Trau Gott etwas zu!

Predigt über 2. Mose 17, 1- 7: Israel in Massa und Meriba

Sommerpredigt „Wasser“ I: Wasser bedeutet Leben
26.7.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

2. Mose 17, 1- 7

1 Und die ganze Gemeinde der Israeliten zog aus der Wüste Sin weiter ihre Tagereisen, wie ihnen der HERR befahl, und sie lagerten sich in Refidim. Da hatte das Volk kein Wasser zu trinken.
2 Und sie haderten mit Mose und sprachen: Gib uns Wasser, dass wir trinken. Mose sprach zu ihnen: Was hadert ihr mit mir? Warum versucht ihr den HERRN?
3 Als aber dort das Volk nach Wasser dürstete, murrten sie wider Mose und sprachen: Warum hast du uns aus Ägypten ziehen lassen, dass du uns, unsere Kinder und unser Vieh vor Durst sterben lässt?
4 Mose schrie zum HERRN und sprach: Was soll ich mit dem Volk tun? Es fehlt nicht viel, so werden sie mich noch steinigen.
5 Der HERR sprach zu ihm: Tritt hin vor das Volk und nimm einige von den Ältesten Israels mit dir und nimm deinen Stab in deine Hand, mit dem du den Nil schlugst, und geh hin.
6 Siehe, ich will dort vor dir stehen auf dem Fels am Horeb. Da sollst du an den Fels schlagen, so wird Wasser herauslaufen, dass das Volk trinke. Und Mose tat so vor den Augen der Ältesten von Israel.
7 Da nannte er den Ort aMassa und Meriba, weil die Israeliten dort gehadert und den HERRN versucht und gesagt hatten: bIst der HERR unter uns oder nicht?

Liebe Gemeinde.

Am 31. Mai 1934 erklärten die Theologen der sogenannten bekennenden Kirche in Barmen: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ (Die theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen, Artikel 1) Das steht ganz am Anfang ihres Dokumentes, das seitdem zu den grundlegenden Bekenntnissen unserer Kirche gehört, es ist die „Barmer Erklärung“. Sehr deutlich wird darin betont, dass wir als Christen nur einen Herrn und Gott haben, wir brauchen keine weiteren Ideologien. Im dritten Reich war diese Aussage sehr bedeutungsvoll, denn sie richtete sich gegen den Versuch der Nazis, die Kirche ihren Zwecken unterzuordnen. Viele Christen haben das verheerender Weise zugelassen und grenzten sich nicht deutlich ab.

Und in dieser Gefahr, sich verschiedenen teilweise verlockenden und gefährlichen Einflüssen auszusetzen, stehen wir als Christen und Christinnen auch heutzutage noch. Denn so war es schon immer:

Bereits in der Bibel gibt es viele Geschichten, die erzählen, wie das Volk Israel an der Macht Gottes zweifelte und mit ihm haderte. Immer wieder trauten sie ihm nichts mehr zu und ließen sich mit anderen Mächten und Göttern ein.

Das begann bereits in der Zeit der Wüstenwanderung. 40 Jahre lang war das Volk Israel unterwegs von Ägypten Richtung Palästina. Sie lebten wie Nomaden, und das führte natürlich viele Entbehrungen mit sich: Es gab wenig zu essen und zu trinken, sie hatten keine feste Bleibe, mussten immer wieder weiter und wussten gar nicht so genau, wohin die Reise überhaupt ging. Das Ziel war unklar und ein Ende war nicht absehbar. Sie wurden auch regelmäßig von anderen Nomadenstämmen angegriffen. Es war also ein äußerst hartes Dasein. Sicherheiten gab es nicht, weder äußerlich noch innerlich, und oft murrten die Menschen deshalb. Sie waren unzufrieden mit diesem Leben.

