Predigt über Lukas 18, 9- 14: Vom Pharisäer und Zöllner
11. Sonntag nach Trinitatis, 16.8.2015, 11 Uhr
Jakobikirche Kiel
Lukas 18, 9- 14
9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Liebe Gemeinde.
Kinder fallen öfter einmal hin. Es kann zwar sein, dass sie dann weinen, aber schlimm ist es meistens nicht, denn ihre Knochen sind noch weich, sie sind leicht, und der Weg bis zum Boden ist nicht so lang.
Für Erwachsene ist das anders. Da passiert es auch kaum noch, am ehesten wahrscheinlich bei einer Sportart wie dem Fußball. Das richtige Hinfallen gehört dort deshalb mit zum Training. Trotzdem verletzen sich Sportler beim Stürzen oft, und andere Menschen erst recht.
Denn es geschieht unvorbereitet und wird meistens von außen verursacht: Man wird umgestoßen oder angefahren, fällt über ein Hindernis oder stolpert über einen Stein.
Man kann allerdings auch einfach das Gleichgewicht verlieren. Ein Schwächeanfall, eine Ohnmacht oder eine Krankheit führen dazu.
Es schmerzt und tut meistens weh, wenn man stürzt.
Manchmal steht man allein wieder auf, manchmal braucht man die Hand von jemand anderem. Wenn es schlimm ist, dauert es länger, bis wir wieder auf die Beine kommen.
Aber das Aufstehen ist wichtig, und das gilt auch im übertragenen Sinn. Wir sprechen bei Problemen und Krisen im Leben ja ebenfalls vom „Fallen“ oder „Abstürzen“. Und dazu hat Theodor Heuss einmal gesagt: „Es ist keine Schande hinzufallen, aber es ist eine Schande, einfach liegenzubleiben.“ Etwas Ähnliches sagte auch Nelson Mandela: „Unser größter Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.“ Und Winston Chruchill fand: „Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.“ (zitate.net)
Nun war der eine Kämpfernatur und mit einem starken Willen ausgerüstet. Nelson Mandela hatte ein ganz barmherziges Wesen, er war mit großer Milde und Güte beschenkt. Und Theodor Heuss war ein kluger und weiser Mann mit viel Lebenserfahrung. Sie alle hatten seelische und mentale Ressourcen, die ihnen halfen, immer wieder auf die Beine zu kommen.
Aber ist das Wieder-Aufstehen für uns alle so leicht gesagt, wie getan? Wie geht das denn im Ernstfall, und wer hilft uns dabei, wenn es nötig ist?
Im Evangelium von heute gibt Jesus uns darauf eine Antwort. Es ist ein Gleichnis, das er in einem Gespräch mit Pharisäern erzählt. Mit ihnen hat er sich oft unterhalten, denn sie bildeten die stärkste religiöse Partei in Israel. Sie hielten die Überlieferungen der Väter in Ehren und kämpften mit leidenschaftlichem Eifer für die genaue Beobachtung des Gesetzes. Bis in die Kleinigkeiten des Alltags hinein regelten sie das Leben.
Das war zwar gut und gewissenhaft gemeint, doch genau damit hatte Jesus Probleme. Er sah, dass ihre Einstellung oft zu selbstgerechtem Stolz und liebloser Härte führte, und das kritisierte er an ihnen. Ihm fehlte die Barmherzigkeit in ihrer Frömmigkeit. Sie gaben keine Antwort auf die Frage, wie den Gestrauchelten geholfen werden konnte. Jesus sah in ihrem Verhalten nur Egoismus und Überheblichkeit. Er hielt sie für Heuchler und ihre Frömmigkeit für falsch.
Und genau davon handelt das Gleichnis. Zwei Personen kommen darin vor, die einander gegenüber gestellt werden. Gemeinsam ist ihnen der Weg zum Tempel, der hier als Bethaus verstanden wird. Denn genau das wollen sie dort tun: zu Gott beten. Der Pharisäer stellt sich dafür aufrecht und sichtbar hin, doch dann spricht er eigentlich eher mit sich selbst, als mit Gott. Sein Gebet ist wie ein Monolog und beinhaltet genau das, was Jesus den Pharisäern vorwirft, denn er sagt: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“ Der Pharisäer hat sein Leben also voll in der Hand, er gestaltet es so, wie er es für richtig hält und zieht daraus sein ganzes Selbstwertgefühl. Er gehört zu denjenigen, die versuchen, niemals hinzufallen, und rühmt sich damit, dass ihm das gelingt.
