Der Sieg über das Böse

Tag des Erzengels Michael und aller Engel

Predigt über Hebräer 1, 7. 13- 14: Der Sohn ist höher als die Engel
28.9.2014, 9.30, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.
Ludwig der Fromme legte auf dem Konzil von Mainz im Jahr 813 den Michaelistag auf Ende September fest. Es ist der Gedenktag für den Erzengel Michael, der die heidnische Festwoche zur Verehrung des Gottes Wotan ablöste. Auf ihrem Weg in die dunkle Jahreszeit und bei den kommenden Herbststürmen erinnert er die Menschen daran, dass sie von Gott und seinen Engeln begleitet und geschützt werden.
Michael ist laut Überlieferung der Fürst der Engel. Er hat gegen das Böse gekämpft und gesiegt. Mit seinem Gedenken wird auch auf den Sieg Christi durch die Auferstehung hingewiesen. Es geht an diesem Tag also um die Herrschaft Gottes über den Satan und den Tod, um Christi Macht und Ehre. Die Engel sind das Heer an seiner Seite, mit dem er immer wieder in den Kampf zieht, um den Menschen das Heil zu bereiten. Wir bitten ihn, Feindschaft und Krieg zu bannen, und die Kirche und die Erlösten vor allem Bösen zu schützen.
Die Engel werden dabei schon im Alten Testament erwähnt, auch im Koran kommen sie vor. Sie sind mythische Wesen, die Gott dienen und seine Sache vorantreiben. In unserer Zeit sind sie sehr populär geworden. Über Engel werden neuerdings unzählige Bücher geschrieben. Es gibt auch Figuren in allen Größen, Anhänger und Bilder, die den persönlichen Schutzengel verkörpern. Man kann ihn dann immer bei sich tragen.
Vielleicht ist das für die Menschen einfacher, als sich Gott selber vorzustellen. Die Engel sind uns irgendwie näher, sie entstammen den Bildern unserer Seele und haben deshalb leichteren Eingang dahinein. Allerdings sind sie dadurch auch nicht weit vom Heidentum entfernt, von einem Glauben ohne den Gott der Bibel. Vielen Menschen reichen die Engel für ihre eigene Religiosität. Sie verehren sie, beten zu ihnen und vertrauen sich ihnen an.
Und das gab es auch schon zu biblischen Zeiten. Wahrscheinlich war es dieses Phänomen, über das der Schreiber des Hebräerbriefes nachdachte. Er glaubte auch an die Engel, aber er hielt es für nötig, gleich am Anfang seines Briefes folgendes klarzustellen:

Hebräer 1, 7.13-14
7 Von den Engeln spricht Gott zwar (Psalm 104,4): »Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen«.
13 Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt (Psalm 110,1): »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache«?
14 Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?

Das ist heute unser Predigttext aus dem ersten Kapitel des Hebräerbriefes, in dem uns etwas Wichtiges über die Engel gesagt wird. Sie gelten durchaus als erhabene Wesen, die eindrucksvoll und wirkungsvoll ihre Geschäfte und Aufgaben durchführen. Sie sind wie „Wind und Feuer“, d.h. sie sind stark und lebendig, voller Dynamik und Kraft. Das kommt mit diesem Vergleich sehr schön zum Ausdruck. Das Bild besagt allerdings auch, dass ihre Energie von einer Quelle abhängig ist. Sie handeln nicht aus sich selber heraus, sondern weil Gott es will. Er ist der Ursprung ihres Seins, er sendet sie aus und entfacht sie. Sie sind untergeordnete himmlische Wesen. Der höchste und erhabenste Platz gehört allein Jesus Christus. Nur er ist der Sohn, der Gott gleich geworden ist. Sein Thron besteht in alle Ewigkeit. Er hat eine einmalige Würdeposition, die Engel werden dagegen als Diener eingestuft.
Als solche haben sie freilich eine wichtige Aufgabe. Auch wenn der Verfasser des Briefes mit seinem Bild betonen will, dass die Engel niedriger sind als Christus, er macht trotzdem eine schöne Aussage über sie: Sie sollen den Menschen das Heil verkündigen und ihnen helfen. Dabei ist hauptsächlich an die Gemeinde Christi gedacht, an seine „Erben“, also die Kirche. Sie darf sich des Beistands und des Schutzes der Engel gewiss sein.
Und so sind sie in unserer Tradition lebendig geblieben, und sie haben auch Namen: Die drei Erzengel sind Michael, Gabriel und Raphael: Michael kämpft und bannt Krieg und Unheil, Gabriel verkündet Gottes Plan und Ratschluss, und Raphael lindert die Schmerzen und spendet Trost. Wir freuen uns über die Engel, loben Gott mit ihnen und feiern unsere Erlösung, wenn wir an sie denken. Ein altkirchlicher Hymnus zum Michaelistag lautet deshalb:
„Christus, dir, dem Glanz des Vaters, der uns Kraft und Leben gibt, singen wir mit Herz und Munde vor der Engel Angesicht, ihrem Lobpreis, ihren Liedern schließen wir uns jubelnd an.
Wenn wir in Verehrung preisen deines Himmels hohe Schar, dann zuerst den Fürst der Engel, der die Streiter führt zum Kampf: Michael, der einst den Satan mit dem Schwerte niederzwang.“ (Evangelisches Tagzeitenbuch, Nr. 752,1.2)
Das klingt schön und siegreich.

