Solus Christus – Allein durch Christus

Predigt über Johannes 14, 1- 6: Jesus, der Weg zum Vater

Sommerpredigt „Solus Christus“, 13.8.2017,
11 Uhr, Jakobikirche Kiel

Der Gottesdienst enthielt die zweite Sommerpredigt über die sogenannten „vier Soli“. Heute war das Thema: „Solus Chritus – Allein durch Christus werden wir gerettet“. Für die Reformatoren hieß das, dass  in Chritus  die ganze göttliche Wahrheit beschlossen liegt. Sie grenzten sich damit gegenüber der Vorstellung ab, dass auch Heilige, Kirchenvertreter oder andere menschliche Instanzen uns erlösen können. Gottes größte Tat, sein erlösendes Geschenk an uns ist sein Sohn Jesus Christus.
Dieser Grundsatz kommt an verschiedenen Stellen im Neuen Testament zum Ausdruck. Schön ist z.B. der Vers aus der Offenbarung: „Christus spricht: Ich bin das A und O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“ (Offenbarung 22,13) Es ist praktisch das letzte Wort der Bibel. Bei Luther fnden wir in diesem Zusammenhang einen Vers aus dem ersten Brief an Timotheus: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.“ (1. Timotheus 2,1-7)
Der Predigt habe ich die Selbstaussage Jesu zu Grunde gelegt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Sie überschneidet sich in weiten Teilen mit der Neujahrspredigt dieses Jahres, die ich ebenfalls zu dieser Bibelstelle gehalten habe.

Johannes 14, 1- 6

1 Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
2 In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?
3 Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.
4 Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.
5 Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?
6 Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Liebe Gemeinde.