Deshalb brauchten sie auch einen Führer, der sie immer wieder beruhigte, ihnen Mut zusprach und den Sinn ihrer Wanderschaft nicht aus dem Gedächtnis verlor. Das war Mose. Er war von Gott für diese Aufgabe auserwählt worden. Er stand also mit Gott in engem Kontakt, und er vergaß deshalb nie, warum sie unterwegs waren. Das war ja nicht nur einfach so geschehen, sondern auf die Weisung Gottes hin. Er hatte sie losgeschickt, um sie in ein Land zu führen, in dem es ihnen gut gehen sollte. Aber der Weg war wie gesagt nicht einfach. Dabei war das größte Problem gar nicht mal die äußere Situation, sondern die schlechte Stimmung, die immer wieder aufkam. Das Volk „murrte“ regelmäßig, und Mose bekam das dann ab.

In der Geschichte, die wir eben gehört haben, kommt es gleich zu Anfang vor, das Murren und Klagen. An einem bestimmten Ort, dessen Name sogar genannt wird, haderte das Volk mit Mose und mit Gott. Es ging mal wieder um Wasserknappheit. Und wie so oft, sehnten sie sich nach Ägypten zurück, wo sie hergekommen waren. Sie hatten dort zwar als Sklaven gelebt, aber wenigstens hatten sie immer zu essen und zu trinken. In ihrer Erinnerung verzerrte sich das Bild der Vergangenheit, und ihr Glaube vermischte sich mit der Vorstellung, dass es früher in Ägypten doch viel besser war. Und das warfen sie Mose hier vor.

Mose zog sich daraufhin erst einmal zurück und betete zu Gott. Er schrie sogar zu Gott, denn offensichtlich hielt er das auch nicht mehr aus. Er wusste nicht mehr, was er tun sollte. Aber Gott hatte eine Antwort. Er sah, dass das Problem nicht nur das fehlende Wasser war, sondern auch der fehlende Glaube an seine Macht und Möglichkeiten. Deshalb wollte er die aufs Neue demonstrieren.

Mose sollte das Volk feierlich versammeln, und zwar vor einem Felsen, den es in der Nähe gab. Mit ein paar Ältesten sollte er sich dem Volk gegenüber an diesen Felsen stellen und dann mit seinem Stab daran schlagen. Gott wollte vor ihm stehen und dafür sorgen, dass daraufhin Wasser aus dem Felsen hervorquoll. Und so geschah es dann auch. Plötzlich war dort ein Wasserfall und das Volk hatte zu trinken.

Es wird nicht mehr berichtet, dass sie daraufhin aufhörten zu murren, denn das hielt der Erzähler wohl für selbstverständlich. Das Ereignis blieb ihnen aber im Gedächtnis, und der Ort bekam daraufhin auch einen neuen Namen. Er hieß jetzt „Massa und Meriba“, das heißt „Versuchung und Anklage“, weil das Volk Gott dort versucht und gesagt hatte: „Ist der Herr unter uns oder nicht?“

Und das ist auch das Thema dieses Ereignisses: Die Menschen zweifeln an der Macht und den Möglichkeiten Gottes, weil sie seine Nähe nicht spüren, und er antwortet darauf in wunderbarer Weise. Die Geschichte will uns also sagen: „Trau Gott etwas zu und verlass dich ganz auf ihn.“

Das ist an Hand dieser Erzählung allerdings nicht ganz einfach, denn das Wunder kommt uns märchenhaft vor. Möglicherweise ist es auch nicht wirklich geschehen, sondern es gab an der Stelle bereits einen Wasserfall, und es entstand diese Legende, um sein Vorhandensein zu erklären.

Aber das muss uns nicht daran hindern, die Geschichte ernst zu nehmen. Sie hat trotzdem eine Botschaft, die wahr und aktuell ist. Die Erzählung ist nämlich wie ein Bild, das unser Leben beschreibt. Lasst uns die Einzelheiten deshalb einmal übertragen.

