Predigt über 2. Thessalonicher 3, 1- 5:
Wünsche de Apostels
5. Sonntag nach Trinitatis, 20.7.2014, 9.30 und 11.00 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel
Liebe Gemeinde.
„Es ist kein Geheimnis, dass ich Jesus liebe.“ Dieser Satz stand auf Englisch als kleines Logo auf dem Pullunder von Pastor Calvin Koola aus Tansania. Wir haben ihn am Mittwoch vor einer Woche bei einem „Abend der Begegnung“ getroffen. Sechs Mitglieder des Kirchenkreises Ostkilimanjaro sind gerade zu Besuch in Kiel, um zu erfahren, wie wir hier leben. Die Einladung erfolgte im Rahmen des Projektes unseres Kirchenkreises Altholstein zu Gunsten der Aidswaisen.
Ich fand die Begegnung mit Pastor Koola sehr bewegend. Nicht nur der Satz auf seinem Pullunder, auch seine ganze Haltung waren für uns ungewohnt: Er ist Pastor, weil er sich dazu berufen fühlt, und er möchte gerne Menschen retten. Dafür nimmt er es in Kauf, relativ wenig Geld zu verdienen. Und es ist für ihn auch völlig abwegig, nebenbei noch etwas anderes für seinen Broterwerb zu tun. Er hat sein Leben dem Evangelium gewidmet. Er steht Jesus ganz zur Verfügung und vertraut darauf, dass er immer genug zum Leben haben wird. Er ist mit Leib und Seele nicht nur Pastor, sondern auch Missionar.
Und damit ist er den biblischen Gegebenheiten sehr nahe, genauso ging es Paulus und den ersten Aposteln. Für sie war nichts wichtiger, als dass das Wort des Herrn sich ausbreitete. Ihr Leben war unauflöslich mit der missionarischen Verkündigung verbunden. Sie freuten sich über die Gemeinden, die sie geründet hatten, baten sie um Unterstützung bei ihrem Auftrag und ermutigten sie, sich ebenfalls für die Weitergabe des Evangeliums einzusetzen. Das kommt an vielen Stellen in den Briefen von Paulus zum Ausdruck, so auch in einem Abschnitt im zweiten Brief an die Thessalonicher, der heute unser Predigttext ist. In Kapitel drei schreibt Paulus in Vers eins bis fünf:
2. Thessalonicher 3, 1- 5
1 Weiter, liebe Brüder, betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch
2 und dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding.
3 Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen.
4 Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten.
5 Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes
und auf die Geduld Christi.
Das sind Wünsche des Apostels für sich selbst und die Gemeinde. Er ist auf ihre Hilfe bei seinem Dienst angewiesen, deshalb sollen sie für ihn im Gebet eintreten. Er möchte gerne, dass „das Wort des Herrn“ von einem Menschen zum anderen, von einer Stadt zur anderen „laufe“ und so zu allen Völkern dringt, damit die ganze Welt für Christus gewonnen wird. In Thessalonich war es bereits angekommen, dort wurde Christus „verherrlicht und gepriesen“, und das soll sich überall ereignen. Keine feindlich gesinnten Menschen sollen es hindern. Paulus wusste sehr wohl, dass der Glaube an Christus nicht bei jedem ankommt, aber wer dafür offen ist, der soll auch erreicht werden. Dabei vertraut er hauptsächlich auf Gott und seine Treue. Gott selber wird dafür sorgen, dass die Menschen von Jesus Christus hören und gerettet werden. Das war ja auch in Thessalonich geschehen, daran erinnert er noch einmal: Die Menschen dort haben dem Wort geglaubt. Deshalb wird Christus, der Herr, sie auch nicht verlassen, sondern stärken und vor den feindlichen Mächten beschützen. Das verheißt Paulus ihnen. Und er bittet Gott am Ende seinerseits für die Thessalonicher: Er möge „ihre Herzen auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi lenken“. Paulus weiß, dass es nicht in des Menschen Hand liegt, ob jemand durchhält. Er bittet also um eine bestimmte innere Ausrichtung, um geistliche Führung und Lenkung der Herzen. Gott möge dafür sorgen, dass die Thessalonicher immer seine Liebe spüren und daraus leben. Gleichzeitig wünscht er ihnen Ausdauer und Standhaftigkeit, dass sie in der Lage sind, geduldig auf Christus zu warten und an seiner Gegenwart festzuhalten.
Und diese Wünsche gelten auch uns. So könnte Paulus zu allen Christen reden, das ist auch unser Auftrag und unsere Verheißung: Es lohnt sich, wenn wir zu unserm Glauben stehen und ihn gegenüber feindlichen Mächten verteidigen. Gott möchte, dass wir uns unbeirrt zu Christus bekennen. Wir müssen uns für ihn nicht schämen, es muss kein Geheimnis bleiben, dass wir an ihm vertrauen. Und auch uns wird verheißen, dass Christus uns dabei hilft, dass er uns Kraft und Ausdauer verleiht, und wir immer in seiner Liebe bleiben. Und wenn das geschieht, wenn wir unser Leben in seiner Gegenwart führen und daraus kein Geheimnis machen, tragen wir auch heute noch dazu bei, dass das Evangelium sich ausbreitet, dass Menschen den rettenden Ruf vernehmen und sich Christus anvertrauen.
