Die neue Geburt

Predigt über Johannes 21, 1- 14: Der Auferstandene am See von Tiberias

1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti, 23.4.2017
9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Johannes 21, 1- 14

1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 
2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.
3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser.
8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.
10
Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!

11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.
13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische.
14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

 

Liebe Gemeinde.

Haben Sie schon „angegrillt“? Es ist ja leider noch etwas zu kalt für dieses Vergnügen. Im Sommer und bei wärmeren Temperaturen machen das viele Menschen sehr gern. Der Schrevenpark wird dann z.B. zu einer regelrechten Grillwiese und es gibt entsprechende Regeln. Im Freien Fleisch oder Fisch zu braten, macht einfach Spaß. Man verlagert das Essen nach draußen, um gleichzeitig die frische Luft und die Landschaft oder den Garten zu genießen.
Wenn so eine gemeinschaftlich im Freien eingenommene Mahlzeit ohne Grillen geschieht, nennen wir das auch Picknick. Als Kinder haben wir das mit unseren Eltern Sonntagnachmittags gelegentlich gemacht. Es war dann immer mit einem Ausflug, z.B. einer Fahrradtour verbunden.
Es gibt dieses Vergnügen schon lange. Besonders populär wurde das Picknick in England im 19. Jahrhundert. Dort ist es bis heute bei den oberen Schichten beliebt und kann den Rang eines gesellschaftlichen Ereignisses haben. Aus Großbritannien stammt auch der Picknickkorb.
Man kannte es bereits in der Antike und auch in der Bibel gibt es diverse Geschichten von Mahlzeiten im Freien. Eine haben wir vorhin gehört.
Das Essen fand am Ufer des Sees Tiberias statt, so wird der See Genezareth im Johannesevangelium genannt. Jesus hatte dort die Idee, seine Jünger zu einem Essen unter freiem Himmel einzuladen.
Es ist eine der sogenannten Offenbarungsgeschichten, d.h. Jesus offenbart sich hier als der Auferstandene, und zwar gegenüber sieben seiner Jünger. Die waren beieinander, um zu fischen, wie sie es gewohnt waren. Sie hatten also nach der Kreuzigung Jesu ihre alte Tätigkeit wieder aufgenommen. Petrus hatte dazu die Initiative ergriffen.
Doch leider „fingen sie in dieser Nacht nichts.“ Das konnte es natürlich geben, ihre Fahrt und ihre Mühe waren vergeblich gewesen. Sie kannten das, und sie hatten auch schon einmal erlebt, dass Jesus ihnen daraufhin einen wunderbaren Fischzug ermöglichte. Das war am Anfang ihrer Jüngerschaft gewesen, als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatten. (Lukas 5, 1- 11)
Doch daran erinnerten sie sich jetzt offensichtlich nicht. Außerdem war Jesus gestorben, und so erkannten sie nicht, dass er es war, der da am Morgen plötzlich am Ufer stand. Er sprach sie zwar mit „Kinder“ an, aber das öffnete ihre Augen noch nicht. Trotzdem gehorchten sie ihm, als er ihnen sagte: „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.“
Und dann geschah das Wunder: Das Netz war so voll, dass sie es wegen der Menge der Fische nicht ziehen konnten. Nun wussten sie, wer es war, der mit ihnen redete. „Der Jünger, den Jesus lieb hatte“, sprach es als erster aus: „Es ist der Herr!“
Kaum hatte Petrus das gehört, zog er die Konsequenz: Nackend, wie er bei der Arbeit im Boot war, warf er sich schnell sein Obergewand über, gürtete es und stürzte sich ins Wasser, um als erster bei Jesus zu sein. Die anderen kamen mit dem Boot nach. Es waren nur etwa 90 Meter bis zum Ufer, aber an dem übervollen Netz hatten sie schwer zu schleppen.
Möglicherweise haben sie dabei schon den wunderbaren Bratgeruch wahrgenommen, der über den See gezogen war: Jesus hatte eine Mahlzeit vorbereitet. Woher er die Fische genommen hatte, wird nicht erzählt. Das gehört zu den erstaunlichen und unerklärlichen Ereignissen, die bei dieser Begegnung stattfanden. Auf sehr schöne Weise verbinden sie sich durch das gemeinsame Essen mit etwas Alltäglichem.
Petrus zog vorher noch das schwere Netz an Land, von dem es heißt: Es war „voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.“ Die Zahl hat sicher eine symbolische Bedeutung. Man vermutet, dass es damals so viele bekannte Völker gab. Dann ist mit der Zahl 153 die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Völkerwelt gemeint, die durch das Netz des Evangeliums gesammelt und zusammengehalten wird. „Machet zu Jüngern alle Völker“  heißt es am Ende des Matthäusevangeliums im sogenannten Missionsbefehl. (Matthäus 28, 19) Der klingt hier durch.
Nach getaner Arbeit lud Jesus nun zum Mahl. Keiner der Jünger traute sich, ihn direkt zu fragen, ob er der Herr sei, sie waren ihm gegenüber befangen. Sie wussten zwar, dass er es war, aber sie hatten Mühe mit der Situation. Das mussten sie erst einmal verarbeiten, und dazu brauchten sie noch etwas Zeit. Nicht umsonst wird im Neuen Testament erzählt, dass sie erst 50 Tage nach Ostern alle Furcht ablegten und in der Lage waren, ihren Glauben in die Welt zu tragen. (Apostelgeschichte 2, 1- 4)
Aber sie genossen die Gemeinschaft mit Jesus. In der Mahlfeier spürten sie seine wohltuende Nähe. Sie war vertraut und doch in keiner Weise selbstverständlich.
„Das war das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.“ Mit diesem Satz endet unsere Erzählung.
Man hat den Eindruck, dass es eigentlich zwei Geschichten sind, die hier miteinander kombiniert wurden: Das Wunder vom Fischzug und das Wunder eines Mahles mit dem Auferstandenen. Es kann auch tatsächlich sein, dass die Szene aus zwei Begebenheiten zusammengesetzt wurde und sich hier diese beiden Erzählungen miteinander verschmolzen haben. Doch genau dadurch bekommt die Geschichte ihren Reiz und ihren Reichtum: Bei einem alltäglichen Geschehen wie dem Essen offenbart sich Jesus als der Auferstandene, der wunderbar eingreift. Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und gleichzeitig hat er göttliche Kraft und Macht.