Dann ist da als erstes die Wanderung, auf der es immer wieder Durststrecken gibt. Das kennen wir auch. Uns fehlt es zwar nicht an Wasser, aber trotzdem oft an Kraft und Ausdauer. Die Anforderungen des Lebens sind häufig sehr hart, wir werden müde und murren, manchmal innerlich und leise, manchmal aber auch laut und hörbar.

In der jetzigen Krise ist das z.B. so. Unser Leben ist nun schon seit gut vier Monaten nicht mehr so, wie wir uns das wünschen. Und keiner weiß, wie lange es noch so weitergehen wird, dass wir Abstände einhalten müssen, Mund- und Nasenschutz tragen und vor allem: nicht in geschlossenen Räumen singen dürfen. Das betrifft uns als Gemeinde schon. Ebenso leiden darunter alle Kulturschaffenden, Reiseanbieter und andere Geschäfte. Und da kann man zwischendurch schon mal ungeduldig werden und anfangen zu murren. Es macht uns ärgerlich, traurig und sorgenvoll.

Und solche Gefühle entstehen auch in anderen Situationen, in schwierigen Beziehungen z.B., bei Krankheiten und vielem mehr. Für unsere Wanderung durch das Leben brauchen wir auf jeden Fall immer wieder viel Mut und Vertrauen, das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, Ausdauer und Kraft. Und das kann alles manchmal verschwinden. Das ist das eine, was diese Geschichte thematisiert. Sie beschreibt eine Situation, die wir kennen, in der wir an Gott zweifeln und der Versuchung ausgesetzt sind, uns allen möglichen Ideologien oder Mächten anzuvertrauen.

Das Zweite ist dann aber das Wunder, das geschieht. Das können auch wir erleben. Wir müssen es Gott bloß zutrauen, dass er etwas tun kann. Die Israeliten dachten ja, dass Gott sie vergessen hatte, dass sie ihm gleichgültig geworden waren. Aber in Wirklichkeit war es umgekehrt: Sie hatten ihn vergessen. Sie haben sich selber blockiert mit ihrem Ärger und ihrem Hadern, ihren verzerrten Träumen und Vorstellungen. Gott musste ihnen erst mal die Augen öffnen, und genau so ist es auch bei uns.

Wir sind oft so verstrickt in all unsere Gedanken, dass wir gar nicht mehr mit Gott rechnen. Alles dreht sich um die Probleme unseres Lebens und die Sorgen, die wir haben. Wir starren auf das, was vor uns liegt und uns zu schaffen macht, und dadurch entsteht das Gefühl der Überforderung. Wir kriegen Angst und fühlen uns auch von Gott verlassen.

Und genau das ist das größte Problem, denn das ist ein ganz großer Irrtum. Gott verlässt uns niemals. Wenn wir uns allein fühlen, dann haben wir ihn verlassen. Wir müssen also nur zurückkehren, und das heißt, mit ihm auch wirklich rechnen. Wir müssen unseren Kopf immer wieder für ihn frei machen und den Gedanken, dass er bei uns ist, auf uns wirken lassen. Dann können wir erleben, dass da etwas dran ist. Wir spüren dann, es gibt ja noch viel mehr, als nur all diese Dinge, die uns beschäftigen oder belasten. Es gibt auch noch die entlastende Liebe und Gegenwart Gottes. Er ist immer da, er weiß um uns und will uns auch versorgen.

Als Christen und Christinnen dürfen wir uns dessen umso gewisser sein, denn durch Jesus Christus ist das so. Er ist der Sohn Gottes und mit ihm ist Gott uns ganz nahe gekommen. An ihn sollen und dürfen wir glauben, und zwar von ganzem Herzen. Nicht unsere vielen Gedanken oder Gefühle sollten der Mittelpunkt unseres Lebens sein, und schon gar keine andere „Macht oder Gestalt“, sondern Jesus Christus ist in Wirklichkeit die Mitte, und von ihm her ordnet sich alles andere.

