Jesus – der „Herr der Gnaden“

Predigt über Johannes 13, 1- 15: Die Fußwaschung
Gründonnerstag, 28.3.2024, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Johannes 13, 1- 15

1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.
2 Und beim Abendessen, als schon ader Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,
3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging,
4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.
5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?
7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.
8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.
9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!
10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.
11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.
12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe?
13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch.
14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.
15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

Liebe Gemeinde.

„Kommt her, ihr seid geladen, der Heiland rufet euch; der süße Herr der Gnaden, an Huld und Liebe reich, der Erd und Himmel lenkt, will Gastmahl mit euch halten und wunderbar gestalten, was er in Liebe schenkt.“ (EG 213,1) So dichtete Ernst Moritz Arndt 1819, und damit bringt er sehr schön zum Ausdruck, was das Abendmahl bedeutet: Es ist eine Einladung und ein Geschenk Jesu für uns.

Er hat es kurz vor seinem Tod eingesetzt. Das wird in drei Evangelien berichtet, bei Matthäus, Markus und Luklas. Im vierten Evangelium fehlt diese Geschichte, aber dass Jesus ein letztes Mal mit seinen Jüngern zu Abendbrot aß, kommt dort ebenfalls vor. Der Evangelist Johannes richtet sein Augenmerk allerdings auf ein Ereignis, das vor diesem Mahl stattfand. Das war für ihn offensichtlich wichtiger. Es ist die Fußwaschung, die Jesus an seinen Jüngern vornahm. Er wusste, dass er in der kommenden Nacht gefangen genommen würde um hingerichtet zu werden und er wollte seinen Jüngern noch einmal zeigen, dass er der „Herr der Gnaden war, an Huld und Liebe reich“. Er gab ihnen damit auch ein Beispiel für ihren Dienst aneinander. Das erklärte er ihnen zum Abschied.

Aber vorher „erhob er sich vom Mahl, zog sein Gewand aus und legte sich ein Tuch um die Lenden wie ein Sklave. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Lendentuch abzutrocknen.“ (Das Neue Testament und Frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christine Nord, Frankfurt a.M. 2003, S.343f) ) So wird es hier beschrieben. Die Fußwaschung selbst war dabei nichts Besonderes, das geschah damals immer, wenn man ein Haus betrat und sich zum Essen versammelte. Die Füße waren ja meistens staubig von der Reise, denn man ging normalerweise zu Fuß und trug nur Sandalen. Ein Sklave wusch den Gästen deshalb den Staub von den Füßen. Das war wie gesagt normal. Aber dass Jesus, der gerade im Johannesevangelium überall der Gottessohn genannt wird, das jetzt tat, das war ungeheuerlich.

Deshalb konnte Petrus das auch nicht ertragen. Zweimal wehrte er sich dagegen, und zweimal musste Jesus ihm erklären, warum er das machte. Seine zweite Antwort war sogar eher eine Warnung: „Wenn ich dir nicht die Füße wasche, dann bekommst du nichts ab von dem, was ich bin“, (s.o.) sagte er. Er machte also deutlich, dass es nicht nur irgendein Liebesdienst war, den er hier ausübte, sondern die Fußwaschung war ein Gleichnis für das, was er den Menschen sowieso schenken wollte, nämlich die Ewigkeit und die Liebe Gottes, und damit Hoffnung und Zuversicht. Mit der Fußwaschung zeigte Jesus, dass er das den Jüngern wirklich gab. Schließlich verstand Petrus das dann und ließ deshalb zu, dass Jesus ihm die Füße wusch.

Und dann folgt noch eine zweite Erklärung von Jesus. Er sagte: „Als Herr und Lehrer habe ich euch die Füße gewaschen, und nun müsst ihr euch auch gegenseitig die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr genauso handelt wie ich.“ (s.o.) Er verpflichtete seine Jünger also zu Hilfsbereitschaft und zu selbstloser Liebe.

