Glauben, nicht wissen

Predigt über Johannes 20, 19- 29: Der Auferstandene erscheint im Kreis der Jünger
1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti
6. und 7.4.2024, 18 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Johannes 20, 19- 29

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist!
23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.
26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Liebe Gemeinde.

Im Jahr 1274 v. Chr. verwandelte Pharao Ramses II. die schwere Niederlage in seinem Kampf gegen die Hethiter in einen triumphalen Sieg. Mit Hilfe eines monumentalen Reliefs, das die Schlacht darstellte, produzierte er bewusst eine falsche Nachricht, um die Öffentlichkeit für seine politischen Ziele zu manipulieren.

Für dieses Vorgehen gibt es ein Schlagwort: „FakeNews“. Das ist Englisch und bezeichnet Nachrichten, die im Stil echt wirken, aber gezielt Unwahrheiten in die Welt setzen. Die gibt es also schon seit Menschengedenken. Heutzutage verbreiten sie sich meistens im Internet. 2017 nahm der Rechtschreibduden den Ausdruck auf und definierte ihn als „umgangssprachlichen Begriff für Falschmeldungen, die in den Medien, besonders in sozialen Netzwerken, in manipulativer Absicht verbreitet werden“.

War die Botschaft von der Auferstehung Jesu auch so eine Falschmeldung? Ein Jünger Jesu, Thomas, sah das so, als die anderen ihm sagten: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Das war nämlich geschehen, denn „am Abend des ersten Tages der Woche […] kam Jesus und trat mitten unter sie [die Jünger], und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!“

Das war für sie ein sehr schönes Erlebnis mit guten Folgen: Sie wurden dadurch von ihrer Angst und Trauer befreit, die sie nach dem Tod Jesu ergriffen hatte. Die Furcht wich der Freude. Und noch etwas gab Jesus bei dieser Begegnung seinen Jüngern: Er schenkte ihnen „seinen Frieden“ und seinen „Geist“. Außerdem sendete er sie in die Welt, um sein Heilswirken an den Menschen fortzusetzen. Er reinigte sie von ihren Sünden und bevollmächtigte sie, in Zukunft ebenfalls Sünden zu vergeben. Er gab ihnen also eine umfassende Zusage, auch weiterhin bei ihnen zu sein und durch sie in der Welt zu handeln. Das waren die wunderbaren Wirkungen seines Erscheinens.

Doch leider war einer von ihnen nicht dabei, Thomas. Er kam zu spät, als Jesus schon wieder weg war. Deshalb wurde er gleich mit der Neuigkeit überschüttet, sie teilten ihm die gute Nachricht mit. Thomas konnte das allerdings nicht glauben. Er zweifelte daran, dass die Nachricht echt war, und forderte stärkere Beweise. Er musste Jesus auch erstmal sehen und berühren, bevor er überzeugt war.

Acht Tage später gab Jesus ihm dazu dann tatsächlich die Möglichkeit. Er tauchte noch ein zweites Mal auf, um den Wunsch von Thomas zu erfüllen. Er zeigte ihm seine Wunden und erlaubte ihm, sie zu berühren.

Doch dazu kam es dann gar nicht mehr. Thomas war bei seinem Erscheinen schon so überwältigt, dass er das Anfassen nicht mehr brauchte. Vielleicht schämte er sich sogar plötzlich für sein Begehren, denn er sagte nur noch: „Mein Herr und mein Gott!“ Er war auch durch die Begegnung schon tief ergriffen und überzeugt. Es hat sich ein Umschwung in seiner Seele vollzogen, ein völliger Wechsel vom Unglauben zum Glauben. Jesus hat den zweifelnden Jünger für sich gewonnen. Das kommt in dem vorbehaltlosen Bekenntnis zum Ausdruck, das Thomas ablegt.