Auch zu seinen Lebzeiten hatte Jesus ja öfter mit seinen Jüngern und anderen Menschen gegessen und getrunken. Die Mahlgemeinschaft ist ein häufiges Motiv im Evangelium, wie die Speisung der Fünftausend oder das Essen mit Zöllnern und Sündern. Auch das letzte Abendmahl gehört dazu: Jesus saß gerne mit den Menschen zum Essen zusammen. Das stärkte seine Gemeinschaft mit ihnen und zeigte, dass er ihnen nahe war. Daran knüpft diese Begegnung hier an, und damit gibt Jesus seinen Jüngern ein Erkennungszeichen. So kannten sie ihn, und daran sollten sie sich erinnern. Das gelingt ihnen allerdings erst durch den wunderbaren Fischzug, mit dem sein Auftreten einhergeht. Einerseits ist die Begegnung also vertraut und normal, andererseits wird der Alltag der Jünger durchbrochen und in übernatürlicher Weise verändert.
Darin liegt die Botschaft dieser Geschichte, auch wir dürfen das erleben: Wir können Jesus im normalen, täglichen Leben begegnen, dann wird etwas neu, ohne dass wir ergründen können, wie es geschieht. Es ist traumhaft und wirklich zugleich, geheimnisvoll und doch ganz real. So handelt der Auferstandene immer noch. Daraus speist sich unser Glaube und unsere christliche Lebensführung.
Lassen Sie uns also fragen, wie es dazu kommen kann, dass sich auch in unserem Leben der Auferstandene offenbart und an uns handelt.
Dabei dürfen wir als erstes davon ausgehen, dass er selber zu uns kommt. So wie er hier am Seeufer stand, so kann er plötzlich in unser Leben treten. Er kommt uns entgegen und will selber, dass wir ihn erkennen. Vielleicht hören wir von ihm, lesen etwas, machen eine Erfahrung, die auf ihn hinweist. Er ist auf jeden Fall in dieser Welt gegenwärtig und zeigt sich immer wieder. Wir müssen ihn nicht zu uns ziehen. Es gilt lediglich, ihn zu erkennen, d.h. auf seine Zeichen zu achten. Es ist also gut, wenn wir für Überraschungen offen sind. Wir können die Begegnung mit ihm nicht planen, sie geschieht unvorhergesehen.
Das ist einerseits spannend, andererseits verunsichert uns das aber auch und macht uns Angst. Überraschungen können unwillkommen sein, und genau da liegt das Problem. Das ist der nächste Punkt. Normalerweise bestimmen wir ja selber, was geschieht, oder zumindest wollen wir das gerne. Wir behalten am liebsten die Kontrolle über unser Leben und richten uns nach unserem Willen und unsren Wünschen. Die sollen wahr werden, denn davon versprechen wir uns Glück und Erfolg. In der Familie, im Beruf, in dem, was wir lernen und womit wir uns vergnügen, handeln wir so. Lange Zeit geht das auch gut, wir erreichen etwas und verwirklichen unsere Vorhaben.
Doch meistens kommen wir irgendwann an eine Grenze, durch das Älterwerden z.B. Es kann aber auch schon vorher geschehen, etwa durch eine Krankheit, einen Verlust oder eine Krise. Es gibt unzählige Ereignisse, die uns aus der Bahn werfen und unsere Pläne durchkreuzen können. Dann merken wir, dass unser Leben nicht aufgeht, wenn wir nur auf uns selber vertrauen. Im Gegenteil, oft machen wir uns genau dadurch etwas vor. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass wir alles im Griff haben. Wir können dabei in die Irre gehen, weil wir letzten Endes Trugbildern nachlaufen. Oft sind es in Wirklichkeit so etwas wie Wahnvorstellungen, die uns anleiten, sie verblenden uns und versperren uns die Sicht.
Und genau das kann und will Jesus durchbrechen. Er will unsere Augen und unseren Geist für seine Gegenwart öffnen. Das, was uns die Sicht versperrt, muss dafür allerdings weichen. Es ist deshalb oft ein schmerzhafter Vorgang, der uns zur Erkenntnis seiner Macht führt. Er geht durch Leiden und Sterben hindurch. Wir müssen etwas loslassen, aufgeben und uns eingestehen, dass wir alleine nicht weiterkommen. Es ist wichtig, dass wir unsere Begrenztheit annehmen und ehrlich sind. Krisen und Niederlagen sind nicht nur schlimm, sie können uns auch weiterführen. Es gilt deshalb, dass wir sie bejahen.
Anders war es bei Jesus auch nicht, wir folgen ihm auf diesem Weg und können genau wie er zu neuem Leben finden. Das ist der letzte Schritt. Es ist dann wie eine zweite Geburt. Nicht umsonst bezeichnen wir es als „Wiedergeburt“, wenn ein Mensch zum Glauben kommt und sich dem Auferstandenen anvertraut. Es gibt seinem Leben einen neuen Sinn und ein neues Ziel. Es entsteht Hoffnung und Zuversicht. Aufbruch und Bewegung kennzeichnen diesen Neuanfang. Die Auferstehung vollzieht sich im eigenen Leben, denn von nun an gibt es keine ausweglosen Situationen mehr. Selbst wenn gar nichts anderes mehr geht, ist Jesus immer noch da. Er ist die neue Mitte, derjenige, der uns einlädt und uns mit seiner göttlichen Kraft in unserem Alltag begleitet.
Mit der Taufe wird dafür eine Grundlage gelegt. Sie erinnert an die Wiedergeburt, dafür ist das Wasser ein Zeichen: Es kann Tod und Leben bedeuten, etwas Altes geht unter und etwas Neues wird lebendig. Außerdem legt sie die Grundlage für die Gegenwart Christi in unserem Leben. Er ist durch die Taufe wirklich bei uns und wird sich immer wieder zeigen.
Er schafft Situationen, an denen wir ihn erkennen können. Wir führen unsren Alltag mit ihm, alles ist wie immer und doch liegt unserem Leben ein Wunder zu Grunde. Die himmlische und ewige Wirklichkeit hat Einzug genommen, ein starker Begleiter und Helfer.
Lassen Sie uns also hinschauen, uns von Jesus einladen lassen und die Nähe und Gemeinschaft mit ihm genießen. Dann wird es immer wieder einen neuen Anfang geben.
Amen.