Die Geschichte veranschaulicht sehr schön die Ermahnung Jesu aus dem Matthäusevangelium: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Mt. 20, 21ff) Beide Erklärungen Jesu kommen darin vor: Die Ermahnung zum gegenseitigen Dienst und seine eigene Selbsthingabe zur Erlösung von uns allen. Es gehört zusammen und lässt sich nicht voneinander trennen. Auch wir sollten uns die beiden Erklärungen zu Herzen nehmen.

Dabei finde ich es allerdings wichtig, dass wir sie hintereinander beachten. Möglicherweise liegt uns die zweite Deutung nämlich näher: Dass wir als Christen hilfsbereit und liebevoll sein sollen, das wissen wir und das finden wir auch wichtig. Es ist ja auch relativ einfach, weil es eine klare Handlungsanweisung ist. Uns wird gesagt, was wir tun sollen. Und über so etwas sind wir meistens froh. Das ist praktisch und verständlich. Außerdem ist es schön, anderen zu helfen, denn wir werden dadurch zu guten Menschen und finden viel Anerkennung. Wir können mit dem Beispiel Jesu also etwas anfangen.

Aber ganz so einfach ist das alles leider nicht. Es gibt zwei Hürden, die uns im Weg stehen. Die erste ist die, dass wir natürlich die anderen Impulse weiter in uns haben, die der Macht und des Gegeneinanders, der Lieblosigkeit und der Ablehnung. Es gibt viele Situationen, in denen wir den anderen Menschen gar nicht so gerne dienen. In unserer nächsten Umgebung kann das z.B. so sein: Mit Familienangehörigen, Nachbarn, Arbeitskollegen, Bekannten oder anderen Gemeindemitgliedern gibt es ja oft Konflikte oder sogar Streit. Die anderen regen uns auf, wir ärgern uns über sie und es fällt uns schwer, liebevoll zu sein. Wir sind keine Heiligen. Im Gegenteil, die negativen Gefühle und Verhaltensweisen sind manchmal sehr stark und gewinnen die Oberhand.

Wenn wir uns das Weltgeschehen anschauen, merken wir das erst recht. Machthaber führen Kriege und wenden Gewalt an, Aggression und Zerstörung scheinen auf dem Vormarsch zu sein. All das ist dem Menschen möglich, es schlummert in jedem und jeder.

Es reicht deshalb nicht, wenn wir uns einfach nur etwas anderes vornehmen. So leicht kommen wir nicht gegen unsere Veranlagung an. Selbst wenn wir es versuchen, bleibt vieles kümmerlich. Unser Miteinander verläuft anders, als wir es uns vorstellen, wir scheitern an uns selbst und haben keinen Erfolg in der Liebe. Das ist die erste Hürde.

Und die zweite besteht darin, dass es schwerfällt, das zuzugeben. Der nüchterne Blick auf unser Leben ist unangenehm. Wir schauen uns unsere schlechten Seiten nicht so gerne an. Vielleicht haben wir sogar Angst davor, denn von allen Seiten wird uns eingetrichtert, dass wir gut sein müssen. Wir fürchten uns vor dem Versagen, vor der Strafe, die das eventuell nach sich zieht, vor der Ablehnung und der Verurteilung durch andere.

In der Bibel und in der christlichen Tradition ist es das Thema der Sündenerkenntnis, und das ist nicht umsonst unpopulär geworden. Wir fühlen uns dadurch klein gemacht, es ist zu negativ, zu düster und zu autoritär. Wir wollen lieber Anerkennung, etwas gelten und gut dastehen.

Das ist auch verständlich, aber sind wir auf einem guten Weg, wenn wir die Sünde einfach ignorieren? Sie ist ja da, in Form der beiden Hürden, die ich beschrieben habe, und wir sollten sie lieber ernst nehmen. Es hängt auch beides miteinander zusammen. Oft bedingt das eine sogar das andere: Wir versuchen, gut zu sein und dazu gehört es, dass wir unsere Schwächen zudecken. Wenn wir scheitern, strengen wir uns lieber noch mehr an, werden unehrlich und kommen so nie aus dem Kreislauf heraus. Wir bleiben gefangen in unseren Ansprüchen und unserem Versagen. Es entsteht keine echte Liebe, kein Friede und kein Heil. Je mehr wir es versuchen, umso weiter scheint sich das alles zu entfernen. Das ist unser Dilemma.

