Liebe verschenken

Predigt über 1. Mose 50, 15- 21: Josephs Edelmut

4. Sonntag nach Trinitatis, 27.6.2021, 9.30 Uhr und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Wir machen gerne anderen Menschen Geschenke, besonders wenn wir sie mögen. Üblich ist das bei Geburtstagen und zu Weihnachten, aber es gibt auch noch mehr Gelegenheiten. Wir bringen damit immer zum Ausdruck, dass wir den oder die andere wertschätzen, und wollen ihnen etwas Gutes tun. Wir verlangen auch keine Gegenleistung, dadurch zeichnet sich ein Geschenk ja aus: Wir wollen nichts dafür haben. Es erfolgt aus freien Stücken, wir geben einfach etwas, aus Freude und Wohlwollen, Großzügigkeit und Liebe.

Auch in der Bibel kommt das vor. Die meisten von euch kennen sicher die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. (1. Mose 37- 50) Sie beginnt mit einem Geschenk: Jakob, der Vater der zwölf Söhne, liebte einen ganz besonders, das war Joseph. Er schenkte ihm deshalb einen „bunten Rock“. (1. Mose 37,3) Das war ein hübsches Gewand mit langen Ärmeln, das bis zu den Knöcheln reichte. Der Mann auf der Straße trug so etwas nicht. Üblich war ein kürzerer mantelartiger Umhang. Joseph besaß also ein Luxuskleidungsstück, das für ihn nur brauchbar war, weil er obendrein oft zu Hause bleiben durfte. Sein Vater Jakob verwöhnte und bevorzugte ihn.

Eigentlich hätte Jakob ahnen müssen, dass das nicht gut gehen konnte, denn damit zog Unheil herauf: Die Brüder Josephs waren neidisch, hassten ihn und schmiedeten Pläne, wie sie ihn loswerden konnten. Er hatte sich nämlich auch noch durch etwas anderes unbeliebt gemacht: In seinen Träumen hatte er die Zukunft vorausgesehen, in der seine Brüder sich vor ihm verneigten.

Das alles gefiel ihnen nicht, und als die Gelegenheit sich bot, verkauften sie ihn als Sklave an eine Handelskarawane. Sie dachten, die Geschichte sei damit zu Ende, denn nun waren sie ihn los. Doch das war weit gefehlt. Für Joseph fing das Abenteuer nun erst an: Er kam nach Ägypten, wo er am Hof des Pharaos diente. Zunächst folgte noch ein weiterer Tiefschlag, weil dessen Frau ihn verleumdet hatte, und er im Gefängnis landete, aber dann kam die Wende:

Der Pharao erfuhr von seiner Gabe des Traumdeutens. Durch sie hatte Joseph eine Dürre vorhergesagt und gleichzeitig empfohlen, wie man ihr begegnen könnte: Der Pharao sollte rechtzeitig genug Korn speichern, so dass keine der Hungersnot entstehen würde. Der Plan überzeugte den Pharao, und er wollte ihn verwirklichen. Er machte Joseph dafür zum wichtigsten Mann im Land, setzte ihn über ganz Ägypten und stattete ihn mit allen Reichtümern und Ehren aus, die es gab. Joseph wurde ein zweites Mal reich beschenkt, und sein Vorhaben gelang ihm auch.  

Nach vielen Jahren traf er dadurch seine Brüder wieder. Sie hatten gehört, dass es in Ägypten Korn gab, und zogen dorthin, um welches zu kaufen. Es war Joseph, den sie darum bitten mussten. Doch sie erkannten ihn nicht. Sie sahen in ihm nur einen reichen, vornehmen und klugen Ägypter, der viel Macht besaß, und sie fürchteten sich vor ihm. Er wusste allerdings sehr wohl, wen er da vor sich hatte.

Natürlich hätte er nun Rache üben können, sie abweisen und nach Hause schicken, damit sie hungerten und es ihnen noch schlechter ginge, als er es erlebt hatte. Aber das tat er nicht. Nun war er an der Reihe, ein Geschenk zu machen. Er „redete zwar hart mit ihnen“ und gab sich auch nicht sofort zu erkennen (1.Mose 42,7), aber in seinem Herzen hatte er ihnen längst vergeben. Er schenkte ihnen also Nachsicht und Güte. Bei ihrer dritten Reise offenbarte er ihnen dann endlich auch seine Identität, und es kam zur Versöhnung. (1. Mose 45)

Damit endet die Josefgeschichte, und die Schlusssätze sind heute unser Predigttext. Sie lauten folgendermaßen:

1. Mose 50, 15- 20

15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach:
17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.
18 Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte.
19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?
20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Dieser Abschnitt will uns dazu einladen, uns genauso zu verhalten wie Joseph. Er hatte viel Macht und hätte ohne Probleme Gewalt anwenden können. Doch das tat er nicht. Es ging vielmehr eine wohltätige Güte von ihm aus, die aufbauend und für alle befreiend und rettend war. Er war ein weiser und gläubiger Mann geworden. In allem, was geschehen war, erkannte er den Heilsplan Gottes. Demut, Klugheit und Weitherzigkeit waren die Eigenschaften, die er trainiert und sich angewöhnt hatte. Und das soll jeden und jede, die es hört, bewegen, sich ebenfalls darin zu üben. Glaube und Liebe sollen das Ziel und der Sinn des Lebens sein.