Das war auch das Anliegen der Barmer Erklärung. Sie beginnt nicht umsonst mit dem Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh.14,6) Wenn wir diesen Weg wählen, werden wir ruhig und zuversichtlich, geduldig und stark. Es ist wir das Trinken von Wasser, das plötzlich und unerwartet aus einem Felsen sprudelt. Wir können das als Bild verstehen, das die Kraft Gottes beschreibt. Sie fließt sogar da, wo vorher harter Stein war, und sie fließt eben auch. Durch die Gegenwart Jesu Christi strömt sie in mir und durch mich hindurch. Das ist das Zweite.

Und das Dritte ist die Gemeinschaft, in der die Israeliten das erlebt haben. Gott hat sich ihnen gezeigt, als sie versammelt waren. Und so kann es auch uns ergehen. Die Gemeinde kann ein Ort sein, wo die Quelle der Kraft Gottes immer wieder zum Sprudeln kommt. Denn wir können uns gegenseitig zum Glauben ermuntern, uns an Jesus Christus erinnern, zu ihm rufen und uns gegenseitig auch helfen. Das ist besonders dann gut, wenn es gesellschaftliche Krisen gibt.

So ging es auch der bekennenden Kirche. Im Gegensatz zu den jetzigen Problemen, waren die Vorgänge in der Zeitwirklich schlimm, grausam und zerstörerisch. Deshalb war es gut, dass doch viele Menschen wach und klar geblieben sind, sich zusammengefunden und bekannt haben: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“

Der Pfarrer und geistliche Dichter Otto Riethmüller war einer von denen, die diese Erklärung als erster unterschrieb. Von ihm gibt es ein schönes Lied, in dem die Gegenwart Gottes als „Quelle mit einem frischen Trank“ beschrieben wird. Es enthält die Bitte um das wahre Wasser des Glaubens, das der in der Kirche als „Stadt Gottes“ fließen möge. Der Text lautet folgendermaßen:

  1. „Nun gib uns Pilgern aus der Quelle der Gottesstadt den frischen Trank; lass über der Gemeinde helle aufgehn dein Wort zu Lob und Dank.
  2. Gib deiner Liebe Lichtgedanken mit Vollmacht uns in Herz und Mund; mach, woran Leib und Seele kranken, durch deine Wunderhand gesund.
  3. Schließ auf, Herr, über Kampf und Sorgen das Friedenstor der Ewigkeit. In deiner Burg sind wir geborgen, durch dich gestärkt, zum Dienst bereit.
  4. Zeig uns dein königliches Walten, bring Angst und Zweifel selbst zur Ruh. Du wirst allein ganz recht behalten; Herr, mach uns still und rede du.“
    (Otto Riethmüller, 1889 – 1938)

Amen.

Nur mit Jesus will ich Pilger wandern

Predigt über Lukas 5, 1- 11: Die Berufung der ersten Jünger

5. Sonntag nach Trinitatis, 12.7.2020, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Lukas 5, 1- 11

1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth
2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Gemeinde.

Kermit, der Frosch aus der Muppetshow, stand einmal an einem regnerischen Tag sinnierend am Fenster und sagte: „Manchmal frage ich mich, was aus den Menschen geworden ist, die mich nach dem Weg gefragt haben.“ Offensichtlich hatte er Antworten gegeben, die gar nicht so genau stimmten. Vielleicht hatte er nicht zugeben wollen, dass er den Weg nicht kannte, vielleicht ist ihm auch erst hinterher eingefallen, dass seine Angaben verkehrt waren.

Das kennt ihr sicher auch alle aus eigener Erfahrung. Auf die Frage nach dem Weg sind wir ja nie vorbereitet, und dadurch vertun wir uns leicht mir der Auskunft, verwechseln die Seiten oder die Straßennamen, und wissen eigentlich nur so ungefähr, wo es lang geht. Trotzdem wollen wir natürlich helfen und uns als ortskundig erweisen, und so geben wir Antworten, die möglicherweise in die Irre führen.