Die lateinische Formel „solus Christus“ ist ein kurzer Ausdruck für einen theologischen Grundsatz der Reformation. Dieser Grundsatz lautet, dass Jesus Christus der alleinige Heilsmittler ist. In Christus allein ist Gott eindeutig zu finden, und an Christus allein soll der Mensch glauben.
So erklärte Luther im Kleinen Katechismus: „Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben; damit ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit.“ (Martin Luther, der kleine Katechismus, das zweite Hauptstück der Glaube, Erklärung zum zweiten Artikel von der Erlösung)
Die Grundlage für diesen Glauben finden wir natürlich im Neuen Testament, in den Evangelien und in den Briefen der Apostel. Im Johannesevangelium finden wir dazu besonders schöne Aussagen, denn da erhebt Jesus selber diesen Anspruch, und zwar mit den sogenannten „Ich-bin-Worten“. Er offenbart mit diesen Sätzen, dass er von Gott kommt und den Menschen das Heil bringt. Fünf davon sind bildhaft gemeint: „Ich bin das Brot des Lebens (6,35), das Licht der Welt (8,12), die Tür (10,9), der gute Hirte (10,14) und der wahre Weinstock (15,5)“. Und dann gibt es noch zwei Aussagen, die stehen im Zusammenhang mit dem Tod und der Auferstehung Jesu. Sie lauten: „Ich bin die Auferstehung (11,25), der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6).“ Und bei diesem letzten Satz betont Jesus zugleich die Ausschließlichkeit, das „solus“, indem er sagt: „niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Dieses Ich-bin-Wort bringt deshalb am klarsten zum Ausdruck, was es heißt, dass „Jesus allein“ das Heil bringt.
In der Rede, in der es vorkommt, spricht Jesus mit seinen Jüngern, kurz bevor er sie für immer verlässt, und er erklärt ihnen seine Sendung, den Glauben und das Ziel des Lebens. Dabei will er seine Jünger hauptsächlich trösten und beruhigen, denn natürlich waren sie erschüttert, dass die Trennung von ihm bevorstand. Sie hatten Angst, ihn zu verlieren und mit ihm das Leben. Denn das hatte er ihnen in ganz neuer Weise ermöglicht: Sie waren durch ihn Gott nahe gekommen. Sollte das alles nun vorbei sein? Das fragten sie sich, und Jesus wusste das. Deshalb sagt er als erstes: „Euer Herz erschrecke nicht!“ Er ermutigt sie zum Glauben an Gott und an ihn. Und dann folgt das Bild von dem „Haus Gottes mit den verschiedenen Wohnungen“. So stellten sich die Propheten des Alten Testamentes die himmlische Welt vor. Jesus nennt diesen göttlichen Ort das „Haus meines Vaters“, und er verheißt seinen Jüngern, dass es das Ziel ihres Lebens sein wird.
Und der Weg dorthin ist er selber. Das sagt Jesus mit dem Satz: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Jesus offenbart hier also wie gesagt, wer er ist, und er nennt gleich drei Titel: „Weg, Wahrheit und Leben“. Aus dem Zusammenhang kann man schließen, dass der Nachdruck auf dem „Weg“ liegt: Jesus ist der Weg zum Vater. Jesus erläutert das noch durch die beiden anderen Begriffe: Er ist der Weg zum Vater, weil in ihm die Wahrheit und das Leben liegen. Er hat die „Wahrheit“ Gottes ja offenbart, er hat den Menschen das Heil gezeigt und angeboten, und dadurch hat er ihnen „Leben“ vermittelt. Damit meint Jesus die ganze Fülle des Lebens, die Erlösung von den Sünden, Befreiung aus der Gewalt des Bösen und die Überwindung des Todes, wie Luther es erklärte. Denn er führt jeden, der an ihn glaubt, in die göttliche Wirklichkeit, er lässt ihn am Leben Gottes teilhaben, des lebendigen Vaters und Ursprungs. Deshalb ist Jesus der „Weg“ zum Vater. Er führt die Gläubigen in die Gemeinschaft mit ihm und damit zum Ziel ihres Lebens.
Das ist hier die Botschaft, und damit kann Jesus die Jünger kurz vor der Trennung tatsächlich gut aufrichten und ermutigen, denn sie ist sehr tröstlich.
