Predigt über Josua 3, 5-16: Israel geht durch den Jordan
1. Sonntag nach Epiphanias, 13.1. 2019, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel
Josua 3, 5- 16
5 Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun.
6 Und zu den Priestern sprach er: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.
7 Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, adich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: bWie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.
8 Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.
9 Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes!
10 Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter:
11 Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt wird vor euch hergehen in den Jordan.
12 So nehmt nun zwölf Männer aus den Stämmen Israels, aus jedem Stamm einen.
13 Wenn dann die Fußsohlen der Priester, die die Lade des HERRN, des Herrschers über alle Welt, tragen, in dem Wasser des Jordans stillstehen, so wird das Wasser des Jordans, das von oben herabfließt, nicht weiterlaufen, sondern stehen bleiben wie ein einziger Wall.
14 Als nun das Volk aus seinen Zelten auszog, um durch den Jordan zu gehen, und als die Priester die Bundeslade vor dem Volk hertrugen
15 und an den Jordan kamen und ihre Füße vorn ins Wasser tauchten – der Jordan aber war die ganze Zeit der Ernte über alle seine Ufer getreten –,
16 da stand das Wasser, das von oben herniederkam, aufgerichtet wie ein einziger Wall, sehr fern, bei der Stadt Adam, die zur Seite von Zaretan liegt; aber das Wasser, das zum Meer hinunterlief, zum Salzmeer, das nahm ab und floss ganz weg. So ging das Volk hindurch gegenüber von Jericho.
Liebe Gemeinde.
Um von einer Seite des Nordostseekanals auf die andere zu kommen, gibt es 10 Brücken, 14 Fähren und einen Tunnel. Überall dort, wo vor dem Bau bereits eine Straße war, musste die Überquerung gewährleistet werden, deshalb gibt es so viele Möglichkeiten. Über einen Fluss führen normalerweise weniger Brücken oder Fähren, geschweige denn, dass ein Tunnel darunter hinweg geht. Denn das sind natürliche Wasserläufe, die nicht selten auch eine Ländergrenze bilden. Das hat sich im Laufe der Geschichte ganz von allein ergeben, weil es in früheren Jahrhunderten noch wesentlich schwieriger war, über einen Fluss zu kommen. Die ersten festen Brücken wurden von den Römern im 5. Jahrhundert vor Christus gebaut. In vorgeschichtlicher Zeit verwendete man umgestürzte Bäume, bewusst platzierte Stämme, Lianen, Steine und hölzerne Planken. Sie überwanden allerdings nur kurze Distanzen.
Über den Jordan, den Fluss, der von Norden nach Süden durch Palästina fließt, kamen die Menschen in der Frühgeschichte Israels also nur ganz schwer. Der war zu breit und lag außerdem in einem tiefen Graben. Als die Israeliten dort ankamen und auf die andere Seite wollten, waren sie demnach erst einmal ratlos. Nur durch ein Wunder gelang es ihnen, den Fluss zu überqueren.
So wird es in der Geschichte erzählt, die wir vorhin gehört haben. Sie handelt von dem Durchzug des Volkes Israel durch den Jordan. Wenn wir uns vorstellen, was da beschrieben wird, sehen wir Abertausende von Menschen, wie sie nach der langen Wüstenwanderung endlich zum Jordan gelangt sind. Sie waren kurz vor dem Ziel, denn auf der anderen, der westlichen Seite, lag das „gelobte Land“, das ihnen von Gott verheißen war. Diese Verheißung hatte sie auch geführt. Gott hatte sie einst den Vätern und später Mose gegeben. Nun lag das versprochene Land vor ihnen, zum Greifen nah, aber da floss der Jordan. Unüberwindlich tat sich der Graben des Stromes vor ihnen auf, und keiner wusste, wie sie dort hinüber gelangen sollten. Und noch etwas machte ihnen Angst: Selbst, wenn sie es schafften, wie würde es ihnen drüben ergehen? Sie kannten das Land nicht. Lauerten dort nicht Feinde? Mehrfach waren sie auf ihrer Wanderung angegriffen worden. Wer sagte ihnen, dass es jenseits des Jordan nicht wieder zu Kämpfen kommen würde?
Doch mit diesen Fragen mussten sie sich nicht lange beschäftigen, Gott selber gab ihnen die Antwort: Mit einer unsichtbaren Macht hielt er das Wasser des Jordan zurück, so dass Männer, Frauen und Kinder trockenen Fußes durch das Flussbett ziehen konnten. Seine starke Hand beschützte sie.
Dabei spielte die sogenannte Bundeslade eine Rolle. Das war ein hölzerner Kasten, in dem die Gesetzestafeln lagen. Sie war das Heiligtum des Volkes Israel, das sie durch die Wüste getragen und bei einer Rast jeweils in einem besonderen Zelt, der Stiftshütte, aufgestellt hatten. Später stand sie im Tempel in Jerusalem. Mit ihr gelang es den Israeliten nun, durch den Jordan zu ziehen, denn als die Priester mit der Lade den Fluss betraten, wich das Wasser zu beiden Seiten. Es wurde in seiner reißenden Strömung angehalten. Nach dem Durchzug kehrte das Wasser in sein Bett zurück.
