Das Reich Gottes wächst von allein

Predigt über Markus 4, 26- 29: Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat

Sommerpredigt „Mutter Erde“, 28.7.2019
9.30 Uhr und 11 Uhr Luther- und Jakobikirche Kiel

Luft, Wasser und Feuer, diese drei Energiequellen standen im Mittelpunkt unserer letzten Gottesdienste. Heute war eine vierte Kraft unser Thema, die Erde. Wir folgten damit der antiken Vorstellung von den vier Elementen, aus denen sich das Leben zusammensetzt. Franz von Assisi hat das in seinem Gesang über die Schöpfung ebenfalls aufgegriffen. „Mutter Erde“ gehört zu seinen „Geschwistern“ wie die Sonne, der Mond, die liebenden Menschen und alle anderen Kräfte, die diese Welt erhalten.
Die Erde  erhält und ernährt uns. Sie bringt von allein Kräuter und Pflanzen hervor. Für Jesus war das ein Gleichnis für das Reich Gottes. Auch das wächst von allein. Die Predigt behandelt die Frage, was das für unseren Glauben und die Kirche bedeutet.

Markus 4, 26- 29

26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft
27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.
28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.
29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Liebe Gemeinde.

„Ein Haus wird abgerissen, das Grundstück liegt brach – und entwickelt sich zum Hotspot der Artenvielfalt.“ So begann vor Kurzem ein Artikel in den Kieler Nachrichten über eine Fläche in Probsteierhagen, auf der ein Bankgebäude gestanden hatte. Sie sollte eigentlich regelmäßig gemäht werden, doch zwei Menschen vom Umweltbeirat baten darum, sie sich selbst zu überlassen. Sie untersuchten sie dann regelmäßig und stellten in diesem Jahr fest: Es hat sich etwas ganz besonderes entwickelt. „Sensationelle 161 Pflanzenarten konnten identifiziert werden, darunter etliche Rote-Liste-Arten wie die Wilde Malve, der Gewöhnliche Hornklee, die Kuckuckslichtnelke“ und vieles mehr. Der Grund dafür liegt buchstäblich im Boden. „Der ist nicht nur kalkreich, locker und besonnt, sondern geradezu jungfräulich.“ Er bietet vielen selten gewordenen Pflanzen ideale Bedingungen. Die Fläche soll nun für zwei bis drei Jahre brach liegen gelassen werden. Die beiden Betreuer wollen lediglich darauf achten, dass sie nicht „verbuscht“. Denn alle reden davon, wie wichtig es ist, dass wir nicht „jede Ecke sauber halten“ und versiegeln, sondern blühenden Pflanzen Raum geben. (KN, 13.7.2019, S. 11)

Sie dienen nicht nur der Freude, sondern auch dem Erhalt der Umwelt. Wir brauchen die Artenvielfalt. Das wusste schon Franz von Assisi und er besang die Erde mit den Worten: „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.“

Schon immer war der Boden für die Menschen von existentieller Bedeutung, denn er erhält und ernährt uns. Weil die meisten Menschen von der Landwirtschaft lebten, gibt es dazu auch in der Bibel etliche Geschichten, sowohl im Alten wie im Neuen Testament. Viele Leute, mit denen Jesus redete, führten ein agrarisches Leben. Deshalb griff er ihre Erfahrungen gerne in seinen Gleichnissen auf. Eins davon haben wir vorhin gehört. Es handelt von der „selbstwachsenden Saat.“

Jesus beschreibt darin den Weg und die Entwicklung, die das Samenkorn macht, bis es Frucht bringt: Zuerst wird es auf den Acker geworfen. Dann dauert es eine Weile, bis es in der Erde gekeimt hat und einen Halm hervorbringt. Der stößt alsbald durch die Oberfläche, und an diesem Halm wächst langsam die Ähre. Sie bringt die Körner hervor, die Frucht, die geerntet werden kann.

Und das alles geschieht „von allein“. Der Bauer, der gesät hat, muss nichts dazu tun, damit dieses Wachstum stattfindet. Er muss nur die Tage und Nächte verstreichen lassen, es passiert „automatisch“, d.h., „selbsttätig, aus eigenem Antrieb und ohne fremdes Zutun“.