Dazu bildet der Zöllner nun einen bewussten Kontrast. Das hängt zunächst mit seinem Beruf und seiner Stellung in der Gesellschaft zusammen. Zöllner standen im Dienst der römischen, d.h. heidnischen Besatzungsmacht und hatten dadurch viel Kontakt mit Nicht-Juden. Das machte sie unrein. Außerdem wurden sie Dieben und Räubern gleichgestellt, denn von dem Zoll, den sie erhoben, kassierten sie immer einiges in die eigene Tasche. Es handelte sich dabei um Markt- und Grenzzölle. Dafür gab es zwar feste Tarife, doch verleitete das System zum Betrug. Es war kein Wunder, dass der Umgang mit Zöllnern gemieden wurde. Sie waren tatsächlich tief gefallen und lebten in der Achtung der anderen ganz unten.
So einer geht hier nun ebenfalls in den Tempel. Er bleibt allerdings in der Ferne stehen, denn weiter nach vorne traut er sich nicht. Er steht auch nicht aufrecht, sondern beugt sich zur Erde und schlägt sich als Zeichen der Buße an die Brust. Er ist sich also seiner Mangelhaftigkeit bewusst, er fühlt sich schuldig und sündig und spricht ein Bußgebet: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Das ist alles, was er sagt.
Beide, sowohl der Pharisäer als auch der Zöllner, wollen von Gott gehört und gesehen werden. Er soll ihr Gebet annehmen bzw. ihnen helfen. Doch das widerfährt nur dem Zweiten, dem Zöllner. „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Das ist die Botschaft Jesu, und damit beantwortet er sehr schön die Frage, wie wir nach einem Fall wieder aufstehen können, und wer uns dabei hilft: Gott selber reicht uns die Hand, wenn wir uns nach ihm ausstrecken. Wir müssen uns unser Fallen nur eingestehen, zu ihm rufen und uns von ihm aufrichten lassen.
Dazu gehört, dass wir uns zunächst klar machen, was überhaupt zu einem Absturz führen kann. Wenn er körperlich geschieht, ist der Grund wie gesagt entweder äußerlich oder innerlich, und so ist es auch mit dem Leben.
Bei dem Zöllner war es ein innerer Grund, der ihn zu Fall gebracht hatte. Er hatte wirklich gesündigt, deshalb fühlte er sich schlecht. Sein Elend war zum großen Teil selbst verschuldet, denn er hatte gelogen und betrogen.
Und das geschieht jedem und jeder von uns auch irgendwann einmal im Leben. Es müssen gar keine schlimme Verbrechen sein, die wir begehen. Wir fallen bereits aus dem Gleichgewicht, wenn wir in unserer Ehe oder in der Familie nicht ehrlich sind, die anderen hintergehen, sie vor den Kopf stoßen, unsensibel und egoistisch handeln. Rücksichtslosigkeit und Grobheit sind weit verbreitet und führen in den Abwärtstrend. Denn sie machen uns hart, unbeliebt und einsam. Wir verkümmern innerlich und fallen dadurch manchmal tief, d.h. wir leiden und wissen nicht weiter.
Und das kann genauso von außen ausgelöst werden, durch andere Menschen z.B. Sie bringen uns zu Fall, indem sie uns enttäuschen oder ungerecht behandeln. Oder sie verlassen uns, im schlimmsten Fall durch den Tod. Dann brechen wir durch die Trauer zusammen. Aber auch andere Umstände wie Krankheit oder Armut, Überlastung und Stress können dazu führen, dass wir irgendwann am Boden liegen und nicht mehr weiter wissen. Manchmal sind wir dann der Verzweiflung nahe, alles wird düster und leidvoll. Not und Elend bestimmen unser Lebensgefühl.
So muss es auch dem Zöllner gegangen sein: Er fühlte sich schlecht und armselig.
Doch er fand eine Möglichkeit, wieder aufzustehen, und das war der Weg in den Tempel. Mehr wird über ihn nicht gesagt, aber dahinter steckt ganz viel, was wir uns klar machen können. Es gehörte ja dazu, dass er sich seine Hilflosigkeit eingestanden hat. Er war zwar gefallen, aber dadurch war er auch auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Das hat er erkannt und akzeptiert, obwohl es weh tat.
Und damit zeigt er uns den ersten Schritt, der zum Aufstehen gehört. Er besteht darin, dass wir die Misere, in der wir stecken, zunächst einmal aushalten und auch annehmen. Wir dürfen nicht die Augen verschließen und so tun, als wäre nichts. Ablenkung oder Zerstreuung helfen nicht, wenn es uns wirklich schlecht geht, wir müssen uns tiefgehender mit dem Problem beschäftigen und zugeben, dass wir am Boden liegen.