Man erkennt daran, dass die Josephserzählung zur Weisheitsliteratur Israels gehört, denn das sind die Themen, die darin vorkommen: Uns wird bewusst das Bild eines frommen Jünglings von bester Bildung und Zucht gezeigt, der die Fähigkeit der Selbstbeherrschung und Geduld besaß. Er war wahrhaftig, treu und verantwortungsbewusst und hatte die Schule der Lebenskunst erfolgreich durchlaufen. Auch wir sind eingeladen, das alles zu lernen und einzuüben.

Doch wie kann das nun gelingen? Und wollen wir das überhaupt? Das klingt nicht gerade einfach und geht uns sogar gegen den Strich. In Konfliktsituationen verhalten wir uns normalerweise anders. Es gibt sie ja überall: Zwischen Eltern und Kindern, Ehepartnern oder Arbeitskolleginnen. Auch in der Gemeinde und in anderen Gruppen herrscht immer mal wieder Unfriede. Er entsteht durch Meinungsverschiedenheiten, Machtkämpfe, Missachtung, Neid, Intrigen und vieles mehr. Meistens folgt daraus Ärger, Wut oder Zorn. Es kommt zu Schuldzuweisungen, Vorwürfen und nicht selten zur Trennung. Keine will nachgeben, keiner sich ändern oder die Dinge einmal anders beurteilen. Wir bleiben bei unserer Sichtweise, denn wir empfinden es als Unrecht, was der oder die andere uns zufügt.

Zu einer Lösung kommt es dadurch allerdings nicht. Im Gegenteil, oft verhärten sich die Fronten, und das tut niemandem gut. Es wäre viel besser, wenn wir uns in der Lebenskunst üben würden, die zum Heil und zum Frieden führt. Und das kann auch gelingen. Wir müssen uns nur dafür entscheiden und können dann in drei Schritten vorgehen.

Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir erkennen, was wir längst geschenkt bekommen haben. Es ist die Liebe und Vergebung Jesu Christi. Er hat sich ganz dem Willen Gottes hingegeben und war von seiner Gnade und Kraft erfüllt. Dadurch hat er das Unheil, das ihm wider fuhr, überwunden und das Böse besiegt. Und dabei ist er nicht nur ein Vorbild, sondern auch derjenige, der uns an die Hand nimmt. Er begegnet uns mit Liebe und Erbarmen. Er vergibt uns immer wieder und nimmt uns an. Die Kraft, seinen Weg zu gehen, kommt von ihm selber. Er ist nicht nur unser Lehrer, sondern auch die Quelle, aus der wir immer wieder die Energie der Liebe empfangen. Sie macht uns zur Demut und zur Geduld fähig, wir werden gestärkt und befreit. Das gilt es zuzulassen.

Dann gelingt auch der zweite Schritt, der darin besteht, die anderen einmal wirklich zu sehen. In einem Konflikt spüren wir meistens nur uns selbst, unseren Zorn oder die Verletzung, die uns zugefügt wird, die Enttäuschung und das Unrecht. Wir stecken in unseren eigenen Gefühlen und Gedanken fest. Doch wie geht es eigentlich unserem Gegenüber? Was bewegt sie oder ihn? Wie kommt es, dass sie so handeln? Diese Fragen sollten wir uns einmal stellen. Wir steigen damit aus dem Konflikt aus und gucken uns die Situation von außen an. Dadurch sehen und verstehen wir einiges, was uns vorher nicht klar war. Meistens steht hinter dem problematischen Verhalten der anderen nämlich eine Last, die sie mit sich herum schleppen.

Wenn wir das erkennen, können wir als drittes beschließen, diese Last mitzutragen, den anderen unsere Kraft zur Verfügung zu stellen und ihnen etwas zu schenken. Anstatt uns durchzusetzen und auf unserem vermeintlichen Recht zu bestehen, schenken wir ihnen unsere Nachsicht und Weitherzigkeit. Wir machen ihnen das Geschenk der Friedfertigkeit und der Ruhe, und erwarten dafür keine Gegenleistung. Wir tun es einfach so, aus freien Stücken, weil wir es können und diese Liebe übrig haben. Wir können es uns sozusagen leisten, weil wir selber reich beschenkt wurden. Alle Menschen haben die Fähigkeit der Vergebung und der Liebe. Sie steckt in jedem von uns, sie wurde uns allen mitgegeben. Wir müssen sie nur zum Zuge kommen lassen und sie mit der Hilfe Christi entfalten. Das ist der dritte Schritt.

Und wenn wir das alles machen, merken wir, wie gut uns das tut. Es hat heilsame Folgen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort: „Die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück.“ Das geschieht, wenn wir uns in Nachsicht üben. Wie jedes Geschenk macht auch dieses nicht nur die Empfangenden glücklich, sondern genauso die Gebenden. Es beruhigt und besänftigt, heilt und befreit. Es eröffnet etwas Schönes, einen ein Weg der Freude und des Friedens, und es lohnt sich, den einzuschlagen. Wir verwirklichen etwas besonderes, wenn wir ihn gehen, denn wir steigen aus den üblichen Mustern aus und lassen uns von einer Kraft bestimmen, die alles verändern kann. Es ist die Kraft der Liebe. Wenn wir sie austeilen, vervielfältigt sie sich, und je mehr wir das tun, umso sinnvoller und erfüllter wird unser Leben. Denn „der hat sein Leben hat am besten verbracht, der die meisten Menschen hat froh gemacht.“

Amen.