Lesepredigt über 2. Korinther 5, 17: Die neue Schöpfung
3. Sonntag nach Ostern, Jubilate, 3.5.2020
Für einen Gottesdienst zu Hause ist hier ein Entwurf:
Liebe Gemeinde
Es gab schon immer Wahrsagerinnen, Orakel und Propheten. Sie können uns angeblich etwas über die Zukunft sagen, denn sie sind anders in die kommenden Geschehnisse eingeweiht als wir. Sie kennen Geheimnisse, die wir nicht kennen und berichten darüber. Viele Menschen folgen gerne ihren Ausführungen. Ob ihre Quellen seriös sind, spielt für sie keine große Rolle.
Anderen ist das wichtiger, wenn es um die Zukunft geht, und es gibt ja durchaus auch ernstzunehmende Vorhersagen. Sie resultieren aus Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, Aufzeichnungen, Messungen und Berechnungen. Der Wetterbericht entsteht z.B. so, und wir vertrauen ihm normaler Weise. Auch sogenannte Zukunftsforscher sind angesehene Wissenschaftler, auf deren Stimme gehört wird.
Auf jeden Fall ist es ein großes Bedürfnis der Menschen, die Zukunft vorherzusagen. Wir beschäftigen uns gerne und oft damit, entweder aus Angst, oder um das Leben zu planen, aus Sorge, oder weil wir Wünsche haben, die wir uns erfüllen möchten. Die Zukunft begleitet uns ständig in unsrem Denken und Fühlen, unserem Handeln und unseren Entscheidungen.
In der Bibel ist das auch so, da spielt sie sogar eine große Rolle. An vielen Stellen ist dort von den Verheißungen Gottes die Rede: Propheten haben Visionen, sie machen Zusagen, wollen Zuversicht vermitteln oder warnen. Auch das Thema einer völlig neuen Welt, die Gott heraufführen wird, durchzieht die ganze Bibel. Die Israeliten hofften darauf, und sowohl Jesus als auch die Apostel waren davon überzeugt, dass bald das ewige Reich Gottes anbrechen würde.
Hinter dem Spruch für den Sonntag Jubilate und die kommende Woche steht diese Vorstellung ebenso. Er steht im zweiten Brief des Paulus an die Korinther und lautet: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor. 5, 17)
Paulus sagt mit diesem Satz, was es heißt, Christ zu sein und zu Christus zu gehören: Es ist, als würde der Mensch mit Christus neu geschaffen. So wie Christus gestorben und auferstanden ist, so wird auch der Gläubige ganz neu mit ihm leben.
Hinter dieser Aussage steht der Endzeitglaube von Paulus. Er lebte in dem Bewusstsein, dass es zwei Weltzeiten, zwei Äonen gibt, einen alten und einen neuen. Die alte Zeit begann einst mit der Erschaffung Adams, die neue Zeit ist mit Christus angebrochen. Wer mit ihm Gemeinschaft hat, wird also neu erschaffen und hat Anteil an der ewigen Zukunft Gottes. Er wird ein himmlischer Mensch.
Dabei weiß Paulus sehr wohl, dass die Welterneuerung noch nicht vollendet ist. Es wird noch mehr kommen, die endgültige Auferstehung und die volle Gottesherrschaft stehen noch aus. Sünde und Tod sind noch da, die alte Welt ist noch nicht endgültig abgelöst. Aber ihr Schicksal ist besiegelt, die vergehende Welt ist besiegt und zum Untergang verurteilt. Denn Christus hat ein neues Zeitalter herbeigeführt, das in die alte Welt eingebrochen ist. Das Neue triumphiert bereits. Die große Entscheidung über die Mächte dieser Welt ist in Christus gefallen.
Es ist also beides gleichzeitig da: Das „Noch nicht“ und das „Es ist geschehen“. Und so gibt es bereits jetzt ein „neues Sein in Christus“, auch wenn das alte „noch nicht“ vergangen ist. Christus erneuert den inneren Menschen, er versöhnt ihn mit Gott. Der Tag des Heils ist jetzt.
Das ist die Botschaft von Paulus, und es tut gut, darauf zu hören. Gerade jetzt in der Corona-Krise denken ja viele Menschen darüber nach, wie es wohl danach werden wird. Wir erleben etwas Ungewohntes und Neues. Es macht Angst und lädt zu Spekulationen ein. Viele sagen, dass die Welt danach eine andere sein wird. Doch wie wird sie aussehen?