 

 

Der Herr ist auferstanden

Predigt über Matthäus 28,1-10: Jesu Auferstehung

Ostersonntag, 16.4.2017, 9.30 und 11 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel

Matthäus 28, 1- 10

1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
3 Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.
4 Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.
10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Liebe Gemeinde.

Kennen Sie das: Plötzlich bewusstlos, doch schnell wieder bei Sinnen? So verläuft eine Ohnmacht. Auslöser sind ein vorübergehender kompletter Durchblutungsmangel im Gehirn und ein kurzes Versagen des Herz-Kreislauf-Systems. Aus dem Stand heraus gleiten die Beine weg, die Muskeln machen schlapp und der oder die Betroffene sinkt in sich zusammen.
Diejenigen, denen es widerfährt, sind danach häufig stark verunsichert: Was ist passiert? Bin ich krank? Stimmt etwas bei mir nicht im Kopf? Kann sich der Vorfall wiederholen?
Die Antworten auf diese Fragen hängen von den Ursachen ab. Das können Herz- und Gefäßerkrankungen sein, die müsste man dann medizinisch behandeln lassen. Es gibt aber auch psychische Gründe für eine Ohnmacht. Heftige Gefühlswahrnehmungen können ebenfalls den Kreislauf dämpfen, wie etwa ein Erschrecken, Angst oder Stress. Dann geht die Ohnmacht meistens schnell vorüber und wiederholt sich auch nicht unbedingt. Eine Medizin gibt es dagegen nicht. Unangenehm ist sie allerdings trotzdem, denn man weiß nicht, was in der Zeit der Bewusstlosigkeit geschehen ist.