Aber können wir das wirklich aus vollem Herzen so singen? Haben wir dazu einen Grund? Gerade der Kampf gegen das Böse, den Michael angeblich gewonnen hat, scheint doch mitnichten zu Ende zu sein. Im Gegenteil, wir erleben zurzeit, wie der Satan im Norden Syriens und des Iraks einen grausamen Sieg davon trägt: Das Böse breitet sich in Gestalt der IS-Kämpfer rasant aus. Sie begehen unvorstellbare Gräueltaten. Und auch in unserer eigenen Geschichte ist so etwas noch nicht lange her. Die Macht des Bösen bricht also immer wieder durch. Wenn Michael durch die Kraft der Auferstehung Jesu den Satan wirklich besiegt hat, dürfte das doch nicht geschehen! Angesichts der Menschheitsgeschichte bekommen wir Zweifel an der Macht Christi und seiner Engel, denn die zeigt uns etwas ganz anderes. Was soll also dieses Fest? Wozu feiern wir es? Geht es dabei nicht nur um Phantasie und schöne Träume? Sind die Engel und ihnen voran Michael nicht nur eine Utopie? Das sind unsere Fragen, die durchaus berechtigt sind.
Doch gerade weil wir sie haben, ist es gut, diesen Tag zu feiern. Denn es geht heute um noch mehr als um eine friedvolle Welt ohne Krieg und Waffen. Der Kampf, den Michael gewonnen hat, ist vor allen Dingen ein Kampf der Geister. Die Engel kümmern sich nicht in erster Linie um unsre irdischen Belange, sie sind vielmehr ein Teil der unsichtbaren Welt. Und die gibt es, das gilt es als erstes anzuerkennen: Zwischen Himmel und Erde spielt sich viel mehr ab, als wir ahnen. Es gibt ein Kräftemessen zwischen Gut und Böse, das weit über unsere Sinne hinausgeht. Wir sehen und hören es nicht, aber es ist da und es ist real. Michael richtet unsren Blick nicht in die Geschichte, sondern zunächst in den Himmel und in die Zukunft: Die biblische Überlieferung lebt mit der Vorstellung, dass Gott diese Welt, wie wir sie kennen, eines Tages beenden und vollenden wird. Er will eine neue Welt heraufführen, und dabei helfen ihm die Engel. Sie sind Vollstrecker des Endgerichtes, und sie haben ihr Werk bereits begonnen.
Wenn wir an sie denken und sie anrufen, müssen wir demnach tiefere Schichten des Bewusstseins öffnen. Wir dürfen nicht nur unsere Sinne und unser Denken betätigen. Denn die versperren uns den Zugang zu den Engeln und der Macht Christi, genauso wie der nüchterne Blick in die Geschichte und das Zeitgeschehen. Es gilt, eine andere Wahrnehmung einzuschalten, unsere Seele für Christus aufzumachen und den Geist des Glaubens in uns zu wecken.
Und dafür gibt es viele Wege und Möglichkeiten. Auf dem Rittergut Berneuchen in der Neumark trafen sich z.B. in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Christen aus verschiedenen Konfessionen. Es verband sie die Frage, wie es um die Zukunft bestellt sei. Die radikalen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Kirche und die Gesellschaft tief erschüttert. Als Antwort entstand die Berneuchener Bewegung, mit der Theologen zu einer Veränderung der Lebensführung einluden.
Als Teil dieser Bewegung wurde 1931 die Evangelische Michaelsbruderschaft gegründet. Sie ist eine verbindliche christliche Gemeinschaft. Zu ihren Zielen gehört die Vertiefung des geistlichen Lebens und der Einsatz für die Erneuerung und die Einheit der Kirche. Dabei ist nicht ein Programm entscheidend, sondern die Einladung zu einem Leben nach dem Gebet. Dafür hat die Michaelsbruderschaft die Tradition der Tagzeitengebete für die evangelische Kirche neu belebt. Sie hat eine Ordnung entworfen, an die jeder Christ und jede Christin sich halten kann. Im sogenannten Evangelischen Tagzeitenbuch ist sie festgehalten. Und wer sich daran orientiert, gibt seinem Leben eine ganz bestimmte Ausrichtung: Der Glaube bestimmt das Denken, und das Gebet durchzieht den Alltag. So beginnt das Morgenlob mit folgender Ermahnung: „Die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen. Lasst uns wachen und nüchtern sein und abtun, was uns träge macht, lasst uns laufen in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“ (Evangelisches Tagzeitenbuch, Nr.217, Vorspruch an Werktagen)