Und genau das ist hier der Vergleichspunkt: die unerklärliche Selbstwirksamkeit der ausgestreuten Saat. Genauso wächst das Reich Gottes von alleine. Wie die Kräfte im Boden verborgen sind, so entsteht auch das Reich Gottes durch eine unsichtbare Kraft. Wie wir in der Natur auf das selbsttätige Wachsen und Gedeihen vertrauen können, so können wir für das Reich Gottes daran glauben, dass Gott im Verborgenen am Werk ist und Früchte hervorbringt.

Das ist die Botschaft Jesu, und die ist wichtig und wohltuend. Es wurde in den Medien ja gerade mal wieder darüber berichtet, dass die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren und schrumpfen. Das beunruhigt viele, besonders natürlich uns, die noch dazu gehören. Neu ist uns das nicht, im Gegenteil, wir kennen das bereits und fragen uns ständig, was wir tun müssen, um diesen Trend zu stoppen. „Mehr Selbstkritik üben“, hieß es in einem Kommentar, und das ist natürlich nicht verkehrt. Jeder Aufbruch fängt damit an, dass man sich fragt, was anders werden muss. Aber das hat offensichtlich jemand geschrieben, der die Kirche nicht von innen kennt. Ich habe nämlich den Eindruck, dass wir fast gar nichts anderes mehr tun. Überall und immer geht es in Gemeinden, auf Konventen, an der theologischen Fakultät usw. um dieselbe Frage: Was machen wir falsch? Was müssen wir besser machen? Und tun wir genug?

Ich finde das langsam ermüdend und behaupte sogar, dass genau diese Frage das echte Wachstum verhindern oder zumindest beeinträchtigen kann. Sie ist zwar wichtig, aber oft wird sie nicht richtig gestellt. Sie ist meistens viel zu weltlich gemeint, zu menschlich, zu pragmatisch. Ich erinnere mich noch gut an den Diakon in meiner Vikariatsgemeinde. Der sagte gern, wenn die Kirchenglocken läuteten: „Die Firma ruft.“ Das war natürlich witzig gemeint, und ich musste auch lachen, aber es offenbart eine traurige Tatsache: Wir sehen die Kirche oft so, als sei sie eine Firma, eine Bildungseinrichtung, eine Partei oder etwas ähnlich Irdisches. Und das ist sie eben nicht. Sie ist vielmehr ein Abbild des Reiches Gottes, und dem liegen ganz andere Kriterien zu Grunde, als unseren weltlichen Betrieben. Mit einfachen Strategieüberlegungen kommen wir nicht weiter. Lasst uns deshalb fragen, worin unser wahrer Beitrag zum Wachstum des Reiches Gottes liegen kann.

Dabei ist es zunächst wichtig, dass wir uns klar machen, was wir haben. Das Gleichnis Jesu sagt dazu: Ihr habt den Samen und den Boden: Dabei ist der Same zweierlei: Zum einen ist er das Wort Gottes. Das ist aufgeschrieben und wird bis heute verkündet. Es ist lebendig und kräftig und wirkt jederzeit und an allen Orten auf der Erde. Durch das Hören wird es in die Menschen hineingelegt, und wer es annimmt, lässt sich taufen. Die Taufe können wir als den anderen Samen verstehen. Viele Menschen haben sie erhalten, und das ist wie ein Keim, der in ihnen schlummert und an die Oberfläche kommen möchte. So können wir das Bild von den Samen anwenden.

Was nun den Boden betrifft, auf dem diese Samen wachsen, so ist er demnach das Innere jedes und jeder Einzelnen, der oder die das Wort Gottes und die Taufe empfangen hat, unser Geist und unsere Seele. In uns will das Wort Gottes keimen, und die Taufe ihre Kraft entfalten. Das ist das andere, was wir haben, und beides ist grundlegend für das Reich Gottes. Es wurde uns gegeben und ist da.

