Predigt über Johannes 12, 12- 19: Der Einzug in Jerusalem
6. Sonntag in der Passionszeit, Palmarum, 29.3.2015, Lutherkirche Kiel
Johannes 12, 12- 19
12 Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme,
13 nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!
14 Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9):
15 »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«
16 Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.
17 Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat.
18 Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.
19 Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, aalle Welt läuft ihm nach.
Liebe Gemeinde.
Wenn Staatsoberhäupter oder Stars empfangen werden, darf der Rote Teppich nicht fehlen. Er wird meist lang ausgerollt, auf Treppen, aber auch am Flughafen, und soll die Bedeutung der Personen, die darüber gehen, zum Ausdruck bringen.
Seine Geschichte ist Jahrtausende alt. Bereits im antiken Griechenland wurde der rote Teppich den Kriegshelden bei ihrer Rückkehr ausgelegt. Er war purpurrot, weil diese Farbe lange Zeit ein kostspieliger Luxus war, den sich nur einflussreiche Menschen leisten konnten. Bis heute verbinden wir mit dieser Farbe Eleganz und Einfluss, Liebe und Freude. Für die Helden von heute, Könige, Präsidenten und Filmgrößen gehört der Gang über den Roten Teppich zum Geschäft. Der Effekt ist derselbe geblieben: Bewunderung.
Wenn die Menschen in Jerusalem, die Jesus damals empfangen haben, einen roten Teppich zur Hand gehabt hätten, dann wäre er auch für ihn ausgerollt worden. Doch sein Einzug in die Stadt geschah eher spontan, er war nicht vorbereitet, und so improvisierten die Leute. Sie behalfen sich mit ihren Kleidern und Palmenzweigen.
Wir kennen die Geschichte alle. Beim Einzug Jesu in Jerusalem lief die Menge zusammen und begrüßte ihn überschwänglich. Es waren die Festpilger, die sowieso schon nach Jerusalem gekommen waren. Denn das alles ereignete sich kurz vor dem Passahfest. Da war die Stadt voller Menschen, die von überall her angereist waren, um zu feiern. Viele von ihnen kannten Jesus bereits oder hatten zumindest etwas von ihm gehört. Sie wussten, er konnte Wunder tun, und sie hielten ihn für den Messias, den großen Retter. So begrüßten sie ihn wie einen politischen König, einen Befreier, der ein neues Reich aufbauen würde. Sie nahmen Palmenzweige und riefen: „Hosianna“. Das heißt auf Deutsch: „Hilf doch“. Das war normaler Weise der Gruß für den König beim Einzug in den Tempel. Und so nennen sie Jesus auch: „König von Israel.“
Der Grund für diese Huldigung war ein Wunder, das er kurz vorher bewirkt hatte. Er hatte Lazarus von den Toten auferweckt, einen Mann, den einige von ihnen kannten. Die Nachricht darüber hatte sich in Windeseile in der Stadt verbreitet, und die Menschen waren entsprechend begeistert und aufgeregt. Es ist verständlich, dass sie ihn mit Tanz und Gesang willkommen hießen.
In Wirklichkeit passte das allerdings gar nicht zu ihm und zu dem, was dann folgte. Die Geschichte entwickelte sich ganz anders, denn die Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohen-priester bekamen Angst vor dieser Massenbewegung. Sie waren wütend und entsetzt und sprachen untereinander: „Alle Welt läuft ihm nach!“ Das konnten sie nicht ertragen, und sie dachten sich einen Plan aus, mit dem sie ihn fassen und vernichten könnten.
Jesus wusste das, und es sieht so aus, als ob er absichtlich in die Falle gegangen ist, die ihm in Jerusalem gestellt werden sollte. Möglicherweise wollte er auch gar nicht so großartig empfangen werden, denn was er brachte, war etwas ganz anderes, als die Menschen erwarteten.
Es klingt in dieser Geschichte an, und wir können es mit den beiden Stichworten „Gehorsam“ und „Liebe“ benennen. Der Gehorsam wird daran deutlich, dass er hier nur tut, was in der Bibel vorgezeichnet war. Es war nicht seine Idee, so nach Jerusalem zu kommen, er folgte einfach seiner Bestimmung und sagte selber nichts. Er wollte nicht die Macht ergreifen, sondern schwieg und lieferte sich aus.
