„Ich habe den Herrn gesehen!“

Predigt über Johannes 20, 11- 18: Maria Magdalena sieht den  Auferstandenen

Ostersonntag, 21.4.2019, Luther- und Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

„Welchen Namen hat das Kind?“ Das fragen wir am Taufstein noch einmal, kurz bevor wir ein neugeborenes Kind taufen. Das hängt damit zusammen, dass die Namensgebung und die Taufe meistens in einem engen zeitlichen Rahmen liegen. Die Taufe ist dadurch so etwas wie ein Namensgebungsritual geworden. Wir denken dabei auch an das „Buch des Lebens“, das in der Offenbarung des Johannes erwähnt wird. Am Ende der Zeiten wird es aufgeschlagen, und dann werden die gerettet, deren Namen darin aufgeschrieben sind, und das geschieht bei der Taufe. (Off.17,8; 20,15) An ihren Namen werden die Menschen erkannt, und dazu sind Namen ja auch da.

Sie geben einer Person ihre Identität und sind eng mit dem jeweiligen Individuum verbunden. Wenn wir den Namen von jemandem nennen, der anwesend ist, dann meinen wir ihn auch. Wir wenden wir uns ihm zu, geben ihm Aufmerksamkeit und wollen etwas von ihm. Er soll auf uns hören und sich auch uns zuwenden. Es kann sein, dass wir ihn warnen wollen, ihm drohen, belehren oder ermahnen. Es kann aber auch liebevoll und freundlich gemeint sein, wenn wir jemanden bei seinem Namen nennen, und Zuneigung und Nähe ausdrücken.

In einer der Ostererzählungen war letzteres der Fall. Sie handelt von Maria Magdalena und Jesus, und beide sagen den Namen des jeweils anderen voller Wohlwollen und Zärtlichkeit. Sie steht im Johannesevangelium und berichtet von der ersten Erscheinung des Auferstandenen:

Johannes 20,11- 18:

11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab
12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
18 Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.

Im Mittelpunkt dieser Erzählung steht Maria Magdalena. Das war eine Frau, die sich zu Jesu Lebzeiten dem Jüngerkreis angeschlossen hatte. Sie war eng mit Jesus befreundet gewesen. Es gibt sogar die Meinung, dass sie seine Geliebte war. Auf jeden Fall war sie wie alle anderen, die ihm nahe gestanden hatten, nach seinem Tod tief traurig und erschüttert. Sie hatte jemanden verloren, der ihr sehr viel bedeutet hatte.

Deshalb will sie den Leichnam Jesu noch einmal besuchen, solange das möglich ist, und geht – mit Tränen in den Augen – am Sonntag nach seiner Hinrichtung, also zwei Tage später zu seinem Grab. Dort erlebt sie dann allerdings etwas ganz anderes, als sie erwartet hat. Das Grab ist offen, und sie schaut hinein. Und nun kommt die Überraschung: Der, den sie sucht, ist nicht da. Stattdessen erblickt Maria zwei Engel, mit denen sie in ein Gespräch über das leere Grab kommt. Doch bevor die Engel ihr sagen, wo Jesus ist, dreht sie sich um und sieht ein drittes Mal etwas: Hinter ihr steht ein Mann. Auch der spricht sie an und fragt, warum sie weint. ,Das ist der Gärtner‘, denkt sie, ,und der wird mir sagen können, wo der Leichnam Jesu geblieben ist.‘ Doch das ist ein Irrtum, denn in Wirklichkeit steht der lebendige Jesus vor ihr, sie erkennt ihn nur nicht. Und nun kommt die Schlüsselszene der Erzählung: Jesus nennt Maria bei ihrem Namen. Das ist ein beeindruckender Moment, durch den sich alles ändert, denn jetzt sieht Maria ihn, Jesus. Er ist nicht tot, sondern er lebt! Voller Ehrfurcht und Liebe spricht auch sie ihn an und nennt ihn „mein Meister“.

