Predigt über Markus 10, 2- 9: Von der Ehescheidung
20. Sonntag nach Trinitatis, 18.10.2015, Luther- und Jakobikirche Kiel
Markus 10, 2- 9
2 Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit.
3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten?
4 Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.
5 Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben;
6 aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau.
7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen
und wird an seiner Frau hängen,
8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.
9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Liebe Gemeinde.
Wenn ein Paar seine diamantene Hochzeit feiert, ist das ein Bericht in der Zeitung wert, denn die beiden sind dann 60 Jahre verheiratet. So oft geschieht das nicht. Noch seltener ist die eiserne Hochzeit, die das 65-jähringe Ehejubiläum markiert, und wenn es 70 Jahre sind, die ein Mann und eine Frau zusammen gelebt haben, ist das eine echte Gnade. Deshalb heißt dieses Jubiläum auch „Gnadenhochzeit“. Das wird es bald wahrscheinlich gar nicht mehr geben, denn die Menschen heiraten heutzutage kaum noch mit Anfang zwanzig, und das wäre ja nötig. Sie müssen dann trotzdem noch mindestens 90 Jahre alt werden, um so lange zusammen sein zu können.
Man freut sich jetzt z.B. bereits über fünf, sieben, oder zehn Jahre Ehe. Es gibt sogar Bezeichnungen für diese Gedenktage: Nach fünf Jahren ist es die hölzerne Hochzeit, bei der die Ehe bereits fest wie Holz geworden ist, nach sieben Jahren die kupferne Hochzeit, bei der sich schon eine schöne Patina gebildet hat, und nach 10 Jahren die Rosenhochzeit, zu der man sich noch einmal über die Liebe freut, wie am ersten Hochzeitstag.
Die Jubiläen dienen dem Dank dafür, dass man das gegenseitige Versprechen gehalten hat. Die feierlichen Worten: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ haben sich bewahrheitet, und das ist schön.
Wir haben diesen Satz vorhin in unserem Evangelium gehört. Es ist ein Wort Jesu, das in einem Streitgespräch mit den Pharisäern auftaucht. Die Pharisäer wollten wissen, was Jesus von der Möglichkeit der Ehescheidung hielt. Sie kannten seine Ablehnung diesbezüglich wahrscheinlich schon und wollten ihn bewusst in einen Widerspruch zum Gesetz des Mose verstricken. Dort war die Ehescheidung nämlich ausdrücklich erlaubt. Sie war zwar etwas einseitig geregelt, so dass nur der Mann seine Frau wieder entlassen durfte, aber immerhin, „wenn er etwas Schändliches an ihr gefunden hat“, wie es dort heißt (5. Mose 24,1ff), dann durfte er sich von ihr trennen. Was das im Einzelnen sein konnte, wird nicht gesagt. Natürlich war Ehebruch ein Grund, aber ein Mann konnte auch Banaleres vorbringen. Das Gesetz war für Interpretationen offen, und das war ganz praktisch. Ein Mann konnte sich auf diese Weise problemlos aus einer unbequemen Situation befreien, und das fanden die Pharisäer sicher ganz gut.
Jesus hielt allerdings nichts davon. Er kritisiert dieses Gesetz, indem er sagt, dass es ihnen nur wegen ihres „Herzens Härte“ gegeben wurde. Man kann auch übersetzen: wegen ihrer „Halsstarrigkeit“, und die taucht oft im Alten Testament auf. Sie ist der Grund für das Scheidungsgebot. Es nimmt darauf Rücksicht, dass die Menschen eben immer mal wieder gegenüber den göttlichen Weisungen ungehorsam sind. Und niemand sollte diesbezüglich überfordert werden. Der Mensch ist nun mal moralisch unvermögend und versagt immer wieder. Deshalb gab es das Scheidungsrecht. Es war ein Regelungsverfahren für die menschliche Schwäche. Mit dem ursprünglichen Willen Gottes hatte es nichts zu tun. So beurteilt Jesus es.
Er erinnert daran, dass es von der Schöpfungsordnung her nicht so gedacht war. Gott hatte sich das ganz anders vorgestellt. Er hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen, so dass die beiden „ein Fleisch“ sein sollten, d.h. sie bilden eine unzertrennliche Lebensgemeinschaft. Dabei ist Gott der Verbindende, und deshalb soll der Mensch die Ehe nicht auflösen. Jesus leitet das Verbot der Ehescheidung also aus dem Willen Gottes ab.
Wie die Pharisäer das fanden, wird hier nicht gesagt. Er hat ihnen damit wahrscheinlich mal wieder das Maul gestopft. Sie mussten klein beigeben und zogen ab.