Für uns sind das ebenso beruhigende Worte, die uns zeigen, wo es lang geht. Wir müssen sie nur in unser Leben übertragen, und dafür ist das Bild von dem Weg und dem Ziel sehr gut geeignet. Auch unabhängig davon, wie Jesus es hier einsetzt, können wir unser Leben damit beschreiben: Es ist wie eine Wanderung, bei der wir eine Vorstellung davon haben, wo wir hin wollen. Denn unser Leben geht Tag für Tag weiter, und wir haben immer etwas vor Augen, das wir erreichen möchten. Wir haben Wünsche und Träume, Pläne und Vorhaben. Dabei muss es sich gar nicht um irgendetwas Besonderes oder Individuelles handeln. Es gehört zu unserer menschlichen Natur, dass wir uns vorstellen, wie unser Leben am besten sein soll. Das fängt schon damit an, dass wir alle gerne gesund sein wollen. Krankheiten mögen wir nicht, und wir tun viel, um sie zu verhindern und auszukurieren. Aber das ist nicht alles. Auch Erfolg ist ein ganz natürlicher Wunsch, ob im Beruf oder im privaten Bereich. Und natürlich will niemand allein sein. Das Streben nach Gemeinschaft ist ein weiteres allgemeines Ziel, das wir alle teilen. Wir wünschen uns Zuwendung und Liebe.
Doch erreichen wir das auch? Wer zeigt uns den Weg? Wer sorgt dafür, dass wir uns nicht verirren? Der Gedanke an die Zukunft ist immer mit Unsicherheit verbunden, eventuell sogar mit Angst und Sorge. Das Leben gelingt nicht einfach so, der Druck ist manchmal groß.
Und dahinein ist das Wort Jesu eine wunderbare Botschaft. Um die zu verstehen, ist es gut, wenn wir es von hinten lesen und zunächst auf das Ziel achten, dass Jesus vor Augen hatte: „zum Vater kommen“, darum geht es ihm, das wollte er und das bietet er seinen Jüngern an. Auch für Luther war das die entscheidende Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Wie kann ich „sein eigen sein und in seinem Reich unter ihm leben und ihm dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit?“
Das war Luthers größte Sorge, und damit nennt er – genauso wie Jesus – ein ganz anderes Ziel, als wir es heutzutage normaler Weise tun. Es ging ihm nicht um etwas Innerweltliches, sondern um die ewige Heimat bei Gott. Und er hat erkannt und geglaubt, dass wir sie „allein durch Jesus Christus“ erreichen können.
Damit stellt er uns etwas vor, auf das auch wir einmal unser Interesse lenken sollten, denn es ist etwas Großes und Wunderbares. Alles andere ist von vorne herein kleiner, denn dieses Ziel weist über die Welt hinaus. Wir sollten deshalb einmal alles, wonach wir uns sehnen, auf diesem Hintergrund überprüfen und uns fragen: Ist es wirklich so wichtig? Ist es nicht viel entscheidender, dass uns unsere Sünden vergeben werden, dass wir dem Bösen entkommen und den Himmel nicht versäumen? Es reicht schon, diese Ziele in den Vordergrund zu stellen, damit der Druck, den wir uns normaler Weise machen, von uns abfällt. Es geht uns dann gleich viel besser.
Doch Jesus malt uns nicht nur dieses schöne Ziel vor Augen, er spricht gleichzeitig von dem Weg, der dorthin führt, und das ist gut, denn wie sollen wir den kennen? Jesus weiß, dass das nicht möglich ist. Ein Ziel, das über die Welt hinausweist, können wir von uns aus nicht erreichen. Das ist Jesus klar. Und er sagt auch nicht nur: Ich helfe euch, steh euch bei und zeig euch den Weg, sondern: „Ich bin der Weg“, und das heißt, wir müssen nur auf ihn vertrauen.
Es geht im Glauben nicht darum, dass wir aus eigener Kraft gut werden oder zum Vater kommen. Wir müssen uns vielmehr auf Jesus einlassen. Wir können uns entspannen, auf „sein heiliges, teures Blut“ vertrauen, und an „sein unschuldiges Leiden und Sterben“ glauben. Dann werden wir aus dem Bereich des Todes und des Teufels befreit und in die göttliche Wirklichkeit geführt. Jesus bringt die Gläubigen in die Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, und damit zum wahren Ziel ihres Lebens.
Und dabei gibt es auch kein Verirren, das ist praktisch ausgeschlossen. Wer auf Jesus vertraut, ist auf der sicheren Seite, ganz gleich, was sonst alles im Leben geschieht. Selbst wenn wir andere Ziele nicht erreichen, sind wir weiter geborgen. Die Gemeinschaft mit Gott lässt sich durch nichts zerstören, im Gegenteil: Sie gibt uns Halt und Trost, wenn einmal etwas schief geht. Wenn wir krank werden, Niederlagen erleiden und einsam sind, dann bleibt Gott trotzdem bei uns, dann sind wir weiter in seiner Nähe. Im Leben und im Sterben kann uns nichts von ihm trennen.
Das ist der große Trost, den Jesus uns hier gibt. Wenn wir ihn annehmen, sind wir in Ewigkeit geschützt und bewahrt. Wir empfangen Kraft und Zuversicht, wir werden gelassen und hoffnungsvoll. Ängste verschwinden, innere Fesseln lösen sich. Und auch heute noch geschieht das „allein durch Christus“, denn er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Amen.