Mit den Methoden und Werkzeugen der Trend- und Zukunftsforschung lassen sich die möglichen Folgen der Pandemie einschätzen. Ein Zukunftsinstitut hat vier Szenarien entwickelt, die beschreiben, wie unsere Zukunft nach der Pandemie mittelfristig aussehen könnte:
Szenario eins ist die totale Isolation. Der Shutdown wird zur Normalität, alle sind gegen alle, es herrscht Angst und Misstrauen unter den Menschen. Es wird z.B. normal sein, sich vor dem ersten Date gegenseitig die Gesundheitsdaten zu schicken. Bei jeder Ausreise brauchen wir eine Genehmigung. Es gibt selbst in der EU umständliche Visumsverfahren, und wir akzeptieren das alle.
Szenario zwei beschreibt den System-Crash: Das Virus hat die Welt ins Taumeln gebracht und sie kommt nicht mehr heraus. Das Vertrauen in die globale Zusammenarbeit ist massiv erschüttert. Jede Nation ist sich selbst die Nächste. Die Sorge vor einer erneuten Pandemie macht jede noch so kleine lokale Verbreitung eines Virus zum Auslöser drastischer Maßnahmen. Die Welt wankt nervös in die Zukunft.
Diese beiden Abläufe sind pessimistisch.
Man kann aber auch optimistisch sein, und sich vorstellen, dass sich die globalisierte Gesellschaft nach der Corona-Krise wieder stärker zurück zu lokalen Strukturen entwickelt. Das ist das dritte Szenario: Es wird mehr Wert auf regionale Erzeugnisse gelegt. Die Rückbesinnung auf Familie und Haus und Hof hat Einzug gehalten. Kleine Gemeinschaften entstehen neu und verfestigen sich – immer in vorsichtiger Abgrenzung zu „den Anderen“. Nachhaltigkeit und Wir-Kultur sind wichtige Werte, die jedoch nur lokal gedacht werden, nicht global.
Und das vierte Szenario sieht eine wunderbare neue Welt heraufkommen: Die Menschen haben gelernt und gehen gestärkt aus der Krise hervor. Wir passen uns besser den Gegebenheiten an und sind flexibler im Umgang mit Veränderung. Die Weltwirtschaft wächst zwar weiter, aber deutlich langsamer. Unternehmen entwickeln neue Geschäftsmodelle und machen sich unabhängig vom Wachstum. Sie fragen nicht mehr nach dem Profit, sondern nach dem Sinn des Wirtschaftens. Sie legen Wert auf bessere, sozial und ökologisch vorteilhaftere Problemlösungen. Das gemeinsame Überstehen der Krise führt zu einem neuen, achtsamen Umgang miteinander. Solidarität, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt bestimmen das Handeln aller. Dieses Szenario wäre natürlich das Beste.
Aber was von all dem eintreten wird, weiß niemand. Es gibt Zukunftsforscher, die mit ihren Prognosen schon gehörig danebengelegen haben, und möglicherweise wird sich gar nicht so viel ändern.
Denn am naheliegendsten wäre es ja, wenn die jetzige Prämisse „Die Gesundheit und das Überleben der Menschen hat absoluten Vorrang“ bald auch alle anderen Bereiche der Politik bestimmt. Dann würden wir sofort Tempo 130 auf allen Autobahnen haben, damit es weniger Verkehrstote gibt. Alkohol, Zigaretten und ungesunde Lebensmittel werden verboten, damit niemand an den Krankheiten stirbt, die dadurch entstehen. Wir stellen die Waffenproduktion ein, damit kein Mensch mehr einen anderen erschießen kann. Wir kümmern uns endlich entschieden um das Klima, damit alle Lebewesen auf diesem Planeten überleben können, usw.
Vielleicht wird das eine oder andere davon ja tatsächlich geschehen, aber sicher nicht sofort nach der Krise, weil dadurch alle so einsichtig werden oder weil die jetzigen Prioritäten in der Politik festgesetzt werden und überall gelten. Denn die Menschen bleiben egoistisch und träge. Macht und Gier und Wille haben uns dahin gebracht, wo wir sind, und die werden nicht einfach so verstummen. Der Mensch wird weiterhin von seinen Wünschen und Bedürfnissen gesteuert sein. Es ist auch nicht ganz nachvollziehbar, warum ein Virus plötzlich alles verändert sollte. Wenn es besiegt ist, wird es wahrscheinlich wieder in Vergessenheit geraten. Auch in früheren Zeiten hat die Menschheit Krisen überstanden und bald danach so weiter gemacht, wie vorher.
