Predigt über Johannes 6, 30- 35: Ich bin das Brot des Lebens
7. Sonntag nach Trinitatis, 29.7.2017, 9.30 und 11 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel
Johannes 6, 30- 35
30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du?
31 Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.«
32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
33 Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.
34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.
35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Liebe Gemeinde.
Alle Lebewesen auf der Erde, Menschen, Tiere und Pflanzen, kennen die Empfindung von Hunger und Durst. Beides hat einen starken Einfluss auf unser Verhalten. Wilde Tiere sind deshalb fast den ganzen Tag auf Nahungssuche, und schon Babys schreien hauptsächlich, wenn sie Hunger oder Durst haben. Es ist der Mangel an Nahrung und Flüssigkeit, der sich dabei meldet, und der will gestillt werden. Das ist auch gut so, denn dadurch wird der Organismus tatsächlich mit den nötigen Nährstoffen und Energie versorgt, am Anfang des Lebens durch die Mutter bzw. die Eltern, später durch unser eigenes Handeln. Hunger und Durst sichern daher das Überleben, denn ihnen folgt immer die Bereitschaft zu essen und zu trinken, jedenfalls solange der Mensch oder das Tier gesund sind.
Zu den Grundnahrungsmitteln, die den Hunger stillen, zählt das Brot, das Grundelement gegen den Durst ist das Wasser.
Dabei werden Hunger und Durst vielfach nicht nur körperlich verstanden. In der Kunst und Philosophie, Religion und Psychologie finden wir außerdem einen „Hunger nach Liebe“ oder einen „Durst nach der Ewigkeit“ usw. Dann bezeichnen auch Brot und Wasser mehr als Materialien. Sie sind Synonyme für das, was insgesamt zum Leben nötig ist
In dem Evangelium von heute spricht Jesus vom Brot in diesem übertragenen Sinn. Der Abschnitt ist ein Teil der sogenannten Brotrede, die wir im Johannesevangelium in Kapitel sechs finden. (V. 22- 59)
Ihr geht die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung voraus. (Kap. 6, 1- 15) Am Tag zuvor war Jesus von vielen Menschen umlagert worden, er hatte zu ihnen gesprochen und sie am Abend alle gespeist. Das bisschen Essen, das da war, hatte er von einem Kind genommen und auf wunderbare Weise vermehrt. Aus fünf Gerstenbroten und zwei Fischen wurde genug, um 5000 Menschen satt zu machen. Sie konnten essen, so viel sie wollten. Es war sogar noch mehr als nötig da. Zum Schluss blieben zwölf Körbe mit Brocken von Brot übrig.
Leider zogen die Beteiligten aus diesem Wunder allerdings die falschen Schlüsse. Sie wollten Jesus daraufhin zum König machen, weil sie davon ausgingen, dass er immer alle Menschen mit genug Nahrung versorgen konnte.
Deshalb hielt er am nächsten Tag eine lange Rede über das wahre „Brot des Lebens“. Er sagt darin, dass er in Wirklichkeit nicht den irdischen, leiblichen Hunger stillen will, sondern den Hunger nach Leben überhaupt. „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Auf dieses Wort will er hinaus.
Er fordert die Menschen also zum Glauben an ihn auf. Dabei geht er in unserem Abschnitt auf eine Forderung ihrerseits ein. Sie wollten ein Zeichen haben, dass er wirklich von Gott gesandt war, und verlangten von ihm eine Wiederholung des Mannawunders in der Wüste. Es war für sie „Brot vom Himmel“, d.h. eine himmlische Gabe.
Damit meinten sie durchaus mehr, als normales Brot. Hinter ihrer Forderung steht die uralte tiefe Sehnsucht nach einer himmlischen Nahrung, die göttliche Kraft spendet. Mit der Bezeichnung „himmlisches Manna“ ist die Speise der Engel und der Erlösten in der zukünftigen messianischen Zeit gemeint. Die Menschen bitten Jesus hier um ein solches Wunderbrot, ohne zu wissen, wie es aussehen und beschaffen sein mag. Und auf diese Bitte hin antwortet Jesus ihnen: „Ich bin das Bot des Lebens.“ Wonach sie fragen, das ist für sie da: er in seiner Person. Das heißt, er gibt ewiges Leben, das diejenigen empfangen, die an ihn glauben.
Und das sagt er auch zu uns, die wir seine Worte heute lesen und hören. Er will uns auf den Unterschied zwischen unserem täglichen Brot für das irdische Leben und dem Brot des ewigen Lebens hinweisen, und lädt uns ein, uns mit ihm zu verbinden.