Sola scriptura – Allein durch die Schrift

Predigt über Psalm 119 in Auswahl

Sommerpredigt „Sola scriptura, 6.7.2017, 9.30 und 11 Uhr
Luther- und Jakobkirche Kiel

Wir finden in Luthers Schriften „vier Soli“ – so nennen wir seine Antworten auf die Frage, wodurch der Mensch gerettet wird. Er verstand diese Aussagen als Provokationen, denn „solus“ heißt „allein“. „Allein durch die Schrift, allein durch Christus, allein durch Gnade und allein durch Glaube“ werden wir selig, das war seine Theologie.
In unseren Predigten im August wollen wir entfalten, was diese „Soli“ für uns bedeuten. Heute ging es um den Ausdruck: „Allein durch die Schrift“. Das heißt für Luther, es gibt für die Offenbarung des Heils und das Zeugnis über Christus nur eine einzige Quelle, und das ist die Bibel. Wer wissen will, was Gott uns sagt und schenkt, muss sie lesen und verstehen. Und es ist auch wichtig, dass wir das tun, denn wir brauchen die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit. Im Matthäusevangelium und im 5. Buch Mose steht: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ (Matthäus 4,4 und 5.Mose 8,3)
Ich bin in der Predigt den Fragen nachgegangen, wie wir die Bibel am besten lesen und was das bewirkt.