Wer so betet, lebt in dem Bewusstsein, dass er jeden Morgen nicht nur leiblich, sondern auch geistlich aufwachen muss, um sich der Realität zu stellen. Und die besteht aus viel mehr als dem, was vor Augen liegt. Alles, was uns hier begegnet, ist in Wirklichkeit nur Blendwerk. Die unsichtbare Welt Gottes ist in Wahrheit die entscheidende. Für sie gilt es, nüchtern zu sein und alle Trägheit abzulegen. Im Aufblick zu Jesus können wir sie erkennen, wir sehen in ihm die Richtung und das Ziel.
Das ist das geistliche Leben, zu dem die Michaelsbruderschaft einlädt. In ihm liegt die erneuernde Kraft, die den Einzelnen formt. Sie kommt von innen heraus und wirkt dann auch in die Gesellschaft. Deshalb hat diese Gemeinschaft sich nach dem Erzengel Michael benannt: Er ist ihr Schutz und Mitstreiter und kämpft an ihrer Seite gegen die Kräfte der Finsternis. Er sorgt dafür, dass wir Hoffnung behalten, und zwar unabhängig davon, wie es in unserer Welt zugeht.
Und so ähnliche Wege gibt es viele. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Friedensdekade. Vor ungefähr dreißig Jahren wurde die Idee dazu in den Niederlanden geboren. Sie sollte das Engagement der Kirchenmitglieder für Friedensfragen stärken. Drei Dinge machen sie aus: Erstens ist sie ein gemeinsamer Aktionszeitraum vom drittletzten Sonntag des Kirchenjahres bis zum Buß- und Bettag. Es gibt – zweitens – jedes Jahr ein gemeinsames Motto mit Arbeitsmaterial, Texten und Gebeten. Daraus kann – drittens – jede Gemeinde oder Gruppe ein örtliches Programm erstellen.
So laden wir, die Luther- und Jakobigemeinde in Kiel in diesem Jahr vom 9. bis 19. November jeden Abend zu einem Friedensgebet in die Jakobikirche ein. Die Andachten stehen unter dem diesjährigen Motto der Friedensdekade: „Befreit zum Widerstehen“.  (siehe: www.friedensdekade.de) Wir hoffen, dass viele Menschen diese wunderbare Mitmach-Gelegenheit nutzen und sich gegen den Krieg versammeln. Wir können damit ein Zeichen des Widerstandes setzen und den Frieden in unserer Gesellschaft und in der Welt stärken. Dabei ist es gut zu wissen, dass wir bundesweit mit vielen anderen Christen vereint sein werden. Alle tun das Gleiche, und das ist bereits ein Teilsieg über das Böse.
Und dazu lädt der Michaelistag uns ein. Deshalb passt heute auch das Lied „Herr, wir stehen Hand in Hand“, das Otto Rietmüller 1932 dichtete. Wir werden es beim Einsammeln der Kollekte singen. Die Sprache ist uns normalerweise vielleicht zu kämpferisch, aber das war der Erzengels Michael ja auch. Und er will uns dazu ermutigen, den Kampf der Geister aufzunehmen. Wir sollen uns dem großen Friedensheer Christi anschließen, denn dazu hat Christus uns gerufen und miteinander verbunden. Wir wollen ihn deshalb bitten:
„In die Wirrnis dieser Zeit fahre, Strahl der Ewigkeit. Zeig den Kämpfern Platz und Pfad und das Ziel der Gottesstadt.
Mach in unsrer kleinen Schar Herzen rein und Augen klar, Wort zur Tat und Waffen blank, Tag und Weg voll Trost und Dank.“ (Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, Nr. 556, 4.5)
Amen.

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