Das Ereignis erinnert an einen Bericht des arabischen Geschichtsschreibers Nuwairi, nach dem im 13. Jahrhundert n. Chr. einmal das Jordanwasser aussetzte, weil sich im Oberlauf nach einem Ufereinsturz ein Damm gebildet hatte. Ob sich in unserem Text eine Erinnerung an einen ähnlichen Vorfall erhalten hat, muss offen bleiben. Hier ist der Bericht Teil einer theologischen Konzeption: Es geht um ein wunderbares Eingreifen Gottes.
Dabei erinnert das beschriebene Wunder an den Durchzug durch das Rote Meer (2. Mose 14). Mit ihm hatte Gott dem Volk die Flucht vor den Ägyptern und den Weg durch die Wüste ermöglicht. Am Ende ihrer Wanderung stand nun wieder so ein göttliches Handeln, mit dem das Werden Israels im verheißenen Land begann. Die Heilsgeschichte nahm ihren weiteren Verlauf, der bis hin zum Kommen Jesu reicht.
So wird es uns in der Bibel erzählt. Was jedoch genau geschehen ist, als das Volk Israel in das „gelobte Land“ einzog, wissen wir nicht. Die Geschichten in der Bibel, die davon handeln, sind keine historischen Berichte. Sie wollen vielmehr hauptsächlich die Macht Gottes beschreiben, seine Gegenwart und Treue. Es geht um die Geschichte Gottes mit seinem Volk: Er tut, was er verheißen hat, das war der Glaube Israels. Und bei dieser Betrachtung der Vergangenheit sind im Nachhinein ganze Jahrhunderte zusammengerückt und haben sich ineinander geschoben. In Wirklichkeit war die sogenannte Landnahme nämlich ein langer Prozess. Die Ahnen Israels waren wohl eher Kulturlandnomaden, die sich im Laufe des 2. Jahrtausends v. Chr. im alten Palästina friedlich angesiedelt haben.
Es ist wichtig, dass wir uns das klar machen, denn in der Geschichte klingt ja an, dass es einen „Heiligen Krieg“ gegeben hat, mit dem Israel das Land einnahm. Erst dadurch wurde es angeblich frei für die Neubesiedelung. Dieser Krieg wird im weiteren Verlauf des Josuabuches dann auch mit manchen grausamen Schilderungen ausgeführt. Danach war es Gott selbst, der für Israel kämpfte.
Das tut unseren heutigen Ohren weh, denn ein Teil dieser Vorstellung ist die Vernichtung der Feinde im göttlichen Auftrag. Das macht uns Mühe, weil diese Ausführungen in der Geschichte und bis in die Gegenwart hinein Nachwirkungen hatten, sowohl im Islam als auch im Christentum. Und erst recht nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts verbietet es sich, dass wir uns eine Vertreibung und einen Völkermord im Auftrag Gottes vorstellen, davon reden, geschweige denn ihn durchführen.
Doch so müssen wir das Alte Testament auch nicht verstehen. Es ist wichtig zu sehen, dass es sich im Buch Josua um einen späteren, geschichtstheologischen Entwurf handelt, in den leidvolle Erfahrungen Israels aus den Kämpfen vor dem Exil eingeflossen sind. Tatsächlich erfolgte die Landnahme wie gesagt friedlich, und es gab diesen Krieg so gar nicht. Hier spricht sich vielmehr ein Glaube aus, der sich in rauen Zeiten bewähren musste. Das Bild von einem kriegerischen Gott verändert sich auch bereits im Alten Testament gründlich. Und vollends das Neue Testament versteht Gott dann ganz anders.
Unsere Geschichte enthält also kein historisches Ereignis, sondern eine theologische Aussage: Die wunderbare Macht und Gegenwart Gottes wird hier beschrieben. Es geht um eine Glaubenserfahrung. Und die hat natürlich auch für uns eine Bedeutung. Wir können vieles aus der Erzählung sehr schön auf unser Leben anwenden.
Dafür ist es gut, wenn wir uns als erstes bewusst machen, dass unser Leben ein Weg ist. Gerade am Anfang eines neuen Jahres nehmen wir das wahr. Wir merken, es geht immer weiter. Und es nicht immer einfach. Es gibt viele „Grenzflüsse“, d.h. Grenzen, an die man gleichsam nach langer Wanderung gelangt ist, und man weiß: man muss hinüber. Aber da ist die bange Frage, es wie gelingt, über die Grenze zu kommen. Und wie wird es drüben sein? Was kommt auf mich zu? Solche Grenzen können Entscheidungen im persönlichen Leben sein, oder auch größere Geburtstage, die das Leben unübersehbar gliedern. Einen tiefen Einschnitt bildet immer auch der Verlust eines Menschen, eine Krankheit, ein Unfall usw.