Die Erzählung hat darin ihren Höhepunkt, aber es folgt noch ein abschließender Appell Jesu, ein Wort, das auch an die spätere Gemeinde gerichtet ist, das dem Evangelisten am Herzen liegt. Es ist in eine Seligpreisung gekleidet, die lautet: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ D.h. in Zukunft wird nicht nur das Berühren, sondern auch das Sehen wegfallen, da wird es nur noch das mündliche Zeugnis geben, und das muss reichen. Der Glaube muss ohne das Wunder auskommen, er muss sich vertiefen und beim Hören der Botschaft entstehen.

Ursprünglich war das der Schluss des Johannesevangeliums, und das macht auch Sinn. Jesus erschien ein letztes Mal. In der Zeit danach geschieht die Begegnung mit ihm auf andere Weise. Wir sollten deshalb danach fragen, wie der Glaube ohne das Sehen und Berühren Jesu, ohne Wunder und sinnfällige Zeichen entstehen kann.

Leicht haben wir es damit auch nicht. Oft haben wir wie Thomas Zweifel: Ist die Botschaft von der Auferstehung Jesu nicht doch eine Falschmeldung? Das fragen wir uns, und das ist auch berechtigt. Wir sollten die Nachricht gründlich überprüfen.

Das dürfen wir allerdings nicht mit den üblichen Mitteln tun. Recherchen und wissenschaftliche Untersuchungen helfen uns nicht weiter. Auch das theologische Studium von Quellen oder Meinungsforschung nützen nur wenig. Wir sollten uns lieber fragen, was der Glaube an den Auferstandenen mit uns macht. Seine Wirkung unterscheidet sich nämlich erheblich von den üblichen Falschmeldungen. Sie werden wie gesagt bewusst in die Welt gesetzt, um uns zu manipulieren. Irgendjemand verfolgt ein Ziel, und meistens schürt er oder sie Angst. Wir werden verunsichert und eingeschüchtert. Es wird Misstrauen gesät, und die Gesellschaft wird gespalten. Es kann zu Hass und Gewalt kommen.

Mit dem Evangelium verhält es sich dagegen ganz anders. In unserer Geschichte werden mehrere Dinge genannt, die durch das Evangelium entstehen: Freude, Friede und die Freiheit von Sünden. D.h. wenn wir glauben, ist der Trauer ein Ende gesetzt, es gibt eine Hoffnung auf das ewige Leben. Uns wird außerdem ein Friede gegeben, der „höher ist als alle Vernunft“. (Phil.4,7) Er ist ein geistiges Gut, ein inneres Geschenk, das den aktiven Friedenswillen fördert. Und das dritte, die Sündenvergebung, geschieht bei unserer Taufe: durch sie werden wir mit Gott verbunden und neu geschaffen. Wir empfangen also wunderbare Gaben, wenn wir an den Auferstandenen glauben. Und damit haben wir bereits ein erstes Argument, das für diesen Glauben spricht.

Der Mathematiker Blaise Pascal hat das im 17. Jahrhundert bereits durchdacht und es hat ihn überzeugt. Wir nennen seine Argumentation die „pascalsche Wette“. Er hat dafür eine Analyse von vier Optionen hinsichtlich des Glaubens an Gott zusammengestellt. In Bezug auf die Botschaft von der Auferstehung Jesu können wir sie folgendermaßen übersetzen:

Sie kann wahr sein oder nicht, das sind die ersten beiden Möglichkeiten. In beiden Fällen kann man glauben oder nicht, so dass sich vier Optionen ergeben, eben zwei mal zwei.

In zwei Fällen spielt es keine Rolle, wie wir uns entscheiden, nämlich dann, wenn die Botschaft nicht wahr ist. Wir gewinnen oder verlieren weder durch den Glauben noch durch den Unglauben etwas. Für unser Leben ist es ist egal, was wir tun.