Und dazu gehört zunächst die Einsicht, dass auch wir mehr zum Leben brauchen als Nahrung und Wasser. Um das „Brot des Lebens“ zu empfangen, müssen wir unseren Hunger danach spüren. Und den ignorieren wir gern, denn wir sind alle materialistisch veranlagt. Was uns als Babys prägte, nämlich das elementare Bedürfnis nach Essen und Trinken, das bleibt ein Leben lang bestimmend. Jeder Mensch möchte satt werden, und irgendwie gehen wir alle davon aus, dass das das wichtigste im Leben ist.
Für uns Christen geht damit die Überzeugung einher, dass wir uns um die Hungernden kümmern müssen. Im Jahr 1959 gründeten die evangelischen Landes- und Freikirchen deshalb z.B. in Deutschland die Hilfsaktion „Brot für die Welt“. Frauen und Männer in den Kirchen, Menschen in Gemeinden und Gruppen engagieren sich darin für eine bessere Welt. Dahinter steht das große Ziel, den Armen Gerechtigkeit zu verschaffen, und das heißt, ihnen ein menschenwürdiges Leben ohne Hunger und Armut, ohne Gewalt und Ausgrenzung zu ermöglichen. Auch große Teile der Bevölkerung in Deutschland interessiert das inzwischen längst.
Aber reicht das? Erfüllen wir damit alles, was Jesus von uns möchte und was wir einander schuldig sind? Er selber kennt noch einen anderen Hunger als den nach Brot, und auf den sollten auch wir achten. Gerade in einer Wohlstandsgesellschaft ist es wichtig, dass wir alle Bedürfnisse des Menschen ins Auge fassen. Denn wir haben hier in unserem Land zwar genug zu essen, aber das kann uns auch davon ablenken, dass der Hunger nach Leben damit noch lange nicht gestillt ist. Oft bleibt der nämlich ungesättigt, wir merken das bloß nicht richtig. Denn wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, materiell auf unsere Kosten kommen. Wir arbeiten für unser leibliches Wohl und kümmern uns um die Erfüllung unserer finanziellen Wünsche.
Viele Menschen sind damit durchaus erfolgreich. Ich habe gerade ein junges Paar kennengelernt, die eigentlich heiraten wollten. Sie hatten so viel Geld, dass die Hochzeit mit allem stattfinden konnte, was die Veranstalter so anbieten. Eine weiße Kutsche war z.B. dabei, die das Brautpaar von der Kirche zum Restaurant bringen sollte. Ungefähr ein Jahr lang haben sie alles organisiert und vorbereitet. Es sollte eine Traumhochzeit werden, denn sie konnten sich alles leisten, was dazu gehört.
Doch dann wurde es dem Bräutigam mulmig. Er merkte plötzlich, dass es schon lange gar nicht mehr um ihn und seine Verlobte ging. Sie hatten sich in all den Äußerlichkeiten verloren und waren sich dabei fremd geworden. Der Reichtum hatte sie von ihren wahren Gefühlen abgelenkt, von dem, wonach sie sich eigentlich sehnten, und das war etwas ganz anderes. In Wirklichkeit wollte jeder von ihnen vom anderen verstanden werden und ihm immer vertrauen können. Sie wünschten sich einen tiefen Sinn im Leben und suchten letztlich etwas Bleibendes und Dauerhaftes. Und das konnte die Hochzeit allein ja nun nicht bieten. Nach einem Tag würde alles vorbei sein, und was käme dann?
Diese Frage ist zwar schmerzhaft und unbequem, aber ich finde sie sehr wichtig. Wir alle sollten uns immer wieder klar machen, wie materialistisch wir eigentlich sind. Was zählt für uns? Wofür leben wir? Was wünschen wir anderen? Wenn wir nur auf Geld und Reichtum, d.h. auf die Sättigung unserer irdischen Bedürfnisse aus sind, verkürzen wir unser Leben auf dramatische Weise. „Brot und Wasser“ reichen nicht, um glücklich zu sein, im Gegenteil, wenn wir zu sehr darauf fixiert sind, werden wir in die Irre geleitet und vom wahren Leben abgeschnitten.