Doch natürlich brauchen wir auch etwas. Es muss Bewegung da sein, Wachstum und Gedeihen, und damit das geschehen kann, ist durchaus zusätzlich etwas nötig. Und was das ist, lässt sich sehr schön mit der Geschichte aus Probsteierhagen vergleichen. Die beiden Experten, die die Wiese entdeckten und retteten, haben nämlich nichts anderes getan, als dass sie aufmerksam waren, geduldig und liebevoll. Und diese drei Schritte sind auch für das Wachsen des Reiches Gottes das wichtigste. Lasst uns darüber also noch einmal nachdenken. Und da ist schon etwas Selbstkritik angesagt, denn genau das tun wir oft nicht.

Zunächst geht es um die Aufmerksamkeit, um das Hinsehen und Wahrnehmen. Wir haben damit so unsere Probleme, denn unser Blick ist oft verstellt. Wir sind blind für das, was da ist, übersehen es, weil wir mit etwas anderem beschäftigt sind. Wir machen uns viel zu schnell unsere eigenen Gedanken, entwickeln Pläne und haben Ideen. Durch genügend Eifer, Leistung, Geld, und die richtigen Programme wird es schon gelingen, das Reich Gottes zu bauen. Das ist unsere weit verbreitete Meinung, doch genau die verhindert es, dass wir sehen, was längst da ist, und das liegt in uns. Anstatt uns nach außen zu wenden, sollten wir zunächst einmal in uns gehen und wahrnehmen, was Gott in uns hineingelegt hat. Wir sind der Boden, in dem sein Same gedeihen will, und alles beginnt damit, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Seele und unseren Geist lenken. Das ist der erste Schritt.

Als zweites brauchen wir dann natürlich Geduld. Es hat keinen Zweck, das Wachstum des Reiches Gottes nach unseren eigenen Vorstellungen herbeizwingen zu wollen, zu manipulieren und selber Hand anzulegen. Damit erreichen wir nichts. Denn nur wer geduldig ist, kann erkennen, wie das Reich Gottes entsteht. Der Ruf zur Geduld beinhaltet also gleichzeitig den Ruf zum Vertrauen auf Gottes Kraft, es ist ein Ruf zum Glauben, dass Gott in wunderbarer Weise aus den kleinsten Anfängen große Ereignisse wirken kann.

Das Samenkorn muss ja sterben, um Frucht zu bringen, es muss in die dunkle Erde, um dann wieder ans Licht zu gelangen, zu wachsen und zu reifen. Genauso ist es mit dem Reich Gottes. Wer sich danach sehnt, muss leidensfähig und geduldig sein, anspruchslos und ruhig. Alles andere ist wie das Zerren an einer Pflanze, die gerade aus der Erde hervorbricht. Wir fördern damit nicht ihr Wachstum, wir zerstören sie nur. Denn wir reißen ihre Wurzeln aus, und dadurch stirbt sie. Der zweite Schritt besteht also in der Geduld, in der Leidensbereitschaft und inneren Ruhe.

Und als drittes ist die Liebe nötig, Gewaltfreiheit und Friede. Auch die fehlen uns oft, denn wir sind nicht selten aggressiv und selbstherrlich. Vieles entspricht nicht unseren Vorstellungen und macht uns ärgerlich und wütend. Immer wieder stehen uns andere Menschen mit ihren Ideen im Weg, das ist unser Erleben, und wir geben ihnen gern die Schuld dafür, dass Dinge nicht gelingen. Wir verurteilen uns gegenseitig, oder verachten uns sogar. Und das gilt es zu beenden, zu allererst in unserem eigenen Umfeld. Pflanzen und Wiesen müssen liebevoll gehegt und gepflegt werden. Sie wachsen zwar von allein, aber sie brauchen unseren Schutz und unsere Zuwendung. Und diese Fähigkeit haben wir alle, wir müssen sie nur einsetzen und entwickeln. Es gilt, uns im Frieden und in der Liebe zu üben und uns selber immer wieder zurückzunehmen, loszulassen und zuzulassen. Genau das ist das wesentliche Merkmal des Reiches Gottes, und es kann nur wachsen, wenn wir das beherzigen.