Denn zu einer echten Erneuerung gehört etwas ganz anderes, als eine Krankheit, vorübergehender Freiheitsentzug oder ein Wirtschaftseinbruch, selbst wenn es in allen Ländern der Welt geschieht. Es muss eine Zeitenwende eintreten, eine ganz neue Welt entstehen, ohne unser Zutun. Und genau das ist geschehen. So lautet die Botschaft des Neuen Testamentes:
Jesus Christus hat die neue Welt gebracht, in ihm hat sich etwas ereignet, das alle, die an ihn glauben, immer wieder neu erschafft. Das Alte hat seine Macht verloren, auch wenn sich das Neue noch nicht ganz durchgesetzt hat. Christus ist auferstanden und hat die Schöpfung erneuert. Wir müssen nur daran glauben und uns darauf einlassen. So lautet das Evangelium.
Doch was heißt das nun konkret? Was müssen wir beachten, wenn wir an der neuen Schöpfung Anteil haben wollen? Lasst uns darüber noch nachdenken und uns zunächst folgendes klar machen:
Wenn das Heil jetzt da ist, müssen wir uns auf die Gegenwart konzentrieren. Es ist nicht ratsam, zu viel über die Zukunft zu sinnieren und mit den Gedanken in einer Zeit zu sein, die noch nicht da ist. Jetzt geschieht das, was wichtig ist. Alles andere sind Phantasien, Wünsche und Spekulationen. Sie sind zwar in einem gewissen Grad realistisch, aber viel realer ist der Augenblick. In ihm gilt es, zu verweilen. Und das heißt, anstatt etwas zu wollen, müssen wir einfach nur da sein. Nicht auf das Machen und Planen kommt es an, sondern auf das Vertrauen und die Gelassenheit. Christus will uns jetzt ergreifen, und es gilt, seine Liebe und Gnade zu empfangen. Dann kann sein Geist uns erfüllen und wir werden „neu erschaffen“. Es entsteht ein neues Bewusstsein und damit auch eine neue Lebensweise und ein neues Handeln. Das ist der erste Punkt.
Als zweites dürfen wir wissen, dass das entscheidende Merkmal dieses neuen Lebens große Freude und Zuversicht ist. Die Angst vor dem Tod verschwindet, denn Christus hat die Welt überwunden und die Ewigkeit steht uns offen. Wir gewinnen eine Hoffnung, die weit über Raum und Zeit hinausweist. Wir werden geduldiger und leidensfähiger. Verlust, Krankheit, Schmerzen und Not verlieren ihr Gewicht. Wir bleiben ruhig und zufrieden, ganz gleich, was geschieht.
Beachten müssen wir dabei nur, dass dieser Zustand nicht ein für alle Mal da ist und von selber andauert. Er will immer wieder eingeübt sein. Es ist eine tägliche Aufgabe, uns so Christus anzuvertrauen, dass sein Geist uns erfüllt und wir zu „neuen Menschen“ werden. Es erfordert unser Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Wenn wir die allerdings aufbringen, wird das neue Sein langsam zu einer Gewohnheit, die uns immer mehr prägt.
Und wenn das so ist, kann sich auch die Welt verändern. Das ist der letzte Gedanke in diesem Zusammenhang. Und die Krise kann dafür auch eine gute Ausgangsbasis sein. Wir wissen zwar nicht, was danach sein wird, aber wir können uns etwas vornehmen und selber dazu beitragen, dass nicht alles wieder so sein wird wie vorher.
Wir merken jetzt alle, wie bedroht unser Leben ist, wie sehr wir einander brauchen, und was wirklich zählt. Und wir haben es selber in der Hand, ob von den guten Vorgängen und Abläufen in unserer Gesellschaft etwas überlebt. Anstatt zu spekulieren, sollten wir für uns selber etwas beschließen. Wichtig sind jetzt nicht die Stimmen von irgendwelchen Orakeln oder Zukunftsforschern, sondern die Entscheidungen jeder und jedes Einzelnen. Auf Glaube, Hoffnung und Liebe kommt es an. Und ob diese Tugenden unsere Gesellschaft prägen, liegt an uns. Die Möglichkeit dazu haben wir, weil Christus es uns geschenkt hat, so zu leben.
Lasst uns deshalb nicht allzu sehr in die Zukunft schauen und dabei ungeduldig die Tage zählen, bis all die Unbequemlichkeiten und Einschränkungen endlich vorüber sind. Jeder Tag zählt, ob in der Krise oder danach, ob in der Zeit oder in der Ewigkeit. Denn „das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden.“
Amen.