Betrachtungsgottesdienst: „Am Tisch des Herrn“
10.8.2014, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel
mit Predigt über Psalm 111, 4:
Der Herr hat ein Gedächtnis gesiftet
Wir haben heute einen Abendmahlsgottesdienst gefeiert, und das haben wir zum Anlass genommen, einmal das Fenster unserer Kirche, das dieses Thema darstellt, zu betrachten. Was hat der Künstler sich dabei gedacht? Darüber hat Binia Kempe sich Gedanken gemacht.
Und wie könnte man das Abendmahl noch darstellen? Das haben wir uns auf einem weiteren Bild vergegenwärtigt, dem „Abendmahl“ von Emil Nolde, das Christa Lehmann mit uns betrachtet hat.
Die Betrachtungen sollten uns an das Geheimnis des Abendmahls heranführen und uns auf die Feier vorbereiten. In der Predigt wurden einige allgemeine Gedanken zu der Frage behandelt, was beim Abedmahl überhaupt geschieht.
Betrachtung des Abendmahlsfensters in der Lutherkirche
von Binia Kempe
Das Thema Abendmahl steht heute im Mittelpunkt in diesem Gottesdienst. Wir wollen in Abständen die Buntglasfenster hier in der Kirche genauer betrachten und sie so würdigen. Sie wurden 1963 eingeweiht.
Wir beginnen heute mit dem vierten Fenster von vorn gesehen.
Zur genaueren Betrachtung und wenn Sie nicht so günstig sitzen, haben wir Ihnen eine Karte mit der Abbildung des Fensters beim Eintritt in die Kirche gegeben.
Die Epistellesung zum Thema Abendmahl steht im 1. Brief des Paulus an die Korinther.
Ich lese aus der Bibel in gerechter Sprache:
1.Korinther 10,16+17
„Der Becher des Segens, den wir segnen,bringt er uns nicht in die Gemeinschaft mit dem Blut Christi? Das Brot, das wir brechen, bringt es uns nicht in die Gemeinschaft mit dem Leib Christi? Wir vielen sind ein Brot, ein Leib, denn wir haben alle Anteil an dem einen Brot.“
Als erstes fällt der schöne eiförmige Becher auf breitem Stiel auf. Die Farben rot und gold deuten auf das Metall, aus dem der Becher gemacht ist: Bronze und Gold.
Das Rot deutet aber auch auf den Inhalt des Bechers, den roten Wein, symbolisch das Blut Christi. Und die goldenen Farbe auf die Kostbarkeit des Bechers.
Jesus sagt in der Nacht im Garten Gethsemane, als er verraten wird: „Abba, mein Vater, alles ist dir möglich, nimm diesen Kelch von mir “ – oder in anderer Übersetzung: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen – Und weiter sagt Jesus: Doch es geschehe nicht, was ich will, sondern was du willst.“ (Markus 14,36)
Dadurch ist der Kelch zum Symbol für die Gnade Gottes geworden.
In der späteren christlichen Kunst fängt ein römischer Soldat das Blut und das Wasser, das aus der Seitenwunde Jesu fließen, mit einem Kelch auf: das ist sozusagen das Urbild des Abendmahlskelches.
Hier in unserem Buntglasfenster neben dem Becher, etwas schwer zu identifizieren, ein flaches halbrundes Brot, das bedeckt wird von einem Bedeckungsgefäß, einem sog. Ziborium.
Das Brot ist ebenso ein Symbol für Christus als das Brot des Lebens.
Jesus sagte zu seinen Jüngern:
Ich bin das Brot des Lebens, alle die zu mir kommen, werden nie mehr hungrig sein, und alle, die an mich glauben, werden nie mehr durstig sein.
Jesus Christus ist der Gastgeber des Abendmahls. Er wird uns den Gästen durch
Brot und Wein gegenwärtig.
Wenn wir nachher das Abendmahl feiern, erinnern Sie sich vielleicht an den Kelch und das Brot, das hier im Fenster dargestellt ist.
Bildbetrachtung „Abendmahl“ von Emil Nolde
von Chista Lemann
Markus 14, 17 – 26
17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen.
18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.
19 Und sie wurden traurig und fragten ihn, einer nach dem andern: Bin ich’s?
20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht.
21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.
22 aUnd als sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib.
23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus.
24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein aBlut des Bundes, das für viele vergossen wird.
25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.
26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.
Im Jahr 1909 malte Emil Nolde sein „Abendmahl“.
So ein „Abendmahl“ ist nie zuvor gemalt worden – und es löste damals einen wahren Sturm der Entrüstung aus, gipfelnd im Vorwurf der „Gotteslästerung“! Ein bis dahin einmaliger Kunststreit entbrannte um das Bild.
Was sehen wir?
FARBEN – glühend, leuchtend! Fast, wie wir sie von alten Kirchenfenstern kennen.