Aber wollen wir das überhaupt? Sind Mission und Verkündigung eine wichtige Angelegenheit für uns? In dem Gespräch mit Pastor Koola wurde deutlich, dass diese Themen bei uns in den Hintergrund geraten sind, und wir hier in Deutschland in unseren Landeskirchen inzwischen ein anderes Bewusstsein haben. Für einige Gesprächsteilnehmer war es schwer nachzuvollziehen, was Pastor Koola bewegte. Denn wir halten es nicht mehr für zeitgemäß, Mission zu treiben, andere Menschen überzeugen und gewinnen zu wollen und dafür Opfer zu bringen.
Im Unterschied zu ihm haben wir uns in unseren Gemeinden häuslich eingerichtet und leben so eine Art „bürgerlichen Protestantismus“. Und dazu gehört es, dass noch viele andere Dinge das Leben ausmachen, die mindestens genauso wichtig sind, wie der Glaube: Unsere Arbeit und unser Wohlstand, unsere Familien und Freunde, Reisen und Kultur und vieles mehr. Die Prioritäten setzen wir dabei nach Interessen und Neigungen. Für den einen ist es wichtiger, den Garten zu pflegen, andere gehen lieber Segeln usw. Auf jeden Fall ist der Glaube und die Kirche dabei eine von vielen Möglichkeiten, das Leben anzureichern.
Und dabei sind wir natürlich auch tolerant gegenüber anders Denkenden. Wir unterstützen den Pluralismus und begrüßen es, dass jeder und jede in unserer Gesellschaft nach ihrer Überzeugung glücklich werden darf. Manchmal ist es uns vielleicht sogar peinlich, uns zu unserem Glauben zu bekennen. Wir behalten ihn am liebsten für uns selbst, betrachten ihn als etwas sehr Intimes und als eine Privatsache.
Deshalb fänden wir es auch ganz normal, wenn ein Pastor, der durch seinen kirchlichen Dienst nicht genug zum Leben hätte, noch andere Geldquellen auftut. Die Verkündigung kann ja auch so eine Art Hobby sein, wichtig ist, dass der Mensch seinen Lebensunterhalt verdient, das hat auf jeden Fall in unserem Denken Vorrang. In dem Gespräch mit Pastor Koola wurde das deutlich.
Dieses Bewusstsein schlägt sich auch in unserem Gesangbuch nieder. In der früheren Ausgabe vor 1995 gab es im Inhaltsverzeichnis noch die Stichworte „Mission“ und „Evangelisation“, die tauchen nun nicht mehr auf. Und insgesamt sind neun Lieder zu diesem Thema nicht wieder aufgenommen worden. Sie enthalten eine Theologie und auch Begriffe, die uns fremd geworden sind. Da wird Jesus oft als „König“ bezeichnet, sein „Reich“ soll sich ausbreiten, er soll uns „ausrüsten“ mit „Waffen aus der Höhe“. Es geht um „Kampf“ und „Streit“, um Einsatz und Opferbereitschaft. Und das klingt uns viel zu militärisch und imperialistisch. Vor 150 Jahren war das Denken in unseren Kirchen vielleicht so, inzwischen haben wir es abgelegt. Heute singen wir lieber von den „vielen Strahlen, die alle aus einem Licht brechen“ (EG 268), und in unserem Anhang fehlt die Rubrik „Sammlung und Sendung“ ganz.
Einerseits ist das natürlich ein Fortschritt. Vielleicht waren die Missionare wirklich vom Eroberungsgeist infiziert, der um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert die Politik bestimmte. Vieles war in den damaligen Missionsbewegungen sicher nicht gut. Wir sind inzwischen mit unseren Erkenntnissen weiter gekommen, nehmen Rücksicht auf die Andersartigkeit fremder Kulturen und Denkweisen und respektieren das Lebensgefühl unserer Mitmenschen nah und fern.
Aber müssen wir uns deshalb mit unserem Glauben verstecken? Kann es nicht sein, dass es Menschen gibt, die sehnsüchtig auf Antworten warten, die wir ihnen geben könnten? Was kommt denn dabei heraus, wenn wir unsere Prioritäten so verteilen, wie ich es beschrieben habe, wenn Geld und Unterhaltung, Geselligkeit und Gesundheit die wichtigsten Themen sind? Unzählige Bereiche der Seele und des Lebens gehen auf diese Weise leer aus.