Wenn wir fragen, wie wir da hindurch bzw. hinüber kommen, schildert unsere Geschichte nun etwas Unerhörtes: Der Weg in das jenseits liegende Land wird frei. Auf trockenem Boden gelangt das ganze Volk hinüber. Und damit soll kein plattes Wunder und auch kein satter Glaube beschrieben werden, dem alles in den Schoß fällt. Nein, Schritt für Schritt müssen die Menschen erst einmal in die Gefahr hinein, müssen das Flussbett überqueren, obwohl das Wasser jeden Augenblick zurückkehren könnte. Was sie erfahren, ist also dies: Gottes Gegenwart trägt sie durch, eben Schritt für Schritt, bis sie am anderen Ufer ankommen. Und auch dort wird sich, gegen alle scheinbare Bedrohung, die Verheißung erfüllen, dass es „ihr Land“ ist.
Und diese Erfahrung können wir ebenfalls machen: Wir müssen nur nach Gottes Willen fragen, auf ihn vertrauen und uns an ihn halten. Dann macht er uns den Weg frei, er zeigt ihn uns, wenn wir ihn gehen, und er hält die Gefahren zurück.
Dabei ist es sehr schön, dass in unsrer Geschichte zwei Details genannt werden, die uns einen Hinweis auf unsere Glaubenspraxis geben können. Zum einen heißt es am Anfang nämlich, dass das Volk sich vor dem Überqueren des Jordan „geheiligt“ hat. Sie haben also an Gott gedacht und sich auf seine Gegenwart eingestellt. Und das ist auch für uns ratsam. Es bedeutet, dass wir uns in der Stille auf Gott und seine Führung einrichten, zu ihm beten und seinen Geist empfangen. Paul Gerhardt hat das in einem Lied, das er für den Jahresbeginn dichtete, sehr schön zum Ausdruck gebracht. Es beginnt mit den Worten: „Nun lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.“ (EG 58,1) Darin bestünde unsere „Heiligung“, dass wir singend und betend unseren Weg gehen.
Die andere Einzelheit in der Geschichte, die wir auf unsere Frömmigkeit übertragen können, ist die „Bundeslade“, die die Israeliten mit sich führten. Sie war ein Zeichen für die Gegenwart Gottes. Eine Bundeslade haben wir zwar nicht, aber Gott gibt auch uns Zeichen, an denen sich unser Glaube festmachen kann. Das sind z.B. die Bibel und der Gottesdienst. Sie bezeugen Gottes Gegenwart, erzählen uns von ihm und stärken unseren Glauben. Materiell haben wir Gott damit nicht; aber er hat uns diese Dinge gegeben, damit sie uns immer wieder an ihn erinnern.
Sie können das, weil uns in ihnen Jesus Christus begegnet, der Sohn Gottes. Er ist das eigentliche und lebendige Zeichen, das allen anderen vorkommt. Er wurde gesandt, damit wir an ihm erkennen, was Gott kann und tut, an seinem Weg, seiner Verkündigung, seinem Kreuz und seiner Auferstehung. Konkret begegnet er uns bei unserer Taufe und im Abendmahl. Die Sakramente bezeugen die Liebe Gottes und den „neuen Bund“, den er mit uns in Jesus Christus schloss. Es sind Quellen der Kraft, um über die Grenzen in unserem Leben hinüberzugelangen, Schritt für Schritt, im Glauben getragen.
Heute, wo wir wissen, wie man Brücken baut, können wir uns gerne auch eine Brücke vorstellen, die in entsteht, wenn wir unseren Weg über eine Grenze wagen. Sie verbindet zwei Ufer, die ohne sie voneinander getrennt sind, und gibt uns einen sicheren Halt. Jenseits wartet ein Stück „verheißenes Land“, und auch dort werden wir den Weg finden. Im vollen Sinn gilt das schließlich für die letzte Grenze im Leben und für die Zukunft jenseits der Zeit. Bis dahin trägt uns Gott mit der Kraft seiner Liebe.
Wenn wir uns in dieser Weise im Glauben üben, wächst im Laufe der Zeit das Vertrauen in die Möglichkeiten Gottes. Das Gefühl der Geborgenheit bei ihm wird stärker. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass er wirklich etwas kann und tut. Wir gründen uns auf eine unsichtbare Macht, die überall da ist, wo wir sind. Sie umgibt uns von allen Seiten.
Das wird in einem Reisesegen aus der Tradition der Kirche sehr schön zum Ausdruck gebracht, der auch in unserem Gesangbuch steht. Er lautet: „Der Herr sei vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen. Der Herr sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen, und dich zu schützen. Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren vor der Heimtücke böser Menschen. Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst, und dich aus der Schlinge zu ziehen. Der Herr sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist. Der Herr sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn andere über dich herfallen. Der Herr sei über dir, um dich zu segnen. So segne dich der gütige Gott.“ (EG, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Nr. 922).
Amen.