Ich bin getauft

Predigt über Römer 6, 3- 8: Taufe und neues Leben

6. Sonntag nach Trinitatis, 24.7.2022, Luther- und Jakobikirche Kiel

Römer 6, 3- 8:
3 Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?
4 So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.
5 Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein.
6 Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen.
7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde.
8 Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.

Liebe Gemeinde.

Drei Kirchenkreise in Schleswig-Holstein feiern in diesem Sommer große Tauffeste am Strand: In Büsum, in Eckernförde und in Kiel finden sie statt, und alle sind ausgebucht. Die Feste werden aus einem guten Grund veranstaltet: Während der vergangenen Jahre sind im Norden wegen der Pandemie weniger Menschen in die Kirche aufgenommen worden. Viele Leute haben sich in der Corona-Zeit von der Kirche entfernt und finden nicht mehr zurück. Deshalb wird ihnen nun dieses Angebot gemacht, und es scheint gut anzukommen. Hier in Kiel soll es am 13. August am Skagerakufer in Friedrichsort geschehen. Etwa 85 Täuflinge werden es sein, d.h. bis zu 1000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind dabei. Die Familien können es sich auf Decken auf der Wiese hinter dem kleinen Strand gemütlich machen. Während des Gottesdienstes gehen sie nacheinander mit Ihrem Pastor oder ihrer Pastorin ans Wasser zur Taufe. Bis zu sieben Taufen sollen gleichzeitig stattfinden. Nach einem gemeinsamen Abschluss des Gottesdienstes können die Gäste dann auf der Wiese picknicken. Jeder und jede bringt das Essen und die Getränke für sich und seine Gäste selbst mit. Es werden also überall fröhliche Feste.

Doch wie passt das mit dem Abschnitt zusammen, den wir vorhin aus dem Römerbrief gehört haben? Paulus schreibt da etwas über die Bedeutung der Taufe. Aber er betont nicht die Freude und das Leben. Am häufigsten stehen da vielmehr die Worte „Tod“, „Sterben“ und „Begrabenwerden“. Er sagt gleich am Anfang: „Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod.“ Und das klingt eher düster. Es scheint mit unseren schönen Tauffeiern irgendwie nichts zu tun zu haben.

Aber das ist zu kurz gedacht. Wir müssen den Text genau lesen, dann entdecken wir, dass dort genauso oft Begriffe wie „neues Leben“ und „Auferweckung“ stehen. Und am wichtigsten ist ein kleines Wort, das hier insgesamt fünf Mal vorkommt, und das ist das Wort „mit“. Es bezieht sich auf Christus und uns und beschreibt unsere Gemeinschaft „mit“ ihm. Sie entsteht in der Taufe, denn da werden wir „mit ihm verbunden“, und das heißt, dass wir auch an seinem Schicksal Anteil gewinnen. Wir werden also auch „mit ihm gekreuzigt“, wir „sterben mit ihm“, werden „mit ihm begraben“, um dann aber auch „mit ihm auferweckt“ zu werden und „in einem neuen Leben zu wandeln“. Das ist das, was Paulus hier sagt.

Es geht ihm bei der Taufe also um mehr, als um ein Fest des natürlichen Lebens. Es entsteht eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Christus und uns. Und die markiert einen tiefen Einschnitt, der wie ein Sterben und wieder Auferstehen ist. Es gibt ein Einst und das Jetzt, und die sind klar voneinander abgegrenzt. Die Taufe hat für Paulus also eine tiefe Bedeutung, und es ist gut, wenn wir das ernst nehmen.

Dabei müssen wir natürlich berücksichtigen, dass er die Kindertaufe noch gar nicht kannte. Für ihn hing die Taufe vielmehr immer mit dem Bekenntnis zum christlichen Glauben zusammen. Wer die Predigt des Evangeliums gehört hatte und sich daraufhin zu Christus bekehrte, wurde getauft. Der Taufe ging also eine bewusste Entscheidung vorweg, und sie erfolgte im Erwachsenenalter. Sie markierte demnach immer eine einschneidende Veränderung im Leben eines Menschen.

