Gott verheißt uns seinen Geist

Predigt über Jeremia 31, 31- 34: Der neue Bund

6. Sonntag nach Ostern, 13.5.2018, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Jeremia 31, 31- 34

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,
32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR;
33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.
34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Liebe Gemeinde.

Alle sieben Jahre feiert Israel das sogenannte Bundeserneuerungsfest. „Das ganze Volk kommt dafür zusammen und erscheint vor dem Angesicht des HERRN. Das Gesetz, das Gott dem Volk gegeben hat, wird feierlich ausgerufen. Männer, Frauen und Kinder und ebenso die Fremdlinge, die in den Städten Israels leben, sollen es hören und lernen und den HERRN, ihren Gott, fürchten und alle Worte des Gesetzes halten und tun.“ Diese Anweisung steht im fünften Buch Mose, im 31. Kapitel. (5. Mose 31,10-12)

Das erste Mal gab Gott dem Volk am Sinai seine Gebote. Der Bericht darüber im zweiten Buch Mose lautet: „Mose kam und sagte dem Volk alle Worte des HERRN und alle Rechtsordnungen. Da antwortete alles Volk wie aus einem Munde: Alle Worte, die der HERR gesagt hat, wollen wir tun.“ (2. Mose 24, 3)

Das war wie ein Vertrag zwischen Gott und den Menschen: Gott offenbarte seinen Willen und versprach seine Treue. Als Gegenleistung sollten die Menschen sich verpflichten, seine Gebote einzuhalten. Später hat Mose den Bundesschluss Gottes mit dem Volk Israel mit den berühmten Worten zusammengefasst: „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.“ (5. Mose 6, 4- 6)

Aber ist dem Volk Israel das auch gelungen? Der Prophet Jeremia sieht das skeptisch. Die Verse, die wir vorhin gehört haben, zeigen, dass die Geschichte ganz anders verlaufen ist: Der Bund Gottes mit dem Volk Israel ist von Seiten der Menschen immer wieder missachtet worden, wie bei einem Vertragsbruch. Es war ein Bund, „den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR“. Die Israeliten taten immer wieder, „was dem Herrn missfiel“, wie es an vielen Stellen im Alten Testament heißt: Sie dienten anderen Göttern, unterdrückten die Armen und Fremdlinge, waren lieblos und ungerecht und wichen in vielerlei Hinsicht von den Geboten Gottes ab. Und da kam offensichtlich auch das Bundeserneuerungsfest nicht gegen an. Sämtliche Warnungen der Propheten verhallten ungehört. Drohungen und Strafen führten ebenfalls zu nichts. Ungefähr 700 Jahre nach dem Bundesschluss am Sinai – genau lässt der sich nicht datieren – sprach Jeremia deshalb davon, dass noch mehr geschehen musste, damit das Volk gottesfürchtig blieb, etwas viel grundlegenderes, eine Erneuerung des ganzen Menschen. Und die verheißt der Prophet hier: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“.

Das ist eine großartige und umwerfende Ankündigung: Gott wird die Sache selber in die Hand nehmen und den Menschen helfen. Aus seiner Forderung soll eine Gabe werden, indem er sein Gesetz in das Herz der Menschen legt und ihnen damit die Kraft des Gehorsams schenkt. Sein Wille wird in ihrem Inneren wohnen, so dass sie von selber das Bedürfnis haben, ihn zu tun. Es wird ein persönliches Verhältnis jedes und jeder Einzelnen zu Gott geben, die sich in der Herzenshingabe äußern wird. Zugleich werden sie „alle Gott erkennen, beide, Klein und Groß.“, denn Gott selbst wird ihre Augen öffnen. Der Bundesgedanke bekommt also eine ganz neue Note. Er wird individuell zugespitzt und persönlich vertieft. Und das ist eine wunderbare Neufassung des alten Bundesschlusses, eine grundlegende Umwälzung der Verhältnisse.