So ging es auch den Wächtern des Grabes Jesu. „Sie waren, als wären sie tot“, heißt es in dem Bericht bei Matthäus, und dadurch bekamen sie nichts von den Geschehnissen mit. Die waren so gewaltig, dass die Wächter erschraken und in Ohnmacht fielen. Und das ist auch kein Wunder, denn für das Nervensystem waren es ungewöhnlich starke Reize: „Es geschah ein großes Erdbeben, der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Und seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.“
Das alles passierte am ersten Tag der Woche, nachdem Jesus beerdigt worden war und der Sabbat vorüber war. Da kam am Grab Jesu plötzlich eine Bewegung auf, die die Erde erschütterte. Sie war die Begleiterscheinung für eine himmlische Offenbarung. Die Wirklichkeit Gottes brach ein, der Allmächtige meldete sich zu Wort. Durch das Auftreten eines Engels wurde er sichtbar und hörbar. Außerdem wurden die Naturgesetze für ungültig erklärt: Mit metaphysischen Kräften wälzte der Engel den Stein weg, mit dem das Grab verschlossen war. Und dann kam zu dem Erbeben und der Öffnung des Grabes noch ein helles, blendendes Licht dazu. Es ist kein Wunder, dass die Wächter bei all diesen Ereignisswen in Ohnmacht fielen.
Viel erstaunlicher ist es, dass die Frauen, die gekommen waren, um nach dem Grab zu sehen, dem allen stand hielten. Es waren „Maria von Magdala und die andere Maria“. Sie waren mit Jesus befreundet gewesen und wunderbarer Weise verkrafteten sie diese spektakulären Ereignisse. Mit ihnen sprach der Engel nun. Sicherlich hatten sie sich auch erschrocken, aber der Engel konnte sie beruhigen. Er sagte als erstes: „Fürchtet euch nicht!“ Das ist ein Gruß, der fast immer in der Bibel vorkommt, wenn Gott zu den Menschen spricht. Er soll die Angst vor dem Unbegreiflichen nehmen und Nähe schaffen. Er soll beruhigen und die Angesprochenen zum Zuhören bewegen.
Und das gelang dem Engel auch. Er gab den Frauen zu verstehen, dass er sie kannte und wusste, was sie bewegte und beschäftigte. So vertrauten sie ihm und waren bereit, zuzuhören. Und das war wichtig, denn nun folgte die unglaubliche Botschaft: „Jesus, der Gekreuzigte, ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat“.
Jesus war nicht mehr da, das Grab war leer. Die Frauen konnten sich davon überzeugen.
Und dann bekamen sie von dem Engel einen Auftrag: „Geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten.“ Das taten sie sofort. Sie gehorchten dem Engel und gingen zurück, um diese Botschaft weiter zu sagen.
Vielleicht wachten die Wächter genau danach wieder auf. Das wird hier zwar nicht erzählt, aber wir können es uns gut vorstellen. Ihre Ohnmacht bedeutet jedenfalls, dass sie im Nachhinein nichts bezeugen konnten. Niemand konnte das, auch die Frauen nicht, denn die waren von dem Licht geblendet. Es gibt für die Auferstehung selbst keine Augenzeugen, das wollte der Evangelist klar machen. Wann Jesus wirklich aus dem Grab verschwand, weiß keiner. Es gibt von Anfang an nur die Botschaft seiner Auferstehung, die Verkündigung und den Glauben daran.
Und dafür sind die Frauen ein wunderbares Beispiel. Im Gegensatz zu den Wächtern hatten sie Vertrauen in Gott und in Jesus. Sie waren aus Freundschaft und Liebe gekommen, waren offen für die Rede des Engels und gehorchten ihm.
Deshalb hörte ihr Erleben damit auch nicht auf, sondern auf ihrem Rückweg begegnete ihnen Jesus selber. Sie hatten zwar nicht gesehen, wie er aus dem Grab stieg, aber nun trafen sie ihn auf dem Weg. Plötzlich stand er vor ihnen. Er zeigte sich und sprach selbst zu ihnen. Und sie beteten ihn an, wie es heißt: „Sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.“
Und dann erhielten sie von ihm noch einmal denselben Auftrag, den der Engel ihnen bereits gegeben hatte: „Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“ Damit endet der Osterbericht des Matthäus.