Oft wäre die Aussage ehrlicher, die ich einmal auf der Rückseite eines T-Shirts gelesen habe. Da stand: „Folgt mir nicht nach, ich weiß auch nicht wo’s lang geht.“ Ich fand das sehr lustig, denn die Aussage bezieht sich natürlich auf das Leben im Allgemeinen. Und da ist es gar nicht so schlecht, wenn einer zugibt, dass er sich nicht auskennt. Er ist damit bestimmt nicht allein. Bei den meisten Menschen ist es besser, wenn ihnen niemand folgt.

Zu denen gehörte Jesus allerdings nicht. Er war sich über seinen Weg und seinen Auftrag ganz sicher, und er riet nicht davon ab, ihn zu fragen oder ihm nachzufolgen. Im Gegenteil, er rief dazu sogar auf und begann damit gleich am Anfang seines öffentlichen Auftretens.

Wir haben die Geschichte eben gehört. Sie handelt von ihm und den Fischern Simon, Jakobus und Johannes. Sie trafen sich am See Genezareth. Dort hatte Jesus gepredigt, mit Vollmacht und einer großen Ausstrahlungskraft. Er war zutiefst überzeugt von seiner Rede und fand mit seiner Botschaft viele interessierte Zuhörer. Sie drängten sich um ihn, so dass es sogar zu eng für ihn wurde. Aber er wusste sich zu helfen: Hinter ihm auf dem See lagen zwei leere Boote. Die Fischer waren ausgestiegen, um die Netze zu waschen. In eines der beiden ging Jesus nun, um die Menge von dort aus weiter zu belehren. Er bat darum, das Boot einige Meter auf den See hinauszufahren, weil er so die beste Akustik hatte. Die Menge nahm am Ufer im Halbkreis Platz.

„Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ So geht die Geschichte weiter. Die Menschenmenge verschwindet aus dem Blickfeld, und wir erfahren, was im Boot geschieht: Es ergeht ein Befehl an den Besitzer, der Simon heißt, und der gehorcht aufs Wort. Und das ist erstaunlich, denn eigentlich ist die Aufforderung unsinnig. Die Fischer sind die ganze Nacht unterwegs gewesen um etwas zu fangen, weil das dafür die günstigste Zeit ist. Nun ist bereits morgen, und sie waren erfolglos geblieben. Aber „auf sein Wort“ wirft Simon die Netze noch einmal aus. Es ist stärker als seine berufliche Erfahrung. Und dann fangen sie so viele Fische, dass die Netze zu reißen beginnen. Kollegen von einem anderen Boot müssen helfen, um sie an Bord zu ziehen. „Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.“

Ein Wunder geschieht, und das überwältigt Simon. Er begreift, dass Jesus kein gewöhnlicher Mensch ist, sondern göttliche Eigenschaften hat. Er ist offensichtlich Herr über die Naturereignisse. Simon kniet deshalb vor ihm nieder und spricht: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ Im Griechischen heißt die Anrede „Kyrios“, und das ist eine Ehrenbezeichnung. Gleichzeitig empfindet er sich selber als „sündigen Menschen“. Doch Jesus beruhigt sein erschrecktes Gewissen und sagt zu Simon und seinen Gefährten, Johannes und Jakobus: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Sie sollen Missionare werden und Menschen für Jesus und das Reich Gottes gewinnen.

Zum Schluss wird dann kurz festgestellt: „Sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.“ Sie wurden zu seinen engsten Vertrauten und taten von nun an, was Jesus von ihnen wollte. Sie lernten von ihm und wurden später zu Aposteln.

Wir kennen die Geschichte alle, haben sie schon oft gelesen und gehört. Trotzdem ist sie immer wieder faszinierend, denn was hier geschieht, ist ungewöhnlich. Wie kommt es, dass Jesus sich so sicher war? Er kannte den Weg und wollte, dass die Menschen ihm folgten. Und das ist ihm auch gelungen. Die Fischer gingen tatsächlich mit ihm, ohne Bedenken und ohne Zögern. Und das geschieht bis heute: Viele hören auf sein Wort und bekehren sich zu ihm.