Am liebsten möchte sie ihn anrühren, ihn wahrscheinlich umarmen, aber das will er nicht. Denn Jesus ist nicht mehr so, wie früher. Er ist der Auferstandene, der sich nur zeigen will, den sie sehen soll. Das ist alles. Er wird sie wieder verlassen, weil er zu seinem Vater geht. Aber sie soll Gewissheit haben, dass er lebt, deshalb offenbart er sich ihr. Und er gibt ihr den Auftrag, den Jüngern von diesem Erlebnis zu berichten. Das tut sie auch, und in dem Satz, den sie ihnen sagt, „Ich habe den Herrn gesehen“, kommt zum Ausdruck, dass sie nicht nur etwas erblickt hat, sie hat auch etwas erkannt und begriffen. Maria geht in dieser Geschichte also durch einen Prozess: Erst guckt sie hin, dann sieht sie jemanden, danach erkennt sie und am Ende hat sie verstanden und glaubt.

Dabei ist es eine schöne Einzelheit, dass Maria Jesus zuerst nicht wiedererkannte, weil sie gar nicht damit rechnete, dass er da sein könnte. Sie begriff das erst, nachdem er sie angesprochen und ihren Namen genannt hatte. Und das tat er nicht ärgerlich oder belehrend, sondern liebevoll und zugewandt. Er redete sie ganz persönlich an, stellte eine Beziehung her, in der sie vorkam. Und dadurch wurden ihre Augen geöffnet. Sie erkannte ihn nicht nur an seiner Stimme, sondern alles, was sie mit ihm erlebt hatte, ihre gegenseitige Liebe und Freundschaft kam in dieser Anrede vor. Es fiel ihr wieder ein, und dadurch wusste sie, wen sie da vor sich hatte. Sie weinte daraufhin nicht mehr, sondern ging fröhlich zu den Jüngern.

Und diesen Prozess können auch wir durchlaufen, wenn wir zum Glauben an den Auferstandenen kommen wollen. Wir haben als aufgeklärte Menschen ja so unsere Probleme mit der Auferstehung. Hat es das wirklich gegeben, und überzeugen uns die Berichte aus den Evangelien? Wir halten sie für unwahrscheinlich und zweifeln daran, dass Jesus wieder lebendig wurde.

Dabei würden wir das wahrscheinlich gerne glauben, denn gerade die Ostererzählungen enthalten eine sehr frohe Botschaft. Sie verkünden uns, dass der Tod besiegt ist. Sie wollen uns eine Hoffnung geben, die über die innerweltliche Hoffnung hinausweist. Uns wird der Weg in eine Zukunft gewiesen, die eine ganz andere Qualität hat, als die zeitliche. Sie bleibt nicht horizontal und auf das Diesseits gerichtet, sondern ist vertikal und transzendent. Und das klingt faszinierend und schön.

Wir sehnen uns danach auch, denn oft ist dieses Leben dunkel und voller Leid. Auch wir kennen Traurigkeit und Tränen. Wir haben Angst vor vielem, das uns bedroht. Die Vergänglichkeit macht uns zu schaffen, wir kommen oft nicht klar. Bosheit und Unsicherheit, Krankheit und Schwermut, Enttäuschung und Einsamkeit und vieles mehr verdunkeln unser Dasein immer wieder. Wir suchen eine Zuversicht und ein Vertrauen, das tiefer geht, als die vielen oberflächlichen Tröstungen, die es so gibt.

Denn die reichen oft nicht. Ob wir Abwechslung suchen und uns zerstreuen, Medikamente nehmen oder eine Therapie machen, vieles von dem hat keinen bleibenden Erfolg. Wir brauchen eine Antwort auf unsere Lebensfragen, die uns durch alles Leid hindurch trägt, die dauerhaft ist und nicht so schnell wieder verblasst. Wir sehnen uns nach Erlösung. Und genau die verspricht uns die Osterbotschaft. Hier wird uns eine Hilfe zugesagt, die größer ist, als alles andere. Es würde sich also lohnen, daran zu glauben. Lasst uns deshalb fragen, wie wir dahin kommen können. Die Geschichte von Maria Magdalena gibt uns dafür ein paar sehr schöne Hinweise.