Wir brauchen dafür gar nicht erst so etwas zu erleben, wie das Brautpaar, das ich erwähnte. Die beiden haben ihre Hochzeit übrigens wirklich abgesagt. Ihre Geschichte ist zum Glück eine Ausnahme. Keine Ausnahme ist es allerdings, dass jeder Mensch im Leben irgendwelche Krisen durchmacht. Die Frage nach dem Sinn des Lebens oder nach einer dauerhaften Erfüllung taucht auch in anderen Situationen auf. Irgendwann merken wir alle, dass Brot und Wasser allein nicht reichen, dann nämlich, wenn wir allein gelassen oder enttäuscht werden, wenn wir krank sind oder im Beruf scheitern, wenn wir uns schuldig machen, Angst bekommen oder durch schwierige Konflikte erschüttert werden. Es gibt unzählige Begebenheiten, die das Leben in Frage stellen.
Was machen wir dann? Wenn wir rein materialistisch organisiert sind, stehen wir zunächst vor einer Grenze und wissen nicht weiter. Das ist kein schönes Erleben, es macht uns hilflos und ratlos, und wir wollen natürlich so schnell wie möglich eine Lösung.
Die gibt es auch, aber sie besteht in etwas ganz anderem, als uns bisher geleitet hat. Sie ergibt sich, wenn wir die Krise als eine Chance verstehen. Es ist gut, wenn wir gelegentlich an unsere Grenzen kommen, auch wenn das schmerzt. Aber wir haben dann die Möglichkeit, uns für etwas Größeres zu öffnen. Wir machen uns auf, ändern die Richtung und gehen neue Wege. Dabei gibt es viel zu entdecken. Wir bekommen Antworten, die das Wesentliche im Leben berühren. Auch die Begegnung mit Jesus kann auf diese Weise möglich werden. Denn er kommt uns entgegen, wenn wir nach dem „Brot des Lebens“ fragen, und bietet es uns an.
Und damit meint er mehr als nur eine Lehre, die wir als menschliche Gedanken in unseren Verstand übertragen oder in unserem Handeln umsetzen. Er hat uns nicht nur ein Beispiel gegeben, das nun durch uns wieder lebendig werden soll. Das „Brot des Lebens“ ist vielmehr er selber, sein Wort und Werk, sein Weg und seine Geschichte. Wir müssen ihn also in unserem Leben empfangen, ihn uns ganz aneignen. Sein Leben muss das unsrige werden, so dass wir in ihm sind und er in uns. Er will von uns nicht betrachtet und gedeutet, sondern „gegessen“ werden, d.h. in uns einziehen und mit uns verschmelzen.
Dazu gehört es, dass wir uns selber loslassen und hingeben, und dafür kann eine Krise eine Chance sein: Wir lassen das Scheitern zu, geben auf und bejahen das Sterben. Glaube ist immer ein Aus-sich-herausgehen, ein Sich-verlassen, ein Abschied-nehmen. Wenn wir nichts mehr festhalten und uns vertrauensvoll vor Jesus stellen, dann empfangen wir von ihm ewiges Leben, ewige Liebe und einen ganz tiefen Sinn. Der Mangel kann uns dazu führen, dass wir von Jesus mit den nötigen Nährstoffen und Energie versorgt werden. Auch im übertragenen Sinn ist es gerade der Hunger und der Durst, der unser Überleben sichert, denn daraus folgt die Bereitschaft vom „Brot des Lebens“ zu essen und vom „lebendigen Wasser“ zu trinken. Es stärkt und bewahrt uns in allen Lebenslagen, gibt uns Widerstandskraft gegen die Mächte des Hasses, der Sinnlosigkeit und des Todes.
Und diese Kraft sind wir der Welt genauso schuldig wie normales Brot. In Zeiten des Wohlstands und des Friedens ist es nicht nur unsere Aufgabe, für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen, wir sollten die Gelegenheit auch nutzen, um uns ganz auf Gott zu gründen und auf Jesus zu vertrauen. Keiner hält uns davon ab, keiner stört uns, wir dürfen unseren Glauben leben, wie wir wollen. Und das ist wunderbar. Es gibt uns die Möglichkeit, den Menschen das wahre „Brot des Lebens“ darzureichen. Sie brauchen nicht nur unser Geld, sondern auch unser Verstehen, unsere Liebe, unseren Glauben und unser Wissen um die Ewigkeit.
Erst dann stillen wir den Hunger und den Durst der Menschen ganz, erst dann empfangen sie alles, was sie zum Leben brauchen. Denn wir verkünden und bringen ihnen Jesus, der vor uns steht und spricht: „Ich bin das Brot des Lebens“.
Amen.