Und das ist auch erklärlich, denn von den unzähligen Wegen, die wir gehen können, führt der Weg Jesu uns tatsächlich zum Leben. Was ihn erfüllt und was er verkündigt, ist von ganz anderer Natur, als unsere menschlichen Ziele. Er kommt von Gott und verkündigt sein Reich. Sein Weg weist weit über diese Welt hinaus und führt in die Ewigkeit. Und es ist gut, wenn auch wir das beherzigen.

Wir nennen uns zwar Christen, aber oft interessiert uns dieses Thema gar nicht so sehr. Wir setzen uns lieber innerweltliche Ziele, und davon gibt es etliche, die auch alle ganz unterschiedlich sind. Die Möglichkeiten, seinem Leben einen Inhalt zu geben, sich selber zu verwirklichen und etwas zu erreichen, sind vielfältig. Natürlich gibt es auch Gemeinsamkeiten und Überschneidungen. So gehören zu den Dingen, die den meisten Menschen wichtig sind, die Ausbildung und der Beruf, Wohlstand und materielle Güter, Menschen und Erlebnisse, Ideen und Erfahrungen. Doch die Fülle dieser Inhalte ist manchmal unüberschaubar. Man kann sich leicht verirren. Einige Menschen wissen vielleicht ihr Leben lang genau, was sie wollen, aber viele geraten zwischendurch auf Irrwege und wissen dann nicht mehr richtig, wo es lang geht.

Das geschieht z.B., wenn jemand seinen Job oder auch den Partner bzw. die Partnerin verliert. Bei anderen ist es eine Krankheit, die alles durcheinander bringt, oder sogar der Tod eines nahen Angehörigen. Auch in einer Krise, wie wir sie z.Zt. erleben, gerät vieles ins Wanken, was für uns eigentlich selbstverständlich ist: Unsere Grundrechte und unsere Bewegungsfreiheit, kulturelle Erlebnisse, Begegnungen und soziale Nähe. Gewohnte Wünsche und Ziele stehen plötzlich in Frage, und das führt bei vielen große Probleme mit sich. Wie in allen leidvollen Situationen sind wir unsicher und orientierungslos. Wir müssen uns deshalb fragen, wie wir das alles bewältigen können, und nach einem Weg suchen, der uns da heraus führt. Und genau den will Jesus uns zeigen. In drei Schritten können wir ihm folgen.

Der erste Schritt ist die Erkenntnis, dass alle unsere selbstgewählten Ziele letzten Endes beliebig sind. Sie haben keine allgemeine Gültigkeit, sondern sind von vorne herein vergänglich und dem Wechsel unterworfen. Zudem sind sie meistens sehr individuell, betreffen nur uns selber, und das heißt automatisch, dass andere uns nicht unbedingt weiterhelfen können.

Diese Erkenntnis kommt auch in unserer Geschichte vor. Sie steckt hinter dem Ausruf von Simon: „Ich bin ein sündiger Mensch“. Das klingt uns vielleicht etwas zu negativ, aber es heißt, dass er seinen Blick nach innen richtet. Und das können auch wir tun. Uns wird dann bewusst, dass wir an Zielen und Ideen festhalten, die uns nicht weiterbringen. Wir haben uns „bezaubern und betören“ lassen, wie es in einem Lied von Gerhard Tersteegen heißt (EG, 392,1) . Deshalb geraten wir in ein Dickicht, bleiben gefangen und finden nicht den richtigen Weg.

Doch genau in diese Situation hinein erfolgt der zweite Schritt. Er besteht darin, dass wir auf Jesus hören und uns von seinem Ziel anstecken lassen. Er ist mitten unter uns und steigt zu uns ins Boot. Das kann ein Bild für unser Leben sein. Jesus betritt es, denn er kennt uns und will uns begegnen. Und seine Botschaft lautet: Die Welt und das Leben erschöpfen sich nicht im Diesseits. Es gibt nicht nur unsre Aufgaben und Wünsche, sondern das Reich Gottes ist da. Mit Jesus kommt Gott zu uns. Und der wirkt in unserem Leben, er schenkt uns das, was wir am meisten brauchen, denn er schenkt uns sich selber in Hülle und Fülle.