Und das Christentum beginnt. Ostern ist die Geburtsstunde des christlichen Glaubens, die Entstehung der Kirche. Alles beruht auf dieser Botschaft und darauf, dass sie weitergesagt wurde. Ostern ist deshalb eigentlich auch das zentrale Fest der Christenheit, das als erstes in der Geschichte der Kirche gefeiert wurde. Und das ist kein Wunder: So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben, und auch danach ist nie wieder jemand aufgetreten, der von einem Menschen verkündet hat, dass er von den Toten auferstanden ist. Jesus ist nicht nur ein Lehrer oder Prophet, sondern der lebendige Gott, der den Tod besiegt hat, so lautet das christliche Bekenntnis. Und das wird auch nicht nur zu Ostern gefeiert, ursprünglich erinnert jeder Sonntagsgottesdienst an die Auferstehung. Der Sonntag ist jedenfalls aus diesem Grund unser Feiertag.
In der orthodoxen Kirche ist dies auch lebendig geblieben. Dort wird das Osterfest viel großartiger begangen, als bei uns. Und das zentrale Bild in einer orthodoxen Kirche ist immer der auferstandene und erhöhte Christus.
In unserer westlichen Tradition hat sich das verschoben. Die Kreuzigung Jesu wurde in der katholischen und evangelischen Kirche bedeutender. In den Vordergrund trat das Opfer Christi, sein Leiden, seine Geduld und Hingabe. Und von den Festen rückte Weihnachten stärker in das Bewusstsein der Allgemeinheit, d.h. die Botschaft, dass Jesus überhaupt gekommen ist und Gott Mensch wurde. Heutzutage können damit jedenfalls viel mehr Menschen etwas anfangen als mit Ostern.
Und das ist nachvollziehbar, denn in ein modernes, aufgeklärtes Denken passt der Glaube an die Auferstehung nicht. Die meisten Menschen können sich das nicht vorstellen und halten es für unwahrscheinlich. Selbst viele Christen zweifeln an dieser Botschaft. Vielleicht geht es Ihnen auch so. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns fragen, was wir damit anfangen sollen. Kann diese ungewöhnliche Nachricht überhaupt noch etwas für uns bedeuten? Und wenn ja, wie erschließt sie sich uns?
Über diese Fragen müssen wir nachdenken. Und dafür ist es gut, wenn wir die Osterberichte in den Evangelien nach Antworten absuchen. Wir dürfen sie nicht einfach nur als Geschichten lesen oder hören, sondern müssen tiefer in sie eindringen. Dann entdecken wir durchaus einiges, das für unseren Glauben wichtig ist.
Bei dem Bericht im Matthäusevangelium ist es z.B. aufschlussreich, einmal die beiden Gruppen von Menschen, die hier vorkommen, miteinander zu vergleichen, die Wächter und die Frauen. Die einen fallen in Ohnmacht und merken nichts, die anderen kommen zum Glauben. Warum ist das so? Was ist der Unterschied? Wenn wir das herausstellen, ergeben sich ein paar wichtige Konsequenzen.
Drei Punkte sind mir dazu eingefallen. Zunächst einmal sind es ganz unterschiedliche Motive, die die Menschen zum Grab Jesu führten. Die Soldaten taten es aus Pflicht und aus Misstrauen heraus. Sie standen da, weil die Hohenpriester mit den Pharisäern Pilatus daran erinnert hatten, dass Jesus bereits vor seinem Tod von seiner Auferstehung gesprochen hatte. Pilatus sollte das Grab bewachen lassen, „damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste.“ So steht es im Matthäusevangelium. Pilatus erfüllte ihren Wunsch, das Grab wurde mit der Wache gesichert und der Stein versiegelt. (Mt. 27,62-66)
Es war also auf keinen Fall Freundschaft, die die Wächter mit Jesus verband, sondern im Gegenteil: Sie standen als seine Feinde da.
Die Frauen dagegen liebten Jesus. Sie hatten sich längst auf ihn eingelassen und waren ihm gefolgt. Und das wäre auch für uns eine wichtige Voraussetzung: Wenn wir an die Auferstehung glauben wollen, müssen wir Jesus von vorne herein mit Liebe begegnen, uns ihm zuwenden, ihn aufsuchen und uns für seine Nähe öffnen. Das ist der erste Punkt.
Als zweites können wir uns das Ergehen am Grab vor Augen halten: Die Wächter fielen in Ohnmacht, die Frauen dagegen vernahmen eine wunderbare Botschaft. Und das heißt: Wer ohne positive Grundeinstellung zu Jesus geht, skeptisch und misstrauisch ist, bekommt von seiner Macht nichts mit, er bleibt ihr gegenüber „bewusstlos“, d.h. sie dringt nicht in sein Bewusstsein ein. Es ist, als würde nichts geschehen.
Wer dagegen in Freundschaft mit Jesus lebt, zu dem spricht Gott. Er wird beruhigt und empfängt wunderbare Worte des Trostes und der Hoffnung. Es gilt also, auf die Stimme Gottes, d.h. auf das Evangelium zu hören und ihr zu gehorchen, und zwar trotz unserer Zweifel. Die dürfen wir ruhig haben, wir müssen sie nicht selber abstellen. Allerdings sollten wir sie auch nicht allzu lange pflegen. Es nützt nichts, wenn wir viel grübeln, unseren Verstand bemühen und die Vernunft einschalten. Wir sollten einfach nur stand halten und uns auf die Verkündigung der Auferstehung Jesu einlassen.
Dann kommt es zur Begegnung mit ihm, das ist der dritte Punkt. Die Wächter werden gar nicht mehr erwähnt, sie versinken für den Evangelisten in die Bedeutungslosigkeit und fallen aus der Geschichte raus. Die Frauen dagegen erleben etwas sehr Schönes: Sie treffen Jesus selber. Vielleicht waren auch sie bis dahin noch nicht richtig überzeugt, jetzt sind sie sich ganz sicher. Und das heißt für uns: Die Antwort auf die Frage, ob Jesus denn nun wirklich auferstanden ist, bekommen wir nicht in unserem Kopf, sondern in unsrem Leben. Sie vollzieht sich und verändert uns. Die Kraft der Auferstehung, diese starke Energie, die sich in den geschilderten Ereignissen am Grab widerspiegelt, zieht in unser Leben ein. Und es wird hell in uns. Ohne dass wir viel dazu tun, wird unser Geist klar. Wir fühlen uns sicher, gewinnen Zuversicht und Hoffnung. Die Zweifel lösen sich von alleine auf, sie sind plötzlich verschwunden, ohne dass wir viel dazu getan haben. Und mit ihnen verziehen sich auch andere Probleme, die wir eventuell im Leben hatten. Denn uns wird gleichzeitig eine große Freude geschenkt.
Den Frauen ging es so, dadurch wurden sie die ersten Missionarinnen: Sie gaben die Verkündigung weiter und sagten es den Jüngern. Die wiederum gingen später in die Welt hinaus und predigten das Evangelium. Bis heute ist es lebendig geblieben. Und es ist nicht nur eine gute Nachricht, sondern in ihr ist der Auferstandene gegenwärtig. Er stellt sich immer noch vielen Menschen in den Weg, öffnet ihre Augen und Ohren und macht sie zu seinen Jüngern und Jüngerinnen.
Lassen Sie uns dazu gehören, uns nicht verschließen, sondern ihn lieben und immer wieder aufsuchen. Lassen Sie uns an den Auferstandenen glauben und ihm vertrauen. Dann werden wir ihm auch begegnen und können seine Stimme hören.