Die in der Predigt zitierten Aussagen Martin Luthers  über die Bibel sind gesammelte Zitate aus seinen Schriften, zusammengestellt von Gisela Andresen, Bibelzentrum Schleswig, November 2016.

Aussagen Luthers über die Bibel

PSALM 119 in Auszügen

Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.
Ich habe Freude an deinen Mahnungen; sie sind meine Ratgeber.
Meine Seele liegt im Staube; erquicke mich nach deinem Wort.
Ich laufe den Weg deiner Gebote; denn du tröstest mein Herz.
Zeige mir, HERR, den Weg deiner Gebote, dass ich sie bewahre bis ans Ende.
HERR, ich denke des Nachts an deinen Namen und halte dein Gesetz.
Das ist mein Schatz, dass ich mich an deine Befehle halte.
Der Gottlosen Stricke umschlingen mich; aber dein Gesetz vergesse ich nicht.
Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.
Erhalte mich durch dein Wort, dass ich lebe, und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.
Ich komme in der Frühe und rufe um Hilfe; auf dein Wort hoffe ich.
Meine Zunge soll singen von deinem Wort; denn alle deine Gebote sind gerecht.

 

Liebe Gemeinde.

„Wenn du am Abend schlafen gehst, so nimm noch etwas aus der Heiligen Schrift mit dir zu Bett, um es im Herzen zu erwägen und es – gleich wie ein Tier – wiederzukäuen und damit sanft einzuschlafen.“ Das empfiehlt Luther den Christen, und so tat er es selber auch. Für ihn war die Bibel ein Buch, das sich nie erschöpfte, es blieb bis an sein Lebensende die einzige legitime Quelle für die Offenbarung des Wortes Gottes. Sie vermittelt die Heilsbotschaft und bedarf keiner Ergänzung durch kirchliche Überlieferungen. „Die Bibel macht die Weisheit aller anderen Bücher zur Narrheit, weil keines vom Ewigen Leben lehrt als diese allein.“ Das war seine Überzeugung. Deshalb blieb er ihr treu und las sie immer wieder. „So ist’s um die Heilige Schrift bestellt: Wenn man meint, man habe sie ausgelernt, so muss man erst anfangen.“ Das hat er ebenfalls einmal gesagt. Und er hat aus diesem Grund die Bibel ins Deutsche übersetzt, jeder Mensch sollte darin lesen können.
Damit folgte er dem, was in Psalm 119 zum Ausdruck kommt. Das ist ein langer Psalm mit 176 Versen und er trägt in der Lutherbibel die Überschrift: „Die Herrlichkeit des Wortes Gottes“, denn darin sinniert ein Mensch darüber nach, wie schön und wunderbar das Wort Gottes ist. Er verwendet verschiedene Ausdrücke dafür, wie „Verordnungen“, „Zeugnisse“, „Befehle“, „Gebote“, aber er meint immer dieselbe Sache, und es gibt kaum eine Verszeile ohne einen Hinweis darauf. Dabei sind die Aussagen interessanter Weise nicht inhaltlich, sondern alphabetisch angeordnet. Jeweils acht Verse beginnen mit demselben Buchstaben des hebräischen Alphabetes, es sind insgesamt 22, daraus ergibt sich die Verszahl von 176. Der Psalm heißt deshalb auch „Das güldene ABC“.
Er ist also ein künstliches Produkt religiöser Dichtung, es gibt zwischen den einzelnen Versen keine Gedankenzusammenhänge. Der Psalm ist vielmehr ein buntes Mosaik von sich wiederholenden Gedanken. Sie kreisen allerdings um einen Mittelpunkt, und der ist das Wort Gottes als der bestimmende Faktor des gesamten Lebens. Und es finden sich viele schöne Aussagen darin, Bilder und Vergleiche, die veranschaulichen, wie schön und gut, hilfreich und wunderbar das Wort Gottes ist.
Wir erfahren, was ist die Bibel überhaupt ist, wie wir sie lesen können, wie sie zu uns spricht, wie sie uns begleiten kann und was sie in unserem Leben bewirkt.
Dabei fällt zunächst auf, dass der Psalmbeter die Bibel liebt. „Wie habe ich dein Gesetz so lieb!“ (V.97) sagt er. Er nennt sie einen „Schatz“ (V.56) und ein „Erbe“ (V.57), das ihm lieber ist als „viel tausend Stück Gold und Silber“ (V. 72). Die Bibel ist für ihn also das wertvollste, was es gibt, ein heiliges Buch, und er lädt zur Ehrfurcht ihr gegenüber ein. Wir könnten das zum Ausdruck bringen, indem wir z.B. nie ein anderes Buch auf die Bibel legen.
Aber wichtiger ist es natürlich, dass wir sie lesen, obwohl es nicht ganz einfach ist. Wo fangen wir an? Wo hören wir auf? Wie viel lesen wir an einem Stück? Wie oft? Das muss man sich alles gut überlegen. Denn die Bibel ist kein Roman, den man einfach so von Anfang bis Ende durchlesen kann.
Wenn man die Bibel lesen will, muss man sich also einen Plan machen. Am besten nimmt man sich für jeden Tag einen Abschnitt vor. Der Beter von Psalm 119 tut das auch. Er sagt: „Täglich sinne ich deinem Gesetz nach“ (V.97) und zwar „in der Frühe“ (V. 147). So können wir es auch machen, und was die Reihenfolge betrifft, so gibt es zwei Möglichkeiten. Man kann bei Jesus Christus anfangen, Luther nannte ihn die „Mitte der Schrift“ und sagte, alles, was „Christum treibet“ ist in der Bibel lesenswert. Und wenn das geschieht, hat man sie auch richtig verstanden.