Die kommt auch darin zum Ausdruck, dass es bei all dem einzig und allein um Gott gehen wird: Er steht am Anfang des neuen Bundes und gründet ihn. Gleichzeitig schafft er die Möglichkeit seiner Durchführung bei den Menschen. Und schließlich ist er selber das Ziel, auf das der Bund zusteuert. Er dient der Selbsterschließung Gottes. Gott offenbart sich, damit alle Menschen ihn „erkennen“. Der neue Bund wird demnach die ideale Vollendung der Heilsordnung Gottes sein. Alle, Groß und Klein, werden in den paradiesischen Zustand zurückgeführt. Denn auch ihre Sünden werden vergeben. „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ sagt der Prophet. Damit ist gewährleistet, dass der neue Bund auch Bestand haben wird. Dabei fließen auch die Erfahrungen Jeremias in diese Verheißung ein. Er weiß um die Abgründigkeit des menschlichen Herzens, und er hat erlebt, wie Gottes starke Hand ihn hielt und ihm die Kraft zum Gehorsam schenkte. Jeremia hat auch in der dunkelsten Nacht, und obwohl er gesündigt hat, bei Gott Heilung und Rettung gefunden. Er weiß deshalb, dass die Vergebungsbereitschaft Gottes das Fundament des neuen Bundes ist. Auf ihr ruht das Heil in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.

Das ist hier die Verheißung, und die ist sehr schön: Gott lässt sich erkennen, und der Mensch kann seiner Bestimmung gemäß leben. Er empfängt Vergebung, Heil und Freude. Das Leben gelingt und ist gesegnet und erfüllt, weil Gott alles schenkt, was dafür nötig ist. Diese Botschaft hören wir heute und sie gilt auch uns. Auch wir sind gemeint und dürfen das auf uns beziehen.

Die Frage ist allerdings, ob wir damit etwas anfangen können. Wo und wie ist denn dieses Heil erfahrbar? Ist das nicht alles sehr fern von unserem Alltag, abgehoben und abstrakt? Es klingt irreal und hat nur wenig mit unserem Leben zu tun. Wozu lesen und hören wir solche Worte? Das müssen wir uns fragen, und dazu gibt es folgendes zu sagen:

Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir es hier mit einer Zukunftsvision zu tun haben. Der Prophet beschreibt die Endzeit. An die glaubt das Volk Israel ja bis heute. Es lebt aus seinen Verheißungen, von der Hoffnung, dass eines Tages alles neu wird, dass der Messias kommt und die Welt und die Menschen so verwandeln wird, dass endlich Gottes Plan mit der Schöpfung in Erfüllung geht. Insofern hat das, was Jeremia hier schreibt, natürlich etwas irreales. Es ist noch nicht Wirklichkeit und soll sich von dem Alltag der Menschen unterscheiden.

Aber es kann Zuversicht wecken, und für die haben wir als Christen erst recht einen Grund. Denn wir glauben, dass durch Jesus dieser neue Bund schon angefangen hat. Er war der vollkommene, neue Mensch, in dessen Herz das Gesetz Gottes geschrieben stand. Er hat Gott von innen heraus gehorcht und seinen Willen getan. In ihm hat demnach etwas von dem begonnen, was uns hier verheißen wird, und im Glauben an ihn gewinnen wir daran Anteil. Denn er schenkt uns seinen Geist, durch den das möglich wird, den Tröster und Beistand Gottes.

Wir lesen diesen Text bewusst am Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Noch ist der Heilige Geist nicht gekommen, der Auferstandene ist aber schon in den Himmel aufgenommen. Wir finden uns sozusagen zwischen den Zeiten: Abschied und Verheißung, Verlassenheit und Erwartung liegen eng beieinander. Wir bereiten uns auf Pfingsten vor, und das klingt auch in unserem Text an. Er hat also durchaus etwas mit uns zu tun. Lasst uns deshalb fragen, wie die Verheißung unser Leben prägen kann.

Dabei müssen wir unser ganzes Dasein in den Blick nehmen. Denn wenn etwas von der Verwandlung wahr werden soll, die hier beschreiben wird, dann geschieht das auf unserem Lebensweg. Es ist ein langer Prozess, mit dem wir vielleicht nie an ein Ende kommen. Aber es lohnt sich, dass wir uns auf den Weg machen und uns langsam dem Ziel nähern.

Wir müssen uns also klar machen, wie das aussieht, und dafür ist es gut, wenn wir zunächst erkennen, wie unser Leben normalerweise verläuft, ohne diese Verheißung. Es ist ja oft nicht davon geprägt, dass wir gerne „neue Menschen“ werden wollen, unsere Ziele sehen anders aus. Wenn wir jung sind, denken wir z.B. an beruflichen Erfolg, wir wünschen uns eine Familie und den Frieden in der Welt. Um gesund zu bleiben treiben wir Sport und halten uns fit, achten auf den Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit usw. Meistens geht das Konzept auch auf, es geht uns einigermaßen gut. Trotzdem dürfen wir nicht die Schattenseiten ignorieren, die mit diesem Lebensentwurf einhergehen. Das ist z.B. eine gewisse innere Unruhe und Sehnsucht, die uns ständig begleitet. Wir sind viele Jahre lang Getriebene unserer Wünsche. Und was den Glauben betrifft, so verschafft der uns auch nicht unbedingt Gelassenheit. Im Gegenteil, hier sind wir ebenfalls aktiv, weil wir meinen, etwas tun zu müssen. Wir sehen das gerne genauso wie die Israeliten: Wir schließen einen Vertrag mit Gott, halten uns an seine Gebote und gehen davon aus, dass er dann bei uns ist und uns hilft.

