Predigt über Markus 4, 26- 29: Gleichnis vom Wachsen der Saat
2. Sonntag vor der Passionszeit, Sexagesima
19.2.2017, 9.30 und 11 Uhr, Luther und Jakobikirche Kiel
Liebe Gemeinde.
In den Gärten sieht man jetzt überall kleine grüne Spitzen und Knospen, die aus der Erde hervor lugen. Es sind die Winterlinge und Schneeglöckchen. Ihre Zwiebeln schlummern im Erdreich und treiben wieder aus. Bald wird alles mit einem grünen und bunten Teppich aus Gras und Blumen überzogen sein. Darüber freuen wir uns, und es ist jedes Jahr wie ein Wunder. Ganz von allein wächst das, was wir ausgesät haben, wir müssen nichts mehr dazu tun.
Eine Freundin von mir findet das so schön, dass sie jedes Jahr im Oktober ungefähr 1000 Blumenzwiebeln in ihrem Garten setzt – die halten sich bei ihr leider nicht länger als ein Jahr. Sie werden kistenweise angeliefert, und dann hat sie ein paar Tage sehr viel Arbeit damit. Aber die Pracht, die nun bald ausbricht, entschädigt natürlich dafür. Es hat auch einen Überraschungseffekt, denn sie merkt sich nicht, wo die Zwiebeln alle vergraben sind. Ich bin schon eingeladen, rechtzeitig zu kommen, um das dann ebenfalls zu sehen und zu bestaunen. Und das will ich auch tun, denn das Geschehen in der Natur – gerade im Frühling – hat immer wieder etwas Faszinierendes.
So ging es auch Jesus, deshalb benutzte er diese wunderbaren Vorgänge gerne für seine Gleichnisse. Eins davon haben wir vorhin gehört, das Gleichnis vom Sämann. (Lukas 8, 4- 15) Jesus beschreibt damit, wie es im Reich Gottes vor sich geht, nämlich genauso wie in der Natur. Im Markusevangelium ergänzt er diese Geschichte noch mit einer weiteren, ganz ähnlichen. Sie lautet folgendermaßen:
Markus 4, 26- 29
26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft
27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.
28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.
29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Dieses Gleichnis handelt von der „selbstwachsenden Saat“. Sie ist für Jesus ein Bild für das Reich Gottes. Es wächst und gedeiht ebenfalls von selbst. Um das zu veranschaulichen, beschreibt er den Weg und die Entwicklung, die das Samenkorn macht, bis es Frucht bringt: Zuerst wird es auf den Acker geworfen. Dann dauert es eine Weile, bis es in der Erde gekeimt hat und einen Halm hervorbringt. Der stößt alsbald durch die Oberfläche, und an diesem Halm wächst langsam die Ähre. Sie bringt die Körner hervor, die Frucht, die geerntet werden kann.
Und das alles geschieht „von allein“. Der Bauer, der gesät hat, muss nichts dazu tun, damit dieses Wachstum stattfindet. Er muss nur die Tage und Nächte verstreichen lassen, es passiert „automatisch“. Dieses Wort steht im griechischen Text tatsächlich, und es heißt: „selbsttätig, aus eigenem Antrieb, ohne fremdes Zutun“.
Und genau das ist hier der Vergleichspunkt: die unerklärliche Selbstwirksamkeit der ausgestreuten Saat. Genauso wächst auch das Reich Gottes von alleine. Der Mensch kann nichts dazu tun, außer dass er den Samen in die Erde legt und wartet. Dabei ist der Same das Wort Gottes und die Pflanzen sind der Glaube, die Liebe und die Hoffnung, all das, was für die Menschen heilsam und gut ist, wonach sie sich sehnen und was sie sich wünschen. Es wird ihnen von Gott geschenkt. Er sorgt dafür, dass es wächst und gedeiht, das ist die gute Botschaft Jesu.