Und wie geht es uns mit dieser Radikalität Jesu? So richtig wohl fühlen wir uns damit sicherlich auch nicht. Es klingt sehr moralisch und fundamentalistisch. Wo bleibt die Freiheit des Einzelnen? Wir sehen die Sache vermutlich ganz ähnlich wie die Pharisäer und finden es richtig, dass wir uns im Notfall scheiden lassen können. Zum Glück ist diese Möglichkeit bei uns ja auch fairer und gleichberechtigter geregelt als im alten Israel. Natürlich wollen wir nicht leichtfertig davon Gebrauch machen, aber wenn die Situation unerträglich wird, ist es doch besser, man trennt sich. Ich vermute, da sind wir uns alle einig. Was sollen wir mit dem Gebot Jesu also anfangen? Das müssen wir uns fragen, und dafür ist es gut, wenn wir die Situation, die zu einer Scheidung führt, noch einmal etwas genauer beleuchten.
Wir sagen so schnell, dass das eben oft gut ist. Aber geht es uns eigentlich wirklich gut damit? Das will jedenfalls keiner, der heiratet. Im Gegenteil, wir gehen immer davon aus, dass diese Beziehung hält. Wir wünschen uns das ganz sehnlich, und meistens sind wir am Anfang auch richtig glücklich: Da ist endlich jemand, der zu mir passt, der mich versteht, der mich ernst nimmt, der mich gerne berührt und für mich da ist. Und umgekehrt ist es genauso: Am Anfang bin ich bereit, alles zu geben, den anderen glücklich zu machen und ihn wirklich zu lieben. Ganz tiefe Wünsche, die jeder von uns hat, gehen bei einer Eheschließung in Erfüllung.
Deshalb ist es auch immer schmerzlich, wenn das alles nachlässt und sich langsam in sein Gegenteil verkehrt. Und so ist es ja, wenn eine Ehe in die Brüche geht: Es ist ein Notfall. Da gehen Enttäuschungen und Verletzungen vorweg: Der Partner ist doch nicht so zuverlässig, wie ich am Anfang dachte. Er hat Eigenschaften, die ich nicht kannte, ganz andere Interessen. Es kommt zu Konflikten und Spannungen. Paare leben sich auseinander, jeder geht seinen eigenen Weg, und wenn es ganz schlimm wird, kommt es zum Ehebruch. Das tut dann richtig weh. Manchmal gelingt es den beiden Partnern, sich wieder zusammenzuraufen, sich auszusprechen und zu verzeihen. Sie erinnern sich daran, was sie einmal wollten, was sie schon alles zusammen erlebt haben, was es doch auch an Positivem in ihrem Zusammenleben gibt. Es kommt zur Versöhnung und zu einem Neuanfang. Das ist allerdings eher die Ausnahme. Wenn eine Ehe erst mal problematisch und konfliktgeladen geworden ist, kommt es meistens zur Trennung, denn die „Herzen haben sich verhärtet“.
Das gilt übrigens auch für andere Beziehungen. Es geschieht zwischen Kindern und Eltern, unter Geschwistern, in Freundschaften, in der Gemeinde oder im Arbeitsleben. Es kommt oft zu Konflikten, denn die anderen sind nicht so, wie wir das gerne wollen. Sie handeln nicht nach unseren Vorstellungen, und das verursacht Ärger und Spannungen. Tiefe Gräben können sich auftun, und es folgen Trennungen und Zerwürfnisse.
In den Augen Jesu liegt der Grund dafür in der „Halsstarrigkeit“ der Menschen, und darum geht es ihm hier auch: Er will hier gar keine unerfüllbaren Regeln aufstellen. Er fordert keinen moralischen Fundamentalismus. Er richtet seinen Blick vielmehr auf die Herzen der Menschen, auf ihr Inneres. Er formuliert nicht einfach nur ein Gebot, das uns letzten Endes überfordert, sondern denkt an eine andere Art der inneren Beschaffenheit: Das Herz muss nicht zwangsläufig hart werden, es kann auch weich und sanft bleiben. Davon geht Jesus offensichtlich aus, denn das wäre ja das Gegenteil von dem, was die Pharisäer meinen. Lassen Sie uns danach noch einmal etwas genauer fragen: Jesus spricht hier über ein inneres Geschehen, über Kräfte der Seele und des Geistes, die aktiv werden können. Wir müssen also in uns gehen und in uns hineinschauen, um zu verstehen, was Jesus meint.
Und dabei fällt unser Blick zunächst auf die Gründe für die „Herzens Härte“. Sie hat etwas mit unseren Erwartungen zu tun, mit Träumen und Wünschen, die wir in eine Partnerschaft hineintragen. Wir erleben uns selber als den Mittelpunkt, um den sich alles zu drehen hat. Unser Ich ist groß und fest, und alles, was ihm im Wege steht, stellt ein Problem dar. Und das ist unser Anteil an einem Konflikt. Wir denken zwar, der andere hat Schuld, aber die Spannungen haben genauso viel mit uns selber zu tun. Das müssen wir als erstes zugeben: Wir tragen genauso viel dazu bei. Das ist ein Stück Selbsterkenntnis, die zwar nicht ganz leicht ist, die aber nötig ist, damit sich etwas ändern kann.