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, einen Bibelleseplan zu verwenden. Dafür gibt es verschiedene Entwürfe und Vorschläge, z.B. vom Ökumenischen Arbeitskreis für Bibellesen. Das Schöne an so einem Plan ist, dass man davon ausgehen kann: andere benutzen ihn auch, man ist mit diesem Textabschnitt heute also nicht allein, sondern gehört zur Gemeinde der Bibelleser, und das verbindet ja.
Wenn wir dabei nun an unverständlichen Stellen vorbeikommen, können wir es wiederum mit Luther handhaben. Er sagte: „Ich lese die Bibel, wie ich meinen Apfelbaum ernte: Ich schüttle ihn, und was runterkommt und reif ist, das nehme ich. Das andere lasse ich noch hängen.“ Und weiterhin empfiehlt er: „Ist ein dunkler Spruch in der Schrift, so zweifelt nur nicht, es ist gewisslich dieselbe Wahrheit dahinter, die an anderer Stelle hell und klar zu verstehen ist.“
Auf jeden Fall ist es gut, die Bibel zu lesen. Und man kann auch noch weitergehen und einzelne Abschnitte sogar auswendig lernen. Der Beter von Psalm 119 tut das offensichtlich ebenfalls. Er sagt: „Ich behalte dein Wort in meinem Herzen“, (V.11), „ich bewahre deine Gebote bis ans Ende“ (V. 33) und „dein Gesetz vergesse ich nicht“ (V.61. 109). Er liest das Wort Gottes also nicht nur, sondern er „bewahrt es in seinem Herzen auf“, und das ist eine sehr schöne Beschreibung dafür, was auswendig lernen bedeutet: Man macht sich etwas zu eigen, es wird Bestandteil des geistigen Gutes, das man erwirbt, es gewinnt einen Platz in der Seele, im Herzen, im Denken. Dadurch steht es immer zur Verfügung, in jeder Situation des Lebens. Was man in sich trägt, kann einem so gut wie keiner mehr wegnehmen. Und das ist sehr nützlich, denn es gibt immer wieder Situationen, in denen können wir nicht in der Bibel lesen, weil wir z.B. keine da haben. Es wäre aber gut, wenn wir es gerade dann tun: in Zeiten der Bedrängnis, der Krankheit, der Sorgen und Nöte, wenn wir verfolgt werden oder auf der Flucht sind.
Und eine dritte Möglichkeit, mit der Bibel umzugehen, ist die Betrachtung einzelner Stellen oder Geschichten. Dann lesen wir sie nicht nur, sondern wir versuchen, in der Stille und im Schweigen einen Text zu schauen und zu durchdringen. Der Beter von Psalm 119 tut das auch. So bittet er Gott: „Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.“ (V.18). Oder „Neige mein Herz zu deinen Mahnungen.“ (V.36). Das heißt, wir zerlegen das Wort Gottes nicht in seine Einzelteile, sondern gehen davon aus, dass Gott sich in dem Text, offenbart, dass er, der Eine darin enthalten ist. In Psalm 119 sagt der Beter z.B.: „Deine Mahnungen sind Wunderwerke“ (V.129). D.h. wir können davon ausgehen, dass jeder Text, jede Geschichte eine innere Mitte hat, eine Aussage, um die es darin eigentlich geht. Bei der Betrachtung versuchen wir, die zu entdecken und zu erkennen. Dafür ist die hingebende Hörbereitschaft erforderlich.
Wir gehen also nicht intellektuell an die Bibel heran, sondern mit dem Glauben, dass sie heilsam sein kann, dass sie uns hilft und uns aus unserem Intellektualismus gerade erlöst. Luther sagt dazu: „Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein, je mehr du es reibst, desto mehr duftet es.“ Und in Vers 66 sagt der Beter von Psalm 119 etwas ähnliches, denn er bittet dort um „heilsame Einsicht und Erkenntnis“, wenn er sich mit dem Wort Gottes beschäftigt.
Und damit sind wir bei der letzten Frage, und zwar der, wie sich die Beschäftigung mit der Bibel überhaupt auswirkt. Es geschieht an Geist, Seele und Leib.
Zunächst nehmen wir das Geschriebene ja mit unserem Geist auf. Der Psalmbeter sagt dazu z.B: „Deine Mahnungen sind mein Ratgeber.“ (V.24), auch das bekannte Wort, „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ (V.105) bringt zum Ausdruck, was das Wort Gottes im Geist bewirkt. Der Beter sagt auch: „Dein Wort macht klug die Unverständigen.“ (V.130). Das Wort Gottes kann uns also den Weg weisen, es gibt Orientierung und kann uns Klarheit verschaffen.