Und dass er in liebevoller, friedfertiger Absicht kam, wird an dem Reittier deutlich, dass er wählte. Es war bewusst ein Esel und kein Pferd, denn die wurden damals nur im Krieg verwandt. Sie zogen die Streitwagen und trugen die Soldaten. Ein Esel dagegen bedeutete von vorne herein, dass jemand frei von Aggressionen war und es gut meinte. Und das war die Grundhaltung Jesu, das machte ihn aus. Deshalb passte der triumphale Einzug, den die Menschen ihm bereiteten, eigentlich nicht zu ihm und seinem Weg.
Trotzdem ist die Geschichte wichtig, um Jesus zu verstehen, denn sie will gerade diesen Widerspruch hervorheben. Es soll gezeigt werden, dass Jesus entgegen allem, was danach geschah, doch etwas Göttliches an sich hatte, und dass es richtig war, wie die Menschen ihn empfingen. Er war der Sohn Gottes. Und das Kreuz, an dem er starb, war keine Niederlage, sondern von Gott gewollt und damit in geheimnisvoller Weise bereits seine Erhöhung. Und die ist in der Tat ein Grund zum Feiern und zur Freude.
Das ist hier die Botschaft, und die bedeutet für uns zweierlei: Zum einen sollen auch wir Jesus in unserem Leben wie einen König empfangen, in ihm den Sohn Gottes erkennen, ihm vertrauen und ihn mit Ehren begrüßen. Zum anderen sollen wir unser eigenes Leid annehmen und Jesus in Tod und Auferstehung folgen. Wir können uns also vorstellen, dass wir ihm in unserem Geist und unserer Seele einen roten Teppich ausrollen, ebenso in unserer Gemeinschaft und unserem Handeln. Denn er kommt immer noch zu uns und lädt uns zur Nachfolge ein. Er will uns seine Liebe schenken und auch uns zum Gehorsam befähigen.
Doch was heißt das nun? Und wollen wir das überhaupt? Das klingt zum einen recht fromm und innerlich. Wo bleiben die Taten und die Lebensgestaltung? Zum anderen mögen wir den Gehorsam nicht besonders, schon gar nicht, wenn es um Leiden und Sterben geht. Das vermeiden wir lieber, und so organisieren wir auch unser Leben.
Selbst als Christen sind wir am liebsten aktiv. Wir haben vor Augen, was Christus alles Gutes getan hat, und das streben wir ebenfalls an. Wir wollen unser Leben und die Welt mitgestalten, sie besser machen, etwas tun und bewirken. So setzen wir uns für unser Wohlbefinden und auch unsere Mitmenschen ein, engagieren uns für Frieden und Gerechtigkeit, üben Nächstenliebe und leben Gemeinschaft. Und das wird auch von uns erwartet. Die Welt hat genau dieses Bild von den Christen. Wir stehen Forderungen und Vorstellungen gegenüber und versuchen, sie zu erfüllen.
Dadurch haben wir so unsere Fragen an zu viel Innerlichkeit und Leidensbereitschaft. Das ist uns wie gesagt oft zu wenig und auch zu unbequem.
Aber ist unser Konzept schlüssig? Geht diese Strategie der Werke und Taten auf? Wir sollten auch einmal anders herum fragen, ob denn all die Aktivitäten, die wir so ausüben, wirklich heilbringend sind. Dabei können wir uns vorstellen, dass Jesus das tut. Er steht vor uns und fragt uns: Wo willst du hin? Wonach sehnst du dich, und findest du es? Erreichst du deine Ziele? Und wie geht es dir dabei? Dann müssen wir zugeben, dass vieles an unserer Lebensführung zweifelhaft ist. Zum einen stehen wir dauernd unter einem gewissen Druck. Wir beugen uns unter Leistungsanforderungen und sind irgendwann erschöpft. Müdigkeit stellt sich ein. Denn Enttäuschungen und Niederlagen bleiben nicht aus, und all das zehrt an unseren Kräften und unserer Motivation. Unsere eigenen Grenzen planen wir nicht ein, denn wir wollen gerne gut sein, sogar möglichst perfekt.
