Predigt über Matthäus 15, 21- 28: Die kanaanäische Frau
17. Sonntag nach Trinitatis, 27.9.2015, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel
Matthäus 15, 21- 28
21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.
23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Stell sie zufrieden, denn sie schreit uns nach.
24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!
26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
Liebe Gemeinde.
Lorbeerkranz, Goldmedaille oder Triumphbogen sind Zeichen eines Sieges. Sie sollen dauerhaft an den abschließenden Erfolg im Kampf oder Wettkampf erinnern. Gefeiert wird ein Sieg mit entsprechenden Posen, dem Hissen von Fahnen, dem Victory-Zeichen oder einer Siegerparade. Denn es ist ein tolles Gefühl und ein großartiges Ereignis, wenn man den Sieg über einen Gegner errungen hat. Es geschieht im militärischen oder sportlichen Kampf, sowie im politischen oder künstlerischen Wettbewerb. Preise, Belohnungen, erobertes Gut und Ähnliches machen den Sieger darüber hinaus zum Gewinner.
Der Gegner erfährt eine Niederlage und oft einen Verlust, er ist der Verlierer. Und die gibt es bei jedem Sieg genauso. Den Sieger stört das meistens nicht, das gehört dazu und wird von allen akzeptiert. Trotzdem ist das natürlich eine Schattenseite jedes Sieges, er hat immer zwei Seiten, eine gute aber auch eine zerstörerische.
Ist es deshalb sinnvoll, ihn in Zusammenhang mit dem Glauben zu bringen? Unser Thema heute lautet: „Sieghafter Glaube“, und das klingt kämpferisch und ungemütlich. Irgendetwas wird beim Glauben offensichtlich überwunden und vernichtet. Was ist das? Und wollen wir das überhaupt? Das müssen wir uns fragen, und dabei hilft uns das Evangelium von heute. Es handelt von Jesus und einer Frau. Sie haben eine Auseinandersetzung, es ist so eine Art Kampf, und aus dem geht die Frau eindeutig als Siegerin hervor. Was ist geschehen, und wie kam es dazu?
Jesus befand sich „in der Gegend von Tyrus und Sidon“, damit beginnt die Erzählung, und das ist nicht unwichtig, denn das waren zwei Küstenstädte auf heidnischem Gebiet. Sie zeichneten sich durch blühenden Handel und großen Reichtum, aber auch durch Gottlosigkeit und Feindschaft gegen Israel aus. Mehrfach haben die Propheten des Alten Testamentes ihnen das Gericht Gottes angedroht. Hier nun begegnet Jesus einer Frau, und es ist klar, dass er nicht besonders gut auf sie zu sprechen ist.
Schreiend kommt sie zu ihm, verzweifelt und aufdringlich. Sie ruft um Erbarmen und benutzt zwei Anreden für Jesus: „Herr“ und „Sohn Davids“. Das heißt, sie erkennt an, dass er der Messias ist. Sie glaubt an ihn und traut ihm Großes zu. Der Grund für ihre Not ist ihre Tochter, die „von einem bösen Geist übel geplagt“ wird. Heute würde man sagen, sie leidet an einer schweren psychischen Krankheit. Die Frau erwartet von Jesus ein Heilungswunder.
Doch das geschieht zunächst nicht, im Gegenteil, dreimal weist Jesus die Frau zurück. Zunächst „antwortet er ihr kein Wort“, er schweigt und ignoriert sie. Auch auf das Eingreifen der Jünger hin, er möge sie doch zufrieden stellen, tut er nichts, sondern sagt: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Er ist für die Frau nicht zuständig, seine Sendung bezieht sich nur auf Israel. Das beides war vielleicht gerade noch zu ertragen. Die dritte Zurückweisung ist dagegen wirklich erniedrigend. Nachdem die Frau trotzdem „kommt, vor ihm niederfällt“ und ihr Bitte wiederholt, „antwortet er: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ „Hund“ war ein schlimmes Schimpfwort, selbst wenn in diesem Bildwort wahrscheinlich Stubenhunde gemeint sind, die unter dem Tisch herumlungern. Mit ihnen vergleicht Jesus die Frau, und das ist eine schlimme Demütigung. Doch auch das beeindruckt sie nicht. Sie unterläuft die Zurückweisung vielmehr, indem sie das Bild aufgreift und fortsetzt: „Die Hunde fressen aber ja von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ So lautet ihre erneute Antwort. Und damit hat sie die Ablehnung Jesu endlich überwunden. Er staunt sich über ihre Beharrlichkeit und würdigt sie mit den Worten: „Frau, dein Glaube ist groß.“ Er erkennt ihre innere Stärke und auf Grund dessen gewährt er ihr Hilfe. „Ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.“ Damit endet die Geschichte: Die Frau hat gesiegt und alles gewonnen, was sie sich gewünscht hat.