Daran denkt Paulus hier, und viele Kirchengemeinschaften sehen das heutzutage noch genauso. Sie sagen: Vor der Taufe muss die Bekehrung zu Jesus Christus und der Glaube an ihn stehen. Erst wenn ein Mensch merkt, dass er das Heil braucht, wenn er gesündigt hat und darunter leidet, wenn er gerettet werden möchte und sich deshalb an Jesus Christus wendet, ist die Taufe sinnvoll. Sie ist dann ein Ausdruck dafür, dass ein Mensch sich für Jesus Christus entschieden hat. Sie ist ein öffentliches Bekenntnis und die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft. Wir nennen sie auch „Gläubigentaufe“, die erst im religionsmündigen Alter erfolgt, also nach dem 14. Lebensjahr.

Die Kirchen und Gemeinschaften, die sie praktizieren und das so verstehen, kritisieren die Kindertaufe, und lehnen sie sogar ab. Taufen, bei denen man nichts vorweisen muss, sind ihrer Meinung nach ungültig. Menschen, die eventuell als Babys getauft wurden, sich als Erwachsene dann aber bekehren, werden deshalb z.B. bei den Baptisten noch einmal getauft. Und Tauffeste, wie sie jetzt in unserer Kirche stattfinden, werden sicher hinterfragt, denn da dürfen bewusst alle mitmachen, die irgendwie meinen, dass die Taufe gut für sie ist. Sie werden nicht lange vorher unterrichtet oder auf ihr Gewissen geprüft. Bei der Kindertaufe ist das schließlich auch so, und die ist schon lange bei uns Praxis.

Trotzdem sollten wir uns ernsthaft fragen, was dabei eigentlich geschieht. Welche Bedeutung hat die Taufe denn nun? Und wie wirkt sie sich im Leben aus? Wenn wir die Bemerkungen von Paulus ernst nehmen, ist sie auf jeden Fall mehr als ein schönes Ritual und hat durchaus Folgen für das Leben. Eine Kindertaufe befreit uns nicht davon, uns auch zu Jesus Christus zu bekehren, mit ihm zu leben und sich von dem Heil, das er uns schenkt, prägen zu lassen. Sonst kann ihre Wirkung sich nicht entfalten.

Und was das heißt, können wir uns sehr schön mit dem Symbol des Wassers klar machen. Lasst uns dieses Element und unsere Beziehung zu ihm deshalb noch einmal bedenken. Es hat hauptsächlich zwei Funktionen. Für die Bedeutung der Taufe ist als erstes wichtig, dass man darin untergehen kann. Man kann ertrinken oder etwas „ersäufen“. Dieser Ausdruck kommt von Luther, und für ihn ging es dabei um den „alten Adam“. Er sagt im Kleinen Katechismus: „Das Taufen mit Wasser bedeutet, dass der alte Adam in uns […] soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten.“ Luther stellt sich also vor, dass unsere Sünden ertränkt werden. Das Böse geht unter. Das meint auch Paulus, wenn er vom Sterben und vom Tod spricht. Und das sollte durchaus in unserem Leben geschehen. Es ist wie ein geistiges oder seelisches Untertauchen, bei dem die Macht der Sünde stirbt. Mit Sünde sind dabei die zerstörerischen Kräfte gemeint, die überall am Werk sind. Wir kennen sie gut: Es sind z.B. Angst und Misstrauen, Hass und Feindschaft, Neid und Zorn. Davon sind übrigens auch Kinder nicht frei. Im Gegenteil, wenn wir sie nicht davon abhalten, leben sie die negativen Triebe manchmal viel erbitterter aus, als wir. Denn die Sünde schlummert von Anfang an in unserer Seele und unserem Denken.

Wenn wir ein schönes und helles Leben führen wollen, müssen wir diesen negativen Kräften etwas entgegensetzen, sonst können sie uns zerstören. Und dabei hilft es, wenn wir uns vorstellen, dass wir sie „ersäufen“. Wenn wir getauft sind, müssen wir das allerdings nun nicht alleine tun. Es ist keine moralische Leistung oder eine seelische Kraftanstrengung. Sowohl Luther als auch Paulus vertrauen vielmehr darauf, dass es „mit Christus“ geschieht, d.h. durch seine Gegenwart und dank seines Heilswerkes. Die haben wir empfangen und daran können und sollen wir immer wieder denken. Er ist für uns gestorben und auferstanden, und es ist gut, wenn wir uns ihm „täglich“ anvertrauen.