Doch irgendwann bekommen wir zu spüren, dass das nicht so einfach ist, und das tut dann weh. Wir bleiben irgendwo stecken, irgendetwas macht uns einen Strich durch die Rechnung und wir müssen aufgeben. Der Lebensentwurf, bei dem das eigene Handeln im Mittelpunkt steht, funktioniert nur so lange, wie wir gesund und kräftig sind. Alter, Schwachheit und Krankheit haben keinen richtigen Platz darin. Auch Trauer und Verlust, Angst und Sorgen müssen außen vor bleiben. Auf das Leid gibt uns diese Einstellung keine befriedigende Antwort. Es stört einfach nur, und der Tod erst recht.
Das alles sollten wir erkennen und zugeben, wenn Jesus uns fragt, ob unser Leben eigentlich gelingt. Denn das öffnet uns macht uns empfangsbereit. Wir begrüßen ihn plötzlich gerne, und das Evangelium gewinnt eine ganz neue Strahlkraft. Wir ahnen, dass Jesus auf die Fragen, die er uns stellt, eine Antwort hat. Und die besteht darin, dass er uns einlädt und befähigt, unser Leid anzunehmen, die Unvollkommenheit auszuhalten und nicht alles von unserer eigenen Kraft zu erwarten. Er zeigt uns, dass wir uns ruhigen Gewissens den Forderungen auch einmal entziehen und uns von dem Druck befreien dürfen. Denn wir müssen uns unter nichts anderes beugen, als unter ihn und seine Liebe. Er rührt uns an und kann uns verändern. Die Wirkung des Evangeliums beginnt im eigenen Leben, in der Seele und im Geist. Und nur wenn das geschieht ist, kann sich auch um uns herum etwas tun. Der Weg der Liebe Christi geht von innen nach außen.
Es ist also wirklich ratsam, Jesus immer wieder den roten Teppich in unserem Leben auszurollen, ihn einziehen zu lassen und ihn mit Ehren zu empfangen. Es gilt, sich selber zu spüren und die eigene Erlösungsbedürftigkeit anzunehmen. Leid und Tod lassen sich nicht vermeiden, geschweige denn abschaffen. Sie gehören zu unserem Leben dazu, und es ist heilsam, sie einzubeziehen. Dazu will Jesus uns befähigen, diese Kraft will er uns schenken.
Und nicht nur das, er befreit uns auch von unseren Nöten. Denn er kommt wirklich zu uns und nimmt unser Leben in seine Hand. Er ist längst auf dem Weg und schenkt uns seine vollkommene Liebe. Bei ihm finden wir, was wir suchen. Wir müssen nur zu ihm rufen, ihn im Geist begrüßen und ihm nachfolgen.
Dann verändert sich etwas. Wir kreisen damit nicht um uns selbst und versauern auch nicht in unseren Kirchen. Wenn wir wirklich erleben, wie nah Jesus uns ist, und seine Hilfe annehmen, dann treibt uns das auch zu den Menschen. Ganz von alleine geben wir seine Liebe weiter und schenken das, was wir empfangen haben, anderen. Wir gestalten die Welt und unser Miteinander durch die Kraft Christi.
Und das unterscheidet sich von dem, was andere Menschen erreichen. Wir Christen sind ja nicht die Einzigen, die sich für die Welt engagieren. Gerechtigkeit und Frieden werden auch von anderen Gruppen und Institutionen propagiert. Sie sind kein Alleinstellungsmerkmal der Kirchen, wie man so schön sagt. Wenn es nur darum ginge, bräuchten wir Christus auch nicht unbedingt. Das geht mit der Vernunft und einem besonnenen Verhalten genauso gut.
Wenn wir aber nach einer wirklich tiefgreifenden Antwort auf das Leid suchen, auf Fragen, für die es keine einfache Lösung gibt, die uns ratlos machen und verstummen lassen, um den Sinn des Lebens und die Schrecken des Todes, dann brauchen wir mehr. Dann brauchen wir den, den Gott gesandt hat, um uns einen Weg zu bahnen, der weiterführt, der die Ewigkeit für uns öffnet und uns ein Heil schenkt, das größer ist als diese Welt.
Wir sind eingeladen, an den Sohn Gottes zu glauben. Und nur wenn wir ihm immer wieder den roten Teppich ausrollen, werden wir wirklich befreit und erlöst. Amen.