Auch wir sollten deshalb vor Jesus niederfallen, uns für ihn öffnen und auf seine Stimme hören. Wir müssen sie nur einmal beachten. Dann relativiert sich alles andre ganz von selber und erscheint in einem neuen Licht. Wir erkennen, was wirklich zählt. Die Probleme werden kleiner und verlieren ihre Macht. Das Leid wird gemildert, und selbst der Tod macht uns keine Angst mehr. Wir müssen nur die Gegenwart Jesu annehmen, vor ihm niederfallen und uns dann für ihn entscheiden.

Das ist der dritte Schritt, dass auch wir für ihn leben, ihn in die Mitte treten lassen und ihm nachfolgen. Und das geht genauso wie bei Simon nur ganz oder gar nicht. Jesus fordert ein klares Bekenntnis von uns. Die Liebe und die Kraft Jesu können nur dann in unserem Leben wirken, wenn wir anderen Kräften Einhalt gebieten, wenn wir nicht mehr unserem eigenen Willen folgen, sondern auf Jesus vertrauen und uns ihm hingeben. Es gilt, loszulassen, was uns bindet, und leidensbereit zu werden.

An der Hand Jesu fällt uns das nicht schwer, denn er hält uns das ewige Ziel vor Augen. Sein Ruf ist ein rettender Ruf, und es ist ein erlösender Schritt, darauf zu hören. Jesus führt uns aus dem Leid in eine ganz große Freiheit. Das Leben verändert sich, denn es gelten plötzlich neue Regeln, eine neue Lehre. Nicht mehr die vielen Ziele, die uns verführen wollen, geben den Ton an, sondern die eine ewige Heimat. Die Stimme Jesu weist uns darauf hin und heilt uns von innen her. Sie öffnet ganz neue Möglichkeiten des Denkens und Handelns. Unser Lebensgefühl verändert sich. Wir werden ruhiger und gelassener, die Unsicherheit verschwindet und wir gewinnen einen festen Halt. Und diesen Weg können wir dann auch anderen zeigen. Sie dürfen uns gerne folgen, denn wir wissen, was aus ihnen wird: Die Unruhe weicht und sie werden ebenfalls mit Freude erfüllt. Sie werden genauso wie wir zuversichtlich, sicher und frei.

Lasst uns deshalb mit Jesus unseren Weg gehen, so wie das in einem Pilgerlied aus dem 19. Jahrhundert zum Ausdruck kommt. Der evangelische Pfarrer Johann Peter Schück aus Hoffenheim hat es gedichtet, und es lautet:

  1. Nur mit Jesu will ich Pilger wandern, nur mit Ihm geh froh ich ein und aus; Weg und Ziel find ich bei keinem andern, Er allein bringt Heil in Herz und Haus.
  2. Berg und Tal und Feld und Wald und Meere, froh durchwall ich sie an Seiner Hand. Wenn der Herr nicht mein Begleiter wäre, fänd ich nie das wahre Vaterland.
  3. Er ist Schutz, wenn ich mich niederlege, Er mein Hort, wenn früh ich stehe auf, Er mein Rater auf dem Scheidewege und mein Trost bei rauem Pilgerlauf.
  4. Bei dem Herrn will ich stets Einkehr halten, Er sei Speis und Trank und Freude mir; Seine Gnade will ich lassen walten, Ihm befehl ich Leib und Seele hier.
  5. Bis es Abend wird für mich hienieden, und Er ruft zur ew’gen Heimat hin, bis mit Ihm ich gehe ein zum Frieden, wo Sein sel’ger Himmelsgast ich bin.
    (Text und Melodie: Johann Peter Schück, 1811- 1892)

Amen.