Denn es gibt in jedem und jeder von uns eine Sehnsucht, die weit über das alles hinausgeht, die sich nicht so leicht befriedigen lässt. Ebenso gibt es Ängste und Sorgen, die wir nicht so schnell loswerden. Sie entstehen z.B., wenn uns eine Krankheit befällt, für die die Medizin keine Lösung hat, oder wenn die Arbeitsstelle unsicher wird. Das Scheitern und die Niederlage sind immer um die Ecke und lauern darauf, uns aus der Bahn zu werfen. Auch Schuld, Traurigkeit und Sinnlosigkeit können uns heimsuchen, und vieles mehr. Die Liste der Nöte, die auch in einer Wohlstandsgesellschaft auftauchen, ist lang, und das Leid, das bei uns vorhanden ist, oft groß. Wir verdrängen das bloß ganz gerne und lenken uns, so lange es geht, von all diesen Problemen ab.
Doch letzten Endes reicht diese Strategie natürlich nicht, und das wissen wir zutiefst auch. Unser Wohlstand ist brüchig und gefährdet, und wir täuschen uns, wenn wir ihn zur Priorität machen. Es ist eine Illusion, wenn wir das Heil von der Welt erwarten, das ahnen wir alle. Tief in uns spüren wir, dass es noch mehr geben muss, etwas Größeres, einen Sinn und eine Hoffnung, die über diese Welt hinausweisen.
Und genau das hat Jesus uns gebracht. Er ist in die Welt gekommen, um uns eine Tür zur Ewigkeit zu öffnen. Er möchte uns mit Gott in Verbindung bringen und mit seiner Liebe. Er möchte uns einen Grund und eine Freude geben, die nicht vergehen, auch wenn alles andere sich verdunkelt. Und es ist gut, wenn wir das zu unserer Priorität machen, wenn auch bei uns das Evangelium wieder Thema Nummer eins wird.
Das muss nicht heißen, dass wir nun den ganzen Tag beten und jeden Menschen in ein Gespräch über den Glauben verwickeln. Es reicht, wenn auch wir „kein Geheimnis daraus machen, dass wir Jesus lieben“ und ihn in unserem Denken und Fühlen an erste Stelle setzen. Die Frage, die uns heute gestellt wird, ist hauptsächlich die nach unserem Bewusstsein und unserer inneren Ausrichtung.
Um die geht es auch Paulus gegenüber den Thessalonichern. Er bittet sie ja nicht darum, nun zu Aktivisten zu werden, sondern sie sollen „für ihn und für das Evangelium beten“. Das ist sein Hauptanliegen, und das können auch wir tun. Wir können uns an Gott wenden und ihm etwas zutrauen. Beim Beten stellen wir uns bewusst in seine Gegenwart und halten an ihm fest. Wir glauben an seine „Treue“ und an seine „Liebe“.
Es gilt zu erkennen, dass nicht Gott ein Teil unseres Lebens und Denkens ist, ein Thema unter vielen, sondern wir sind ein Teil von ihm. Unser Leben und das vieler anderer Menschen liegt in seiner Hand. Denn er ist der Eine, die Mitte und das Ziel, auf das alles hinausläuft. Im Gebet erkennen wir das an und leben danach.
Und das ist ein wunderbares Heilmittel: Wann immer uns Traurigkeit überfällt oder das Gefühl der Sinnlosigkeit, Angst oder Verzweiflung, können wir uns an Gott wenden und uns seiner Liebe hingeben. Wir halten ihm unser Herz hin, damit die „Geduld Christi“ auf uns übergeht. Wir werden dann ruhig und getröstet, wir erleben die Gegenwart Gottes und schöpfen neue Kraft und Hoffnung.
Und die ist nicht nur für uns wichtig, sondern für die ganze Welt. In Wirklichkeit warten alle Menschen auf diese Erlösung, auf eine bedingungslose Liebe und unbeirrbare Hoffnung. Wir dürfen ihnen das deshalb nicht vorenthalten. Wer weiß, wen wir alles retten können, wenn wir unseren Glauben öfter bekennen und nicht mehr als Privatsache betrachten. Es ist nicht beliebig, ob wir Christus vertrauen, sondern für uns und für die Welt von großer Bedeutung. Wir tragen zu ihrer Rettung bei, wenn wir unsere „Herzen auf die Liebe Gottes ausrichten“ und auf die „Geduld Christi“. Denn damit eröffnen wir einen Raum, in dem andere aufatmen können, der Licht und Erlösung in die Welt bringt. Es ist ein unsichtbarer Widerstand gegen das Böse und die zerstörerischen Mächte, und es lohnt sich, dem unser Leben zu widmen.
In der Mission wird längst davon geredet, dass die sogenannten jungen Kirchen in Übersee nicht mehr unsere Mündel sind, sondern unsere Partner. Deshalb laden wir sie auch zu uns ein, damit sie uns nun etwas sagen und ihren Glauben bezeugen können. Und vielleicht hat sich das Gefälle inzwischen ja sogar umgedreht. Pastor Koola aus Tansania hat mich jedenfalls beeindruckt und inspiriert. Sein Glaube und seine Hingabebereitschaft waren ein wunderbares Zeugnis dafür, dass Jesus uns retten kann, dass die Liebe Gottes die ganze Welt umfängt und dass es gut und heilsam ist, wenn das Evangelium „läuft und gepriesen wird“. Amen.