Dann geschieht das, wofür das Wasser außerdem ein Bild ist: Es steht genauso für Leben und Kraft. Wir können im Wasser nicht nur untergehen, sondern wir brauchen es zum Dasein: Wir trinken es und würden ohne Wasser verdursten. Der Regen befruchtet die Erde und verhilft allen Pflanzen und Tieren zu Wachstum und Gedeihen. Und das können wir ebenfalls auf den Glauben übertragen. Mit diesem zweiten Bild wird deutlich, dass Jesus Christus durch den Glauben und die Taufe in uns einzieht und uns neue Kraft schenkt. So verstanden das auch Luther und Paulus. Das „Untergehen der Sünde“ ist für sie kein Selbstzweck. Es dient vielmehr dazu, dass „täglich ein neuer Mensch herauskommen und auferstehen soll, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.“ So formuliert Luther es weiter. Und Paulus schreibt: „Denn wer [so] gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.“ Er wird unserer „Seele Trieb und Kraft“. (EG 406,1)

Wir sterben also im Vertrauen auf Gott. Wir denken an seine schöpferische Kraft, an die Auferstehung seines Sohnes Jesus Christus und lassen die an uns wirken. Gott ist voller Liebe und Erbarmen gegenüber uns. Er will uns befreien und neu schaffen, immer wieder. Wenn wir uns das vorstellen, erleben wir seine Kraft auch. Ob es nun vor oder nach der Taufe geschieht, entscheidend ist, dass wir „bei Jesus bleiben“ und ihm „treu“ sind. (EG 406,1.3)

Wir haben am Anfang des Gottesdienstes ein Lied gesungen, in dem das Wasser ebenfalls als Bild vorkommt (EG 615). Der Text ist von Gerhard Tersteegen, einem Mystiker aus dem 18. Jahrhundert, von dem wir viele Lieder haben. In diesem spricht er von dem „Meer der Liebe“, in das wir uns „versenken“ können. Für ihn war das ein wohltuender innerer Vorgang, zu dem er mit dem Lied einladen möchte. Wenn wir ihm folgen, geht es auch uns gut: Wir lassen uns selber los und tauchen in etwas Größeres ein. Wir denken nicht mehr an all das, was uns gefangen hält, sondern beten die „Macht der Liebe“ an. Wir verlieren alles Schwere, werden getragen und gehen ganz in der Liebe Gottes auf.

Etwas später kommt das Bild vom Wasser in diesem Lied noch einmal vor: Es ist nun das Element, das wir trinken, das uns „zuströmt“ (EG 406,1) und von dem wir leben. In Strophe vier heißt es: „Ehr sei dem hohen Jesusnamen, in dem der Liebe Quell entspringt, von dem hier alle Bächlein kamen, aus dem der Sel‘gen Schar dort trinkt.“ Auch Tersteegen benutzt die beiden Seiten des Wassers, um deutlich zu machen, wie der Glaube sich im Leben ereignen kann.

Die Taufe und das Symbol des Wassers sind also sehr schön geeignet, das Leben mit Jesus Christus zu veranschaulichen. Unser ganzes Dasein wird dadurch kraftvoll und leicht. Wir haben es gut, werden frei und unbeschwert. Denn wir sind nicht mehr von den dunklen Mächten bestimmt, sondern die Liebe und das Erbarmen Gottes umgeben und erfüllen uns. Wir leben „getrost“ (EG 406,2) und zuversichtlich.

Deshalb ist es durchaus sinnvoll, eine Taufe fröhlich zu feiern. Sie muss nicht ernst und düster sein, denn sie ist ein Fest des Lebens und der Liebe, das Freude bereitet. Das ist das Ziel der Tauffeste, und es ist gut und schön, dass die Teilnahme ohne Hürden möglich ist und so viele Menschen mitmachen wollen. Möge es dort so entspannt und heiter zugehen, wie alle sich das wünschen.

Amen.

Seid barmherzig!

Predigt über Johannes 8, 3-11: Jesus und die Ehebrecherin

4. Sonntag nach Trinitatis, 10.7.2022 9.30 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Steine liegen überall herum, in ganz verschiedenen Größen, Farben und Beschaffenheiten, und wir brauchen sie für viele Dinge: Zum Bauen und Dekorieren, als Werkzeug, aber auch als Waffe. Das ist heutzutage zwar nicht mehr regelmäßig der Fall, aber wenn man will, kann man jemand anders mit einem Stein sehr verletzen und sogar töten. In der Bibel gibt es darüber mehrere Geschichten, besonders über Steinigungen. Damit wurden Menschen gezielt hingerichtet, und das passierte nicht selten. Bei bestimmten Gesetzesverstößen wurden sie so lange mit Steinen beworfen, bis sie starben.