Doch wenn wir so handeln, geschieht viel mehr, als wir ahnen. Der Same kann keimen, Kraft entfaltet sich, das Leben wird schön und das Reich Gottes gedeiht. Und zwar geschieht es selbsttätig, ohne fremdes Zutun. Denn die Liebe breitet sich automatisch aus. Sie steckt an und springt von einem auf den anderen über. So wie viele Blumen sich selber aussäen, fällt auch der Same, der sich in uns entwickelt, in andere hinein, in einen neuen Mutterboden, wo er dann ebenso wachsen und gedeihen kann.

So entsteht das Reich Gottes: Der Same und der Boden sind uns gegeben. Was wir brauchen, damit die Früchte gedeihen können, sind Aufmerksamkeit, Geduld und Liebe. Dann wird es sowohl in unserem eigenen Leben als auch in der Welt schöner, bunter und lebendiger.

Die Wiese in Probsteierhagen ist dafür ein schönes Bild, und sie ist ja zum Glück auch nicht der einzige Fleck in unserem Land, der sich so natürlich entwickeln darf. Es gibt seit dem letzten Jahr das Programm „Schleswig-Holstein blüht auf“. Das ist eine Initiative der Landesregierung: Landwirtschaften, Kommunen und Unternehmen wird dafür kostenlos blütenreiches Saatgut bereitgestellt. Und das Ergebnis ist gut. Über 200 Landwirtinnen und Landwirte beteiligten sich bislang an der Initiative und erhielten die Saatmischung „Bienenweide“ für die Anlage von Blühstreifen auf Ackerschlägen. „Auf insgesamt 350 Hektar Fläche bereicherten Sonnenblumen, Malven, Ringelblume und Co die Landschaft. Auch Kommunen und Unternehmen zeigten großes Engagement für Blüten und Insekten.“ Und das ist großartig. Denn nur wenn wir die Natur geduldig pflegen und mit Liebe behandeln, kann es auch uns gut gehen.

Lasst uns diese Einsicht deshalb ebenso auf die Kirche und das Reich Gottes übertragen, denn da gelten die gleichen Gesetzmäßigkeiten: Uns ist mit dem Wort Gottes viel anvertraut, lasst uns deshalb dafür sorgen, dass es wachsen und gedeihen kann.

Amen.

 

Jesus gibt uns lebendiges Wasser

Predigt über Johannes 4, 1- 14: Jesus und die Frau am Jakobsbrunnen

Sommerpredigt: Wasser, 14.7.2019,
9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Im Sommer sind wir viel draußen und erleben die elementaren Kräfte der Natur. Wir spüren den Ursprung des Lebens. Nach der Lehre der alten Griechen besteht es durch vier Grundelemente: „Erde“, „Wasser“, „Luft“ und „Feuer“. Das brachte auch Franz von Assisi in seinem Sonnengesang zum Ausdruck. Dabei waren für ihn die Energien in der Natur Hinweise auf die Kraft Gottes, und er pries den Schöpfer durch sie. Das Lied, das er darüber schrieb, nennen wir den „Sonnengesang“.
Wir haben für den Sommer eine Reihe von vier Predigten zuammengestellt, in denen wir den Worten des heiligen Franziskus folgen und  mit ihm die Luft, das Wasser, das Feuer und die Erde betrachten. Heute stand das Wasser im Mittelpunkt. Franziskus nennt es seine „Schwester“ und sagt, dass es „gar nützlich ist und demütig und kostbar und keusch.“ In der Bibel und auch in der geistlichen Tradition dient es oft als Symbol für die göttliche Kraft, für das, was er uns gibt.
Wir haben deshalb bedacht, wie kostbar das Wasser ist, und sind im Geiste gleichzeitig zu dem „Brunnen des Heils“, gegangen, durch dessen Wasser nicht nur unser leiblicher sondern auch unser seelischer Durst gelöscht wird.

 Johannes 4, 1- 14

5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab. 6 Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde. 7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. 9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. – 10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. 11 Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? 12 Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. 13 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; 14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.

Liebe Gemeinde.

