Predigt über Römer 8, 1.2.10.11: Der Geist macht frei und lebendig
Pfingstsonntag, 5.6. 2022, 9.30 Uhr Lutherkirche Kiel
Liebe Gemeinde.
Wir blicken immer mal gern zurück und erinnern uns an besondere Ereignisse in unserem Leben, je älter wir werden, umso häufiger. Es ist bei allen von uns hoffentlich viel Schönes dabei, aber das ist sicher nicht das Einzige. Es gibt auch Trauriges und Schweres in unserer Vergangenheit, denn unser Leben verläuft nicht glatt: Wir werden von anderen Menschen enttäuscht, erleiden Misserfolge und machen Fehler. Und gerade das Letzte, unsere Mangelhaftigkeit und Schuld, kann uns am Ende des Lebens zu schaffen machen.
So habe ich Menschen getroffen, die im Sterben lagen und es damit schwer hatten, weil ihr Gewissen mit irgendetwas belastet war. Ebenfalls habe ich erlebt, dass Freunde nach vielen Jahren plötzlich das Bedürfnis hatten, sich bei mir für etwas zu entschuldigen, das tatsächlich nicht so nett gewesen war. Ich hatte es ihnen längst verziehen, aber es tat natürlich gut, die Sache endgültig aus der Welt zu schaffen.
Doch was sollen wir tun, wenn der Mensch, den wir verletzt haben, nicht mehr lebt? Dann ist es schwer, die Schuld loszuwerden, weil wir mit ihm nicht mehr darüber reden können. Wir verdammen uns möglicherweise für das, was wir getan haben, und unsere Sünde quält uns.
Dieses Erleben kannte auch Paulus. Er hatte ja keine reine Weste, denn vor seiner Bekehrung zu Jesus Christus hatte er Christen und Christinnen verfolgt und ausgeliefert. Auch bei vielen von ihnen konnte er sich nicht mehr entschuldigen, weil sie hingerichtet worden waren.
Auf diesem Hintergrund können wir gut verstehen, was für eine große Erleichterung es für ihn war, zu glauben, dass ihm alle seine Sünden durch Christus vergeben worden waren. Im Römerbrief beschreibt er diesen Vorgang ausführlich: Der Brief handelt von der Rechtfertigung allein aus Glauben, und der Höhepunkt ist das Kapitel acht. Es beginnt mit den Worten:
Römer 8, 1. 2. 10. 11:
„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“
In Vers zehn und elf heißt es dann weiter:
„Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.
Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch ist, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“
Das ist heute unser Predigttext. Das Kapitel, in dem er steht trägt in der Lutherbibel die Überschrift: „Das Leben im Geist.“ Paulus kommt darin auf die Macht zu sprechen, die die Freiheit und den Frieden des Glaubens zur Wirkung bringt. Diese Freiheit hatte er wie gesagt in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt. Er schreibt darin etwas über das neue Leben als Frieden mit Gott in Bedrängnis, als Rettung aus der Sünde durch die Taufe und als Freiheit von der Gefangenschaft im Gesetz. Im achten Kapitel setzt er diese Gedanken nun auf einer anderen Ebene fort: Er führt den Heiligen Geist ein. Wer „in ihm ist“ d.h. „in Jesus Christus“, hat „Leben und Friede“: Die Macht des Geistes Jesu Christi öffnet den Weg in die Freiheit zu einem Leben in Gerechtigkeit. Deshalb gibt es „keine Verdammnis für dich, der du in Jesus Christus lebst – er hat dich freigemacht!“ So lautet die Zusage von Paulus.
Dieser Ausdruck „keine Verdammnis“ zeigt, dass es um Letztes geht, um die Gültigkeit des Lebens, um das Urteil der Ewigkeit und ein großes Lebendigmachen. Paulus wechselt deshalb bewusst in die direkte Anrede, in das „du“, denn es kann nur geschehen, wenn die Angesprochenen ganz dabei sind und sich darauf einlassen.