Amen.

Auf dem Weg – Gerechtigkeit und Frieden

Bereits in den letzten beiden Jahren hat die Nordkirche dazu eingeladen, die Gottesdienste am 5. Sonntag der Passionszeit, dem Sonntag Judika, unter das Motto zu stellen: „Auf dem Weg – Gerechtigkeit und Frieden.“ Diesem Vorschlag haben wir uns heute angeschlossen. Der Gottesdienst hat Raum für Klage und Dank, Bekenntnis und Fürbitte gegeben und sollte uns helfen, unser Engagement für den Frieden nicht aufzugeben. Wir haben uns daran erinnert, dass Gott sich diese Welt friedlich vorgestellt hat. Er will nicht, dass wir Kriege führen. Wir haben deshalb gefragt, wie wir leben können, damit sein Wille geschieht.
Viele Inhalte – auch in der Predigt – sind dem Materialheft entnommen, das das Zentrum für Mission und Ökumene der  Nordkirche für die Gottesdienste an diesem Sonntag zusammengestellt hat.

Predigt über 1. Mose 22, 1- 13: Abrahams Versuchung

Judika, 5. Sonntag in der Passionszeit, 2.4.2017
Luther- und Jakobikirche Kiel

1. Mose 22, 1- 13

1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne
5 und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.
7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.
9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.