Es gibt allerdings eine Steinigungsgeschichte im Neuen Testament, die hat sozusagen ein Happy End. Es ist die von Jesus und der Ehebrecherin. Sie steht im Johannesevangelium Kapitel acht, Vers drei bis elf und ist heute unser Predigttext. Sie lautet folgendermaßen:

Johannes 8, 3-11
3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte
4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.
5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Der Herr segne an uns dieses sein Wort.

Die Geschichte, trägt in der Lutherbibel die Überschrift: „Jesus und der Ehebrecherin“. Aber eigentlich müsste man sie überschreiben: „Jesus und die Schriftgelehrten und die Ehebrecherin“, denn um diese Personen geht es hier. Es sind in Wirklichkeit drei Parteien, und der erste Teil der Erzählung beschäftigt sich auch hauptsächlich mit den Schriftgelehrten und Pharisäern. Jesus hat sich ja oft mit ihnen auseinander gesetzt. Sie mochten ihn nicht, denn er legte das Gesetz anders aus, als sie das taten. Sie hielten sich an das, was geschrieben stand, er dagegen sah vieles in ihren Augen zu großzügig. Im Gesetzbuch des Moses steht z.B.: „Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecher und Ehebre­cherin, weil er mit der Frau seines Nächsten die Ehe gebro­chen hat.“ (3. Mose 20,10) Auf Ehebruch stand also die Todesstrafe, die gewöhnlich durch Steinigung erfolgte. Und diesen klaren Fall legen die Gesetzeshüter Jesus hier vor. Sie wussten, dass er mit anerkannten Sündern Freundschaften pflegte, und sie ärgerten sich darüber. Jetzt sahen sie eine wunderbare Gelegenheit, ihm einmal eine Falle zu stellen:

Entweder gab er zu, dass das Gesetz galt, und diese Frau bestraft werden musste, dann hätten sie ihm endlich vorhalten können, dass seine Freundschaft mit Sündern ein schwerer Fehler war. Oder er verschonte die Frau und missachtete das Gesetz, dann hätte er aber nicht mehr im Namen Gottes auftreten dürfen. Dann wäre endlich klar, dass er sich gegen Gottes Gebote auflehnte. Freundschaft mit Sündern und Anerkennung des Gesetzes ließ sich ihrer Meinung nach jedenfalls nicht miteinander vereinbaren, und sie wollten mit dieser Frau ein Beispiel für die Gottlosigkeit Jesu anführen. So fragten sie ihn: „Was sagst du zu diesem Fall?“ und das war eine gefährliche Bosheit.

Aber Jesus geht auf ihre Fragen gar nicht ein. Er schweigt, weil er sich ihnen überlegen fühlt. Das Schreiben in den Sand soll das deutlich machen. Er zögert die Auseinandersetzung hinaus, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und hält das Ganze auch nicht für dringlich. Erst nach beharrlichem Weiterfragen gibt er eine Antwort, die allerdings keiner erwartet hat: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Das ist zwar eine Reaktion, aber eine Antwort auf ihre Frage ist es nicht. Denn was Jesus entgegnete, liegt auf einer völlig anderen Ebene, als die Anklagen und die Heimtücke der Pharisäer. Sie verändert deshalb die Situation. Zunächst einmal zerreißt Jesus damit den Fallstrick, den sie ihm gelegt hatten, und dreht den Spieß um. Er entlarvt die selbstgerechte Überheblichkeit seiner Gegner. Aus den Anklägern werden Angeklagte. Sie müssen sich beschämt davon stehlen. Einer nach dem anderen legt den Stein ab, und sie gehen weg.

Erst danach tritt die Frau in den Mittelpunkt. Jesus ist jetzt mit ihr allein, und nun geht es um sie. Er spricht sie an und fragt sie, wo ihre Ankläger geblieben sind. Wahrscheinlich ist sie selber ganz überrascht, dass sie gerettet wurde, und niemand sie verurteilt hat, auch Jesus nicht. Aber er sagt ihr: „Sündige hinfort nicht mehr.“ Und damit gibt er ihr die Möglichkeit, ihr Leben neu zu beginnen.