Und das ist notwendig, so etwas brauchen wir. Gerade heutzutage herrscht ja viel Orientierungslosigkeit. Nach welchen Maßstäben sollen wir handeln? Was sind unsere Werte? Die Bibel will darauf antworten. Dabei ist natürlich entscheidend, dass sie im Unterschied zu anderen Ratgebern hauptsächlich von Gott erzählt. Sie weist auf die Transzendenz hin, auf die Dimension unseres Lebens, die Zeit und Raum übersteigt, die ewig und unwandelbar ist. Und das brauchen wir auch. Ohne Gott ist unsere Wirklichkeit verkürzt, wir lassen das Wichtigste außer Acht. Unser Leben erschöpft sich nicht im Immanenten, im Gegenteil, wenn wir es darauf reduzieren, geraten wir irgendwann an eine Grenze, wir verlieren die Orientierung, und gehen unter. Fragen nach dem Sinn und Ziel unseres Lebens, nach dem Tod, woher wir unsere Hoffnung nehmen usw. würden unbeantwortet bleiben. Insofern ist es gut, wenn wir die Bibel lesen, sie kann uns Klarheit verschaffen und uns den richtigen Weg weisen. Sie erhellt unseren Geist.
Und das wirkt sich natürlich auch seelisch aus. Der Beter von Psalm 119 sagt z.B.: „Ich habe Freude an deinen Mahnungen.“ (V.24). Das Wort Gottes „erquickt“ (V.25) und „tröstet“ (V.32) ihn, wenn seine „Seele im Staube liegt“. „Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.“ (V.92), sagt er. Es entsteht also Freude, Trost und Hoffnung. Und das brauchen wir oft. Der Beter kennt offensichtlich dunkle Stunden, Leid und Not. Er sagt nicht, worin sie besteht, aber er weiß, dass das Wort Gottes ihm helfen kann.
Und das ist ein wichtiger Hinweis, denn das kennen wir auch. Wir sind oft am Boden, Krankheiten drücken uns nieder, Misserfolge, Enttäuschungen, Einsamkeit und Angst. Diese Erlebnisse lassen sich auch nicht vermeiden, durch den Glauben werden wir nicht davor bewahrt. Aber die Frage ist, wie gehen wir damit um. Oft versuchen wir ja, durch eigene Kraft wieder da heraus zu kommen oder andere Menschen um Rat zu fragen usw. Das ist auch nicht ganz verkehrt, aber es reicht oft nicht. Denn die letzte Lösung kann nur darin bestehen, dass wir uns Gott anvertrauen, dass wir auf ihn und sein Wort hören.
Wir geben uns oft mit weniger zufrieden, mit ein bisschen Urlaub, einem Glas Wein, einem Film im Fernsehen usw. Aber das bleibt alles oberflächlich. Nur die Hinwendung zu Gott geht wirklich in die Tiefe und schenkt uns den Trost und die Freude, die wir letzten Endes suchen. Denn sie kann uns auch dann noch trösten, wenn das Leid nicht sofort weggeht. Gott ist auch im Tod noch da, sein Wort verweist uns auf die Ewigkeit.
Und das wirkt sich dann auch leiblich aus. Der Beter von Psalm 119 sagt sogar, dass er nur durch das Wort Gottes wirklich lebt. „Erhalte mich durch dein Wort, dass ich lebe“, sagt er in Vers 116. Und in Vers 114 heißt es. „Du bist mein Schutz und Schild; ich hoffe auf dein Wort.“ Wer sein Gesetz liebt, wird „nicht straucheln“, es „stärkt“ ihn (V.117).
Wir kennen ja alle den Zusammenhang zwischen Seele und Leib. Krankheiten oder Erschöpfungszustände sind nicht einfach nur leiblich bedingt, sondern haben seelische Ursachen. So ist es klar, dass die Beschäftigung mit dem Wort Gottes sich auch leiblich auswirkt. Es verschafft Schutz, d.h. wir sind dadurch mit einer Kraft umgeben, die Angriffe von außen abwehrt. Wir fallen seltener hin, werden lebendig. Es ist ja auch entspannend und kann uns gelassen machen, wenn wir wissen, dass unser Leben bei Gott geborgen ist, er für uns sorgt und uns liebt. Und all das erfahren wir jedes Mal, wenn wir in seinem Wort lesen.
Deshalb muss das Wort Gottes auch immer wieder verkündet werden, es muss hörbar sein, im Gottesdienst, in Gemeindegruppen, in der Schule oder in der Familie. Das weiß auch der Beter von Psalm 119. Er sagt in Vers 13: „Ich will mit meinen Lippen erzählen alle Weisungen deines Mundes.“ Natürlich gehören dazu ebenso die Auslegung und die Predigt.
Denn Gott will sich auch heute noch offenbaren, er spricht zu jedem, der an ihn glaubt. Sein Wort verstummt nicht, es geht weiter um die Welt, es will leben und Leben schaffen, immer wieder neu. Und dazu trägt jeder, der an ihn glaubt, bei. Es ist also nicht beliebig, ob wir es lesen, es bewahren, es betrachten und wirken lassen und dann verkündigen. Denn anders als durch sein Wort kann das Heil Gottes nicht zu uns Menschen kommen.
Es ist deshalb wirklich der größte Schatz, den wir haben. Wir werden „allein durch die Schrift“ gerettet.
Amen.

Die Predigt ist ein Auszug aus vier Vorträgen, bzw. Geistlichen Impulsen, die ich 2010 im Gethsemanekloster Riechenberg bei einer sogenannten Ora-et-Labora-Woche gehalten habe:
Bibel und Kontemplation

Und hier ist der Bibelleseplan 2017 vom Ökumensichen Arbeitskreis für Bibellesen:
BLP_2017