Und das kann auch uns so gehen. Dazu müssen wir die Geschichte in unser Leben übertragen. Wir gehen heutzutage mit dem Wunsch nach Heilung einer Krankheit zwar anders um und erwarten keine Wunder, trotzdem kann die Frau uns viel für unsere Glaubenspraxis zeigen. Um zu erkennen, was das ist, müssen wir uns auf das konzentrieren, was sich zwischen ihr und Jesus abspielt. Daraus können wir hier etwas lernen.
Seine dreifache Zurückweisung ist von Bedeutung. Darin spiegelt sich eine leidvolle Erfahrung, die wahrscheinlich jeder und jede irgendwann im Glauben einmal macht: Es ist das Schweigen Gottes, die vergebliche Fürbitte und das Gefühl, vor Gott unwürdig zu sein. Diese drei Anfechtungen hat bereits Luther in seiner Auslegung der Geschichte entfaltet, und die kennen wir. Der Glaube funktioniert nicht einfach so als Heilmittel für alles. Viele Gebete bleiben ungehört. Gott tut nichts, auch wenn wir ihn noch sehr bitten. Er scheint sich von uns getrennt zu haben.
Glaubenszweifel und Mutlosigkeit sind dann meistens die Folgen, und davon sind viele Menschen befallen. „Wie kann Gott so etwas zulassen?“ diesen Satz hört man häufig, wenn wieder einmal etwas Schlimmes geschehen ist. Ein Kind wurde ermordet, ein Unfall oder eine Naturkatastrophe hat viele Menschenleben gefordert. Zwischen den Blumen und Kerzen, die am Ort des Geschehens niedergelegt werden, finden sich immer auch Schilder mit dem einen Wort: „Warum?“. Es drückt Ratlosigkeit und Verlassenheit aus, Entsetzen und Unverständnis für das, was geschehen ist. Auch Auflehnung spricht aus diesem Wort: Gott hätte das doch verhindern können! Wo war er? Er soll sich rechtfertigen.
Und diese Gefühle und Gedanken kennen wir alle auch aus unserem persönlichen Leben. Nicht nur einmal geraten wir in eine leidvolle Situation, die wir kaum verstehen: Schwere Konflikte mit unseren Mitmenschen, Krankheiten, die sich nicht heilen lassen, Todesfälle, die uns in tiefe Trauer stürzen. Sie lassen uns fragen: Warum trifft das ausgerechnet mich? Und warum schweigt Gott und tut nichts?
Mit dieser Situation befasst sich die Geschichte, denn so ähn-lich muss es der kanaanäischen Frau gegangen sein. Sie zeigt uns also, was wir tun können, wenn Gott stumm bleibt und uns zurückzuweisen scheint.
Dabei müssen wir allerdings als erstes einsehen, dass es auf die Frage, warum Gott Leid zulässt, keine direkte oder eindeutige Antwort gibt. Die bekommen wir hier auch nicht. Gott rechtfertigt sich hier nicht. Wir werden vielmehr eingeladen, anders mit einer schlimmen Situation umzugehen, als diese Frage zu stellen. Und das ist gut, denn wo führt es hin, wenn wir versuchen, Gott für das Leid verantwortlich zu machen? Was bringt uns das? Der Versuch führt ins Leere und verstärkt unsren Schmerz nur.
Wir sollten diese Frage deshalb einmal unter die Lupe nehmen und eine Gegenfrage stellen. Sie lautet: Wo kommt es eigentlich her, dass wir von Gott verlangen, er möge sich rechtfertigen? Hat das überhaupt etwas mit ihm zu tun? Offenbaren wir damit nicht viel eher, was in uns selber vorgeht? Wir suchen damit ja einen Schuldigen. Wenn etwas Schlimmes passiert, muss doch irgendjemand verantwortlich sein! Sonst halten wir es nicht aus. Und so erfinden wir eine höhere Macht, in die wir unsere Ratlosigkeit und Verzweiflung hinein projizieren. Wir stellen uns so eine nebulöse Instanz vor, und an sie richten wir unsere Wut und unsere Traurigkeit. Denn die muss ja irgendwo hin. Wir suchen Entlastung, und dafür schaffen wir in unserer Phantasie eine Adresse, die wir Gott nennen.
Doch das funktioniert nicht, denn dieses Verhalten kommt aus unserer Auflehnung. Es hat negative Wurzeln und kann uns deshalb nicht befreien. Es hat auch nichts mit dem Gott zu tun, den die Bibel uns verkündet. Deshalb kann dieser Weg uns nicht helfen. Die Lösung liegt ganz wo anders.