Wenn es aber wahr ist, dann unterscheiden sich die beiden Verhaltensweisen demgegenüber ganz erheblich: Durch den Glauben daran würden wir nämlich all das gewinnen, was in unserer Geschichte vorkommt: Freude, Friede und Vergebung. Wenn wir es aber nicht glauben, verpassen wir eine ganz große Chance und würden am Ende alles verlieren.

Das ist die Analyse der Möglichkeiten, und aus ihr folgert Pascal, dass es besser sei, bedingungslos an Gott zu glauben. In unserem Zusammenhang heißt das: Es kann sich nur lohnen, wenn wir uns auf die Botschaft Jesu einlassen, schaden tut es nicht. Und das ist durchaus ein gutes Argument für den Glauben, das sich aus dem logischen Denken ergibt.

Doch darin steckt auch noch mehr, als nur eine gedankliche Analyse: Es wird klar, dass wir uns für den Glauben entscheiden müssen, und das ist der zweite Punkt. So hat es auch Jesus gesehen. Er hat die Jünger in die Entscheidung gerufen, und das tut er immer noch. Bei dem Evangelium von der Auferstehung geht es nicht nur um eine Nachricht, sondern um Jesus selber. Er möchte uns begegnen, und es gilt, dafür offen zu sein. Bei Thomas ist das geschehen. Er war plötzlich ergriffen, seine Haltung ist umgeschwungen, er hat eingesehen, was wahr ist, und sich zu Jesus bekannt. Dem Zweifelnden hat sich in der Begegnung mit dem Auferstandenen erschlossen, dass ihm in Jesus Gott selber begegnet, in seiner Hoheit, Macht und Liebe. Und das können auch wir erleben, wenn wir uns für ihn entscheiden. Das ist der zweite Punkt.

Und als drittes geht es darum, dass wir dann auch in eine Beziehung zu Jesus treten, ihm vertrauen und ihm nachfolgen. Er ist der Größere, der Stärkere, der Lebendige, und es ist gut, wenn wir ihn in unser Herz lassen. Wir müssen uns an ihn binden und mit ihm leben.

Das hat der Bildhauer Ernst Barlach sehr schön in einer Plastik dargestellt, die Thomas und Jesus zeigt. Thomas hält sich da an Jesus fest, er kann ohne ihn kaum stehen, er wirkt zerzaust, schwach und hilfsbedürftig. Er braucht Jesus. 

Und so kann es uns auch gelegentlich gehen, das sollten wir zugeben: Wir sind nicht immer oben auf, sondern oft ängstlich und voller Sorgen und Nöte. Wir klammern das am liebsten aus unserem Leben aus oder verstecken es, weil wir uns dafür schämen. Denn in unserer Gesellschaft soll man möglichst immer ganz toll sein. Das ist unser Lebensgefühl und auch der Druck unter dem wir stehen. Doch das kann uns zu schaffen machen, denn die Realität ist anders. Das Scheitern und das Leid gehören ebenfalls zu unserem Leben. Und dahinein lautet die Botschaft Jesu: Das darf auch so sein. Wir dürfen schwach sein und uns an ihm festhalten. Denn er ist da. Er ergreift uns und richtet uns wieder auf. Wir müssen uns nur ihm zuwenden, uns für ihn entscheiden und uns ihm anvertrauen.

Das wäre der Glaube, der auch ohne Sehen auskommt. Jesus sagt, dass diejenigen „selig“ sind, die so glauben. Und das heißt, es geht ihnen gut, sie sind getröstet und werden geheilt. Sie sind glücklich und zufrieden. Denn ein solcher Glaube geht tiefer, als das bloße Sehen, er trägt und hält uns wirklich.

Im Unterschied zu dem Relief von Ramses II. können wir uns also getrost Bilder vom Auferstandenen anschauen und Geschichten darüber lesen. Es sind keine Fake News, die uns manipulieren und in die Irre führen, sondern Bekenntnisse, die Frieden stiften und uns froh und frei machen. Sie schenken uns alles, was wir im Leben und im Sterben brauchen.

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