Liebe Gemeinde.
„Abraham war bereit, Gott seinen einzigen Sohn zu geben, obwohl ihm Gott doch die Zusage gemacht und gesagt hatte: »Durch Isaak wirst du Nachkommen haben«. Denn Abraham rechnete fest damit, dass Gott auch Tote zum Leben erwecken kann. Darum bekam er auch seinen Sohn lebendig zurück – als bildhaften Hinweis auf die künftige Auferweckung.“ (Hebräer 11,17ff, Übersetzung: Gute Nachricht)
Das ist der Kommentar des Hebräerbriefes zu der Erzählung von „Abrahams Versuchung“. Er steht in einem Kapitel über die Geschichte des Glaubens der Väter. Darin zählt der Verfasser eine lange Reihe von Beispielen hervorragender Glaubenszeugen aus dem Alten Testament auf. Und das war keine neue Idee. Abraham wird bereits im Alten Testament aus verschiedenen Gründen als „Vater des Glaubens“ bezeichnet. Im Hebräerbrief wird hervorgehoben, dass sein Glaube sich in einer extremen Grenzsituation bewährt hat und ihn über die Todesfurcht triumphieren ließ. Die Gewissheit des lebendigen Gottes hat Abraham durch die dunkelsten Stunden seines Lebens getragen.
Aus der Erzählung selbst lässt sich diese Auslegung nicht unbedingt ableiten, denn wir erfahren hier nichts über die Gedanken Abrahams. Im Gegenteil: Es fällt auf, dass er die meiste Zeit schweigt. Was in ihm vorgeht, offenbart er nicht, nicht einmal seinem Sohn.
Aber es ist gut, dass schon der Hebräerbrief eine Interpretation liefert, denn ohne eine solche lässt sich diese Geschichte nicht verstehen und auch nicht ertragen. Sie enthält zu viele Widersprüche und wirkt über weite Strecken böse und abstoßend: Den einzigen Sohn zu opfern, geht bereits gegen die Natur und kann eigentlich nicht von dem Gott gefordert werden, der doch das Leben schuf! Zudem hatte Abraham für seinen Sohn eine besondere Verheißung empfangen. Es muss für ihn völlig unverständlich gewesen sein, dass Gott nun verlangte, ihn zu töten. Gott machte sich dadurch eigentlich unglaubwürdig! Die Verheißung wurde für Null und nichtig erklärt, und das konnte Abraham bestimmt nicht begreifen.
Deshalb herrscht wohl auch dieses bedrückende Schweigen zwischen ihm und seinem Sohn Isaak. Es legt sich fast auf einen selber, wenn man die Geschichte liest. Nur einmal wird es von Isaak unterbrochen, weil der sich wundert: An den Gegenständen, die sie tragen, erkennt er sehr wohl, dass sie ein Opfer bringen wollen. Aber wo war das Tier? Das fragt er seinen Vater. Und um das Kind nicht zu beunruhigen, vielleicht auch weil er in der Tat an die Auferstehung der Toten glaubt, sagt Abraham: „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.“ Dann herrscht wieder Schweigen, bis sie am Ziel sind, und auch dort wird nicht mehr gesprochen, sondern nur noch gehandelt. Am Ende streckt Abraham die Hand aus und nimmt das Messer, um seinen Sohn zu töten.
Erst im allerletzten Augenblick wird er von dieser schrecklichen Tat abgehalten. Eine Stimme ruft ihn und daraufhin lässt er die Hand sinken und hört zu. Er soll dem Jungen nichts tun, sondern anstatt des Kindes einen Widder opfern, der plötzlich im Gebüsch auftaucht. Die Geschichte geht also am Ende gut aus.
Das hebt der Hebräerbrief hervor, und auf dieses Ende möchte auch ich heute einmal unsere Aufmerksamkeit lenken. Wir müssen uns wie gesagt sowieso Gedanken machen, wie wir die Geschichte verstehen wollen, sie erschließt sich nicht von allein. Die Menschen, die sie gelesen haben, taten das deshalb auch von Anfang an, und es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen.
Wer humanistisch denkt, verurteilt die Geschichte z.B. einfach: Das kann nicht Gott sein, der hier spricht, denn er verlangt etwas, das jeder Moral entgegensteht. Abraham muss sich getäuscht haben, als er den Auftrag vernahm. Das war nicht die Stimme Gottes. So lautet ein Argument. Es führt dazu, dass man die Geschichte ablehnt, denn an so einen Gott kann und will man nicht glauben.
Das denken sicher auch viele von uns. Unser Glaube gründet auf ganz anderen Grundsätzen. Wir finden sie im Neuen Testament, und da ist Gott nicht mehr so. Wir halten die Geschichte deshalb für einen Irrtum in der Bibel.
Wenn wir allerdings genau hinschauen, ist der Unterschied zwischen Abraham und dem Neuen Testament gar nicht so groß. Nicht umsonst erwähnt der Hebräerbrief ihn als Glaubenszeugen, und auch Paulus stellt ihn mehrere Male als Vorbild hin.
Lassen Sie uns die Geschichte deshalb nicht einfach bei Seite legen. Wir können uns wie gesagt auf das Ende konzentrieren, dann ist sie gar nicht so grausam und unmenschlich. Denn niemand wird umgebracht. Die Geschichte handelt nicht vom Morden und Opfern, sondern von genau dem Gegenteil: Gott hält das Schwert zurück, er will das Leben und den Frieden. Das kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck. Die Praxis des Menschenopfers wird eindeutig abgelehnt. Sie war auch bereits ferne Vergangenheit, als die Geschichte entstand, es gab sie schon lange nicht mehr. Darauf gründet sich die Erzählung.
Lassen Sie sie uns deshalb einmal mit diesen Voraussetzungen lesen, dann entdecken wir darin vieles, was für unser Leben und unseren Glauben wichtig ist.
Aufschlussreich und sehr eindrücklich ist wie gesagt der Moment, in dem Gott die Hand Abrahams mit dem Messer zurückhält und ihn am Morden hindert. „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts.“ Das war der Befehl des Engels.
Gott ließ sich vernehmen, und das tut er auch heute noch. Es gilt also, inne zu halten und hinzuhören. Es muss die Bereitschaft geben, auf Gottes Friedensstimme zu achten, auf sein Wort. Denn dafür sind viele Menschen taub. Wie taub sind z.B. die Kriegstreiber gegenüber der Mahnung zum Frieden. Unbeirrt verfolgen sie ihre eigenen Ziele. Abraham kann gut auch als ein Bespiel für religiösen Fanatismus gesehen werden. Er ist von unheilvollen Phantasien erfüllt, die immer noch viele Menschen befallen: Gott verlangt Opfer, er will, dass wir andere töten, er will das Blutvergießen. Wenn solche Gedanken das Handeln bestimmen, entsteht eine Logik des Krieges und der Gewalt. Falsche Gewissheiten machen die Menschen für alles andere blind und taub. Abraham erinnert uns daran, dass es das geben kann, dass das aber nicht der Wille Gottes ist. Er lädt uns ein, genau hinzuhören, und am Ende das zu tun, was dem Frieden dient.