Dabei hilft es, wenn wir uns gleichzeitig bewusst machen, dass unsere Erwartungen und unsere Ichhaftigkeit uns immer auch einengen und unfrei machen. Wir fühlen uns zwar ganz wohl in unserem Ich, in unseren Fantasien und Träumen, sie sind wie ein zu Hause, aber gleichzeitig sind wir darin uns auch gefangen. Wir halten uns an ihnen fest, aber damit halten sie uns ebenso fest. Sie haben uns im Griff und bestimmen unser Denken und Fühlen. Es ist deshalb gut und wohltuend, wenn wir ein Stück weit Abstand dazu nehmen und uns im Loslassen üben. Wir müssen unsere Vorstellungen und Erwartungen relativieren und sie nicht mehr als alleinigen Maßstab betrachten.
Das ist wie gesagt nicht ganz leicht, aber wir sind dabei auch nicht allein. Jesus hat genau so gelebt und gehandelt. Er hat sein Leben von vorneherein ganz in den Dienst Gottes gestellt und sich ihm hingegeben. Er war nicht von seinem Ich erfüllt, sondern von der Gegenwart und Liebe Gottes. Und deshalb kann er uns helfen. Denn wenn wir das glauben, ihm vertrauen und ihm nachfolgen, wird es auch uns möglich. Die Belange des Lebens bekommen in seiner Gegenwart eine andere Gewichtung. Was vorher groß war, wird plötzlich kleiner, weil etwas anderes viel wichtiger geworden ist: Es ist die Liebe Jesu, die das Herz weich und sanft und liebend macht. Jesus macht uns frei von uns selber, schenkt uns einen neuen Halt und ein Gefühl von tiefer Geborgenheit. Es ist unabhängig von allen äußeren Gegebenheiten. Die Liebe Gottes wird der tragende Grund, auf den wir uns immer verlassen können.
Und das kann in einer Ehe und in jeder anderen Beziehung gerade dann entstehen, wenn einmal nicht alles nach unseren Vorstellungen läuft, wenn es Konflikte und Spannungen gibt. Wir erleben sie zwar als eine Störung, aber in Wirklichkeit sind sie eine große Chance. Denn sie können uns zum Loslassen führen und dazu, uns dem Willen Gottes zu überlassen. Wenn wir merken, wir müssen uns von unseren Ideen trennen, dann können wir uns im gleichen Augenblick in die Arme Gottes werfen, uns fallen lassen und uns für seine Kraft öffnen.
Aus dem, was Jesus uns vorschlägt, ergibt sich also ein ganz anderes Ehe- und Gemeinschaftsverständnis. Der Partner, das Kind, die Eltern, Geschwister, Freunde und Kollegen sind nicht nur diejenigen, die meine Wünsche erfüllen und zu mir passen sollen, sie zeigen mir vielmehr ganz oft, wo ich meine Probleme habe, wo ich noch nicht heil bin. Sie decken meine Schwächen auf und helfen mir, mit mir selber und im Glauben weiter zu kommen. Die Ehe und jedes Miteinander kann ein Übungsfeld für den Glauben und das Leben sein, für Gott, für mich und für den anderen. Sie führen mich in die Nachfolge und machen mich frei und lebendig.
„Wände reden nicht mit mir“, hat mir einmal eine Frau gesagt, die allein lebte, und damit meinte sie genau diesen Aspekt jedes Zusammenlebens. Es fordert mich heraus, macht etwas mit mir, kann mich verändern und in Bewegung setzen.
Wenn wir es so verstehen und uns entsprechend aufeinander einlassen, wird unser Geist offener, und unsere Herzen werden weicher. Die Liebe und die Freundschaft, die Nähe und das gute Einverständnis, das uns miteinander verbindet, bleiben lebendig.
Und darum geht es Jesus hier. Wir sollen ein neues Herz bekommen, neues Leben und neue Liebe. Wir sollen der Gegenwart Gottes inne werden und unser Leben von daher führen. Wir sollen es aus seiner Kraft heraus gestalten und damit für ihn ein Zeugnis sein. Ganz von selber wird unser Miteinander dadurch gesegnet. Es kann gelingen, so dass Ehepartner auch nach Jahren noch Glück miteinander erleben, Eltern und Kinder füreinander da sind, Geschwister, Freunde und Kollegen zueinander halten.
Die beiden Ehejubiläen, die wir am meisten kennen, sind die silberne und die goldene Hochzeit. Wir feiern sie nach 25 bzw. 50 Jahren, und nicht umsonst sind sie nach Edelmetallen benannt: Die Ehe ist kostbar geworden, sie hat einen hohen Wert, und deshalb feiern wir diese Festtage gerne. Viele Paare laden dazu ein, und einige kommen sogar noch einmal in die Kirche. Sie stellen sich erneut unter den Segen Gottes, denn sie wollen zum Ausdruck bringen, dass nicht sie dafür gesorgt haben, dass sie glücklich und zufrieden sind. Gott hat ihnen geholfen, die Weisung Jesu in ihrem Leben zu befolgen.
Lassen Sie uns seine Aufforderung, uns nicht zu trennen, also ernst nehmen und es wirklich wagen, einander lebenslange Liebe und Treue zu versprechen.
Amen.