Orange und rot, gelbgrüne Gesichter und Hände…
Männer drängen sich um einen Tisch. Im Zentrum die einzige Figur, die frontal zu sehen ist: Christus – in einem hellen Licht, das auch die Gesichter der Jünger erhellt.
Jesus hat die Augen geschlossen. Sein Gesicht, seine Gestalt leuchten von innen heraus.
Seine Hände halten den Kelch: „Er nahm den Kelch und dankte und gab ihnen den.“ Davor hat er mit diesen Händen das Brot gebrochen und es den Jüngern weitergegeben: „Nehmet…“
Nur mit Farben und Licht hat Nolde dem Geschehen einen überwältigenden Ausdruck gegeben. FARBE ist seine Sprache – mehr als die Form.
Als Emil Nolde dieses Bild malte, war er nach einer Trinkwasservergiftung nur knapp dem Tod entronnen. Wie in einem inneren Kampf entstand es in ihm und er schreibt selbst darüber so:
„Einem unwiderstehlichen Verlangen nach Darstellung von tiefer Geistigkeit, Religion und Innigkeit war ich gefolgt, doch ohne viel Wollen, Wissen und Überlegung. Fast erschrocken stand ich vor dem aufgezeichneten Entwurf; nun sollte ich malen das geheimnisvollste, tiefinnerlichste Geschehnis der christlichen Religion! … Ich malte und malte, kaum wissend, ob es Tag oder Nacht war, ob ich Mensch oder nur Maler war. Falls ich am Bibelbuchstaben und am erstarrten Dogma gebunden gewesen wäre – ich habe den Glauben, dass ich dann dieses tiefsinnige Bild „Abendmahl“ nicht hätte so stark malen können. Ich musste künstlerisch frei sein, spürte Gott in mir, heiß und heilig wie die Liebe Christi.“
(zitiert aus: Emil Nolde, Mein Leben, Dumont, 11. Aufl. 2000)
Predigt über Psalm 111,4
von Gesa Bartholomae
Liebe Gemeinde.
Wir haben heute zwei Bilder über das Abendmahl gesehen, die in Farbe und Form, Inhalt und Aussage sehr voneinander abwichen. Sicher kennen Sie auch noch unzählige andere und wissen, wie verschieden man diese Szene darstellen kann. Jedem Maler, jeder Künstlerin ist etwas anderes eingefallen und wichtig, und daran erkennen wir, dass jeder Mensch das Abendmahl auf seine Weise versteht und etwas anderes dabei erlebt.
In der Theologie und der kirchlichen Tradition ist das nicht anders. Auch da gibt es viele Möglichkeiten, das Abendmahl zu deuten und zu vollziehen. Für die einen sind Brot und Wein wirklich Leib und Blut Christi, die anderen verstehen diese Elemente nur als Symbole. Viele gehen unvorbereitet dahin, etliche meinen, dass sie zunächst beichten müssen. In Klöstern wird es täglich gefeiert, in unzähligen Gemeinden jeden Sonntag. Wir laden einmal im Monat ein, einige Christen gehen nur einmal im Jahr.
Und es gibt auch Streit darüber. Die Trennung der Kirchen entzündet sich oft an diesem Thema, und es gibt bis heute unversöhnliche Gegensätze.
Das ist schade, denn so hat Jesus sich das bestimmt nicht vorgestellt. Und ich denke auch, dass es ein paar Dinge gibt, die uns doch alle vereinen. Sie kommen in dem Bibelwort zum Ausdruck, unter das wir diesen Gottesdienst gestellt haben. Es steht in Psalm 111,4 und lautet:
„Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr.“
Der Psalm ist insgesamt das Dankgebet eines Einzelnen für Gottes große Taten. Der Beter bekennt, was Gott ihm bedeutet und was er mit ihm erlebt hat. Er freut sich darüber, dass Gott sein Heil dem Volk offenbart hat, dass er wirkt und handelt. Dabei denkt er zum einen an die Geschichtstaten Gottes, an alles, was Israel im Laufe der Zeit mit Gott erfahren hat, und zum anderen an die kultischen Traditionen, die es in Israel gibt, die regelmäßigen Rituale und Feiern. Gott hat sie eingesetzt, darüber freut sich der Beter, und damit erinnert er daran, dass sie dem Willen Gottes entspringen. Gott möchte, dass sie immer wieder vollzogen werden. Die Gemeinde soll Gottesdienste feiern, damit sie an ihn denken und sein Wirken spüren kann. Die Rituale weisen auf Gott hin und machen seine Gegenwart erlebbar.
Und das trifft auch auf unsere christlichen Traditionen zu. Wir können die Aussagen des Psalms genauso gut auf unsere Überlieferungen und Bräuche anwenden, also auch auf das Abendmahl. Wenn wir das tun, finden wir drei Aussagen, die wahrscheinlich sogar alle Christen teilen.
