz auf Jesus verlassen, unser „Herz auf ihm weiden“ und ihn zu unserem „Liebsten“ machen. Denn nur „unter seinem Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei.“ Er steht uns bei, selbst wenn noch so viele Stimmen uns bedrängen und verklagen wollen. „Jesus will mich decken.“ Auch das wird in der Motette wieder mit einem Satz aus dem Römerbrief begründet: „Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig machet in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“

So können wir „trotz des Todes Rachen, und der Furcht darzu“ dastehen und „in sicherer Ruh singen. Gottes Macht hält mich in acht.“ Gott ist auf jeden Fall auf unserer Seite, er beschützt und rettet uns.

Und das führt dazu, dass wir auch im Leid und angesichts des Todes froh und zuversichtlich bleiben. Ganz gleich, was um uns herum geschieht oder wie unser Leben verlaufen ist, wir werden mit Jesus auferweckt. In der Motette wird das durch den Vers bekräftigt, der auch heute den Abschluss bildet: „So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferwecket hat, in euch wohnet, so wird derselbige, […] auch eure sterblichen Leiber lebendig machen.“

Die Motette endet deshalb mit dem Triumph des Glaubens und der Freude. Das kommt in der sechsten Strophe des Liedes zum Ausdruck. Sie endet mit dem Satz: „Duld ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu meine Freude.“

Amen.

Lied EG 396: Jesu, meine Freude

  1. Jesu, meine Freude,
    meines Herzens Weide,
    Jesu, meine Zier:
    Ach, wie lang, ach lange
    ist dem Herzen bange
    und verlangt nach dir!
    Gottes Lamm, mein Bräutigam,
    außer dir soll mir auf Erden
    nichts sonst liebers werden.
  2. Unter deinem Schirmen
    bin ich vor den Stürmen
    aller Feinde frei.
    Lass den Satan wettern,
    lass die Welt erzittern,
    mir steht Jesus bei.
    Ob es jetzt gleich kracht und blitzt,
    ob gleich Sünd und Hölle schrecken,
    Jesus will mich decken.
  3. Trotz dem alten Drachen,
    Trotz dem Todesrachen,
    Trotz der Furcht dazu!
    Tobe, Welt, und springe;
    ich steh hier und singe
    in gar sichrer Ruh.
    Gottes Macht hält mich in Acht,
    Erd und Abgrund muss verstummen,
    ob sie noch so brummen.
  4. Weg mit allen Schätzen;
    du bist mein Ergötzen,
    Jesu, meine Lust.
    Weg, ihr eitlen Ehren,
    ich mag euch nicht hören,
    bleibt mir unbewusst!
    Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod
    soll mich, ob ich viel muss leiden,
    nicht von Jesus scheiden.
  5. Gute Nacht, o Wesen,
    das die Welt erlesen,
    mir gefällst du nicht.
    Gute Nacht, ihr Sünden,
    bleibet weit dahinten,
    kommt nicht mehr ans Licht!
    Gute Nacht, du Stolz und Pracht;
    dir sei ganz, du Lasterleben,
    gute Nacht gegeben.
  6. Weicht, ihr Trauergeister,
    denn mein Freudenmeister,
    Jesus, tritt herein.
    Denen, die Gott lieben,
    muss auch ihr Betrüben
    lauter Freude sein.
    Duld ich schon hier Spott und Hohn,
    dennoch bleibst du auch im Leide,
    Jesu, meine Freude.


    Text: Johann Franck 1653
    Melodie: Johann Crüger 1653