Am liebsten würde sie mit dem Wasser spielen, in der Hitze plantschen, so wie es fünfjährige Mädchen rund um den Globus gerne tun. In Somalia aber wissen schon kleine Kinder wie Nura, dass man jeden Tropfen sauberes Wasser sorgsam auffangen und es auch erst einmal aus der Tiefe holen muss. Dafür hat die Hilfsorganisation Unicef gemeinsam mit den Familien Solarpumpen installiert und damit viele sichere Wasserquellen erschlossen. Für Nura und ihre Familie ist die Freude darüber groß. Das Leben ist einfacher geworden. Kinder müssen nicht mehr stundenlang unterwegs sein, um zur einzigen Wasserquelle der Umgebung zu gelangen. Auch vor Hunger, Krankheit und Tod hat der dauerhafte Zugang zu sicherem Trinkwasser etliche Menschen in dem Land bewahrt, das immer wieder extremer Dürre ausgesetzt ist.

In unseren Breitengraden wissen wir den hohen Wert des Wassers oft kaum zu schätzen, denn wir haben genug davon und es kommt einfach aus dem Wasserhahn. Dabei ist es nach wie vor eine der wertvollsten Ressourcen, die unsere Erde hat. Ohne Wasser gäbe es keine Leben. Nicht umsonst nennt Franziskus es „kostbar“.

In biblischen Zeiten lag dieses Wissen den Menschen wahrscheinlich noch viel näher, denn es ging ihnen ähnlich wie Nura: Sie mussten das Wasser erst einmal gewinnen, bevor sie es trinken konnten, und holten es aus Brunnen oder sammelten es in Zisternen.

So tat es auch die Frau, von der das Johannesevangelium im vierten Kapitel erzählt. Jesus traf sie an einem Brunnen in der Gegend Samaria in der Mitte Palästinas. Es handelte sich um den sogenannten Jakobsbrunnen, der eine Tiefe von 32 Metern hat. Es gibt ihn auch heute noch. Unten sprudelt frisches Quellwasser.

Jesus kam in der Mittagshitze erschöpft bei diesem Brunnen an und setzte sich zum Ausruhen auf den Rand. Dann kam die Frau, um dort wie gewohnt Wasser zu schöpfen, und Jesus sprach sie an. Das war ungewöhnlich, und brachte die Frau in Verlegenheit. Denn die beiden waren allein dort, und diese Situation war aus zwei Gründen für beide schwierig: Erstens sprach – nach damaliger Sitte – ein jüdischer Mann nicht eine Frau an, und zweitens herrschte zwischen Juden und Samaritern Feindseligkeit. Jeglicher Kontakt war verboten.

Darauf wies die Frau Jesus zunächst hin, doch er ignorierte das. Er wollte mit ihr sprechen und eröffnete den Dialog mit der Bitte um Wasser. Dabei ging es ihm von Anfang an um das, was er ihr – und damit allen Menschen – geben kann. Er nannte es geheimnisvoll „lebendiges Wasser“. Die Bitte war also nur ein Vorwand, um dieses Symbol einzuführen.

Das merkte die Frau allerdings nicht, sie wunderte sich nur über diesen Fremden und missverstand ihn. Natürlich dachte sie daran, dass er das frische Quellwasser meinte. Warum war er dann aber ohne Schöpfgerät gekommen? Sie redeten aneinander vorbei, denn Jesus verstand unter „lebendigem Wasser“ etwas anderes, das einen tieferen Sinn hat. Er sagte: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“

Um diese Botschaft ging es ihm, und sie bedeutet: „Ich kann dir etwas schenken, das ewig bleibt. Du wirst keinen Durst mehr haben, wenn du das empfängst.“ Jesus sprach von einem Wasser, das im Inneren des Menschen zu einer Quelle wird, die zum ewigen Leben sprudelt.

Und das dürfen wir auch auf uns beziehen: Wenn wir an ihn glauben, wird unser Lebensdurst und unsere Sehnsucht nach der Ewigkeit gestillt. Wir müssen nicht auf noch mehr oder etwas Besseres warten. Es gilt vielmehr, in vollen Zügen das aufzunehmen, was Jesus uns gibt. Er kann uns ganz erfüllen, und dadurch können wir selber zu einer Quelle lebendigen Wassers werden.

Doch was bedeutet das nun? Welche Folgen hat das für unsere Lebensführung und für unser Handeln? Was sollen wir als Christen tun?