Der Zöllner hat das getan, sonst wäre er nicht in den Tempel gegangen. Das war der nächste Schritt, und der war sehr verheißungsvoll, denn es war der Weg in das Gebet. Das war gar nicht lang und schon gar nicht so wie das des Pharisäers. Er breitete nicht alles vor Gott aus, was ihn im Einzelnen bekümmerte, hielt keine lange Rede, sondern äußerte nur einen Wunsch: Er sagte: „Gott sei mir Sünder gnädig.“
Und das können auch wir tun. Nachdem wir zugegeben haben, dass wir uns selber kaum helfen können, dürfen auch wir zu Jesus beten und um sein Erbarmen bitten. Er ist da und wartet darauf bereits. „Er reicht uns seine Hand“, wie es in einem Kirchenlied heißt (EG 365,1), wir dürfen also auf ihn vertrauen. Darin liegt bereits die Lösung unserer Probleme beschlossen. Viel mehr brauchen wir gar nicht, denn Gott selber ist die Antwort auf unsere Nöte. Wenn wir einsam und verzweifelt sind, dürfen wir wissen, er ist da. Er kennt uns und liebt uns. Er vergibt uns auch, wenn wir schuldig geworden sind. Er verstößt uns dafür nicht. Das gilt es zu erleben, und dafür reicht in der Tat ein kurzes Gebet wie „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Es gibt in der Ostkirche die Tradition des sogenannten Herzensgebetes. Bei dieser Gebetsweise wird ein Satz wie der des Zöllners immer wiederholt. Die gängige Formel lautet: „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.“ Und die wird dann mit dem Atem verbunden: Beim Einatmen erfolgt der Anruf „Herr Jesus Christus“ und beim Ausatmen die Bitte um Erbarmen. Das Ziel ist dabei, dass dieses Gebet im Laufe des Lebens immer selbsttätiger wird und irgendwann gar nicht mehr aufhört. Denn das ist zutiefst heilsam und befreiend. Jesus Christus rückt in die Mitte des Denkens und Fühlens, er zieht ins Herz ein und verbreitet von dort seine Liebe. Das Gebet kann sich auch mit dem Rhythmus des Herzschlags verbinden. Deshalb heißt es „Herzensgebet“.
Und diese Frömmigkeit ist eine ganz andere als die des Pharisäers. Dessen Problem war seine Eigenliebe. Er empfand sich selber als Mittelpunkt des Geschehens, alles drehte sich um ihn und darum, wie toll er angeblich war. Er stellte sich selber dar und stand bildlich gesprochen auf einem hohen Podest. Er merkte nicht mehr, wie gefährlich das in Wirklichkeit war, denn von dort ist ein Absturz natürlich noch schmerzhafter, weil er tiefer ist. Es ist deshalb gut, rechtzeitig von dieser Geisteshaltung Abstand zu nehmen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und Jesus Christus in die Mitte zu stellen. Dann werden wir bei jedem Fallen aufgefangen und es ist immer eine Hand da, die uns wieder aufhilft.
Und nach dem Aufstehen gehen wir anders durch das Leben, denn wir werden durch die Liebe und Vergebung Jesu gefestigt. Sein Erbarmen durchströmt uns und gibt uns neue Kraft. Möglicherweise korrigieren wir auch die Richtung. Jesus hatte Begegnungen mit Zöllnern, die danach ihr Leben geändert haben. Sie verließen die alten Wege, hörten mit dem Betrügen auf und folgten ihm nach.
Und das gilt auch für uns. Es ist der dritte Schritt: Wenn die Liebe Jesu in unser Herz eingezogen ist, stehen wir ganz anders da. Wir sind vor dem Fallen geschützt, denn uns kann so leicht nichts mehr umstoßen. Wir finden unser Gleichgewicht, werden widerstands- und leidensfähig. Wir bekommen eine Kraft, die uns durch alles hindurch trägt. Trauer und Krankheit können wir viel besser aushalten, sie führen uns nicht in die Verzweiflung. Selbst in der Dunkelheit scheint noch ein Licht. Jesus kann das Leid wenden, und zwar einfach dadurch, dass er da ist und wir ihm vertrauen.
Wenn Kinder noch klein sind, gehen sie am sichersten an der Hand ihrer Eltern. Dadurch haben sie eine gute Verbindung zu ihnen und werden immer festgehalten. Wenn sie einmal stolpern oder das Gleichgewicht verlieren, fallen sie nicht gleich hin.
So eine Hand wird auch uns ausgestreckt. Jesus reicht sie uns, wir müssen sie nur ergreifen, dann ist uns besser geholfen, als durch irgendetwas anderes auf der Welt. Wenn wir an seiner Hand durch das Leben gehen, fallen wir viel seltener hin und sind immer gut versorgt.
Amen.