Und dafür ist die selbstwachsende Saat ein sehr schönes Bild. So wie wir in der Natur auf die wunderbare Kraft des Wachsens und Gedeihens vertrauen können, so können wir in unserem Leben, in der Welt und in der Gemeinde daran glauben, dass Gott etwas wachsen lassen will, dass er im Verborgenen am Werk ist und Früchte hervorbringt.
Dieser Gedanke ist bei Jesus auch nicht neu. Die Schöpfung war für die Menschen seit jeher ein Zeichen für die Macht und Größe Gottes. Das belegen mehrere Psalmen und Geschichten im Alten Testament, und auch in unsrem Gesangbuch gibt es darüber diverse Lieder. „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn wir heim gehen, Wuchs und Gedeihen drauf.“ So beginnt z.B. das bekannte Lied von Matthias Claudius zum Erntedankfest aus dem Jahr 1783. Es hat den Refrain: „Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“ Wir singen das gerne jedes Jahr wieder. (Evangelisches Gesangbuch Nr. 508)
Die Frage ist allerdings, ob so ein Denken überhaupt noch zu unserem Lebensgefühl und in unsere Zeit passt. Matthias Claudius war mit seiner Sicht auf die Welt und die Natur ja ein Kind der Romantik, die begann am Ende des 18. Jahrhunderts, und damit kam eine besondere Wahrnehmung der Beziehung zwischen Mensch und Natur auf. Erkenntnis war für die Romantiker eng mit Gefühlen verbunden. Verstand und Logik standen nicht im Mittelpunkt, sondern das Empfinden, die Liebe und die Sehnsucht nach einem paradiesischen Zustand. Heute werfen wir ihnen vor, dass sie ihre Augen vor der Realität verschlossen haben. Denn typisch für die Romantiker war eine Abwendung vom politischen Geschehen. Weltflucht, das Private und die Hinwendung zur Vergangenheit kennzeichnen ihre Einstellung. Kümmerten sie sich nicht viel zu wenig um die Gestaltung der Gesellschaft, drückten sie sich vor Verantwortung, lebten sie nicht in einer Traumwelt?
An unser Gleichnis oder verwandte Psalmen stellen sich diese Fragen ebenfalls: Stimmt es denn, was Jesus hier sagt? Wächst das Reich Gottes, d.h. das Gute und Schöne, der Glaube und die Kirche ganz von alleine? Ist die Wirklichkeit nicht völlig anders?
Es gibt doch unzählige Probleme, vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen. Auf die Selbststeuerungskräfte der Natur können wir uns nicht in romantischer Weise verlassen. Es gibt überall Ungerechtigkeit, Kriege, Hunger und Tod. Und selbst eine Industriegesellschaft, in der den Menschen eigentlich Wohlstand und Frieden garantiert wird, bedroht das Leben in vielfältiger Weise. Eine Gefahr sind z.B. die Umweltprobleme, die Vernichtung der Natur und die Zerstörung der Lebensmöglichkeiten kommender Generationen. Eine andere Gefahr ist die Oberflächlichkeit und Verflachung im Leben vieler Menschen. Sie sehen keinen tieferen Sinn in ihrem Dasein, wissen nicht, wofür sie wirklich leben und werden psychisch krank. Sie fühlen sich leer und gestresst. Auch Familienbeziehungen lösen sich auf und bieten keinen Halt mehr. Und all das gibt keinen Grund zu Gelassenheit und Zuversicht, denn unsere Lebensweise hat einen zerstörerischen Charakter und löst Ängste aus.
Was soll es da, von der selbstwachsenden Kraft des Reiches Gottes zu reden? Wo ist es denn? Glaube, Hoffnung und Liebe bleiben in weiten Teilen der Gesellschaft auf der Strecke. Und auch die Kirche schrumpft und unterliegt den gleichen Tendenzen des Verfalls.