Wenn wir darüber im Zusammenhang mit dem Thema „Wasser“ nachdenken, liegt der Gedanke nahe, dass wir dieses kostbare Gut schützen und möglichst jedem zugänglich machen müssen. Genauso wie die samaritanische Frau in unserer Geschichte denken wir bei Wasser an das Gut, das wir alle zum Leben brauchen, das unseren leiblichen Durst löscht. Wir unterstützen deshalb gerne Initiativen, die dafür sorgen, dass auch Menschen in trockeneren Gegenden genug zu trinken haben. Wir leisten Entwicklungshilfe und appellieren an unser Gewissen, das Wasser rein zu halten, es nicht zu verschwenden und gerecht zu verteilen. Und das ist auch gut  und christlich.

Doch es ist noch lange nicht alles, was bei diesem Thema wichtig ist. Es geht Jesus um noch viel mehr. Und was das ist, können wir uns gut vergegenwärtigen, wenn wir nach den Ursachen der Probleme fragen. Die Gründe für die Wasserknappheit in vielen Ländern sind nämlich lange nicht nur Trockenheit und Dürre, sondern liegen meistens bei Menschen und sind psychologisch zu erklären: Die Gier der Reichen und Regierenden steckt dahinter. Sie nutzen die Ressourcen für sich, und der Rest der Bevölkerung ist ihnen egal. Sie wollen Reichtum und Macht. Und das ist ein allgemeines Phänomen und hat etwas mit einer unstillbaren Sehnsucht zu tun, die in uns allen wohnt.

Das hat Ernesto Cardenal einmal sehr schön beschrieben. Er war ein Priester in Nicaragua, der in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die Ungerechtigkeiten in seinem Land anprangerte und sich auf die Seite der Armen stellte. Er vertrat ein Christentum der bedingungslosen Liebe zu Jesus und zu den Menschen. Und er hatte eine große dichterische Gabe. Mit seinem „Buch über die Liebe“ wurde er weltberühmt. Und darin sagt er an einer Stelle:

„In den Augen aller Menschen wohnt eine unstillbare Sehnsucht. In den Pupillen der Menschen aller Rassen, in den Blicken der Kinder und Greise, der Mütter und liebenden Frauen, in den Augen des Polizisten und des Angestellten, des Abenteurers und des Mörders, des Revolutionärs und des Diktators und in denen des Heiligen: in allen wohnt der gleiche Funke unstillbaren Verlangens, das gleiche heimliche Feuer, der gleiche tiefe Abgrund, der gleiche unendliche Durst nach Glück und Freude und Besitz ohne Ende. Dieser Durst, den alle Wesen spüren und von dem auch im Gleichnis von der Samariterin am Brunnen gesprochen wird, ist die Liebe zu Gott.

Um dieser Liebe willen werden alle Verbrechen begangen und alle Kriege gekämpft, ihretwegen lieben und hassen sich die Menschen. Um dieser Liebe willen werden Berge bestiegen und die Tiefen der Meere erforscht, für sie wird geherrscht und intrigiert, gebaut und geschrieben, gesungen, geweint und ge­liebt. Alles menschliche Tun, sogar die Sünde, ist eine Suche nach Gott, nur sucht man Ihn meistens dort, wo er am wenig­sten zu finden ist. […]
Überall suchen wir Gott, auf Festen und Orgien und Reisen, in Kinos und Bars, und doch finden wir Ihn einzig und allein in uns selbst.
In jedem Innern leuchtet die gleiche Flamme, brennt der gleiche Durst. […]
Der Liebende, der Forscher, der Geschäftsmann, der Agitator, der Künstler und der kontemplative Mönch, alle suchen sie dasselbe, nämlich Gott und nichts als Gott. […]
Gott ist die Heimat aller Menschen. Er ist unsere einzige Sehn­sucht. Gott ist im Innersten aller Kreatur verborgen und ruft uns. Wir hören seinen Ruf in der Tiefe unseres Wesens wie die Lerche, die frühe von ihrer Gefährtin geweckt wird, oder wie Julia, die Romeo unter ihrem Balkon pfeifen hört.“ (Ernesto Cardenal, das Buch von der Liebe, Lateinamerikanische Psalmen, Wuppertal, 1978, S. 20f)