Dabei ist der „Geist des Lebens“ in Jesus Christus die lebendige Macht, die aus der Sendung Jesu Christi durch Gott entstanden ist. Der Gottessohn kam in unsere Bedingungen und erfuhr am eigenen Leib alles, was zum Menschsein dazu gehört, auch die Sünde. Aber er ließ sich nicht auf ihren Sog ein, obwohl die Sünde gerade an ihm mit aller Macht zog. Sie brachte ihm schließlich Leid und sogar den Tod. Aber in der Auferstehung wurde dieser Tod zum Sieg. Die Herrschaft der Sünde ist durch den Opfergang Christi und seine Auferweckung zerbrochen worden. Gottes Wille kommt wieder zu seinem Recht und weist uns den Weg zum Leben. Und diese neue Möglichkeit wird uns „im Geist“ vermittelt.
Das sagt uns unser Text, und er ist damit ein Zuspruch und eine Ermahnung zugleich: Uns wird der Geist des Lebens zugesprochen, den wir durch Jesus Christus haben. Aber wir müssen auch darauf achten, dass wir wirklich „in ihm“ sind. Das ist die Ermahnung: Was uns geschenkt wurde, muss berührt und entfacht werden. Sonst bleibt es in uns ruhen, ohne dass es sich entfaltet. Der Glaube muss in uns wach werden, damit wir nicht in die weltliche Gesinnung zurückfallen, uns z.B. selber verdammen und nichts entschuldigen, denn das hätte tödliche Konsequenzen. Vor diesem Abgrund will uns der Heilige Geist bewahren. Er ist wie ein Funke, den der Wind zum Feuer entfacht, das dann zu einer Energiequelle in uns wird. Es setzt Kräfte frei, die das Leben stärken wollen. Sie bringen Freiheit gegenüber der Sünde, Hoffnung und Zuversicht.
Paulus will uns sagen: Ihr könnt der Gesetzmäßigkeit des Geistes folgen, auch wenn ihr noch in dieser Welt unter den Bedingungen der Sünde und des Todes lebt. Ihr habt die Freiheit, euch für das zu entscheiden, was durch den Glauben in euch liegt. Lebt, was ihr seid! Lernt eine eigene Gesinnung und übt euch darin. Unterscheidet euch von dem, was üblich ist, indem ihr die herabziehenden Trends der Sünde nicht mitmacht. Der Funke Christi sucht Herzen, in denen er brennen kann, damit das Leben siegt. Auch wenn die äußere Gestalt kümmerlich wird, ja selbst wenn sie stirbt, kann uns der Geist immer wieder neu entzünden.
Und das ist gerade im Alter gut zu wissen. Wenn wir zurückblicken, sollten wir daran glauben und uns dafür öffnen. Nicht die vielen einzelnen Ereignisse sind wichtig, seien sie nun schön oder schwer, sondern dass „Jesus unsere Freude ist.“ Dafür sollen wir uns entscheiden.
Und das heißt, dass wir unsere Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Natürlich können wir uns mit unseren Sünden beschäftigen und über alle unsere Fehler und Mängel traurig sein. Wir können uns an den Abgrund stellen und hineinstarren. Jeder und jede kennt diese Kräfte, die uns verschlingen wollen. Gerade wenn wir etwas bereuen und uns dafür nicht mehr entschuldigen können, zehren sie an uns und quälen uns.
Und auch andere negative Kräfte können uns bestimmen. Es gibt vieles, das uns herunterziehen kann: Traurigkeit und Angst, Einsamkeit und Kummer, Sorgen und Trübsal. Doch das müssen wir nicht zulassen, denn diese Kräfte sind nicht die einzige Realität, die unser Leben bestimmt. Das fühlt sich zwar so an, wenn wir darein versinken, aber es gibt auch noch eine andere Macht, für die wir uns öffnen können. Es ist die Macht des Heiligen Geistes. Sie kann die trüben Gedanken verscheuchen und uns von innen her aufrichten, wir müssen nur in sie eintreten, d.h. im Geist Jesu leben.