Zunächst einmal sagt sie uns, dass Jesus selber dafür sorgt, dass wir ihn erkennen und ihm vertrauen. Er steht längst hinter uns, wir müssen uns nur umdrehen und hinsehen. Und auch wenn wir nicht sofort wahrnehmen, dass er da ist, so erkennt er uns auf jeden Fall. Er weiß, wer wir sind und spricht uns an. Wir müssen selber gar nicht viel dazu tun.

Das ist im Glauben oft unser Irrtum: Wir meinen, er kommt durch unsere Aktivität und unser Denken zu Stande. Wir entwickeln bestimmte Theorien und Ideale, über die wir dann diskutieren und nach denen wir vielleicht auch handeln. Und das ist ja auch nicht schlecht. Wirklich an den Auferstandenen zu glauben, geht jedoch weit darüber hinaus. Denn entscheidend ist nicht das, was wir machen oder denken, sondern das, was Jesus tut. Es geht nicht um unsere Taten, sondern um das, was wir geschenkt bekommen und was an uns geschieht.

Das einzige, was wir dazu beitragen können, ist, dass wir uns bereit halten, uns darauf vorbereiten. Das hat Maria auch getan, indem sie zum Grab ging. Sie sehnte sich nach Jesus, und das ist für uns genauso wichtig, dass wir nach der Gegenwart Jesu verlangen und mit ihm zusammen sein wollen. Wir müssen nach ihm suchen und nach ihm fragen und dabei unsere eigenen Vorstellungen von ihm ablegen. Wir dürfen uns überraschen lassen.

Und dazu müssen wir uns einfach nur umwenden. Maria tut das hier gleich zweimal, einmal, als sie merkt, dass da jemand hinter ihr steht, und dann noch einmal, nachdem Jesus ihren Namen genannt hat. Das ist eigentlich unlogisch, aber gerade daran wird deutlich, dass dieses Umwenden im übertragenen Sinn gemeint ist: Wenn wir Jesus erkennen wollen, müssen wir uns immer wieder umdrehen, d.h. uns von unseren üblichen Gedankengängen wegwenden und unsere Blickrichtung verändern. Bildlich gesprochen, dürfen wir nicht zu lange ins Grab gucken, d.h. in das Düstere, den Tod und die Gefahr. Es gilt, den Bick davon abzulenken und dahin zu schauen, von woher die Zuversicht kommen kann.

Das ist als letztes wichtig, dass wir auf Jesus blicken und auf seine Stimme hören. Er nennt auch uns bei unserem Namen, er spricht auch uns an, und das ist in sich selber sinnvoll und schön. Es ist ein Zeichen dafür, dass wir geliebt und gesehen werden und bei Gott vorkommen. Unsere Namen sind längst in sein Buch geschrieben. Es reicht, wenn wir das annehmen und uns darüber freuen. Dann entsteht auch bei uns die Gewissheit, dass Jesus auferstanden ist, dass er lebt und bei uns ist. Es ist keine leibliche Begegnung, die dadurch zu Stande kommt. Wir können Jesus genauso wenig anrühren, wie Maria, denn er ist nicht Raum und Zeit unterworfen. Aber Seele und Geist werden erfüllt von der Ewigkeit, und das ist befreiend und heilsam.

Spätestens bei unserer Taufe fängt das alles an. Sie ist eng mit Ostern verknüpft und erhält von daher ihren Sinn. Wir empfangen ewiges Leben von Gott und werden unter seinen Schutz gestellt. Es ist deshalb ein schöner Brauch, dass in der Osternacht Menschen getauft werden.

In Luther:

Das war in der Alten Kirche so, und heute passiert es ebenfalls in vielen Gemeinden. Die Taufe ist wie Ostern ein Zeichen des Neubeginns und der Auferstehung. Gott erkennt uns dabei, er nennt unsere Namen und verbindet sie mit dem Namen des auferstandenen Christus. Seit unserer Taufe ist der lebendige Gott bei uns und begleitet uns durch unser ganzes Leben, wir müssen nur immer wieder auf ihn schauen.

Amen.

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