Doch es gibt eine Lösung, denn genau das hat Jesus erkannt. Darum ging es ihm in seiner Sendung, seiner Botschaft, seinem Handeln und schließlich in seinem Tod. Er hat mit seinem Leben und Sterben genau diesen Ablauf durchbrochen. Die Geschichte der Fußwaschung zeigt das sehr schön. Er ermahnt die Jünger darin nicht nur, sondern zunächst tut er selber etwas. Er wendet sich ihnen zu und dient ihnen, und das gilt auch für uns: Er schenkt uns sich selber, und das dürfen nicht überspringen. Seine Liebe und Barmherzigkeit müssen immer vor allem anderen stehen, nur dann werden wir erlöst. Es ist also entscheidend, dass wir seiner Einladung folgen, zu ihm kommen und uns seinen Dienst gefallen lassen.

Und das ist nicht schwer, denn vor ihm müssen wir keine Angst haben, uns nicht fürchten oder schämen, er nimmt uns so an, wie wir sind, mit all unseren Fehlern und Schwächen. Das dürfen wir glauben und darauf vertrauen.

Dann verändert sich etwas, es geschieht ganz viel mit uns. Wir können uns z.B. wirklich entspannen. Die Anstrengung fällt von uns ab, wir werden froh und ruhig und mit einer wohltuenden und heilenden Kraft erfüllt. Wir gewinnen ein ganz neues Lebensgefühl, bei dem wir uns nicht klein vorkommen, sondern frei und stark.

Und dadurch können wir plötzlich auch ganz anders miteinander umgehen. Die Nächstenliebe ist eine Wirkung der Liebe Jesu, denn wir werden selbstloser und offener, liebevoller und barmherziger. Wir geben die Gnade und die Liebe, die wir durch Jesus empfangen, ganz von selber weiter. Sie prägt unser Miteinander und ist eine Wirkung des Geschenkes, das wir von ihm bekommen haben.

Jesus wird nicht umsonst der „Heiland“ genannt. Das Wort kommt auch in dem Lied vor, das ich zu Eingang erwähnte Es ist zwar ein altmodischer Ausdruck, den wir heutzutage kaum noch verwenden, aber es ist sehr aussagekräftig. Denn darin ist das Wort „Heil“ enthalten, und das bringt Jesus uns wirklich. Er ist mehr als ein Arzt oder Therapeut, mehr als ein guter Mensch oder Prophet. Er ist vielmehr der Sohn Gottes, und was er uns gibt, hat eine göttliche Qualität. Es ist ein Geschenk des Himmels, das tiefer geht als körperliche oder seelische Gesundheit. Es beinhaltet Rettung und Erlösung aus unserer Verlorenheit.

Das Böse in der Welt wird dadurch zwar nicht gestoppt, aber überall, wo Menschen es annehmen, entstehen Inseln der Hoffnung und des Friedens. Und die sind ein Zeichen dafür, dass es das Gute und die Liebe doch gibt.

Auch das Abendmahl ist so eine Insel, denn da wird das alles sehr schön abgebildet. Ernst Arndt hat das in seinem Abendmahlslied in der zweiten Strophe formuliert. Es heißt dort: „Kommt her, verzagte Sünder, und werft die Ängste weg, kommt her, versöhnte Kinder, hier ist der Liebesweg. Empfangt die Himmelslust, die heilge Gottesspeise, die auf verborgne Weise erquicket jede Brust.“

Wenn wir das Abendmahl feiern, ereignet es sich, dass Jesus zu uns kommt. Wir empfangen ihn selber, seine Kraft und Liebe ziehen in uns ein und stiften wahre Gemeinschaft. Lasst uns das Abendmahl deshalb heute mit Dank und Freude feiern und empfangen.

Amen.

Hinterlasse einen Kommentar