Lassen Sie uns also fragen, wie das geht. Dazu gehört es als erstes, dass wir zugeben: Keiner und keine von ist so, wie Gott das möchte. Wir tragen alle die Keime von Hass und Neid in uns. Wie oft wollen wir z.B. mehr haben, als unser Nachbar oder unsere Nachbarin hat, wollen stärker sein als unsere Geschwister und besser als die Kollegen. Unser Geist verfinstert sich dann, weil wir neidisch sind. Auch gegenüber der Not unserer Mitmenschen verschließen wir uns gern. Wir sehen die Fremden mit Misstrauen, und innerlich ballen sich unsere Hände zu Fäusten. Das müssen wir zugeben. Es ist wichtig, dass wir ehrlich sind und unsere Sünde erkennen. Denn nur dann können wir den nächsten Schritt gehen und Gott um Hilfe bitten. Wir können ihn bitten, auf uns Acht zu geben, uns beizustehen und uns zur Ordnung zu rufen.
Dann hält er unsere Hand mit dem Messer zurück, er gebietet uns Einhalt und öffnet die geballten Fäuste. Er lässt uns teilen. Er macht uns bereit zu geben, was der andere braucht und dankbar anzunehmen, was wir haben. Er kann uns auf den Weg der Gerechtigkeit führen.
Und auf diesem Weg sind wir nicht allein. Denn als Christen haben wir jemanden, der uns hilft, den Weg des Friedens zu gehen. Es ist Jesus Christus selber, der lebt und uns begleitet. Dieser Gedanke bietet eine weitere Möglichkeit, die Geschichte von Abraham und Isaak zu interpretieren: Das geopferte Schaf oder Lamm ist ja ein Symbol für Christus geworden. Nicht umsonst lesen wir die Erzählung in der Passionszeit, in der es um das Leiden und das Opfer geht, das Gott selbst durch den Tod seines Sohnes für uns gebracht hat, damit wir gerettet werden.
All unsere Sünden, unser Unfriede und sogar Kriege können dadurch überwunden werden. Denn wir dürfen daran glauben, dass wir nie allein sind. Gott kennt unsere Not, die Ungerechtigkeit und den Hass. Er hat das selber erlitten und geduldig ertragen. Mit dem Sterben Christi ist er in die tiefsten Tiefen unseres menschlichen Lebens hinabgestiegen, und mit seiner Auferstehung ist er daraus wieder hervorgegangen. Und dadurch haben wir immer und überall eine Quelle des Guten, die Kraft der Liebe und einen Grund zur Hoffnung. Wir müssen nur auf Jesus Christus vertrauen, dann können wir die Erfahrung machen, dass jemand da ist, der uns beisteht und uns zum Frieden führen möchte.
Es gibt dafür auch konkrete Beispiele. So berichtet ein Pastor aus Papua Neuguinea, dass es dort Anfang der 70er Jahre einen erbitterten Krieg zwischen zwei Stämmen gegeben hat, der sechs Jahre lang dauerte. Hunderte von Menschen auf beiden Seiten wurden getötet, Häuser verbrannt und Kaffeebäume vernichtet. Doch es gab einen Funken von Frieden mitten im Krieg, und das war die christliche Botschaft. Die meisten Menschen hatten den christlichen Glauben angenommen, und trotz des herrschenden Hasses wirkte die Botschaft des Friedens tief in den Herzen der Krieger. So kam es eines Tages zu dem lang ersehnten Frieden. Die wenigen Pastoren und Evangelisten beschlossen buchstäblich als Friedensträger mitten in die Kampfzone zu gehen. An einem besonders schlimmen Tag traten die Gottesmänner zwischen die beiden kriegerischen Stämme, bekleidet mit ihren Talaren und bewaffnet mit einem einzigen Kreuz. Das Kreuz war hoch genug, dass beide Seiten es deutlich sehen konnten. An dem Kreuz oben hing ein rotes Tuch, befestigt wie eine Flagge, auf dem ein weißes Abbild vom Lamm zu sehen war, das ebenso ein Kreuz trug. Zunächst passierte nichts, doch dann konnte man wahrnehmen, dass die Krieger tatsächlich aufgehört hatten, aufeinander zu schießen. Die Kreuzträger standen einfach da, ohne etwas zu sagen. Es herrschte eine tiefe und lange Stille, bis einer der Pastoren das Wort ergriff. Er dankte den Kriegern, dass sie aufgehört hatten zu kämpfen, und forderte sie auf, diesen Moment des Waffenstillstandes dauerhaft zu machen. Ein Kämpfer nach dem anderen legte daraufhin die Waffen nieder und verließ das Schlachtfeld. Und damit begann die Friedenszeit, die bis heute anhält. Natürlich waren die Friedensverhandlungen noch einmal sehr intensiv, ein Kompromiss wurde gefunden, der für beide Seiten ein harter Preis war. Doch die Saat des Friedens war aufgegangen. Das Kreuz hat als Symbol des Friedens seine Kraft entfaltet und die Feindseligkeiten beendet. (Erzählt von Pastor Maiyupe Par, Evangelisch-Lutherische Kirche in Papua-Neuguinea, Ökumenischer Mitarbeiter im Zentrum für Mission und Ökumene in der Nordkirche)
Und das ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass Jesus Christus lebt. Er ist gegenwärtig und schenkt uns die Kraft des Friedens. Wir müssen nur auf das Kreuz schauen und ihn um Hilfe bitten. Dann sinken in seinem Namen die Schwerter und Leben wird möglich.
Es lohnt sich also, im Glauben an Christus immer wieder für den Frieden einzustehen. Durch seine Gegenwart können wir über den Hass und über die Todesfurcht triumphieren. Die Gewissheit des Auferstandenen führt uns durch die dunkelsten Zeiten. Sie macht uns stark und liebend und hoffnungsvoll.
Und wenn uns trotzdem einmal der Mut verlässt, weil so viele Konflikte nicht gelöst werden, viele Kriege kein Ende finden, dann sollten wir trotzdem nicht aufgeben. Wir können uns das mit dem Frieden so vorstellen, wie Dorothee Sölle es einmal aufgeschrieben hat. Sie sagt:
„Als ich einmal sehr deprimiert war, hat mir ein Freund, ein Pazifist aus Holland, etwas sehr Schönes gesagt: »Die Leute im Mittelalter, welche die Kathedralen gebaut haben, haben sie ja nie fertig gesehen. Zweihundert oder mehr Jahre wurde daran gebaut. Da hat irgendein Steinmetz eine wunderschöne Rose gemacht, nur die hat er gesehen, das war sein Lebenswerk. Aber in die fertige Kathedrale konnte er nie hineingehen. Doch eines Tages gab es sie wirklich. So ähnlich musst du dir das mit dem Frieden vorstellen«. “ (aus: Dorothee Sölle, Gegenwind. Erinnerungen, Freiburg i. Br. 2010, S. 205)
Amen.