Es gibt eine fünfstimmige Motette von Johann Sebastian Bach, die diesen Zusammenhang sehr schön deutlich macht. Er hat sie zu dem Choral geschrieben „Jesu, meine Freude“. (BWV 227). Der Text dieses Kirchenliedes ist von dem Dichter Johann Franck und die Melodie von dem Komponisten Johann Crüger. 1653 ist es entstanden und es bildet das Grundgerüst der Motette von Bach. Das Besondere an diesem Werk ist nun, dass Bach zwischen die sechs Strophen des Chorals jeweils eine Stelle aus dem Römerbrief gesetzt hat, und zwar aus Kapitel acht, und es sind genau die Verse, die wir heute bedenken. Dadurch kommt der Zuspruchscharakter sowohl des Liedes als auch der Worte von Paulus sehr schön zur Geltung. Bach komponierte die Motette vermutlich für eine Begräbnis- oder Gedächtnisfeier, denn musikalisch ist sie im Ton einer Trauermusik gehalten. Der Text vermittelt die Abkehr von den weltlichen Dingen und lädt dazu ein, sich dem Geist Jesu zuzuwenden, der über alle Traurigkeit triumphiert.
In der ersten Strophe heißt es: „Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, […] außer dir soll mir auf Erden nichts sonst Liebers werden.“ Auf sie folgt der Zuspruch von Paulus: „Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.“ Damit wird sehr schön deutlich, dass wir nur dann ruhig werden, wenn wir uns mit unserer Sehnsucht nach Erlösung ganz auf Jesus verlassen, unser „Herz auf ihm weiden“ und ihn zu unserem „Liebsten“ machen. Denn nur „unter seinem Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei.“ Er steht uns bei, selbst wenn noch so viele Stimmen uns bedrängen und verklagen wollen. „Jesus will mich decken.“ Auch das wird in der Motette wieder mit einem Satz aus dem Römerbrief begründet: „Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig machet in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“
So können wir „trotz des Todes Rachen, und der Furcht darzu“ dastehen und „in sicherer Ruh singen. Gottes Macht hält mich in acht.“ Gott ist auf jeden Fall auf unserer Seite, er beschützt und rettet uns.
Und das führt dazu, dass wir auch im Leid und angesichts des Todes froh und zuversichtlich bleiben. Ganz gleich, was um uns herum geschieht oder wie unser Leben verlaufen ist, wir werden mit Jesus auferweckt. In der Motette wird das durch den Vers bekräftigt, der auch heute den Abschluss bildet: „So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferwecket hat, in euch wohnet, so wird derselbige, […] auch eure sterblichen Leiber lebendig machen.“
Die Motette endet deshalb mit dem Triumph des Glaubens und der Freude. Das kommt in der sechsten Strophe des Liedes zum Ausdruck. Sie endet mit dem Satz: „Duld ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu meine Freude.“
Amen.
Lied EG 396: Jesu, meine Freude
- Jesu, meine Freude,
meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier:
Ach, wie lang, ach lange
ist dem Herzen bange
und verlangt nach dir!
Gottes Lamm, mein Bräutigam,
außer dir soll mir auf Erden
nichts sonst liebers werden. - Unter deinem Schirmen
bin ich vor den Stürmen
aller Feinde frei.
Lass den Satan wettern,
lass die Welt erzittern,
mir steht Jesus bei.
Ob es jetzt gleich kracht und blitzt,
ob gleich Sünd und Hölle schrecken,
Jesus will mich decken. - Trotz dem alten Drachen,
Trotz dem Todesrachen,
Trotz der Furcht dazu!
Tobe, Welt, und springe;
ich steh hier und singe
in gar sichrer Ruh.
Gottes Macht hält mich in Acht,
Erd und Abgrund muss verstummen,
ob sie noch so brummen. - Weg mit allen Schätzen;
du bist mein Ergötzen,
Jesu, meine Lust.
Weg, ihr eitlen Ehren,
ich mag euch nicht hören,
bleibt mir unbewusst!
Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod
soll mich, ob ich viel muss leiden,
nicht von Jesus scheiden. - Gute Nacht, o Wesen,
das die Welt erlesen,
mir gefällst du nicht.
Gute Nacht, ihr Sünden,
bleibet weit dahinten,
kommt nicht mehr ans Licht!
Gute Nacht, du Stolz und Pracht;
dir sei ganz, du Lasterleben,
gute Nacht gegeben. - Weicht, ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein.
Denen, die Gott lieben,
muss auch ihr Betrüben
lauter Freude sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn,
dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu, meine Freude.
Text: Johann Franck 1653
Melodie: Johann Crüger 1653