Die erste Botschaft lautet: „Gott hat ein Gedächtnis gestiftet“. Das bedeutet, die Initiative für das Abendmahl ging von Gott aus, und zwar erinnert Gott uns damit an sich selber. Er lädt uns ein, er kommt in unsere Wirklichkeit, in unser Leben hinein. Mit Erinnerungen wird das, woran wir uns erinnern, ja immer ein Stück lebendig, es wird gegenwärtig und erfahrbar. Und so ist es mit dem Abendmahl: Wir kommen mit Gott in Kontakt.
Es ist also nicht unsre Idee, und entscheidend daran sind auch nicht unsere Ansichten und Meinungen darüber. Wir reden und denken nicht nur, sondern vollziehen etwas: Wir essen und trinken und haben Gemeinschaft. Wir werden leibhaftig in ein Geschehen einbezogen. Gott berührt unseren Leib und unsere Seele und kommt uns ganz nahe.
Das ist der erste Punkt, der in unserem Psalmvers zum Ausdruck kommt.
Als zweites ist das Stichwort „Wunder“ entscheidend. Als Wunder gilt ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann, so dass es Erstaunen auslöst. Es bezeichnet etwas Außergewöhnliches, ein Ereignis, das sich zwar in Raum und Zeit abspielt, das man mit menschlicher Vernunft aber nicht begreiflich machen kann. Denn es widerspricht unseren normalen Erfahrungen und sprengt die Gesetzlichkeiten von Natur und Geschichte.
Das Abendmahl ist so ein Wunder, denn natürlicherweise ist Gott beim bloßen Essen und Trinken von Brot und Wein nicht anders gegenwärtig, als sonst auch. Und wie sollen sich diese Elemente in Leib und Blut Christi verwandeln? Das bleibt unfassbar und unverfügbar.
Zum Abendmahl gehören also die Ankündigung und der Glaube, dass hier etwas Göttliches geschieht, etwas, das unser Denken überschreitet. Insofern hat Luther Recht, wenn er im Kleinen Katechismus erklärt: „Die Worte sind neben dem leiblichen Essen und Trinken das Hauptstück im Sakrament. Und wer diesen Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten.“ Das Aussprechen und Hören des Wortes Gottes und der Glaube des Einzelnen sind unverzichtbar, wenn das Abendmahl wirken soll. Nur dann, wenn die Heilige Schrift laut wird und die Empfangenden darauf vertrauen, dass Gott sie einlädt, ereignet sich das Wunder, um das es geht: Dann ist Gott in dieser Feier wirklich gegenwärtig und zieht in Leib und Seele ein. Das ist der zweite Punkt.
Und als Drittes wird in dem Psalmvers Gottes „Gnade und Barmherzigkeit“ erwähnt. Und damit wird sowohl der Ursprung als auch das Ziel des Abendmahls angedeutet. Warum gibt es diese Feier überhaupt? Warum hat Gott dieses „Gedächtnis“ gestiftet und was will er uns damit schenken? Die Antwort lautet: Er hat es eingesetzt, weil er gnädig ist und weil er uns vergeben will. Auch das kommt im Kleinen Katechismus zum Ausdruck. Luther fragt im zweiten Absatz: „Was nützt denn solch Essen und Trinken? Das zeigen uns diese Worte: Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden; nämlich, dass uns im Sakrament Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit durch solche Worte gegeben wird; denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit.“
Das Abendmahl ist also eine Feier der Befreiung und der Liebe. Wir dürfen kommen, wie wir sind, jeder und jede ist eingeladen. Wir müssen uns nicht vorher reinigen und alle unsere Sünden ablegen. Was uns an uns selber nicht gefällt, dürfen wir mitbringen. Wir dürfen sein, wer wir sind, denn Gott sagt ja zu uns. An seinem Tisch wird uns abgenommen, was uns eventuell von ihm trennt. Wir haben ungehinderte Gemeinschaft mit Gott und empfangen seine Liebe. Deshalb bewirkt das Abendmahl „Leben und Seligkeit“, wie Luther sagt, d.h. Erlösung und Heil, Glück und Freiheit.
Und natürlich entsteht dadurch auch Einigkeit untereinander. Die Liebe, die wir empfangen, wirkt sich auf unsere menschliche Gemeinschaft aus. Wir können uns gegenseitig genauso vergeben, wie Gott uns vergibt. Trennendes wird aufgehoben, wir werden miteinander verbunden.
So hat Gott sich das jedenfalls vorgestellt, als sein Sohn das Abendmahl eingesetzt hat. Gerade diese Feier sollte dazu dienen, dass seine Jünger eins sind. Auch wenn wir unterschiedliche Menschen sind, mit vielfältigen Meinungen und Ansichten, beim Abendmahl sind wir alle vereint im Glauben und Schauen der Gegenwart Gottes.
Amen.