Anstatt uns einen Gott auszudenken, dem wir die Schuld für das Leid geben, können wir uns an den wenden, der wirklich da ist. Es gibt einen lebendigen und wahren Gott, und der hat sich auch gezeigt. Er ist nicht im Nebel geblieben und auch nicht weit weg, sondern er ist uns ganz nah gekommen, in seinem Sohn Jesus Christus. In ihm sehen wir, wer Gott wirklich ist, und an ihn können wir uns wenden, allerdings nicht mit der Frage, warum er das Leid zulässt, sondern mit der Bitte um Hilfe. Das ist das erste, was die Frau tut, und wir können es ihr nachmachen: Wir müssen mit ihr zu Jesus laufen, zu ihm rufen und um Erbarmen bitten. Wir können das ruhig laut tun und all unsere Not hinausschreien. Unser Ärger, unsere Wut und unsere Traurigkeit müssen sich Luft machen, aber es ist ratsam, dafür gleich die Adresse zu wählen, die es wirklich gibt: Jesus Christus, der uns auf jeden Fall hört, und der das Leid und den Tod kennt. An ihn müssen wir glauben, ihm vertrauen und zu ihm beten. Das ist das erste, was die Frau uns zeigt.
Als zweites ist es wichtig, dass wir beharrlich bleiben. Ich sagte, Jesus Christus hört uns, aber es kann eine Weile dauern, bis wir das auch spüren. Wir brauchen Geduld und Hartnäckigkeit. Die fehlt uns leider oft. Denn keiner möchte gerne leiden, wir lehnen es ab, wollen es so schnell es geht los werden. Doch Ungeduld führt uns nicht aus dem Leid heraus. Es wird sogar noch schlimmer, weil die Auflehnung den Schmerz verstärkt. Wenn wir den Weg des Glaubens gehen, gehört dazu immer, dass wir das Leid, Angst und Verlassenheit zunächst aushalten, keine schnelle Lösung erwarten und auch das Schweigen Gottes ertragen. Jesus mutet uns das zu, und wir dürfen uns davon nicht beirren lassen. Er verlangt manchmal, dass wir warten und uns ihm ausliefern.
Der Glaube, den die Frau uns zeigt, ist so etwas wie reiner Glaube, gegen alle Vernunft, gegen den Augenschein. Sie war eine Heidin, d.h. sie kannte sich im Glauben Israels nicht aus. Sie wusste nicht viel über die Heiligen Schriften und Vorschriften, aber das war auch nicht entscheidend. Ihr Glaube wird am Ende trotzdem „groß“ genannt, weil er nicht aus Inhalten bestand, sondern aus einer starken Haltung. Er war in sich selber sinnvoll. Er stütze sich auf nichts, und hatte gerade dadurch tragende und überwindende Kraft. Das ist das zweite.
Und als drittes hat die Frau sich demütigen lassen. Sie hat ihre eigene Niedrigkeit erkannt und sich sozusagen hinten angestellt. Falls sie vorher selbstherrlich gewesen ist, so hat sie das in der Begegnung mit Jesus abgelegt. Sie ist niedergefallen und hat sich ihre Abhängigkeit und Hilflosigkeit eingestanden. Und das müssen auch wir tun.
Das ist wahrscheinlich der schwerste Schritt, aber er führt zu einer Lösung. Wir sollen unseren Stolz ablegen, uns selber loslassen und uns hingeben. Das klingt im ersten Moment vielleicht negativ, aber in Wirklichkeit liegt darin eine ganz große Befreiung.
Wir versprechen uns zwar immer sehr viel davon, wenn wir uns selber behaupten. Wir versuchen damit, zu siegen, aber viel gewinnen wir in Wirklichkeit nicht. Das müssen wir zuge-ben. Wenn wir ehrlich sind, ist es sogar sehr anstrengend. Am Ende sind wir meistens müde und erschöpft. Viel heilsamer und wohltuender ist es, aufzugeben und vor Jesus niederzufallen, denn damit fällt auch alle Anstrengung von uns ab. Das ist der dritte Schritt, und der führt schließlich zu einem Sieg. Es geschieht zwar kein Wunder, wie in der Geschichte, aber wir empfangen eine wunderbare Kraft, die uns frei macht. Wir bekommen Freude und neue Zuversicht. Das sind die Zeichen unseres Sieges.
Ihnen ging ein Kampf voraus, denn es ist nicht selbstverständlich, gegen die Leere anzutreten, geduldig zu warten und sich selber loszulassen. Aber wir können diesen Kampf gewinnen und dürfen am Ende unseren Sieg feiern. Es ist ein innerer Kampf, den wir führen müssen, und der Preis den wir bekommen, ist ebenfalls ein inneres Gut: Es ist die Gegenwart und Liebe Christi, die uns erfüllt und aufrichtet. Unser Glaube wird zur festen Grundlage für das ganze Leben. Wir werden mit großer Kraft und Zuversicht belohnt. Und was wir dabei überwinden, ist nichts weniger als diese Welt. Aus ihren Gesetzmäßigkeiten werden wir befreit. Wir gewinnen eine heilsame Unabhängigkeit von den irdischen Gegebenheiten. Leid und Tod sind die Verlierer, sie werden überwunden und vernichtet Aber anders als bei militärischen oder sportlichen Wettkämpfen, muss ihre Niederlage uns nicht leid tun.
Amen.