Aber stimmt das? Und wo führt das alles hin? Trägt es uns auch im Alter noch, wenn wir unser Leben so anlegen? Irgendwann sind die Kräfte ja verbraucht, wir sind erschöpft und spüren die Vergänglichkeit. Enttäuschungen und Verletzungen säumen unseren Weg. Am Ende stellen wir fest, dass wir viel aushalten und einstecken mussten. Und dann fragen wir uns vielleicht, wofür das alles gut war. Sinnlosigkeitsgefühle und Traurigkeit können aufkommen. Und bei all dem ist Gott irgendwie fern. Der Vertrag hat nicht richtig funktioniert. Vielleicht geben wir Gott sogar die Schuld dafür, dass am Ende so wenig übrig bleibt.

Aber ist das wirklich so? Können wir Gott für alles verantwortlich machen, was schief gelaufen ist? Liegt es nicht vielmehr an uns, wenn wir uns am Ende einsam und verlassen fühlen? Auf die Verheißung haben wir jedenfalls nicht gesetzt, sondern daran haben wir vorbei gelebt, denn wir haben ignoriert, dass Gott uns die ganze Zeit im Inneren beschenken und umwandeln wollte. Diese Selbsterkenntnis sollten wir zulassen, und uns durch die Worte des Propheten wieder ganz auf Gott ausrichten. Er verheißt uns, dass wir mit Gott in Übereinstimmung leben können. Wir müssen unser Leben nur so anlegen, dass das geschehen kann, und empfangsbereit sein. Wir werden daran erinnert, dass Gott der Anfang, die Mitte und das Ziel unseres Lebens ist. Wir haben uns nicht selber geschaffen und wir gehen unseren Weg auch nicht ohne ihn. Er ist von Anfang an dabei und er hat uns ein großes Geschenk gemacht. Das ist sein Sohn Jesus Christus, der uns immer wieder vergibt. Wir können jederzeit zu ihm kommen und neu beginnen. Wir müssen keinen Vertrag einhalten, sondern dürfen seinen Geist empfangen. Er ist das Fundament, das nicht wankt, die Hilfe, die niemals aufhört, und das Ziel, das unsrem Leben eine ganz andere Orientierung gibt. Und das alles finden wir nicht außerhalb von uns, sondern tief in uns. Die Mystiker sprechen vom „Seelengrund“. Ihn schafft Gott neu, wenn wir seinen Geist empfangen. Er wohnt dort bereits. „Er hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt“, wie der Prediger Salomo sagt. (Prd. 3,11) Wenn wir uns nach innen wenden, um ihn in uns zu suchen, werden wir ihn deshalb finden, und das tut gut. Wir kommen in Übereinstimmung mit unserem Ursprung, unser Leben wird so, wie es von Gott her gedacht ist.

Der Prophet lädt uns ein, das zu unserem Lebensziel zu erklären, das neue Herz, in dem Gott wohnt. So müssen wir seine Worte hören, dann haben sie auch ganz viel mit unserem Leben zu tun. Sie wirken sich aus und verändern etwas. Wir werden gelassen und ruhig und finden inneren Frieden. Und das nimmt am Ende unseres Weges nicht ab, sondern zu. Die Dynamik des Lebens dreht sich um 180 Grad, denn wir sind im Alter nicht vom Leben ausgeschlossen, sondern kommen dem Ziel näher. Das, wofür wir geschaffen sind, gewinnt immer mehr die Oberhand.

Es lohnt sich also, wenn wir den Bund, den Gott mit uns geschlossen hat, jeden Tag erneuern, und „vor seinem Angesicht unser Leben führen. Wir dürfen ihm dienen, erleuchtet durch seine Wahrheit, getragen von seinem Erbarmen, gebunden in seinen Willen und gesegnet mit seiner Verheißung.“ (Ev. Tagzeitenbuch Nr. 153.3, S. 154)

Amen.

 

 

 

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