Anstatt in romantischer Weise daran zu glauben, dass Gott schon etwas machen wird, wäre es doch viel besser, selber etwas zu tun, Hand anzulegen, Verantwortung zu übernehmen. Wir können nicht einfach nur zugucken, dann geht alles den Bach runter. So denken viele Menschen.
Und das ist natürlich nicht verkehrt. Wir müssen uns schon uns um ein Ende der Kriege in aller Welt bemühen, Hunger und Armut mindern helfen, Gerechtigkeit und Solidarität unter den Menschen fördern usw. Auch persönliches Glück, Zufriedenheit und Wohlstand dürfen wir gern anstreben. Die Frage ist bloß: Wie gelingt das am besten und mit welcher inneren Haltung tun wir das alles?
Wir brauchen dafür ja viel Zuversicht und Energie. Engagement und Eifer, Leistung, Geld und die richtigen Programme reichen oft nicht aus. Im Gegenteil, unsere Bemühungen führen nicht selten zu genau dem Gegenteil. Erstens ist es auf die Dauer ganz schön anstrengend und kräftezehrend, das Gute selber herstellen zu müssen und den Sinn im Leben zu finden. Irgendwann sind wir müde und ausgelaugt. Und zweitens geht nichts ohne die anderen Menschen, bloß die machen leider oft nicht so mit, wie wir uns das wünschen. Immer wieder stehen sie uns im Weg. Konflikte, Auseinandersetzungen, Enttäuschungen und Streit sind an der Tagesordnung.
Je mehr wir also versuchen, das Glück und den Frieden aus eigener Kraft herzustellen, umso weiter entfernen wir uns davon. Ja, dieser Versuch ist oft sogar die Wurzel von allem Übel. Das sollten wir erkennen. Unseren eigenen Möglichkeiten, das „Reich Gottes“ aufzubauen, sind ganz viele Grenzen gesetzt. Wir müssen also noch viel tiefer gehende Fragen stellen, wenn wir den richtigen Weg finden wollen. In Wirklichkeit gedeiht das Gute nämlich ganz anders, und davon handelt unser Gleichnis.
Wenn wir eine bessere Welt oder ein schönes Leben wollen, dann können wir dafür nur die Saat legen, alles andere müssen wir Gott überlassen. Und das ist keine Träumerei, sondern wir sehen mehr, als vor Augen liegt. Das Wirken Gottes ist wie das geheime Leben in der Erde, es geschieht im Verborgenen, aber es ist da. Sein Reich hat längst begonnen und es lugt auch an vielen Stellen in unseren Gesellschaften hervor und zeigt Knospen. Wir müssen nur hinschauen. Es ist eine Fehleinschätzung, zu meinen, Gott tut ja nichts.
Der erste Schritt auf dem richtigen Weg besteht darin, diesen Irrtum abzulegen. Dann kommen wir der Realität viel näher und das ist bereits heilsam und wohltuend. Es tut gut, zu erkennen, wieviel Gott kann und wirkt. Es geschieht ja nicht nur Schlimmes in der Welt, sondern immer wieder genauso viel Gutes. Die Menschheit ist nicht verloren. Und auch die Kirche gibt es immer noch, Menschen, die glauben und auf Gott vertrauen, die ihre Hoffnung nicht verlieren und lieben können. Wir sollten uns das ruhig öfter bewusst machen, dann rücken die Dinge in das rechte Verhältnis.
Als nächstes gilt es dann, der Kraft Gottes zu vertrauen. Das ist keine romantische Phantasie, sondern wir lenken unseren Geist auf das, was gut und stark ist, was wirklich zählt und uns Mut macht. Wenn wir Gott etwas zutrauen, fliehen wir nicht vor der Verantwortung, wir nehmen sie vielmehr wahr. Denn wir sind dafür verantwortlich, die Dinge klar zu sehen, Gott zu erkennen, seine Kraft zuzulassen. Das möchte er. Er möchte, dass wir glauben, hoffen und lieben, denn nur, wenn wir das tun, gewinnen wir die ganze Fülle des Lebens, nur dann kann diese Welt so werden, wie er sie sich vorgestellt hat.