Das ist die Geschichte, und es geht darin um die Frage, wie schnell wir aufeinander losgehen, wie wir unsere Konflikte lösen und zu einem friedlichen Miteinander kommen.

Dazu könnt ihr euch einmal vorstellen, dass ihr einen Stein in der Hand habt, der ungefähr so groß ist wie ein Tennisball. Wie weit könntet ihr damit werfen? Und könntet ihr ein Ziel treffen? Würdet ihr ihn auf jemanden schmeißen, der euch verletzt oder zornig gemacht hat? Oder das doch lieber nicht?

Wahrscheinlich merkt ihr schon, dass es besser ist, den Stein aus der Hand zu legen, wir richten sonst nur Unheil an. Aber Situationen, in denen wir dazu tendieren, kennen wir sicher alle. Es kann z.B. sein, dass uns die Meinung eines anderen Menschen unglaublich wütend macht. Und dann fliegen manchmal wirklich Steine. Bei einigen Demonstrationen ist das z.B. so, da werden gelegentlich Pflastersteine aus dem Boden gerissen und geworfen. Um das zu verhindern, gibt es deshalb oft ein riesiges Aufgebot an Polizei. So waren bei den Demonstrationen gegen den G7-Gipfel genauso viele Ordnungshüterinnen wie Demonstranten. Dieses Mal ist zum Glück alles gut gegangen, aber wir wissen, dass das in den Vorjahren lange nicht immer so war.

Noch viel schlimmer sind die Kriege, von denen wir hören. Da fliegen nicht nur Steine, sondern Raketen und Bomben, wie wir gerade trauriger Weise aus der Ukraine hören. Wir lehnen das alle zutiefst ab, finden es entsetzlich und abscheulich. Gegen so viel Gewalt haben wir eine natürliche Sperre.

Trotzdem können wir von der Geschichte mit der Ehebrecherin etwas lernen. Es gibt ja auch verbale Steine, die wir uns gegenseitig an den Kopf werfen, wie Beschimpfungen, Beleidigungen, Verleumdungen und Lügen. Und das geschieht dauernd, denn wir sind nicht frei von Aggressionen und gehen durchaus aufeinander los. Wir können unsere Feinde oder die, die uns aufregen, sehr gut treffen und verletzen mit dem, was wir sagen. Auch Vorwürfe gehören dazu, das Vorhalten von Fehlern und das Aufzählen von Sünden. Wir tun den anderen damit bewusst weh, machen ihnen Angst und setzen sie unter Druck. Oft sind wir genauso hart und kalt gegen einander wie die Pharisäer gegenüber dieser Frau. Wir kommen also durchaus in der Geschichte vor.

Und auch wir werden von Jesus daran erinnert, dass keiner und keine von uns ohne Fehler ist. Wir selber machen genauso viel falsch. Dieses aggressive Verhalten z.B., das zeichnet uns nicht gerade als Engel aus. Und es wäre besser, wenn wir darüber zunächst nachdenken. Bevor wir aufeinander losgehen, sollten wir immer versuchen, zuerst uns selber zu erkennen und unsere Wut zu bremsen. Dann können wir unsere Steine nämlich ablegen. Das ist nicht ganz leicht. Dazu gehört Mut und Überwindung, denn es tut weh, die eigenen Sünden zuzugeben.

Aber auch in unseren Konflikten gibt es nicht nur zwei Parteien, sondern noch eine dritte Person, und das ist Jesus. An ihn können wir uns wenden, vor ihm müssen wir uns nicht fürchten, ganz gleich, wie es um uns steht. Denn Jesus vergibt uns, er nimmt uns an. Ich empfange bei ihm Liebe und Freundlichkeit, und die kann mich beruhigen und heilen. Er nimmt mir liebevoll meine Steine aus der Hand. Meine Wut klingt ab, und ich werde frei. Ich gewinne auch einen neuen Blick für die Wirklichkeit. Ich sehe mich und die anderen Menschen plötzlich in einem neuen Licht. Ich kann die anderen besser verstehen, auf sie zugehen und ihnen die Hand zur Versöhnung reichen.

Die Erfahrung der Liebe Christi verändert uns, das soll die Geschichte deutlich machen. Auch unser Miteinander gewinnt eine ganz andere, neue Qualität, wenn wir Jesus in unsere Mitte lassen. Denn durch seine Liebe und Vergebung können wir auch einander vergeben und Konflikte friedlich lösen.

Amen.