Das ist der Punkt, den Jesus mit seinem Vergleich meint. Er macht darauf aufmerksam, dass alles Materielle und die Dinge dieser Welt nie ausreichen, um unseren tiefsten Durst zu löschen. Im Gegenteil: Sie machen unzufrieden, rücksichtslos und egoistisch. Und darin haben die meisten Probleme auf der Welt ihren Grund: Wir versuchen unseren Durst mit etwas zu löschen, das ihn in Wirklichkeit nur noch schlimmer macht.

Und da setzt die christliche Lebensführung an. Sie beschäftigt sich nicht nur mit den Symptomen, sondern auch mit den Ursachen der menschlichen Probleme. Wir haben etwas, das tiefer geht. Es ist das „lebendige Wasser“, das Jesus uns gibt. Es zu trinken bedeutet, einfach an ihn zu glauben und ihm nachzufolgen. Das ist in sich selber sinnvoll und die wichtigste Aufgabe, die wir als Christen haben. Darin sollte unser vornehmliches Tun liegen.

Konkret heißt das, dass wir in unserer Lebensführung aufhören müssen, uns selber glücklich machen zu wollen. Anstatt jedes Mal nach vergänglichen Gütern zu greifen, wenn wir einen inneren Durst verspüren, sollten wir ihn immer mal wieder aushalten. Es gilt, unsere Sehnsucht zu ertragen und uns für das zu öffnen, was Jesus uns schenkt. Er lädt uns ein, zu ihm gehen, zu ihm zu rufen und um seine Hilfe zu bitten. Sie ist sofort da, wenn wir das tun. Genauso wie die Samariterin ihn einfach getroffen hat, müssen wir nicht auf ihn warten. Er will mit uns reden und uns beschenken, und das geschieht beim Gebet. Es ist wie das Trinken des Wassers, das er uns gibt. In vollen Zügen fließt seine Kraft und Liebe dabei in uns hinein. In demselben Moment, in dem wir ihn im Geiste treffen, wird „unser Durst ganz gelöscht“.

Und wenn das geschieht, brauchen wir tatsächlich nicht mehr. Die tiefen Schichten in unserer Seele werden angerührt, wir bekommen Leben und Kraft. Wir können plötzlich lieben, wo wir vorher vielleicht wütend waren. Wir werden gelassen und mit Geduld und Freude erfüllt. Wir sind ganz von selber zufrieden und glücklich, auch im Leid, auch dann, wenn wir das eine oder andere, was die Welt so bietet, vielleicht nicht haben, und sich nicht alle unsere irdischen Wünsche erfüllen. Denn Jesus stillt den Durst der Seele ganz.

Und diese Erfahrung sind wir den Armen und Bedürftigen in der Welt genauso schuldig, wie frisches Trinkwasser. Wir haben als Christen eine Gabe, die sie zum ewigen Leben führt, und nach der sie genauso dürsten, wie alle Menschen. Christliches Handeln beinhaltet mit Sicherheit Nächstenliebe und auch Entwicklungshilfe. Natürlich ist es unsere Aufgabe, die materiellen Bedürfnisse der Armen zu befriedigen, sie vor Hunger, Unterdrückung und Tod zu bewahren oder zu retten. Auch gegen Umweltverschmutzung und Ungerechtigkeit gilt es, die Stimme zu erheben. Aber wir haben den Menschen zusätzlich noch etwas Größeres zu bieten, etwas das über diese Welt hinaus weist, das sie ganz erfüllt und ihre Seele ruhig macht.

Das kleine Mädchen Nura aus Somalia, von dem ich zu Anfang erzählte, wird vielleicht eines Tages danach fragen. Sie wird noch mehr haben wollen, als Wasser zum Trinken, etwas, das bleibt und sie bestimmt glücklich macht. Und das wird auch sie nur finden, wenn sie vom „lebendigen Wasser“ trinkt und sich in Ewigkeit geliebt weiß. Dann wird ihre Freude wirklich groß und ihr Leben schön und unbeschwert.

Amen.