Dazu ist es notwendig, dass wir uns selber relativieren und unser Denken gelegentlich korrigieren. Das wäre der dritte Schritt. Es macht nichts, wenn wir die Grenzen unserer Kraft und unserer Möglichkeiten erkennen, im Gegenteil, das ist entspannend und stärkend. Keiner von uns ist vollkommen, keiner kann alles, und das ist auch nicht schlimm. Schlimm ist nur, wenn wir das nicht zugeben. Denn dann verschwenden wir ganz viel unnötige Energie. Wenn wir unsere Begrenztheit dagegen annehmen, tun wir viel eher das Richtige. Unser Leben ist am fruchtbarsten, wenn wir uns selber immer wieder zurücknehmen.
Das sollte unsere Einstellung sein, dann gewinnen wir eine klare Sicht auf die Welt und das Geschehen um uns herum. Und die macht nicht nur unser eigenes Leben schön und sinnvoll, sie tut auch der Welt gut. Denn wir tragen damit zum Frieden und zur Gerechtigkeit bei. Wir finden das richtige Maß und die nötige Gelassenheit, reden mehr miteinander, werden aufmerksamer und freundlicher. Und wenn das geschieht, dann ist das Reich Gottes da, dann wirken wir daran mit. Wir werden selber zum Samen in dieser Welt. Denn Gott macht etwas mit uns, er kann uns endlich benutzen. Wir erleben, wie etwas wächst und gedeiht.
Die von selber wachsenden Pflanzen sind also doch ein wunderbares Gleichnis für das Leben und das Reich Gottes. Sie können uns zeigen, worauf es ankommt, sie verweisen uns auf Gott, von dem „alle guten Gaben kommen“ und laden uns zu einem angstfreien und sinnvollen Leben ein. Es ist davon geprägt, dass wir geduldig warten, genau hinschauen, annehmen, was Gott uns schenkt, und ihn dafür loben. Amen.
Folgende Fürbitten aus dem Evangelischen Tagzeitenbuch der Michaelsbruderschaft passten gut zum Thema der Predigt und wurden deshalb im Gottesdienst vorgetragen:
Fürbitten
Herr, himmlischer Vater. Du läs es Tag werden aus der Nacht. Du führst die Sonne empor und erweckst uns am Morgen. Du gibst unserer Seele neue Kraft. Herr, unser Gott, groß sind Deine Wunder, heilig sind Deine Ordnungen, tief sind Deine Geheimnisse. Dich rufen wir an: Stärke uns den Glauben.
Wir leben von Deiner Gnade. Sende uns in die Welt, erleuchtet mit Deiner Wahrheit, getragen von Deiner Barmherzigkeit, gebunden in Deinen Willen, gestärkt durch Deine Verheißung. Dich rufen wir an: Stärke uns den Glauben.
Segne alle Arbeit auf Deinem Ackerfeld. Segne alle Deine Botinnen und Boten. Segne den Samen Deines Wortes und lass ihn Frucht bringen. Nimm auch unsern Dienst in Gnaden an und segne das Werk dieses Tages für Dein Reich. Dich rufen wir an: Stärke uns den Glauben.
Segne alle Arbeit der Liebe, alle Werke der Barmherzigkeit. Segne alle, die in Dir verbunden sind. Segne Deine Kirche und lass sie zum Segen werden unter den Völkern. Dich rufen wir an: Stärke uns den Glauben.
Du baust Dein Reich unter uns. Du baust Dein Reich in aller Welt. Herr, wir glauben, hilf unserem Unglauben. Dich rufen wir an: Stärke uns den Glauben.
(Aus: Evangelisches Tagzeitenbuch, Hrg. Evangelische Michaelsbruderschaft, Münsterschwarzach, Göttingen, 4., völlig neu gestaltete Auflage, 1998, S. 169)